BVerfG: Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz

Das sächsischen Ober­verwaltungs­gericht hatte dem Beschwerdeführer einstweiligen Rechtsschutz gegen die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf wegen endgültigen Nichtbestehens einer Prüfung versagt. Dieses kategorische Versagen ist verfassungswidrig, entschied das Bundesverfassungsgericht.

Der Beschwerdeführer absolvierte als Beamter auf Widerruf den Vorbereitungsdienst zum Erwerb der Laufbahnbefähigung für den Polizeidienst. Im September 2019 teilte die Hochschule mit, dass er die „Kontrollübung Pistole“ endgültig nicht bestanden habe und sein Studium mit Ablauf des Tages der schriftlichen Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens ende. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Widerspruch. Gleichzeitig ersuchte er um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz mit dem Hauptantrag, die Hochschule zu verpflichten, ihm unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu gestatten.

OVG: einstweiliger Rechtsschutz verneint

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden zurück. Der Beschwerdeführer habe gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 SächsBG keinen Anspruch auf vorläufige Fortsetzung der Ausbildung. Nach dieser Vorschrift ist der Beamte auf Widerruf mit Ablauf des Tages aus dem Beamtenverhältnis entlassen, an dem ihm das endgültige Nichtbestehen einer vorgeschriebenen Zwischenprüfung schriftlich bekannt gegeben wird. Auf die Rechtmäßigkeit beziehungsweise Bestandskraft der zugrundeliegenden Prüfungsentscheidung komme es für die Beendigung des Beamtenverhältnisses nicht an. 

BVerfG: Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt

Nach Ansicht des BVerfG verletzt der Beschluss des OVG den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Gewährleistet werde nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Die Fachgerichte seien daher gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn andernfalls dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen.

Verlorene Studienjahre gravierender Nachteil

Durch die Entlassung wird dem Polizeianwärter verwehrt, die Ausbildung fortzusetzen, abzuschließen und den gewählten staatlichen Beruf zu ergreifen, so das Gericht. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sei anerkannt, dass sich jedenfalls dann besondere Erfordernisse an die Effektivität des Rechtsschutzes ergeben, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führt. Die dadurch verlorenen Studienjahre stellten damit für sich genommen schon einen gravierenden Nachteil dar.

Kategorisches Versagen einstweiligen Rechtsschutzes

Bei seiner Auslegung der Vorschriften zur Entlassung von Beamten auf Widerruf kraft Gesetz bei endgültigem Nichtbestehen einer Prüfung verkenne das Oberverwaltungsgericht Bedeutung und Tragweite der Gewährleistungen effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Das OVG verschließe sich hierbei einer Prüfung der entlassungsauslösenden Prüfungsentscheidung sowie der dem Beschwerdeführer entstehenden Nachteile vollständig und versage dem Beschwerdeführer einstweiligen Rechtsschutz damit kategorisch in jedweder Form.

Diese pauschale Rechtsschutzverweigerung falle insbesondere in Fällen der vorliegenden Art besonders ins Gewicht, da die Beendigung des Beamten- und Ausbildungsverhältnisses grundsätzlich zu einer Ausbildungsverzögerung führt. Dem Polizeianwärter würden mithin gravierende und – jedenfalls hinsichtlich der Ausbildungsverzögerung – irreparable Nachteile zugemutet. Zwingende Gründe dafür nenne das Oberverwaltungsgericht nicht.

Völliger Ausschluss einer Prüfung der Hauptsache

Darüber hinaus verkenne das Oberverwaltungsgericht die Vielgestaltigkeit möglicher Fehler der Prüfungsentscheidung. Jedenfalls in Kombination mit der kategorischen Außerachtlassung möglicher schwerer Nachteile könne die zugrunde gelegte gesetzgeberische Intention einen derart undifferenzierten und völligen Ausschluss einer Prüfung der Erfolgsaussichten der prüfungsrechtlichen Hauptsache nicht rechtfertigen, so die Verfassungsrichter.

(BVerfG, Beschluss v. 9.6.2020, 2 BvR 469/20)



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