Bürokratieabbau – wie er wirklich funktionieren kann

Bürokratieabbau als dringende Forderung der Wirtschaft, Thema von Forschung, Beiräten und Initiativen sowie Zielsetzung der neuen Bundesregierung. Das Thema ist hoch aktuell. Schon wieder und immer noch. Denn Bürokratieabbau ist alles andere als neu. Tatsächlich ist bisher erstaunlich wenig passiert. Zeit nach Gründen zu suchen und aufzuzeigen, wie Bürokratieabbau dieses Mal tatsächlich funktionieren kann.

Kennen Sie das Bürokratieentlastungsgesetz IV? Was hier als zentrales Vorhaben zum Bürokratieabbau verkauft wird, ringt Betroffenen maximal ein müdes Lächeln ab. Angesichts kürzerer Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege (von 10 auf 8 Jahre, aber weiterhin auf Papier) entsteht nicht das Gefühl eines großen Wurfs. Hat man die Belastung von Menschen, Unternehmern, aber auch der Verwaltung selbst durch Bürokratie wirklich erkannt?

Die drei Stellschrauben des Bürokratieabbaus

Tatsächlich besteht allseits grundsätzlich Einigkeit darüber, welche drei zentralen Stellschrauben es beim Bürokratieabbau zu drehen gilt: Praxisnahe Gesetzgebung, mehr Zentralisierung und die Verwaltungsdigitalisierung. Nachzulesen unter anderen in den Empfehlungen für einen handlungsfähigen Staat. Aber wie viele andere bleibt auch dieser Ansatz theoretisch. Wie so oft in der Vergangenheit mangelt es an der Auseinandersetzung mit dem Wie?
Denn auf Behörden prasseln immer neue Vorgaben von EU und Bund ein – sei es zur Digitalisierung, Klimawandel, für mehr Transparenz oder eben zum Bürokratieabbau. Oft gleichzeitig und ohne gemeinsame Linie. Dort fehlt es aber an Zeit, Kapazität, Kompetenz und Geld dieses Stückwerk umzusetzen. Es ist utopisch, dass es auf dieser Basis auch nur zu einem der drei Punkte vorangeht.

Konsolidierung und zentrale Komponenten

Bevor Landratsämter und Gemeinden beispielsweise Anforderungen zur Digitalisierung aus EU-Gesetzgebung, nationalen Gesetzen, Beschlüsse des IT-Planungsrates und DIN-Vorgaben einzeln umsetzen und dafür ggf. jeweils isolierte Komponenten integrieren, muss der Bund die Themen sinnvoll konsolidieren. Dazu gehören zentral zur Verfügung gestellte, einheitliche und umfassende Basis-Komponenten, die die Anforderungen komplett abdecken inklusive deren (Vor)Finanzierungen.
Dies ist gerade nicht als Eingriff in die Selbstverwaltung oder als Abschaffung des Föderalismus zu verstehen. Im Gegenteil bietet der Bund günstige und einheitliche Lösungen an - ganz im Sinne von EfA. Diese entwickelt er gemeinsam mit den Ländern und nutzt Best Practices der Kommunen. Wer stattdessen sein Selbstverwaltungsrecht in Anspruch nimmt und es anders will, muss sehen, wie er anschlussfähig wird. So kann man sich die dauerhafte und zu nichts führende Diskussion der Abschaffung des Föderalismus sparen: Ein Angebot besserer Lösungen statt Zwang zur Zentralisierung.

Bürokratie-Check

In aller Regel kämpft man auf kommunaler Ebene mit der Anwendung maximal komplizierter Gesetze des Bundes. Extrem aufwendige Einzelfallprüfungen oder zig Ausnahmen sind leider Standard. Man hat den Eindruck, dass beim Gesetzgeber mehr Zeit in die Suche eines maximal sperrigen Namens für das neue Gesetz fließt als in die Frage, wie die Verwaltungspraxis das umsetzen soll.
Die Gründe liegen irgendwo zwischen „Man will keiner Wählergruppe weh tun“ und dem Umstand, dass Gesetzestexte heute immer seltener von Verwaltungsprofis geschrieben werden. Der Digitalcheck, der neue Gesetzesvorhaben auf ihr Digitalisierungspotential hin bewertet, sollte daher Vorbild für einen „Bürokratiecheck“ als effektives Mittel zum Bürokratieabbau sein: Neue Gesetzesvorhaben müssen von Praktikern aus Kommunen auf deren einfache Anwendbarkeit geprüft werden.

Geht’s auch ohne Antrag?

Ohne Antrag geht in der deutschen Bürokratie wenig. Bürokratieabbau könnte aber genau dort ansetzen, wo Lebensereignisse den Antrag auslösen und es nur in seltenen Fällen Einzelfallprüfungen oder Ablehnungen gibt. Beispiel Geburt. Die Steuer-ID wird heute schon automatisch angelegt, der Antrag ist obsolet. Das funktioniert dann doch aber auch für das Kindergeld und die Geburtsurkunde!
Push Government meint nicht nur die Information der Menschen über Angebote der Verwaltung oder ablaufende Fristen, sondern auch das proaktive Handeln der Behörden: Ist das Lebensereignis eingetreten, wird die Verwaltung tätig. Ganz ohne Antrag. Und wenn man schon dabei ist, werden Urkunden und Bescheide im Bürgerkonto abgelegt, das ebenfalls bei Geburt automatisch angelegt wird. Dieses Vorhaben der neuen Regierung ist zielführend, wenn Behörden zeitgleich zur Nutzung der dort abgelegten Dokumente verpflichtet werden. Dann wird nicht nur Bürokratieabbau Realität, sondern die Kundenzufriedenheit steigt.

Der Kunde im Blick der Verwaltung

Das neue Steuerungsmodell hat schon in den 90igern diese Kundenorientierung ins Zentrum gestellt. Dass das bis heute nicht gelebte Praxis ist, sehen wir an der Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung: Es wurde gezählt, wie viele Leistungen online sind (Output) und nicht, ob Bürokratie abgebaut, Kosten eingespart oder die Kunden zufriedener geworden sind (Outcome). Das Vorhandensein eines Online-Dienstes führt nicht unbedingt zu dessen Nutzung - gerade, wenn der analoge Behördengang schneller und einfacher zum Ziel führt. Bürokratieabbau durch Digitalisierung ist das nicht.
Aber der Output wird auch weiterhin dem Outcome vorgezogen. Aktuell soll überall der Chatbot ran und möglichst alles mit KI funktionieren. Haben Sie Ihr Problem schon mal einem Chatbot mitgeteilt? Hat das Ihre Kundenzufriedenheit erhöht? Studien verneinen das regelmäßig. Technologie um der Technologie willen? Um Bürokratieabbau zu realisieren, müssen stattdessen Kunden und deren Bedürfnisse sowie der Nutzen für die Verwaltung ins Zentrum gestellt werden. Beispiele wie die Entwicklung von Online-Diensten gemeinsam mit den Zielgruppen oder die Feedbackerhebung mit dem Ziel der Optimierung der digitalen Verwaltung gibt es bereits.

Prüfungen ans Ende verlagern

Ein Beispiel für ausufernde Bürokratie ist der Antrag auf Elterngeld. Ob analog oder inzwischen digital: Nicht nur Antragsteller müssen eine ganze Reihe von Unterlagen einreichen, auch die Verwaltung prüft umfassend. Der mehrseitige Bescheid ist für Laien kaum zu verstehen. Das Schlimmste: Diese Prüfung erfolgt zweimal. Nach Ende der Bezugsdauer muss nochmal alles nachgewiesen werden und das Amt prüft abschließend erneut.
Der Gesetzgeber wollte Familien eigentlich helfen. Aus Kundensicht gibt es bei Familienzuwachs Wichtigeres zu tun, als sich tagelang mit einem Antrag rumzuschlagen. Für Behörden ist eine solche Doppelprüfung bürokratischer Irrsinn. Daher sollte die aufwendige Prüfung nur einmal am Ende des Zeitraums durchgeführt werden. Mit Verweis auf Vorläufigkeit und unter Berücksichtigung des letzten Steuerbescheides wird schnell und unbürokratisch zunächst ein Abschlag gezahlt. Das funktioniert in vielen weiteren Verwaltungsverfahren und wäre Bürokratieabbau und Kundenorientierung in einem.

Ängste nehmen, Motivation fördern

Das Problem bei all diesen Maßnahmen: Menschen vertrauen Behörden weniger als den sozialen Medien beim Umgang mit ihren Daten und in den Verwaltungen herrscht Angst vor Veränderung und Machtverlust. Beispiele, bei denen solche Ängste die Vorteile von Bürokratieabbau verdrängt haben, sind die Einführung des neuen Personalausweises (nPA) und der elektronischen Patientenakte.
Bürokratieabbau wird nur mit einem gewissen Anschluss- und Benutzungszwang funktionieren: Sei es die Deutschland-ID oder aktuell das Bürgerkonto. Damit die Menschen sich gegen solche vermeintlichen Zwangsmaßnahmen nicht wehren, muss der Staat besser kommunizieren, erklären und werben. Es gilt, mehr über Sinn, Vorteile, Zweck und Notwendigkeit der Maßnahmen zu lesen, zu sehen und zu hören, als über abstrakte Gefahren des Datenschutzes. TV-Werbung, Ads, Banner und Social Media – eine solche Behördenkommunikation muss dahin, wo sich die Menschen informieren. Vertrauen muss aufgebaut werden. Dazu gehört auch die Erklärung von Begriffen wie Blockchain und KI. Wenn Verwaltungsmitarbeiter selbst nicht genau wissen, wie es funktioniert, wie sollen diese dann Bürger zur Nutzung motivieren?

Ausblick

Werbung ist nur ein Punkt, der in beinahe allen Papieren zum Bürokratieabbau fehlt. Auch Personalentwicklung beschränkt sich auf Kompetenzen. Finanztöpfe für Behörden mit besonders effektivem Bürokratieabbau sind genauso wenig vorgesehen wie Leistungsanreize für Verwaltungsmitarbeitende, die innovative Konzepte entwickeln. Ohne diese und die hier skizzierten weiteren Maßnahmen bleibt Bürokratieabbau eine pauschale Forderung und wird im Sande verlaufen. Behörden müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, Verwaltung mit den Stichworten Kundenorientierung und Push Government neu zu denken. Dann funktioniert es auch mit dem Bürokratieabbau.



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