Zirkuläres Bauen: Materialpass und Kataster für Immobilien

Welche Materialien in einem Gebäude verbaut sind, weiß niemand so genau. Datenbanken können das ändern. Dr. Patrick Bergmann, Geschäftsführer der Madaster Germany GmbH, erklärt im Interview, was ein Materialpass kann und was er Eigentümern bringt – auch im Bestand.

Herr Dr. Bergmann, welche Informationen enthält der Materialpass von Madaster und was fängt ein Immobilieneigentümer damit an?

Dr. Patrick Bergmann: Der Materialpass enthält alle relevanten Informationen über die Materialien, die in einem Gebäude verbaut wurden – angefangen bei der Art über Gewicht und Verortung im Objekt bis hin zur Zusammensetzung von Baustoffen und deren Rezyklierbarkeit. Ergänzt wird das Ganze um Informationen zur Toxizität und Angaben zur gespeicherten grauen Energie. Der Nutzen für Eigentümerinnen und Eigentümer ist vielfältig. Das Thema Nachhaltigkeit spielt im Leben von immer mehr Menschen eine immer größere Rolle. Gesundes und klimafreundliches Wohnen gehört genauso dazu wie etwa das Kaufen von regionalen Produkten. Der Nachweis über den CO2-Fußabruck, die Recyclingfähigkeit sowie Unbedenklichkeit der verbauten Materialien stellen schon heute ein Kriterium für Miet- und Kaufinteressenten dar – sowohl im privaten als auch im gewerblichen Sektor.

Patrick Bergmann

Und wozu können die Daten verwendet werden?

Das Wissen über die verwendeten Materialien bildet die Basis für eine effektive und wirtschaftlich sinnvolle Kreislaufwirtschaft. So können Eigentümer bei einer Sanierung oder einem Umbau genau feststellen, welche Stoffe in der Immobilie bei den Baumaßnahmen frei werden und diese gezielt auf Rohstoffbörsen anbieten. Das reduziert nicht nur die Menge Bauschutt, der teuer entsorgt werden muss, sondern finanziert sogar einen Teil der Sanierung. Gleichzeitig wird ein Materialpass in der Zertifizierung belohnt, bei der DGNB gibt es dafür 15 zusätzliche Punkte ab April 2023.

Kann Madaster auch für die Materialdokumentation im Bestand eingesetzt werden?

Werfen wir einen Blick auf den Gebäudesektor, so zeigt sich, dass jährlich gerade einmal ein Prozent neu gebaut wird. Für uns war somit direkt zu Beginn klar, dass wir eine Lösung für den Bestand mitdenken müssen. In den meisten Fällen ist die größte Herausforderung dabei, dass keine validen Daten zu Material und Baustoffen zur Verfügung stehen. Diese wurden in der Regel entweder gar nicht erst dokumentiert oder die Unterlagen sind über die Zeit verloren gegangen. Gleichzeitig haben wir mit der Bestandserfassung gestartet und mittlerweile doppelt so viele Bestandsgebäude (700) auf der deutschen Plattform wie Neubauten (300).

Wie viel Aufwand ist mit dem Dokumentationsprozess verbunden?

Bei Neubauten funktioniert die Dokumentation per Knopfdruck. Eigentümer, Planerinnen und Planer sowie Projektentwicklerinnen und Projektentwickler können die objektspezifischen Daten entweder als Excel-Datei oder direkt als BIM-Modell per drag-and-drop auf Madaster hochladen und erhalten damit sofortigen Einblick in alle verbauten Materialien. Im Fall von Bestandsgebäuden, bei denen in der Regel Informationen über Baustoffe fehlen oder über die Jahre verloren gegangen sind, arbeiten wir mit Referenzwerten. Diese werden dann im Verlauf von Sanierung und Umbau aktualisiert und so nach und nach optimiert.

Haben Sie ein Beispiel?

Im "Patrick Henry Village" der Stadt Heidelberg haben wir 325 Bestandsgebäude aufgenommen, darunter 206 Wohngebäude. Zu Beginn gab es eine Voruntersuchung. Diese Untersuchung lieferte die Grunddaten für die Berechnungen der Bestandsgebäude. Die EPEA GmbH arbeitete gemeinsam mit Madaster diese Informationen aus den Dokumenten heraus und bereitete den Upload vor. Alternativ können diese Daten auch aus GIS-Karten automatisiert herausgelesen werden. Außerdem baut die Firma Strenger in Stuttgart mehrere Wohngebäude die auf die Madaster-Plattform geladen werden.

Rechtsverbindlich sind Gebäudematerialpässe aber nicht ...

Wir bei Madaster hoffen, dass sich künftig ein Standard und damit verbunden auch eine Rechtsverbindlichkeit für Materialpässe etabliert. Ich gehe davon aus, dass uns der Klimawandel und die Ressourcenknappheit mit stetig steigenden Rohstoffpreisen die nächsten Jahre und Jahrzehnte immer stärker betreffen werden. Es braucht also gerade in der Immobilienwirtschaft, die weltweit für einen nicht unerheblichen Anteil des Abfallaufkommens verantwortlich ist, Veränderung. Der Gebäudematerialpass ist ein wertvolles Werkzeug im Kampf gegen die Verschwendung. Nur wenn wir wissen, was in unseren Gebäuden steckt, können wir unsere Städte als urbane Minen nutzen und damit die Bauwirtschaft kreislauffähig machen.


Das könnte Sie auch interessieren:

Digitales Materialkataster für zirkuläres Bauen wird "gepimpt"

Gebäuderessourcenpass: DGNB setzt Standards – los geht's!

Gebäuderessourcenpass: Viele Instrumente, wenig Durchblick

Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft