"Mutige Vermieter wollen ungeschminkte Ergebnisse"
Herr Neitzel, wie hat sich die Bedeutung von Kunden- konkret Mieterbefragungen zur Wohn- und Servicequalität entwickelt?
Michael Neitzel: Von Euphorie kann trotz der neuen Möglichkeiten, die sich durch digitale Tools – beispielsweise Mieterapps – ergeben, keine Rede sein. Aber: Es zeichnet sich in den Unternehmen ein stabiler Trend der Zunahme ab. Dabei nutzen die Unternehmen entweder die Unterstützung von Firmen, die sich auf diesen Bereich spezialisiert haben, oder sind mit Hilfe der heute digitalen Möglichkeiten eigenständig unterwegs.
Online-Survey statt Telefon
Gibt es unterschiedliche Herangehensweisen?
Ja, es gibt zwei Kategorien: die mutigen und die ängstlichen Vermieter. Die mutigen Vermieter wollen mit der Befragung ungeschminkte Ergebnisse als Ausgangspunkt für alle weiteren Maßnahmen erhalten. Die ängstlichen Vermieter werden – so wie es aus ihrer Sicht sinnvoll ist – etwa in einem Quartier aktiv, bevor sie die Kunden befragen. Mir sind die Mutigen lieber, da ich überzeugt bin, dass nach der Befragung eine höhere Veränderungsbereitschaft erreicht und gezielter an Stellschrauben gedreht werden kann.
Was sind aus Ihrer Sicht die Trends?
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Branche alle Möglichkeiten – von der Befragung vor Ort bis zur Nutzung der digitalen Self-Survey-Befragung über Apps – nutzt. Dabei wird zwischenzeitlich fast alles abgefragt, was für das jeweilige Unternehmen von Belang sein könnte. Feststellbar ist, dass der Trend zu schriftlichen Befragungen mit der Möglichkeit zur Online-Teilnahme geht, obwohl aus meiner Sicht weiterhin die telefonische Befragung oder der direkte Kontakt besser wären.
Quick Wins identifizieren
Was hat denn mehr Bedeutung für die Mieter: ein guter Kundenservice oder die Qualität der Wohnung?
In der Summe vieler Befragungen ist bemerkenswert, dass mieser Service des Vermieters – zum Beispiel keine gute Erreichbarkeit, fehlende Freundlichkeit, keine Dienstleistungen rund ums Wohnen – nur sehr selten als entscheidender Grund für einen Wohnungswechsel angegeben wird. Zufriedenheit und insbesondere die Bindung der Mieter hängen meist stärker von der Qualität der Wohnung und des Wohnumfelds ab. Allergische Punkte sind beispielsweise der Umgang mit Müll im Flur, Keller oder vor der Tür, oder die soziale Situation im Haus beziehungsweise in der Nachbarschaft.
Es kommt also mehr auf das Produkt "Wohnung" an als auf das Produkt "Wohnen"?
Ja. Das Produkt Wohnung – einschließlich des näheren Wohnumfeldes – muss stimmen. Im Bereich der Immobilien ist der Markt insgesamt – anders als in anderen Branchen – nicht so weit, dass Wohnen mit gutem Service drumherum im Vordergrund steht. Für viele Unternehmen ist das ein Dilemma. Die bauliche Qualität von Wohnung beziehungsweise Wohngebäude lässt sich in bestehender Form oft nur schwer verbessern. Zudem sind Modernisierungen mit hohem finanziellem Aufwand verbunden.
Meine Empfehlung ist, dass Vermieter, gerade mit größeren Beständen, sich die Mieterstruktur ansehen sollten, um dann im Wohnumfeld passende Verbesserungen vorzunehmen. Auf Basis der Befragungsergebnisse lassen sich häufig Quick Wins identifizieren – also kurzfristig umsetzbare Maßnahmen, die spürbare Wirkung entfalten können.
Kontakt über die Mieterapp
Worauf sollten Vermieter achten, wenn sie Befragungsunternehmen beauftragen?
Hier ist vor allem entscheidend: Geht es für das Unternehmen darum, nette und repräsentative Zahlen zu generieren, oder soll mit einen Maßnahmenpaket die Zufriedenheit erhöht werden? Beim ersten Ansatz reicht es – salopp gesagt – die Fragen gut zu formulieren und für eine hohe Beteiligung zu sorgen, etwa durch ein Gewinnspiel. Hier kann auch eine Masterarbeit eines Studierenden einer Hochschule in der Nachbarschaft die gewünschten Ergebnisse bringen.
Wer verlässliche Daten für die Weiterentwicklung seiner Bestände und des Services wünscht, der sollte sich sehr genau das methodische Konzept ansehen. Dabei geht es dann darum, mit zum Teil auch frei formulierten Antworten Ursachen zu ermitteln, Handlungsfelder zu priorisieren und Maßnahmen zu definieren. Auch sollte darauf geachtet werden, dass das Unternehmen neutral agiert und nicht gleich Firmen im Schlepptau, also in seiner Struktur hat, die dann nach dem Vorliegen der Ergebnisse Folgeaufträge bekommen. Ein zusätzlicher Mehrwert ist gegeben, wenn das Unternehmen einen Branchenvergleich mitliefern kann.
Welche Bedeutung haben digitale 24/7-Kundenportale?
Ich bin mir sicher, dass die Befragung der Kunden nach einem Kontakt über die Mieterapp und einem daraus resultierenden Prozess Standard werden wird. Momentan ist das noch nicht der Fall, weil die meisten Unternehmen hier noch am Anfang stehen. Es bleibt sinnvoll, neben diesen Möglichkeiten auch in regelmäßigen Abständen – am besten alle zwei bis drei Jahre – größere Befragungen vorzunehmen.
Diplom-Ökonom Michael Neitzel war knapp drei Jahrzehnte für Tochtergesellschaften des Institutes für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWIS) tätig. Heute agiert er mit der Neitzel Consultants GmbH unter anderem in den Bereichen Mieter- und Mitarbeiterbefragungen sowie Markt- und Mietenanalyse und serielles Bauen.
Der Beitrag ist aus der Ausgabe 07/2025 des Fachmagazins "DW Die Wohnungswirtschaft". Das gesamte Heft gibt es auch in der DW-App.
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