Bauhaus-Erbe: Lernen von den Meistern

100 Jahre ist es her, dass die Bauhaus-Schule Architektur und Städtebau mit neuen Fragestellungen herausforderte. Was kann die Wohnungswirtschaft von heute aus der damaligen Bewegung der Moderne lernen – und wo gilt es zu entmystifizieren und zu differenzieren?

Das Bauhaus als Blaupause für die Planung von morgen? Aufnehmen könne man etwa die damaligen Beweggründe für den großflächigen Wohnungsbau und die Entwicklung neuer Siedlungen, sagt Siegfried Berg, Leiter Städtebau / Grundstücksmanagement bei der Vonovia SE. "Es handelte sich um eine Notlage auf dem Wohnungsmarkt, für die Politik, Verwaltung und Architektenschaft erstmals ein Gefühl entwickelten und aus dieser Sensibilisierung heraus Prototypen entwarfen und umsetzten."

Die Industrialisierung und das mit ihr verbundene Bevölkerungswachstum hatten etwa in Berlin katastrophale Wohnverhältnisse zur Folge, die die Vordenker des neuen Bauens zu beenden suchten: Raus aus dem Mief der Hinterhöfe, weg von qualmenden Öfen und Gemeinschaftstoiletten, hin zu Licht, Luft und Sonne für jeden Bewohner.

Einordnung der Ausgangssituation

Den Planern damals sei zugute gekommen, dass zusammenhängende Flächen als Bauland in großem Ausmaß zur Verfügung standen, erklärt der Sozialwissenschaftler und Stadtplaner Prof. Dr. Harald Bodenschatz, der sich an der Technischen Universität Berlin und an der Bauhaus-Universität Weimar mit der Reformbewegung der Moderne auseinander gesetzt hat. Heutige Anforderungen an die Wohnungswirtschaft fokussierten in der Regel auf kleinflächige Projekte – eine echte Quartiersentwicklung sei so kaum mehr möglich.

Zugleich helfe ein Blick auf die Ausgangslage in den Jahren um 1920, die aktuellen Diskussionen einzuordnen, erklärt Bodenschatz. Die Menschen heute lebten auf ungleich mehr Quadratmetern als früher. Vonovia-Planer Berg pflichtet dem bei: "Wir haben an vielen Standorten eher das Problem des wachsenden Flächenverbrauchs denn eine Wohnungsnot", sagt er mit Verweis auf den in Deutschland durchschnittlichen Wohnflächenkonsum von mehr als 44 Quadratmetern pro Kopf.

Soziale Mischung: Fehlanzeige

Die Experten räumen mit einem weiteren Mythos auf: Eine soziale Mischung hätten die Planer mit ihren Großvorhaben wie in Berlin-Britz, der Siemensstadt im Berliner Westen oder den von Ernst May initiierten Siedlungen in Frankfurt am Main nicht erreicht; man baute am Bedarf vorbei.

"Für Arbeiter waren die Wohnungen damals schon zu teuer", sagt Bodenschatz. Auch Berg spricht von einer eher "elitären Architektur". Wie wenig den Denkern um Walter Gropius an einer sozialen Mischung im städtischen Raum generell gelegen war, zeigt sich schon an der räumlichen Distanz zwischen den Meisterhäusern für die Bauhaus-Oberen und der für die einfache Bevölkerung gedachten Sozialsiedlung Törten in Dessau: Erstere liegen im Nordwesten nahe des Bauhaus-Hauptgebäudes, Letztere am südöstlichen Stadtausgang.

Baukosten übrigens neigten auch damals zur Explosion; die Kostensteigerung für Törten soll der Grund gewesen sein, warum Gropius seinen Posten als Bauhaus-Direktor räumen musste. Außerdem zeigten sich schnell bauliche Mängel und stadträumliche Defizite wie das Fehlen von Begegnungsräumen in der Siedlung.

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Geburtsstunde des seriellen Bauens

Hinter Quartieren wie der Siedlung Dessau-Törten standen gleichwohl Überlegungen, die in der Gegenwart eine Neuauflage erleben: Die Lösung für schnelles Bauen zu geringen Kosten bei hochwertiger Architektur sollten die Typisierung von Wohneinheiten und die Produktion vorgefertigter Teile in Reihe sein. Gropius schrieb beispielsweise von einem Baukastensystem im Großen, das das Zusammensetzen von Häusern aus wiederkehrenden Elementen ermöglichen sollte.

Während die Idee des seriellen Bauens damals unter anderem von den Bauhaus-Architekten als Avantgarde gefeiert wurde, ruinierten einige Entwicklungen der Nachkriegszeit den Ruf des Gedankens. Manche große Wohnsiedlungen wurden als Beispiel für ein schnelles und uniformes Bauen angesehen, das die individuellen Bedürfnisse seiner Bewohner außer Acht lässt.

Der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen hat sich daran gemacht, das Image des Serienbaus heute wieder aufzupolieren. "Seriell hergestellte Bauten können Teil der Lösung der Wohnungsfrage in Ballungsräumen sein", erklärt der zuständige Bereichsleiter Fabian Viehrig. Der GdW hat 2018 eine branchenweite Rahmenvereinbarung erarbeitet, bei der sich Wohnungsunternehmen aus einer Art Katalog Wohnungstypen und Baukonzepte für Projekte aussuchen können.

Ein Vorzeigeprojekt für Serielles Bauen in Deutschland ist der "Bremer Punkt" der Gewoba Aktiengesellschaft Wohnen und Bauen: Der beinahe würfelförmige Baukörper aus vorgefertigten Modulen in Holzbauweise und einem vor Ort gefertigten Erschließungskern erwies sich wegen seiner kleinen Grundfläche als überaus anpassungsfähig an unterschiedliche Standorte.

Bauen im Bestand mit anderen Herausforderungen

Für ganze Siedlungsentwicklungen fehle es heute aber an Flächen und an Volumina, schränkt Viehrig die Vergleichbarkeit zu den 1920er Jahren ein. Auch seien die Vergaberichtlinien komplexer als früher, und Vorgaben schränkten die Möglichkeiten von vornherein ein. Außerdem stehen der Serienbau nicht in allen Teilen der Architektenschaft sonderlich hoch im Kurs, so Vierig.

Stadtplaner Bodenschatz regt an, die Wohnungsproduktivität der Weimarer Republik in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen, die weit über die Aktivitäten der Bauhäusler hinausreichte. So seien die größten Siedlungen in Hamburg entstanden, weniger radikal, aber ebenso modern. Dahinter standen Baumeister, die sich mit Enthusiasmus und eigenen Ideen dem sozialen Wohnungsbau verschrieben hatten – während heute Stadtbaumeister und Architekten kaum mehr Qualität in einen großmaßstäbigen und günstigen Wohnungsbau für die breite Bevölkerung einbringen können, wie Bodenschatz bilanziert.

Der vollständige Beitrag erschien im Magazin "DW Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 12/2019.


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