BGH: Sondernutzungsrecht ist nur schwer entziehbar

Ein Sondernutzungsrecht kann gegen den Willen des Berechtigten nur mittels einer Anpassung der Gemeinschaftsordnung geändert oder aufgehoben werden; dies setzt voraus, dass ein Festhalten an der bestehenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unbillig wäre.

Hintergrund: Stellplätze weichen von Baugenehmigung ab

In der Baugenehmigung für eine Wohnungseigentumsanlage ist vorgesehen, dass die an der Straße gelegenen Stellplätze parallel zum Gebäude errichtet werden. Tatsächlich wurden die Stellplätze rechtwinklig zum Gebäude ausgerichtet; so sieht es auch die Teilungserklärung vor, die insoweit von der Baugenehmigung abweicht.

Die Stadt lehnt es ab, die abweichende Bauausführung nachträglich zu genehmigen und verlangt, die Stellplätze wie genehmigt parallel zum Gebäude zu errichten. Hierfür müsste die Gemeinschaft eine Fläche in Anspruch nehmen, an der zu Gunsten des Eigentümers einer Erdgeschoss-Wohnung ein Sondernutzungsrecht bestellt ist und auf der sich eine abgezäunte Garten- und Terrassenfläche befindet.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft verlangt vom Sondernutzungsberechtigten, es zu dulden, dass sie die Terrasse, die Pflanzen und den die Sondernutzungsfläche umgebenden Zaun entfernt und auf der Fläche zwei Stellplätze errichtet, die den Wohnungseigentümern und Besuchern zur Verfügung stehen sollen. Außerdem verlangt sie, die Nutzung der Sondernutzungsfläche als Zufahrt zu weiteren Stellplätzen zu dulden.

Entscheidung: Sondernutzungsrecht bleibt bestehen

Die Klage der Gemeinschaft hat keinen Erfolg. Der sondernutzungsberechtigte Eigentümer der Erdgeschoss-Wohnung muss den umfassenden Mitgebrauch seiner Sondernutzungsfläche durch alle Wohnungseigentümer nicht dulden.

Wesensmerkmal von Sondernutzungsrechten ist, dass sie dem begünstigten Wohnungseigentümer unter Ausschluss der übrigen (negative Komponente) das Recht zur Nutzung von Teilen des Gemeinschaftseigentums zuweisen (positive Komponente). Sie schränken damit die gesetzliche Befugnis jedes Wohnungseigentümers zum Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums ein. Es widerspräche daher dem Zweck eines Sondernutzungsrechts, wenn der Sondernutzungsberechtigte dauerhaft den Mitgebrauch seiner Sondernutzungsfläche durch andere Wohnungseigentümer dulden müsste.

Die dauerhafte Änderung des Inhalts eines Sondernutzungsrechts oder die dauerhafte Aufhebung eines solchen Rechts können die übrigen Wohnungseigentümer gegen den Willen des Sondernutzungsberechtigten nur nach Maßgabe von § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG erreichen, indem sie eine Anpassung oder Änderung der Gemeinschaftsordnung herbeiführen. Aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG kann sich auch ein Anspruch auf ersatzlose Aufhebung eines Sondernutzungsrechts ergeben, allerdings nur als ultima ratio, etwa wenn die Sondernutzungsfläche zwingend benötigt wird, um unabwendbaren behördlichen Auflagen nachzukommen, und regelmäßig nur gegen Zahlung einer entsprechenden Entschädigung.

Ein Anpassungsanspruch setzt voraus, dass das Festhalten an der bisherigen Regelung aus schwerwiegenden Gründen grob unbillig erscheint. Das ist hier nicht festgestellt. Zwar entspricht der bauliche Zustand nicht dem Inhalt der Baugenehmigung und die Stadt verlangt, die Sondernutzungsfläche in Anspruch zu nehmen, um einen der Baugenehmigung entsprechenden Zustand herzustellen. Das allein rechtfertigt es aber nicht, dem betroffenen Eigentümer sein Sondernutzungsrecht nahezu vollständig zu entziehen. Die Aufhebung eines Sondernutzungsrechts kann zur Herstellung eines den bauordnungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Zustands des gemeinschaftlichen Eigentums nur verlangt werden, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Die Gemeinschaft hat aber nicht dargelegt, dass die Vorgaben der Baugenehmigung zu den Stellplätzen nicht auf andere Weise erfüllt werden können und die Änderung dieser Vorgaben öffentlich-rechtlich nicht in Betracht kommt.

Bestehende Vereinbarungen sind einzuhalten

Doch selbst wenn die übrigen Wohnungseigentümer nach § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG die Aufhebung des Sondernutzungsrechts verlangen können, würde das ihrer Duldungsklage nicht zum Erfolg verhelfen. Ein Sondernutzungsberechtigter ist nämlich nicht verpflichtet, seine Sondernutzungsfläche im Vorgriff auf eine solche Aufhebung zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müssen sich alle Wohnungseigentümer an die bestehenden Vereinbarungen halten, bis sie geändert sind oder ein darin vorgesehener anderer Gebrauch von Gemeinschafts- oder Sondereigentum genehmigt ist. Die übrigen Eigentümer müssten daher die Aufhebung des Sondernutzungsrechts zuerst durchsetzen, bevor sie die Nutzung der betroffenen Fläche beanspruchen können.

Keine erstmalige ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums

Ein Duldungsanspruch besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der erstmaligen ordnungsgemäßen Herstellung des Gemeinschaftseigentums. Zwar kann danach jeder Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum erstmals in einen der Teilungserklärung entsprechenden Zustand versetzt wird. Dazu können auch Maßnahmen zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen gehören, etwa die Schaffung baurechtlich vorgesehener Stellplätze oder eines zweiten Rettungsweges.

Den primären Maßstab für die Bestimmung des herzustellenden Zustands des Gemeinschaftseigentums bilden aber weder das Bauordnungsrecht noch die Baugenehmigung, sondern die Teilungserklärung. Sie gibt den Rahmen vor, der gegebenenfalls durch die bauordnungsrechtlichen Vorschriften und die Baugenehmigung auszufüllen ist.

Hier weicht die Teilungserklärung bei der Anordnung der Parkplätze und der Festlegung der Sondernutzungsflächen von der Baugenehmigung ab. Dem entspricht die bauliche Ausführung, die damit der Teilungserklärung konform ist.

(BGH, Urteil v. 23.3.2018, V ZR 65/17)

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