BGH: Schadensersatz für WEG nach unberechtigtem Baustopp

Hat ein Wohnungseigentümer per einstweiliger Verfügung zu unrecht die Aussetzung eines Beschlusses erwirkt, muss er den hierdurch entstandenen Schaden ersetzen. Seit der WEG-Reform steht der Ersatzanspruch unmittelbar der Gemeinschaft zu.

Hintergrund: Eigentümerin erwirkt unberechtigten Baustopp

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft gab im April 2015 Sanierungsarbeiten an den Balkonen in Auftrag. Grundlage war ein zuvor gefasster Sanierungsbeschluss.

Ende April 2015 erwirkte eine Wohnungseigentümerin eine einstweilige Verfügung gegen die übrigen Eigentümer, mit der der Sanierungsbeschluss ausgesetzt und ein Baustopp angeordnet wurde. Die einstweilige Verfügung wurde vom Amtsgericht Ende Mai 2015 aufgehoben, was das Landgericht im September 2015 bestätigte.

Die beauftragten Unternehmen führten die Arbeiten schließlich durch und stellten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) wegen der Verzögerung Mehrkosten von 11.200 Euro in Rechnung, die die Gemeinschaft auch zahlte.

Die Wohnungseigentümer klagten gegen die Eigentümerin, die die einstweilige Verfügung erwirkt hatte, auf Erstattung der gezahlten Mehrkosten an die Gemeinschaft. Amts- und Landgericht gaben der Klage statt. Die Eigentümerin zog vor den BGH.

Entscheidung: Schadensersatz für Verzögerung

Der BGH bestätigt die Entscheidungen der Vorinstanzen.

Grundlage des Anspruchs auf Erstattung der verzögerungsbedingten Mehrkosten ist § 945 Zivilprozessordnung (ZPO). Danach muss derjenige, der eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, die sich als von Anfang an unberechtigt herausgestellt hat, dem Gegner den Schaden erstatten, der durch den Vollzug der einstweiligen Verfügung entstanden ist.

Aufgrund der vom Landgericht bestätigten Aufhebung der einstweiligen Verfügung durch das Amtsgericht steht fest, dass die einstweilige Verfügung von Anfang an unberechtigt war.

Vor der WEG-Reform: Eigentümer haben Ersatzanspruch

Nach der bis zur WEG-Reform geltenden Rechtslage konnten die Wohnungseigentümer Inhaber eines Ersatzanspruchs nach § 945 ZPO sein, auch wenn der Schaden – wie hier – nicht bei ihnen, sondern bei der Gemeinschaft eingetreten sein sollte. Die Eigentümer konnten den Schaden der Gemeinschaft nach den Grundsätzen einer so genannten Drittschadensliquidation geltend machen.

Eine Drittschadensliquidation ist zulässig, wenn der Anspruchsinhaber selbst keinen Schaden hat, der Geschädigte keinen Anspruch hat und das Auseinanderfallen von Anspruch und Schaden auf einem Zufall beruht. Der Schädiger soll aus einer zufälligen Schadensverlagerung keinen Vorteil ziehen können.

Anspruch bei der WEG, Schaden bei der Gemeinschaft

Unter der Geltung des bisherigen Rechts waren die Wohnungseigentümer Inhaber eines Anspruchs aus § 945 ZPO. Dies beruht darauf, dass ein Antrag, mit dem ein Wohnungseigentümer die vorläufige Außervollzugsetzung eines Beschlusses per einstweiliger Verfügung erstrebte, ebenso wie eine Anfechtungsklage gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten war.

Wenn eine solche einstweilige Verfügung – wie dies typischerweise bei einem Baustopp der Fall ist – dadurch vollzogen wird, dass die beschlossenen Maßnahmen nicht weiter durchgeführt werden können und beauftragte Unternehmen gegenüber der Gemeinschaft Verzögerungsschäden geltend machen, treten diese Schäden aber nicht bei den Antragsgegnern des Verfügungsverfahrens, sondern bei der Gemeinschaft ein. Diese ist nämlich im Außenverhältnis zu den beauftragten Unternehmen zur Zahlung verpflichtet.

Aus Sicht des Wohnungseigentümers, der die einstweilige Verfügung erwirkt hat, die später aufgehoben worden ist, stellt es einen Zufall dar, bei wem der Schaden eintritt. Es wäre unbillig, wenn er nur deshalb nicht der Haftung aus § 945 ZPO unterliegen würde, weil Anspruch und Schaden auseinanderfallen. Daher können die Wohnungseigentümer als Inhaber des Ersatzanspruchs den Schaden der GdWE im Wege der Drittschadensliquidation ersetzt verlangen.

Seit der WEG-Reform: Gemeinschaft hat Ersatzanspruch

Seit der WEG-Reform kann es zu einer solchen zufälligen Schadensverlagerung nicht mehr kommen, weil Anfechtungsklagen nun nicht mehr gegen die übrigen Eigentümer, sondern die GdWE zu richten sind, wie sich aus § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG ergibt. Deshalb ist eine auf Suspendierung eines Wohnungseigentümerbeschlusses abzielende einstweilige Verfügung nun gegen die Gemeinschaft zu richten. Damit ist diese auch selbst Inhaberin eines Anspruchs aus § 945 ZPO, so dass Anspruch und Schaden nicht auseinanderfallen.

Schaden der Gemeinschaft entfällt nicht durch Umlage auf Eigentümer

Ein Schaden der Gemeinschaft entfällt auch nicht, wenn die Sanierungskosten in den nachfolgenden Jahresabrechnungen bereits vollständig gegenüber den Wohnungseigentümern abgerechnet und von diesen Sonderzahlungen geleistet worden sind. Da die GdWE über eigenes Vermögen verfügt, tritt bei Vermögensabflüssen in ihrem Vermögen ein Schaden ein.

Die Frage, ob und in welchem Umfang die insoweit angefallenen Kosten im Rahmen der Jahresabrechnung auf die Wohnungseigentümer umgelegt wurden, betrifft lediglich das Innenverhältnis der GdWE zu den Wohnungseigentümern und lässt die Entstehung des Schadens im Außenverhältnis zu einem möglichen Schädiger unberührt.

(BGH, Urteil v. 21.4.2023, V ZR 86/22)

Gesetzliche Grundlage: § 945 ZPO

§ 945 Schadensersatzpflicht

Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel oder dadurch entsteht, dass er Sicherheit leistet, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der Maßregel zu erwirken.


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