Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergleichsabschluss über ein Schmerzensgeld: Weiteres Schmerzensgeld wegen Verschlechterung des Gesundheitszustands durch eine Nachoperation

 

Leitsatz (amtlich)

Musste vor dem Vergleichsabschluss über ein Schmerzensgeld aus einem Fahrradunfall mit größter Wahrscheinlichkeit mit einer sodann auch erfolgten Nachoperation (Einsetzung eines künstlichen Kniegelenks links) gerechnet werden, ist die durch die Nachoperation erfolgte Verschlechterung des Gesundheitszustands des Verletzten auch bereits von dem Vergleich der Parteien mitumfasst, wenn die Verletzungsfolgen (hier Operationsfolgen) sich nach dem damals bereits bekannten sachverständigen Wissen als derart naheliegend darstellten, dass sie bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnten. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn wie hier eine Gesamtkomplikationsrate von 30 % besteht und 20 % der Patienten mit weiter gehenden Schmerzen rechnen mussten.(Rz. 4)

 

Normenkette

BGB §§ 253, 779

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Urteil vom 09.08.2012; Aktenzeichen 55 O 2897/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 17.10.2012 wird das Endurteil des LG Landshut vom 9.8.2012 (Az. 55 O 2897/11) abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

 

Entscheidungsgründe

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

I. Das LG hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Schmerzensgeld aus einem Fahrradunfall vom 14.9.2002 in der T. straße in A. bejaht.

Letztendlich unstreitig war im Berufungsverfahren, dies ergab sich bereits aus den schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. W. in erster Instanz, dass mit größter Wahrscheinlichkeit vor dem Vergleichsabschluss mit einer wie nun erfolgten Nachoperation (Einsetzung eines künstlichen Kniegelenks links) gerechnet werden musste. Auf Grund der in zweiter Instanz durchgeführten ergänzenden Beweisaufnahme durch Anhörung des Sachverständigen Dr. W. steht jedoch nunmehr fest, dass die durch die Nachoperation erfolgte Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin auch bereits von dem Vergleich der Parteien vor dem LG Landshut vom 24.10.2005 (Az. 43 O 1859/05 - Schmerzensgeld 25.000 EUR und immaterieller Vorbehalt) mitumfasst ist (vgl. zu den Voraussetzungen BGH NJW-RR 2006, 712; BGH NJW 1995, 1614; OLG Karlsruhe VersR 2010, 924), denn die Verletzungsfolgen (hier Operationsfolgen) stellten sich nach dem damals bereits bekannten sachverständigen Wissen als derart naheliegend dar, dass sie bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnten.

1. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH in NJW-RR 2006, 712 gelten folgende Grundsätze, die auch dann anzuwenden sind, wenn sich die Parteien über ein Schmerzensgeld in einem Vergleich geeinigt haben:

"Verlangt ein Kläger für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (ständige Rechtsprechung, vgl. OLG München, Urt. v. 11.6.1963 - VI ZR 135/62, VersR 1963, 1048, 1049; v. 8.7.1980 - VI ZR 72/79, VersR 1980, 975 f.; v. 24.5.1988 - VI ZR 326/87, VersR 1988, 929 f.; v. 7.2.1995 - VI ZR 201/94, VersR 1995, 471, 472; v. 20.3.2001 - VI ZR 325/99, VersR 2001, 876; v. 20.1.2004 - VI ZR 70/03, VersR 2004, 1334, 1335; BGH, Urt. v. 4.12.1975 - III ZR 41/74, VersR 1976, 440, 441; vgl. auch Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 253 Rz. 50; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 161; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 322 Rz. 13; Diederichsen, VersR 2005, 433, 439; von Gerlach, VersR 2000, 525, 530; Heß, ZfS 2001, 532, 534; kritisch Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 322 Rz. 126). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (OLG München, Urt. v. 6.12.1960 - VI ZR 73/60, VersR 1961, 164 f.; v. 20.3.2001 - VI ZR 325/99 -, a.a.O.; v. 20.1.2004 - VI ZR 70/03 -, a.a.O.; Diederichsen, a.a.O., 439 f.; von Gerlach, a.a.O.). Solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Rechtsfolge nicht...

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