Leitsatz (amtlich)

Bei einer Publikumskommanditgesellschaft ist die Durchführung einer Nachtragsliquidation davon abhängig, dass in entsprechender Anwendung von § 273 Abs. 4 AktG ein Nachtragsliquidator gerichtlich bestellt wird.

 

Normenkette

HGB §§ 146, 157, 161 Abs. 2; AktG § 273 Abs. 4

 

Verfahrensgang

OLG München (Entscheidung vom 23.01.2002)

LG München I

 

Tenor

Die Revisionen der Klägerinnen gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG München v. 23.1.2002 werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin zu 1 ist als Publikumskommanditgesellschaft Anfang 1981 gegründet worden; ihr sind später mehr als 425 Kommanditisten mit Einlagepflichten von insgesamt über 67 Mio. DM beigetreten. Die Gesellschaft ist 1986 aufgelöst und auf Grund der Anmeldung der Beendigung der Liquidation (12.10.1987) durch ihre nach dem Gesellschaftsvertrag als Liquidatorin tätige frühere Komplementär-GmbH, die Klägerin zu 2, im Jahr 1988 im Handelsregister gelöscht worden. Die Klägerin zu 2 wurde im April 1997 nach § 2 LöschG von Amts wegen im Handelsregister gelöscht; etwa ein Jahr später wurde unter Löschung dieser Eintragung ihre Nachtragsliquidation angeordnet.

Mit der Behauptung, die Beklagte habe den Kommanditanteil des früheren Kommanditisten Dr. D. i. H. v. 500.000 DM übernommen, hat die Klägerin zu 2) einen Teilbetrag von 100.000 DM der angeblich in voller Höhe ausstehenden Einlageforderung eingeklagt und sich dabei darauf berufen, sie sei nach dem Gesellschaftsvertrag die Nachtragsliquidatorin der Klägerin zu 1 und als solche berechtigt, auch deren offene Einlageansprüche geltend zu machen; zudem könne sie als Gesellschafterin der Klägerin zu 1 auf dem Wege der actio pro socio die Forderung geltend machen; hilfsweise hat sie beantragt festzustellen, dass die genannte Forderung bestehe und im Rahmen einer Abfindungsrechnung zu berücksichtigen sei. Die Beklagte hält die Klage für unzulässig und macht hilfsweise u. a. geltend, die Klägerin zu 1) habe schon im Liquidationsverfahren ihre sämtlichen Aktiva und Passiva auf die M. P. A. GmbH übertragen und sei deswegen gar nicht Inhaberin der eingeklagten Forderung.

Das LG hat die Klagen als unzulässig abgewiesen, die Berufung der Klägerinnen blieb erfolglos. Der Senat hat den Nichtzulassungsbeschwerden der Klägerinnen stattgegeben. Die Klägerinnen verfolgen ihr Klagebegehren mit ihren Revisionen weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind - auch soweit es um die Klägerin zu 1) geht, deren Prozessfähigkeit das Berufungsgericht verneint hat - zulässig, weil nach der ständigen Rechtsprechung des BGH die Partei, die sich mit der Revision dagegen wendet, als prozessunfähig angesehen worden zu sein, für das Rechtsmittelverfahren als prozessfähig behandelt wird (vgl. BGH v. 23.2.1990 - V ZR 188/88, BGHZ 110, 294 [295 f.] = MDR 1990, 610; v. 4.11.1999 - III ZR 306/98, BGHZ 143, 122 [123] m. w. N. = MDR 2000, 223). Die Rechtsmittel sind jedoch nicht begründet.

I. Die Klägerin zu 1) kann den nach der Behauptung der Klägerin zu 2) angeblich bestehenden Einlageanspruch in dem vorliegenden Rechtsstreit schon deswegen nicht geltend machen, weil sie mangels Vorhandensein eines Nachtragsliquidators nicht prozessfähig ist. Die Klägerin zu 2) geht fehl, wenn sie annimmt, dass ihre frühere Stellung als Liquidatorin ohne weiteres wieder auflebe, sobald sich - was die Klägerin zu 2) geltend macht, für die Entscheidung des Revisionsverfahrens jedoch ohne Belang ist - das Erfordernis einer Nachtragsliquidation ergebe.

Die Klägerin zu 2) verkennt nämlich, dass für eine Publikumskommanditgesellschaft, wie sie hier unstreitig vorliegt, anders als bei einer OHG oder einer typischen KG (BGH, Urt. v. 21.6.1979 - IX ZR 69/75, NJW 1979, 1987) die Vorschriften des HGB über die Liquidation (§§ 146 ff., 157 i. V. m. § 161 Abs. 2 HGB) nicht gelten können. Die Durchführung einer Nachtragsliquidation setzt hier vielmehr in entsprechender Anwendung des § 273 Abs. 4 AktG voraus, dass ein Nachtragsliquidator gerichtlich bestellt worden ist (vgl. OLG Hamm v. 13.7.1990 - 15 W 40/90, OLGZ 1991, 13 [15]; v. 5.9.1996 - 15 W 125/96, GmbHR 1997, 75 = NJW-RR 1997, 32 f.; BayObLG v. 5.11.1992 - 3Z BR 46/92, BayObLGReport 1993, 29 = AG 1993, 235 = ZIP 1993, 1086 [1088]; Staub/Habersack, HGB, 4. Aufl., § 146 Rz. 14; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 146 Rz. 3; Henze in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 177 a Anh. B Rz. 122; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, HGB, 2. Aufl., § 146 Rz. 17; kritisch Grziwotz, DStR 1993, 362 ff.). Mit dieser entsprechenden Heranziehung der kapitalgesellschaftsrechtlichen Bestimmung über die Einleitung einer Nachtragsliquidation wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Publikumskommanditgesellschaft, der regelmäßig eine unüberschaubare Zahl einander unbekannter, nicht am Ort des Gesellschaftssitzes lebender Kommanditisten angehören und deren Funktion als Kapitalsammelstelle im Vordergrund steht, nicht wie das dem Gesetzgeber des HGB vor Augen stehende Modell der Handelsgesellschaft personalistisch, sondern körperschaftlich strukturiert ist. Wegen dieser besonderen Struktur der Publikumsgesellschaft wendet die höchstrichterliche Rechtsprechung weithin die Regeln des Personengesellschaftsrechts auf diese Organisationsform nicht an, sondern ersetzt sie, wie das Berufungsgericht mit Recht herausgestellt hat, durch kapitalgesellschaftsrechtliche Prinzipien (vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 30.3.1998 - II ZR 20/97, ZIP 1998, 859; v. 24.3.2003 - II ZR 4/01, ZIP 2003, 843; ferner Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 8. Aufl., § 13; Henze in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 177 a Anh. B Rz. 17 ff.). Entsprechend sind auch die auf andere Verhältnisse zugeschnittenen handelsrechtlichen Liquidationsbestimmungen ungeeignet, bei einer Publikumskommanditgesellschaft eine sachgerechte und den Interessen aller Beteiligten gerecht werdende Nachtragsabwicklung zu gewährleisten.

Das zeigt sich in exemplarischer Weise an dem vorliegenden Fall: Der Gesellschaftsvertrag enthält nicht nur in vielfältiger Weise kapitalgesellschaftsrechtliche Regelungen, der mit den Befugnissen eines Aufsichtsrates i. S. d. AktG ausgestattete Verwaltungsrat der Klägerin zu 1 bleibt auf Grund ausdrücklicher gesellschaftsvertraglicher Anordnung auch für die Dauer des Liquidationsverfahrens im Amt und hat den Liquidator bei seiner Tätigkeit zu überwachen. Dieser Kontrolle entzöge sich die Klägerin zu 2, wenn sie - ohne gerichtliche Bestellung - mehr als zehn Jahre nach Anmeldung und Eintragung der Beendigung der Liquidation der Kommanditgesellschaft - und obendrein nach ihrer eigenen Löschung im Handelsregister - ohne weiteres wieder als Liquidatorin tätig werden könnte. Außerdem besteht ohne die entsprechend § 273 Abs. 4 AktG vorzunehmende gerichtliche Bestellung, in deren Rahmen zunächst die Notwendigkeit dieser Maßnahme zu prüfen und sodann die durch den Gesellschaftsvertrag nicht präjudizierbare Auswahl des geeigneten und unbefangenen Nachtragsliquidators zu treffen ist, die nahe liegende Gefahr, dass der frühere Liquidator im eigenen Interesse tätig wird.

II. Soweit die Klägerin zu 2 den Einlageanspruch im eigenen Namen verfolgt, fehlt ihr - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - die Prozessführungsbefugnis, während sich für den hilfsweise geltend gemachten Feststellungsantrag die Unzulässigkeit der Klage aus dem fehlenden Feststellungsinteresse ergibt.

1. a) Zu Unrecht glaubt die Klägerin zu 2, sie sei als Mitgesellschafterin befugt, den auch nach ihrer Ansicht allein der Klägerin zu 1) - angeblich noch - zustehenden Einlageanspruch auf dem Wege der actio pro socio geltend zu machen.

Der Senat braucht dabei nicht zu der nicht einheitlich beantworteten Frage Stellung zu nehmen, ob bei Personengesellschaften schlechthin allein die Liquidatoren zur Verfolgung von Einlageansprüchen befugt sind, weil es allein in ihre Kompetenz fällt darüber zu befinden, ob diese Leistungen für Liquidationszwecke noch benötigt werden (so z. B. RGZ 100, 165; BGH, Urt. v. 30.11.1959 - II ZR 145/58, NJW 1960, 433; RGRK/v.Gamm, BGB, 12. Aufl., § 730 Rz. 10; Koller/Roth/Morck, HGB, 2. Aufl., § 149 Rz. 2) oder ob auch hier der einzelne Gesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft klagen kann, dann aber die Notwendigkeit der Geltendmachung der Forderung für Zwecke der Liquidation darzutun hat (so z. B. Staub/Habersack, HGB, 4. Aufl., § 149 Rz. 18; Schlegelberger/K.Schmidt, HGB, 5. Aufl., § 146 Rz. 55; Ulmer in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 730 Rz. 26). Denn im Rahmen der Liquidation einer Publikumsgesellschaft, wie sie hier vorhanden ist, geht es nicht - wie sonst bei der allgemein anerkannten Rechtsfigur der actio pro socio - darum, dass ein im Gesellschaftsvertrag bestellter oder sonst berufener Liquidator seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt und an seiner Stelle einer der Mitgesellschafter die der Gesellschaft zustehende Forderung geltend macht; vielmehr unterscheidet sich die Lage wesentlich dadurch, dass die Publikumsgesellschaft, für die ein Nachtragsliquidator gerichtlich noch nicht bestellt ist, kein Vertretungsorgan hat, welches in erster Linie berufen wäre, die Forderung geltend zu machen und später die Einlagezahlung entgegenzunehmen. Wollte man hier die Verfolgung der Einlageforderung auf dem Wege der actio pro socio zulassen, hätte das zur Folge, dass das - wie oben ausgeführt - notwendige Verfahren der gerichtlichen Bestellung des Nachtragsliquidators unterlaufen und obendrein die Gefahr heraufbeschworen würde, dass der klagende Mitgesellschafter mit den auf Grund eines erwirkten Titels erlangten Leistungen nicht im Interesse der Gesellschaftergesamtheit verführe.

Es ist auch nicht anzuerkennen, dass ein Mitgesellschafter wie die Klägerin zu 2 auf die Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruchs auf dem genannten Wege angewiesen wäre; vielmehr besteht für jedes Mitglied der Publikumskommanditgesellschaft die Möglichkeit, entsprechend § 273 Abs. 4 AktG die Bestellung eines Nachtragsliquidators zu beantragen.

b) Die Klägerin zu 2 kann von der Beklagten auch nicht Leistung an die Klägerin zu 1 aus dem Gesichtspunkt der Befreiung von einer gesamtschuldnerischen Verbindlichkeit (§ 426 BGB; vgl. dazu BGHZ 59, 97, 102), für welche die Beklagte im Innenverhältnis allein aufzukommen hätte, verlangen. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob - wie die Beklagte beanstandet hat - die Klägerin zu 2 nicht einmal in der gebotenen substantiierten Form vorgetragen hat, dass die Beklagte Rechtsnachfolgerin des früheren Kommanditisten Dr. D. geworden ist und dass dessen Einlageforderung noch mindestens in Höhe des eingeklagten Betrages von 100.000 DM offen steht. Der Sache nach würde die Klägerin zu 2 nämlich auf dem von ihr beschrittenen Weg erreichen, dass sie anstelle des nach § 273 Abs. 4 AktG allein zuständigen, gerichtlich zu bestellenden Nachtragsliquidators Abwicklungshandlungen durchführte. Eine derartige Umgehung der auf die Klägerin zu 1 anwendbaren Liquidationsvorschriften hat das Berufungsgericht mit Recht für unzulässig gehalten. Es bedarf deswegen keiner Entscheidung, ob sich die Klägerin zu 2 überhaupt darauf berufen kann, im Innenverhältnis zwischen ihr und der Beklagten habe letztere - die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 426 BGB zugunsten der Klägerin zu 2) unterstellt - der Klägerin zu 1) gegenüber allein zu haften.

2. Für den hilfsweise erhobenen Feststellungsantrag der Klägerin zu 2 fehlt schon das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 des Gesellschaftsvertrages der Klägerin zu 1) ist deren frühere Komplementärin und ehemalige Liquidatorin an der Publikumsgesellschaft nicht mit einer eigenen Einlage beteiligt. Von einer etwa durchzuführenden vermögensrechtlichen Auseinandersetzung der Klägerin zu 1) ist sie deswegen - anders als die Kommanditisten - nicht in eigenen Rechten betroffen. Auf dem Wege der Feststellungklage will sie unzulässigerweise nicht nur eine abstrakte Rechtsfrage statt eines konkreten Rechtsverhältnisses geklärt wissen, mit ihrem Vorgehen nimmt sie obendrein Befugnisse wahr, die bei einer Publikumsgesellschaft ausschließlich dem gerichtlich bestellten Nachtragsliquidator zukommen, soweit dieser die Auseinandersetzung betreibt und nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 15.5.2000 - II ZR 6/99, MDR 2000, 1020 = ZIP 2000, 1208; v. 2.10.2000 - II ZR 54/99, MDR 2001, 167 = WM 2000, 2427; v. 24.9.2001 - II ZR 69/00, DStR 2002, 228) vor Erstellung einer Schlussabrechnung zwecks Vermeidung von Hin- und Herzahlungen gehindert ist, Leistung an die Gesellschaft zu verlangen, sondern sich mit der Feststellung des Postens für die Gesamtabrechnung bescheiden muss.

 

Fundstellen

Haufe-Index 959612

BGHZ 2004, 121

BB 2003, 1637

DB 2003, 1670

DStR 2003, 1541

DStZ 2003, 621

WPg 2003, 865

NJW 2003, 2676

NWB 2003, 3024

BGHR 2003, 1009

EWiR 2003, 1217

KTS 2003, 641

NZG 2003, 769

StuB 2003, 956

WM 2003, 1474

WuB 2003, 961

ZIP 2003, 1338

DNotZ 2003, 773

MDR 2003, 1122

Rpfleger 2003, 508

BKR 2003, 679

ZBB 2003, 371

ZNotP 2003, 348

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