Leitsatz (amtlich)

›a. Nimmt die Partei den Erlaß eines Sachurteils als solchen hin und erstrebt sie mit der Berufung lediglich, dessen inhaltliche Änderung, so ist das Rechtsmittel unzulässig, wenn dem Berufungsgericht Zweifel an der Prozeßfähigkeit der Partei verbleiben.

Verwirft das Berufungsgericht das Rechtsmittel aus diesem Grunde, ist die Revision ohne Rücksicht darauf zulässig, ob die sonst für die Prozeßfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

b. Wendet sich die Partei mit der Berufung dagegen, daß sie von der Vorinstanz zu Unrecht als prozeßfähig oder prozeßunfähig behandelt worden ist, ist das Rechtsmittel ohne Rücksicht auf die sonst für die Prozeßfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen zulässig.

Verwirft das Berufungsgericht das Rechtsmittel wegen fehlender Prozeßfähigkeit, so ist die Zulässigkeit der Revision nicht davon abhängig, daß die Partei der Auffassung des Berufungsgerichts in diesem Punkte entgegentritt.‹

 

Tatbestand

Die Kläger, Miteigentümer einer Doppelhaushälfte, haben die Beklagte, der die andere Hälfte gehört, auf Beseitigung der Ursachen einer Durchfeuchtung der Wand in Anspruch genommen, die die beiden Gebäudeteile trennt. Eine vom Landgericht angeordnete Beweisaufnahme ist daran gescheitert, daß die Beklagte den Klägern den Zutritt zu ihrem Grundstück bei der Ortsbesichtigung des Sachverständigen verweigerte. Das Landgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die Unklarheit über die Ursache der Feuchtigkeit gehe nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung zu Lasten der Beklagten.

Mit der Berufung hat die Beklagte geltend gemacht, sie sei für das Mißlingen der Beweisaufnahme nicht verantwortlich, da sie an einer schweren Zwangsneurose leide. Das Oberlandesgericht hat zur Prozeßfähigkeit der Beklagten Beweis erhoben und den Sachverständigen, nachdem die Beklagte zur Untersuchung nicht erschienen war, angewiesen, das Gutachten anhand des Akteninhalts zu erstellen. Der Sachverständige hat unter Auswertung einer Reihe ärztlicher Atteste, die die Beklagte vorgelegt hatte, eine Prozeßunfähigkeit im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit für möglich gehalten. Dies hat die Beklagte aufgegriffen und weitere Beweiserhebung zur Feststellung ihrer Prozeßunfähigkeit beantragt.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen.

Mit der Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage als unzulässig. Die Kläger beantrage Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht führt aus: Die bestehenden Zweifel an der Prozeßfähigkeit der Beklagten führten zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Zwar sei eine nicht prozeßfähige Partei, die sich dagegen wehre, daß sie in erster Instanz als prozeßfähig angesehen worden sei, für den Berufungsrechtszugprozeßfähig. Da aber bei der Beklagten lediglich Zweifel an der Prozeßfähigkeit bestünden, greife dieser Rechtsgesichtspunkt nicht durch. Es verbleibe bei dem allgemeinen Grundsatz, daß die Beweislast für von Amts wegen zu berücksichtigende Prozeßvoraussetzungen bei der Partei liege, die ein ihr günstiges Sachurteil erstrebe.

Dies bekämpft die Revision mit Erfolg.

1. Die Revision ist zulässig.

Hierfür ist es nicht erforderlich, daß die Beklagte in ihrer Person die Anforderungen erfüllt, die §§ 51 f ZPO, 104 ff BGB an die Prozeßfähigkeit einer Partei stellen. Die Revision wendet sich dagegen, daß die Berufung wegen vorhandener Zweifel an der Prozeßfähigkeit der Beklagten verworfen wurde, und macht geltend, für das Berufungsverfahren hätte die Beklagte als prozeßfähig behandelt werden müssen. Nach der Rechtsprechung ist das Rechtsmittel der Partei, die sich dagegen wendet, daß sie in der Vorinstanz zu Unrecht, sei es als prozeßfähig, sei es als prozeßunfähig behandelt worden ist, ohne Rücksicht darauf zulässig, ob sie die sonst für die Prozeßfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen aufweist. Anderenfalls bliebe ein an dem Verfahrensverstoß leidendes Urteil der unteren Instanz aufrechterhalten, erwüchse in Rechtskraft und könnte nur mit der Nichtigkeitsklage (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) beseitigt werden (BGHZ 40, 197, 199 für die gesetzliche Vertretung der juristischen Person; BGH Urt. v. 10. Oktober 1985, IX ZR 73/85, NJW-RR 1986, 157; BGH Urt. v. 9. April 1986, IVb ZR 10/85, NJW-RR 1986, l119).

Mit der Revision tritt die Beklagte allerdings nicht den Zweifeln des Berufungsgerichts an ihrer Prozeßfähigkeit entgegen, sie meint sogar darüber hinaus, bei Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten wäre ihre Prozeßunfähigkeit positiv festgestellt worden. Dies steht indessen der Zulässigkeit der Revision nicht entgegen.

a) Hätte die Beklagte die Bejahung der Prozeßfähigkeit durch die erste Instanz hingenommen und mit der Berufung wiederum ein Sachurteil, allerdings anderen Inhalts, angestrebt, so wäre die Berufung nur unter der Voraussetzung zulässig gewesen, daß Zweifel an ihrer Prozeßfähigkeit nicht bestanden hätten. Die Prozeßfähigkeit verliert ihre Bedeutung als Prozeß- und Prozeßhandlungsvoraussetzung in den Rechtsmittelinstanzen grundsätzlich nicht. Hätte das Berufungsgericht wegen verbliebener Zweifel die Berufung als unzulässig verworfen, so hätte die Revision, um unabhängig von den für die Prozeßfähigkeit sonst gültigen Voraussetzungen zulässig zu sein, die Verneinung der Prozeßfähigkeit durch das Berufungsgericht bekämpfen müssen.

b) Im vorliegenden Falle war es indessen bereits für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Beklagte den in §§ 51 f ZPO, 104 ff BGB an die Prozeßfähigkeit gestellten Anforderungen entsprach. Die Beklagte hatte nämlich den Erlaß eines Sachurteils in der ersten Instanz als solchen bekämpft und unter Abänderung des ursprünglichen Berufungsantrags (§ 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) Abweisung der Klage wegen fehlender Prozeßfähigkeit angestrebt. Zu diesem Endziel ihrer Rechtsverteidigung müßte sie sich in Widerspruch setzen, wollte man von ihr verlangen, daß sie mit der Revision das Ergebnis der - für die Zulässigkeit der Berufung im übrigen irrelevanten - Prüfung der Voraussetzungen der §§ 51 f ZPO, 104 ff BGB durch das Berufungsgericht anficht. Die Beschwerde, zu deren Ausräumung der Partei ohne Rücksicht auf die sonst gültigen Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit die Revisionsinstanz eröffnet ist, liegt in den Folgerungen, die das Berufungsgericht im Urteilsausspruch aus seiner Auffassung über das Vorliegen der Prozeßfähigkeit gezogen hat (BGH Urt. v. 21. Oktober 1985, II ZR 82/85, WM 1986, 145). Maßgeblich für die Zulässigkeit der Revision ist daher, daß sich die Beklagte gegen die Weigerung des Berufungsgerichts wendet, die erstinstanzliche Entscheidung, überhaupt ein Sachurteil zu erlassen, nachzuprüfen (vgl. BGH Urt. v. 13. Oktober 1971, IV ZR 105/70, FamRZ 1972, 35).

2. Die Revision ist auch begründet, denn die Berufung der Beklagten war zulässig.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Partei, die sich gegen ein Sachurteil mit der Begründung wendet, es fehle ihr die Prozeßfähigkeit, sei davon abhängig, daß dieser Mangel positiv festgestellt werde, ist rechtsirrig. Sie setzt sich zu dem Grundgedanken der Rechtsprechung in Widerspruch, daß es auf die sonst gültigen Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit für das so begründete Rechtsmittel gerade nicht ankommt. Darüber hinaus verstößt sie gegen die Denkgesetze. Wenn das Rechtsmittel nicht an der positiv feststehenden Prozeßunfähigkeit der Partei scheitert, andererseits seine Zulässigkeit (falls keine sonstigen Hindernisse vorliegen) bei vorhandener Prozeßfähigkeit außer Zweifel steht, so kann es nicht unzulässig sein, wenn entweder die eine oder die andere Alternative zutrifft.

Die Zulassung der Partei zum Rechtsmittelstreit über ihre Prozeßfähigkeit ohne Rücksicht auf die sonst hierfür erforderlichen Voraussetzungen dient dazu, die richtige Entscheidung darüber herbeizuführen, ob in der Sache zu erkennen ist oder nicht. Nach der Rechtsprechung ist ein Sachurteil nicht nur dann ausgeschlossen, wenn das Gericht zu der Feststellung gelangt, eine Partei sei prozeßunfähig, sondern auch dann, wenn sich nicht klären läßt, ob die Prozeßfähigkeit zu den maßgeblichen Zeitpunkten gegeben war oder nicht (BGH Urt. v. 9. Mai 1962, IV ZR 4/62, NJW 1962, 1510). Sinnwidrig wäre es, der prozeßunfähigen Partei die Möglichkeit zu eröffnen, das zu Unrecht erlassene Sachurteil zu beseitigen, dagegen einer Partei, deren Prozeßunfähigkeit lediglich zweifelhaft bleibt, gegen die aber ebensowenig ein Sachurteil hätte ergehen dürfen, diesen Weg zu verschließen.

3. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 ZPO).

a) Zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage bedarf es allerdings keines weiteren Beweises. Nach dem vom Berufungsgericht eingeholten nervenfachärztlichen Gutachten besteht die begründete Möglichkeit, daß die Beklagte sich während des gesamten Rechtsstreits, mithin schon bei Klagerhebung, in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat, der ihre freie Willensbildung in der Angelegenheit, über die die Parteien streiten, dauernd ausschloß (§ 104 Nr. 2 BGB; partielle Geschäfts- und Prozeßunfähigkeit, vgl. BGHZ 18, 184, 186 f).

Der Verwertung des Gutachtens steht nicht entgegen, daß die Beklagte wegen ihres Geisteszustandes möglicherweise nicht in der Lage war, die Ärzte, die die von dem Sachverständigen benutzten Atteste ausgestellt hatten, von ihrer Schweigepflicht zu entbinden. Macht ein Zeuge von einem ihm kraft Amtes, Standes oder Gewerbes zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO) keinen Gebrauch, so setzt selbst der Umstand, daß er sich damit zugleich des Bruchs eines Berufsgeheimnisses schuldig macht, nach der Rechtsprechung der Verwertung der Bekundung keine Schranke. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn er durch verfahrenswidrige Maßnahmen des Gerichts zu seiner Aussage bestimmt worden ist, wozu wiederum die bloße Vernehmung zu den von der Verschwiegenheitspflicht erfaßten Umständen, von der nach § 383 Abs. 3 ZPO abzusehen ist, nicht genügt (BGH Urt. v. 31. Mai 1976, RiZ (R) 1/76, NJW 1977, 1198; BGH Urt. v. 12. Januar 1956, 3 StR 195/55, NJW 1956, 599; zust. Stein/Jonas/Schumann, ZPO 20. Aufl., § 383 Rdn. 107; Zöller/Stephan, ZPO 15. Aufl., § 383 Rdn. 22; Baumbach/Lauterbach, ZPO 48. Aufl., § 383 Anm. 6; a. A. Gießler, NJW 1977, 1185; ThomasPutzo, ZPO 15. Aufl., § 383 Anm. 5). Auf die Bedeutung eines Verstoßes gegen § 383 Abs. 3 ZPO für die Verwertbarkeit der Aussage eines Zeugnisverweigerungsberechtigten kommt es hier indessen nicht einmal entscheidend an, denn die zu Gutachtenszwecken verwendeten Atteste stellen keine schriftlichen Aussagen (sachverständiger) Zeugen nach §§ 414, 377 Abs. 3 oder 4 ZPO dar; ihre Verwertung erfolgte vielmehr im Rahmen des für die Prüfung der Prozeßvoraussetzungen geltenden Freibeweises (st. Rspr., vgl. BGH Urt. v. 25. Oktober 1977, VI ZR 1987/76, VersR 1978, 155). Auf die Bereitschaft der Ärzte, sich durch Ausstellung der Atteste zu äußern, hat das Berufungsgericht, anders als dies bei einer Vernehmung möglich gewesen wäre, keinen Einfluß genommen.

Weitere Erkenntnisquellen über den Geisteszustand der Beklagten sind nicht vorhanden. Eine erzwingbare Pflicht der Partei, sich dem Sachverständigen vorzustellen oder von ihm untersuchen zu lassen, besteht, abgesehen von den hier nicht vorliegenden Fällen der §§ 372a, 654 ZPO, nicht (vgl. BGH Urt. v. 9. Mai 1962, IV ZR 4/62, NJW 1962, 1510, 1511). Das Berufungsgericht hat mit der Auswertung der vorhandenen Atteste durch den Sachverständigen, allerdings unter dem unzutreffenden Gesichtspunkt der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels, den danach verbleibenden Weg beschritten. Einer zusätzlichen Vernehmung der Ärzte, wie sie von der Beklagten angeregt worden war, bedurfte es nicht. Im Freibeweisverfahren über die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit (§ 56 ZPO) bestimmen sich Art und Umfang der Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BGH, Beschl. v. 9. Juli 1987, VII ZB 10/86, BGHR ZPO vor § 1 - Rechtsmittel/Zulässigkeit l). Von einer Vernehmung der Ärzte konnte allenfalls eine Erweiterung oder Vertiefung der Diagnose erwartet werden, die sie schriftlich erstellt hatten und die die Zweifel an der Prozeßfähigkeit der Beklagten begründet hatte. Erheblich für die Zulässigkeit der Klage ist es indessen nicht, ob sich vorhandene Zweifel an der Prozeßfähigkeit der Partei zur Gewißheit verdichten, sondern allein, ob sie sich durch weitere Beweiserhebung ausräumen lassen. In dieser Richtung versprach die Vernehmung der Ärzte keinen Aufschluß.

b) Der Senat sieht indessen davon a, die Klage als unzulässig abzuweisen, um den Parteien Gelegenheit zu geben, für eine ordnungsgemäße Vertretung der Beklagten zu sorgen, die es ermöglicht, ein Sachurteil zu erlassen. Sollte die Anordnung einer Prozeßpflegschaft nach sachlichem Recht weiterhin scheitern, so wird das Berufungsgericht zu erwägen haben, ob es der Beklagten in entsprechender Anwendung des § 57 ZPO einen besonderen Vertreter zur Prozeßführung bestellt (vgl. BGH Urt. v. 9. Mai 1962, IV ZR 4/62, NJW 1962, 1510, BGH Urt. v. 13. Oktober 1971, IV ZR 105/70, FamRZ l972, 35, 36).

Diese Möglichkeit würde allerdings ausscheiden, wenn von vornherein feststünde, daß ein Vertreter die bisherige Prozeßführung der Beklagten nicht genehmigt. Hiervon kann indessen nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Das vom Berufungsgericht bereits eingeholte Gutachten zu den Ursachen der Durchfeuchtungserscheinungen ist, da beim Ortstermin des Sachverständigen die Parteiöffentlichkeit nicht gewahrt worden war und die Kläger dies gerügt hatten (§§ 357, 295 ZPO; vgl. BGH Urt. v. 30. Januar 1953, VI ZR 37/52, LM ZPO § 295 Nr. 7), auch im Falle der Genehmigung der Prozeßführung unverwertbar. Andererseits kann die Beklagte, da sie für das Verbot an die Kläger und deren Prozeßbevollmächtigten, das Grundstück zu betreten, nicht verantwortlich zu machen ist, auch nicht nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung behandelt werden. Der Berufungsrechtsstreit ist somit in seinem Ausgang offen (vgl. BGH Urt. v. 9. Mai 1962, IV ZR 4/62, NJW 1962, 1510).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993023

BGHZ 110, 294

BGHZ, 294

NJW 1990, 1734

BGHR ZPO § 383 Abs. 1 Nr. 6 Arzt 1

BGHR ZPO § 51 Abs. 1 Prozeßfähigkeit 2

BGHR ZPO vor § 1 Zulässigkeit 2

BGHR ZPO vor § 511 Prozeßfähigkeit 1

BGHR ZPO vor § 545 Prozeßfähigkeit 1

DRsp IV(416)307a-b

MDR 1990, 610

VersR 1990, 992

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge