Leitsatz (amtlich)

1. Der Grundsatz der Öffentlichkeit nach § 169 Abs. 1 GVG ist nicht verletzt, wenn ein Aushang vor dem Sitzungssaal fehlt, ein solcher aber im Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes angebracht ist.

2. In großen oder unübersichtlichen Gerichtsgebäuden wird die Möglichkeit, in zumutbarer Weise Ort und Zeit einer Hauptverhandlung zu erfahren, durch einen Aushang im Eingangsbereich eröffnet.

 

Normenkette

StPO § 338 Nr. 6; GVG § 169 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 23.09.2022; Aktenzeichen (561) 282 AR 58/22 Ns 19/22))

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 04.01.2022; Aktenzeichen 318 Ds 10/21)

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. September 2022 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten (318 Ds 10/21) hat den Angeklagten am 4. Januar 2022 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40,- Euro verurteilt und zugleich ein sechsmonatiges Fahrverbot nach § 44 StGB angeordnet. Die dagegen vom Angeklagten eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 23. September 2022 verworfen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er erhebt die Verfahrensrüge und bemängelt, das Landgericht habe nach Maßgabe von § 338 Nr. 6 StPO gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen, weil die Berufungshauptverhandlung am Sitzungstag in einen anderen Saal verlegt worden und am ursprünglichen Sitzungssaal kein entsprechender Hinweis angebracht gewesen sei. In sachlich-rechtlicher Hinsicht rügt der Angeklagte, das angeordnete Fahrverbot sei unverhältnismäßig. Hinsichtlich der Einzelheiten seines Vortrags wird auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 26. Oktober 2022 Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist mit Zuschrift vom 15. November 2022 dem Antrag des Angeklagten auf Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts beigetreten. Dazu hat sie vorgetragen, das angefochtene Urteil leide an einem sachlich-rechtlichen Mangel, weil aus ihm nicht hervorgehe, ob sich das Landgericht der Wechselwirkung zwischen verhängter Hauptstrafe und dem angeordneten Fahrverbot als Nebenstrafe bewusst gewesen sei. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 15. November 2022 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe wegen eines vor dem ursprünglichen Sitzungssaal nicht angebrachten Hinweises auf den geänderten Sitzungsort den Grundsatz der Öffentlichkeit nach Maßgabe von § 338 Nr. 6 StPO verletzt, ist jedenfalls unbegründet.

a) Der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 Abs. 1 Satz 1 GVG) erfordert es, dass jedermann die Möglichkeit hat, sich ohne besondere Schwierigkeiten davon Kenntnis zu verschaffen, wann und wo ein erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhält (vgl. BGH NStZ 1982, 476; OLG Schleswig, Beschluss vom 31. März 2022 - II OLG 15/22 -, juris). Der Hinweis auf eine bestimmte Verhandlung hat grundsätzlich in Form eines Aushangs zu erfolgen, damit jeder interessierte Zuschauer die Möglichkeit erhält, die gewünschte Verhandlung zu verfolgen (vgl. OLG Koblenz NZV 2011, 266; OLG Zweibrücken NJW 1995, 333; Kissel/Mayer, GVG 10. Aufl., § 169 GVG Rdn. 47).

Entgegen der missverständlichen - vom Wortlaut der Entscheidungsgründe abweichenden - Formulierung des Leitsatzes zum Beschluss des OLG Schleswig vom 31. März 2022 (a.a.O.) bedarf es nicht stets eines zusätzlichen Aushangs vor dem Sitzungssaal (so aber - ohne Begründung - Kissel/Mayer a.a.O.), wenn Zuschauer auf andere Weise zumutbar in Erfahrung bringen können, wann und wo eine bestimmte Hauptverhandlung stattfindet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 169 Rdn. 4a), namentlich dann, wenn dies aus einem im Eingangsbereich des Gerichts angebrachten Aushang unzweifelhaft hervorgeht. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass gerade in großen und unübersichtlichen Gerichtsgebäuden (wofür das Kriminalgericht Moabit exemplarisch ist) die Möglichkeit für die Öffentlichkeit, sich ohne besondere Schwierigkeiten über Ort und Zeit einer Hauptverhandlung zu informieren, in zumutbarer Weise nicht durch Aushänge an den Sälen eröffnet wird, sondern vielmehr durch einen zentralen Aushang im Eingangsbereich des Gerichts. Andernfalls wären Besucher gezwungen, das Gerichtsgebäude nach einer bestimmten Sitzung "abzusuchen". Zugleich wären sie damit dem Risiko ausgesetzt, zu spät zur Sitzung zu erscheinen.

b) Den dargelegten Anforderungen zur Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist die von der Strafkammer durchgeführte Berufungshauptverhandlung gerecht geworden. Ausweislich der dienstlichen Äußerung der Kammervorsitzenden vom 31. Oktober 2022 befanden sich an den Gerichtstafeln der beiden dem Publikumsverkehr zugänglichen Eingänge (Wilsnacker Straße und Turmstraße)...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge