Leitsatz (amtlich)

Ein Schaden ist "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Demgemäß kann selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat.

 

Normenkette

StVG § 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 03.05.2004; Aktenzeichen 52 S 24/04)

AG Berlin-Mitte

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 52. Zivilkammer des LG Berlin v. 3.5.2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Unfall in einer Tiefgarage geltend.

Er und der Beklagte zu 1) besitzen dort jeweils einen Stellplatz. Der von dem Beklagten zu 1) gemietete Stellplatz befindet sich direkt rechts hinter der Ein- bzw. Ausfahrtsrampe zur Tiefgarage. Er muss auf der Rampe nach links ausholen, um dann rechtwinklig nach rechts in seine Parkbox einfahren zu können.

Am 8.1.2003 fuhr der Beklagte zu 1) mit seinem VW-Bus die Abfahrt zu der Tiefgarage herunter. Der Kläger wollte diese mit seinem Fahrzeug verlassen und kam dem Beklagten zu 1) entgegengefahren. Als die Fahrzeuge noch drei bis fünf Meter voneinander entfernt waren, lenkte er plötzlich nach rechts und sein Pkw kollidierte mit der Wand der Tiefgarage.

Die Ursache dieses Manövers ist zwischen den Parteien streitig. Nach der Darstellung des Klägers ist der Beklagte zu 1) plötzlich über die Trennlinie der beiden jeweils 2,90m breiten Fahrspuren der Ab- bzw. Auffahrt gefahren, so dass er selbst nach rechts ausgewichen und deshalb an die Wand gefahren sei. Nach der Darstellung der Beklagten hat der Beklagte zu 1) lediglich einen kleinen Schlenker innerhalb seiner eigenen Fahrspur nach links gemacht, jedoch sofort nach rechts zurückgelenkt, nachdem er das klägerische Fahrzeug gesehen habe.

Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten aus §§ 7, 17 StVG, § 3 PflVG, § 823 BGB verneint. Der Kläger habe weder den Beweis führen können, dass ein Fahrfehler des Beklagten zu 1) kausal für sein Ausweichen gegen die Garagenwand gewesen sei noch folge eine Haftung der Beklagten unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhaltes aus der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs.

Auch wenn man davon ausgehe, dass der Beklagte zu 1) auf seiner Fahrspur zunächst nur einen kleinen Schlenker nach links gefahren sei, ohne die Mittellinie zu überfahren, und danach sofort wieder auf die rechte Seite seiner Fahrspur zurückgelenkt habe, habe sich nicht die typische Betriebsgefahr seines Fahrzeugs verwirklicht. Den Beklagten sei nicht zuzurechnen, dass der Kläger beim Anblick des VW-Busses seinen eigenen Pkw gegen die Wand der Tiefgarage gelenkt habe. Seine Ausweichlenkung sei als gravierender Fahrfehler infolge einer ungerechtfertigten Panikreaktion zu werten. Eine solche gänzlich überzogene Reaktion sei dem anderen Verkehrsteilnehmer nicht mehr nach § 7 StVG zuzurechnen. Bei wertender Betrachtung fehle es an einer "subjektiv vertretbaren Ausweichlenkung auf Grund der konkreten Verkehrssituation". Für eine Zurechnung sei jedoch mindestens erforderlich, dass der geschädigte Kraftfahrzeugführer objektiv nachvollziehbar von einer Gefährdung durch das entgegenkommende Fahrzeug ausgehen durfte. Daran fehle es hier.

II.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. a) Das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" ist nach der Rechtsprechung des BGH entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist (BGH, Urt. v. 5.7.1988 - VI ZR 346/87, BGHZ 105, 65 [66] = MDR 1988, 1047; v. 6.6.1989 - VI ZR 241/88, BGHZ 107, 359 [366] = MDR 1989, 899; v. 2.7.1991 - VI ZR 6/91, BGHZ 115, 84 [86] = MDR 1991, 1040; v. 18.1.2005 - VI ZR 115/04, MDR 2005, 684 = BGHReport 2005, 778 = VersR 2005, 566 [567]). Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden (BGH, Urt. v. 23.5.1978 - VI ZR 150/76, BGHZ 71, 212 [214]; Urt. v. 2.7.1991 - VI ZR 6/91, BGHZ 115, 84 [86] = MDR 1991, 1040; v. 18.1.2005 - VI ZR 115/04, MDR 2005, 684 = BGHReport 2005, 778 = VersR 2005, 566 [567]). An diesem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (BGH, Urt. v. 27.1.1981 - VI ZR 204/79, BGHZ 79, 259 [263] = MDR 1981, 483; Urt. v. 6.6.1989 - VI ZR 241/88, BGHZ 107, 359 [367] = MDR 1989, 899; Urt. v. 2.7.1991 - VI ZR 6/91, BGHZ 115, 84 [86 f.] = MDR 1991, 1040).

Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (BGH, Urt. BGHZ 37, 311 [317 f.]; BGHZ 58, 162 [165]; Urt. v. 11.7.1972 - VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074 f.; v. 10.10.1972 - VI ZR 104/71, VersR 1973, 83 f.; Urt. v. 10.2.2004 - VI ZR 218/03, VersR 2004, 529 [531]). Hiernach rechtfertigt die Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle allein zwar noch nicht die Annahme, der Unfall sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden. Erforderlich ist vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen hat (BGH, Urt. v. 22.10.1968 - VI ZR 178/67, VersR 1969, 58 [59]; Urt. v. 11.7.1972 - VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074 f.; Urt. v. 10.10.1972 - VI ZR 104/71, VersR 1973, 83 f.; Urt. v. 19.4.1988 - VI ZR 96/87, MDR 1988, 850 = VersR 1988, 641). Andererseits hängt die Haftung gem. § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat (BGH, Urt. v. 29.6.1971 - VI ZR 271/69, VersR 1971, 1060 [1061]; Urt. v. 13.7.1971 - VI ZR 2/70, VersR 1971, 1063 [1064]; Urt. v. 10.10.1972 - VI ZR 104/71, VersR 1973, 83 f.), und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (BGH, Urt. v. 16.9.1986 - VI ZR 151/85, MDR 1987, 224 = VersR 1986, 1231 [1232]; Urt. v. 19.4.1988 - VI ZR 96/87, MDR 1988, 850 = VersR 1988, 641).

Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kfz - erlaubterweise - eine Gefahrenquelle eröffnet wird, und will daher alle durch den Kfz - Verkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (BGH, Urt. v. 19.4.1988 - VI ZR 96/87, MDR 1988, 850 = VersR 1988, 641, m.w.N.).

b) Nach diesen Grundsätzen kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Auffassung des Berufungsgerichts, hier fehle der Zurechnungszusammenhang, weil der Kläger nicht objektiv nachvollziehbar von einer Gefährdung durch das entgegenkommende Fahrzeug habe ausgehen dürfen, steht mit dieser Rechtsprechung nicht in Einklang. Danach kann selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion ggf. dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (BGH, Urt. v. 29.6.1971 - VI ZR 271/69, VersR 1971, 1060 [1061]; Urt. v. 19.4.1988 - VI ZR 96/87, MDR 1988, 850 = VersR 1988, 641). Dass der vom Beklagten zu 1) eingeräumte Schlenker nach links, von dem auch das Berufungsgericht ausgeht, die Ausweichbewegung des Klägers veranlasst hat, liegt auf der Hand. Auch wenn das Berufungsgericht sie als Panikreaktion bezeichnet, ist sie doch durch das Verhalten des Beklagten verursacht worden, das vom entgegenkommenden Fahrer in der engen Ausfahrt als gefährlich empfunden werden konnte. Das reicht, wie der Senat in einem vergleichbaren Fall ausgeführt hat, für den Zurechnungszusammenhang aus (BGH, Urt. v. 19.4.1988 - VI ZR 96/87, MDR 1988, 850 = VersR 1988, 641).

So hat der Senat auch in einem Fall, in dem eine Mofafahrerin unsicher wurde, als sie ein Sattelschlepper überholte, und deshalb stürzte, eine Auswirkung der Betriebsgefahr des Lkws angenommen (BGH, Urt. v. 11.7.1972 - VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074 f.), ebenso als ein Fußgänger durch die Fahrweise des nach Hochziehen einer Schranke anfahrenden Kraftfahrzeugs unsicher wurde und deshalb stürzte (BGH, Urt. v. 10.10.1972 - VI ZR 104/71, VersR 1973, 83 f.). Das Merkmal "beim Betrieb" hat er auch bejaht, als ein Lkw die voreilige Abwehrreaktion eines nachfolgenden Kraftfahrers auslöste, weil er andauernd blinkte und entweder nach links zog oder schon hart an die Mittellinie herangezogen war (BGH, Urt. v. 29.6.1971 - VI ZR 271/69, VersR 1971, 1060 [1061]). In all diesen Fällen kam es nicht darauf an, ob die Abwehr- oder Ausweichreaktion objektiv erforderlich war.

c) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Einschränkung ist auch nicht erforderlich. Vielmehr ist das notwendige Korrektiv für eine sachgerechte Haftungsbegrenzung in den §§ 9, 17, 18 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 StVG enthalten. Nach diesen Vorschriften können die jeweiligen Verursachungsbeiträge sowie ein etwaiges Verschulden berücksichtigt werden, so dass der Schaden angemessen verteilt und ggf. sogar die Haftung einem Kraftfahrer allein auferlegt werden kann.

III.

Eine abschließende Entscheidung ist dem erkennenden Senat nicht möglich, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt folgerichtig - die dazu erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es sie nachholen kann.

Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht feststellen müssen, ob sich eine etwaige Haftung des Beklagten zu 1) auch aus § 7 Abs. 1 StVG oder nur aus § 18 Abs. 1 StVG ergeben kann. Es wird ggf. eine Abwägung nach §§ 9, 17, 18 Abs. 3 StVG vornehmen müssen, wobei nur solche Umstände berücksichtigt werden dürfen, die feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sind, und sich auf den Unfall ausgewirkt haben (BGH, Urt. v. 10.1.1995 - VI ZR 247/94, MDR 1995, 359 = VersR 1995, 357; Urt. v. 27.6.2000 - VI ZR 126/99, MDR 2000, 1189 = VersR 2000, 1294 [1296]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1378336

BGHR 2005, 1177

EBE/BGH 2005, 212

ZAP 2005, 1001

DAR 2005, 440

MDR 2005, 1104

NZV 2005, 455

VRS 2005, 261

VersR 2005, 992

ZfS 2005, 487

NJW-Spezial 2005, 304

SVR 2005, 423

VRA 2005, 131

VRR 2005, 263

r+s 2005, 348

JT 2005, 221

LL 2005, 594

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge