Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 22.06.2017; Aktenzeichen 9 O 364/11)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 21.01.2020; Aktenzeichen VI ZR 346/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 22.06.2017 - Az. 9 O 364/11 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 24.341,76 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.11.2011 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständige Pflege- und Betreuungskosten in Höhe von 300.932,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von

monatlich, jeweils beginnend am Monatsersten, 529,30 Euro vom 01.01.2005 bis einschließlich August 2005,

monatlich, jeweils beginnend am Monatsersten, 756,80 Euro vom 01.09.2005 bis einschließlich Dezember 2005,

monatlich, jeweils beginnend am Monatsersten, 837,40 Euro vom 01.01.2006 bis einschließlich Mai 2017

zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine monatliche Pflegerente in Höhe von jeweils 3.495,80 Euro ab dem 01. Juli 2017 zu bezahlen, zahlbar jeweils drei Monate im Voraus.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weiteren materiellen Schadensersatz in Höhe von 35.553,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.11.2011 zu bezahlen.

5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren Schaden zu ersetzen, der dem Kläger durch das Schadensereignis vom 06.04.2000 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.

6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehenden Berufungen des Klägers und der Beklagten werden zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen der Kläger 40 % und die Beklagte 60 %. Von den Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen der Kläger 32 % und die Beklagte 68 %.

IV. Dieses und das angefochtene Urteil - soweit aufrechterhalten - sind vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert der Berufungsinstanz wird auf 1.462.860,49 Euro festgesetzt.

Der Streitwert der ersten Instanz wird wie folgt festgesetzt: ab Anhängigkeit auf 1.079.604,36 Euro und ab dem 05.07.2016 auf 1.651.345,81 Euro.

 

Gründe

A Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund einer Medikamentenverwechslung im Jahr 2000.

I. Wegen des Sachverhaltes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil verwiesen. Kurz zusammengefasst: Der Kläger, Jahrgang 1937, leidet an Asthma. Das hierfür vorgesehene Medikament war am Markt nicht mehr verfügbar. Deshalb wurde es auf Rezept in der Apotheke in Form von Kapseln hergestellt. Einer der Wirkstoffe war Meprobamat in einer Dosierung von 100 mg. Dabei handelt es sich um ein verkehrsfähiges, aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel im Sinne der Anlage 2 zum Betäubungsmittelgesetz. Die Tablettenkapseln wurden für einige Jahre in der Apotheke hergestellt, deren Inhaberin die Beklagte war.

Anfang April 2000 gab der Kläger eine weitere Herstellung auf Rezept in Auftrag. Mit der alleinigen Zubereitung war die pharmazeutisch-technische Assistentin, Frau H., betraut worden. Aufgrund einer Verwechslung der Gefäße und unter Nichtbeachtung der Etikettierung mischte sie anstelle von 100 mg Meprobamat in jede Tablettenkapsel 100 mg Methadon, dessen mögliche tödliche Dosierung bei 50 mg beginnt.

In der Zeit zwischen dem 03.04.2000 und dem 05.04.2000 holte der Kläger die Kapseln ab. Am 06.04.2000 fand seine Lebensgefährtin ihn komatös in der Wohnung auf. Zu diesem Zeitpunkt fehlten neun Kapseln in der Packung. Im Krankenhaus wurde ein multiples Organversagen, eine schwere Blutvergiftung und eine durch den Magensaft verursachte Lungenentzündung festgestellt. Der Kläger lag drei Wochen lang in akuter Lebensgefahr auf der Intensivstation. Nach dem Erwachen aus dem Koma war er vorübergehend vollständig gelähmt. Er erlitt einen Harnwegsinfekt wegen des gelegten Katheters. Weitere 77 Tage verbrachte er im Krankenhaus, anschließend bis zum 02.04.2001 in der Rehabilitation. Beim Kläger wurde ein schwerer Hirnschaden (hypoxische Hirnschädigung) festgestellt, einhergehend mit einem anamnestischen Syndrom, einem hirnorganischen Psychosyndrom mit Orientierungsstörungen, einer links- bzw. armbetonten Tetraparese, einer rechtsseitigen Hemianopsie und einer schweren Antriebstörung. Es wurde die Pflegestufe II und eine Schwerbehinderung zu 100 % festgestellt.

Im Anschluss besserte sich der Zustand des Klägers. Als er am 30.03.2001 seiner Lebensgefährtin eine...

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