Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerberaummiete: Zugesagte Errichtung von Büroeinheiten in den Obergeschossen eines im Bau befindlichen Gebäudes als Geschäftsgrundlage eines langfristigen Mietvertrages über ein Café und Anspruch auf Vertragsanpassung bei Errichtung von Wohneinheiten; treu- und sittenwidrige Berufung auf ein in einer Nachtragsvereinbarung vereinbartes Sonderkündigungsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mietet der Mieter für die Dauer von 10 Jahren Räume in einem im Bau befindlichen Gebäude zur Nutzung als Café für den Vermieter erkennbar im Vertrauen auf dessen Zusage an, dass die ihm offengelegte Planung der Errichtung von Büroeinheiten in den oberen Stockwerken verwirklicht und ihm dadurch sowohl die Chance auf ein Tagesgeschäft durch regelmäßige Kundschaft der (künftigen) Gewerbeeinheiten als auch - wegen der großzügigen Sperrstundenregelung - die Aussicht auf ein ausgedehntes Nachtgeschäft eröffnet wird, so ist die Nutzung der zu errichtenden Einheiten in den Obergeschossen zu gewerblichen Zwecken Geschäftsgrundlage des Mietvertrages (Rz. 15)(Rz. 16)(Rz. 18).

2. Ändert der Vermieter nach Vertragsschluss seine Planung und errichtet anstatt der gewerblichen Einheiten Wohneinheiten in den Obergeschossen und erhöht damit unter Reduzierung seines Vermarktungsrisikos zwangsläufig das Gewinnerwirtschaftungsrisiko des Mieters, weil diesem die Chance auf ein reges Tagesgeschäfts mit den Gewerbemietern sowie (angesichts des zu erwartenden Interessenkonflikts mit den Wohnungsinhabern) auf ein Nachtgeschäft genommen wird, so führt dies zu einer wesentlichen Veränderung der bei Vertragsschluss maßgeblichen beiderseitigen Vorstellungen über die Umstände, unter denen das Café betrieben werden könne, so dass der Mieter berechtigt ist, eine Anpassung des Vertrages zu verlangen (Rz. 19)(Rz. 20).

3. Sagt der Vermieter in diesem Fall den Käufern der Wohneinheiten verbindlich ein abendliches Betriebsende des Cafés zu und schließt sodann mit dem in wirtschaftliche Schwierigkeiten und mit der Mietzinszahlung in Rückstand geratenen, geschäftlich unerfahrenen und nicht anwaltlich beratenen Mieter eine Nachtragsvereinbarung zum Mietvertrag, in der ihm gegen eine rückwirkende befristete Mietzinsminderung ein ordentliches Kündigungsrecht mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten eingeräumt wird, so verstößt die Berufung auf dieses Kündigungsrecht gegen Treu und Glauben und ist darüber hinaus als sittenwidrig anzusehen. Auch ist es dem Vermieter mangels der tatsächlich geschuldeten Vertragsanpassung verwehrt, gestützt auf den Wortlaut des unveränderten Vertrages ein außerordentliches Kündigungsrecht wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Zahlungsverzuges des Mieters für sich zu reklamieren (Rz. 23)(Rz. 24)(Rz. 25)(Rz. 29).

 

Normenkette

BGB §§ 138, 242, 313, 535

 

Verfahrensgang

BGH (Urteil vom 17.03.2010; Aktenzeichen XII ZR 108/08)

LG München I (Urteil vom 12.11.2007; Aktenzeichen 28 O 5163/07)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 17.03.2010; Aktenzeichen XII ZR 108/08)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG München I vom 12.11.2007 aufgehoben.

II. Die Klage wird abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

VI. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 37.371,60 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten, gestützt auf die Kündigungserklärungen vom 29.1.2007, 23.7.2007 und 15.2.2008, Räumung und Herausgabe vermieteter Gewerberäume.

Mit Mietvertrag vom 20.2.2005 (Anlage K 3 mit Anlage B 1) mietete die Beklagte von der Klägerin für einen Zeitraum von 10 Jahren mit einmaliger Verlängerungsoption zugunsten der Beklagten die im Mietvertrag bezeichneten, im Erdgeschoss des Anwesens ... gelegenen Räume (nebst Kellerabteil) zur Nutzung als Café. Die Klägerin war zu dieser Zeit Eigentümerin des im Bau befindlichen Gebäudes, bestehend aus Erdgeschoss und 1. bis 6. Obergeschoss.

Während der Dauer des Mietverhältnisses machte die Beklagte aus unterschiedlichen Gründen Mietkürzungen geltend.

Nachdem die Beklagte mit der Leistung des vertraglich bezifferten Mietzinses (gemäß § 4 Ziff. 1, § 5, § 6 Mietvertrag: monatlich EUR 2.814,67 zzgl. Nebenkostenvorauszahlung von EUR 299,63, zahlbar im Voraus, spätestens am 3. Werktag des Monats) dadurch in Rückstand geraten war, dass sie im September 2006 einen Teilbetrag i.H.v. EUR 1.000, - und in den Monaten Oktober und November 2006 den gesamten Mietzins nicht leistete, schlossen die Parteien am 12.11.2006 die als "2. Nachtrag zum Gewerbe-Mietvertrag" bezeichnete Vereinbarung (Anlage K 4). Die Präambel der Vereinbarung weist auf die schwierige wirtschaftliche Situation der Beklagten als Anlass der Nachtragsvere...

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