Leitsatz (amtlich)

Die Verfahrensvorschriften bei Freiheitsentziehungen, zu denen insb. Anhörungs- und Prüfungspflichten des Richters gehören, gelten auch dann, wenn die Anordnung der Freiheitsentziehung kurzfristig und nur für kurze Zeit erfolgt. Sind wegen des kurzen Zeitraums der Freiheitsentziehung keine der Pflichten für den Richter erfüllbar, trifft die Polizei eigenverantwortlich nach Art. 18 Abs. 1 S. 2 PAG die Entscheidung über die Freiheitsentziehung.

 

Normenkette

GG Art. 104 Abs. 2; PAG Art. 18 Abs. 1 Sätze 1-2; FreihEntzG §§ 5-6

 

Verfahrensgang

LG Passau (Beschluss vom 29.07.2005; Aktenzeichen 2 T 136/05)

AG Passau (Aktenzeichen Gs 817/05)

 

Tenor

I. Der Beschluss des LG Passau vom 29.7.2005 wird aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG Passau zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Am Samstag, den 7.5.2005 fanden im Stadtgebiet von P. anlässlich des Kriegsendes vor 60 Jahren Gedenkveranstaltungen statt. Unter anderem waren ab 9.30 Uhr die Enthüllung eines Straßenschildes in der G.-straße und ab 10.30 Uhr eine zentrale Gedenkfeier am Mahnmal der Opfer des Nationalsozialismus geplant. Zu den Veranstaltungen wurden amerikanische Kriegsveteranen und Überlebende des Holocaust erwartet.

Kurz vor Beginn der Enthüllungsfeierlichkeiten wurden der Betroffene und eine weitere Person in der G.-straße in der Nähe des Veranstaltungsortes von der Polizei angetroffen. Beide Personen trugen Plakattafeln mit folgenden Aufschriften: "Amerika, no thank you, wir fordern ein Ende des amerikanischen Kulturimperialismus in Deutschland und Europa" und "Good bye Amerika, wir fordern den Abzug der noch verbliebenen 70.000 amerikanischen Besatzungssoldaten aus Deutschland". Die Polizei nahm beide Personen gegen 9.20 Uhr in Gewahrsam und erstattete Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit nach Art. 18, 66 Ziff. 2 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (unbefugter Gebrauch einer Straße zu Sondernutzungen). Anschließend führte die Polizei mit dem Bereitschaftsrichter des örtlichen AG ein Telefongespräch über die Maßnahme. Am 7.5.2005 um 12 Uhr wurde der Betroffene nach Aushändigung einer Rechtsbehelfsbelehrung aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen.

Mit Schreiben vom 31.5.2005, beim AG eingegangen am gleichen Tag, hat der Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung am 7.5.2005 beantragt. Das AG hat das Schreiben, ausgehend von der Stellungnahme der Polizei, wonach vor der Entlassung des Betroffenen telefonisch eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung ergangen sei, als sofortige Beschwerde gegen die richterliche Anordnung angesehen und mit der Verfügung vom 13.6.2005, dass der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen werde, die Akten dem LG vorgelegt. Mit Beschl. v. 29.7.2005 hat das LG Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gewährt und die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen die am 26.8.2005 zugestellte landgerichtliche Entscheidung hat der Betroffene am 1.9.2005 sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, seine Ingewahrsamnahme am 7.5.2005 sei weder unerlässlich noch verhältnismäßig gewesen.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig. Es führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LG.

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist nach Art. 18 Abs. 3 S. 3 PAG, § 7 Abs. 1, § 3 S. 2 FreihEntzG, §§ 22 Abs. 1, 27, 29 Abs. 1 und 4 FGG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden. Da das LG in seiner Entscheidung vom Vorliegen einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung ausgegangen ist, hängt die Zulässigkeit der sofortigen weiteren Beschwerde nicht von einer Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache ab (Art. 18 Abs. 2 S. 4 PAG).

2. Die sofortige weitere Beschwerde ist auch begründet, denn das LG hat den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt (§ 12 FGG). Der Senat kann die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen, daher ist die Sache unter Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses zurückzuverweisen (vgl. 563 Abs. 1 S. 1 ZPO, Meyer/Holz in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27 Rz. 58).

Das LG hat ausgeführt, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen richterlich bestätigt worden sei. Grundlage für diese Feststellung ist der Aktenvermerk eines Polizeibeamten, wonach der Bereitschaftsrichter des AG telefonisch über den Sachverhalt informiert worden sei und die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung bis zum Ende der Veranstaltung um 12 Uhr bestätigt habe. Aufgrund der Aktenlage konnte jedoch das LG nicht ohne weitere Feststellungen von der Existenz einer richterlichen Entscheidung ausgehen.

a) Art. 104 Abs. 2 GG bestimmt, dass über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung der Richter zu entscheiden hat. Die richterliche Entscheidung ist grundsätzlich vor der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Sie ist unverzüglich nachzuholen, wenn sie nicht bereits zum Zeitpunkt der Einweisung oder der Festnahme einer Person vorliegt (Art....

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