Entscheidungsstichwort (Thema)

Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet des Wettbewerbs. Nationale Regelungen hinsichtlich Rechtsanwaltsgebühren. Festlegung von Gebühren. Freier Dienstleistungsverkehr

 

Beteiligte

Cipolla

Federico Cipolla

Stefano Macrino

Claudia Capodarte

Rosaria Portolese, verheiratete Fazari

Roberto Meloni

 

Tenor

1. Den Artikeln 10 EG, 81 EG und 82 EG läuft es nicht zuwider, wenn ein Mitgliedstaat eine Norm erlässt, die auf der Grundlage eines von einer berufsständischen Vertretung von Rechtsanwälten wie dem Consiglio nazionale forense (Nationaler Rat der Rechtsanwälte) erarbeiteten Vorschlags eine Gebührenordnung genehmigt, die eine Mindestgrenze für die Honorare der Mitglieder der Rechtsanwaltschaft festlegt, von der grundsätzlich ebenso wenig bei Leistungen, die diesen Mitgliedern vorbehalten sind, wie bei Leistungen abgewichen werden kann, die, wie außergerichtliche Dienstleistungen, auch von jedem anderen, der genannten Gebührenordnung nicht unterworfenen Wirtschaftsteilnehmer erbracht werden können.

2. Eine Regelung, die es ausnahmslos verbietet, im Wege einer Vereinbarung von den durch eine Rechtsanwaltsgebührenordnung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden festgelegten Mindesthonoraren für Leistungen abzuweichen, die zum einen Gerichtsbezug aufweisen und zum anderen Rechtsanwälten vorbehalten sind, stellt eine Beschränkung des in Artikel 49 EG vorgesehenen freien Dienstleistungsverkehrs dar. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob eine solche Regelung angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten tatsächlich den Zielen des Verbraucherschutzes und der geordneten Rechtspflege Rechnung trägt, die sie rechtfertigen können, und ob die mit ihr auferlegten Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Corte d'appello di Torino (Italien) mit Entscheidungen vom 4. Februar und 5. Mai 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Februar und 18. Mai 2004, und vom Tribunale di Roma (Italien) mit Entscheidung vom 7. April 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Mai 2004, in den Verfahren

Federico Cipolla (C-94/04)

gegen

Rosaria Portolese, verheiratete Fazari,

und

Stefano Macrino,

Claudia Capodarte (C-202/04)

gegen

Roberto Meloni

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, R. Schintgen und J. Klučka sowie der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus (Berichterstatter) und E. Levits,

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Cipolla, vertreten durch G. Cipolla, avvocatessa,
  • von Herrn Meloni, vertreten durch S. Sabbatini, D. Condello, G. Scassellati Sforzolini und G. Rizza, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch A. Dittrich, C.-D. Quassowski und M. Lumma als Bevollmächtigte,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa, R. Wainwright, F. Amato und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Februar 2006

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Artikel 10 EG, 49 EG, 81 EG und 82 EG.

2 Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei Rechtsanwälten und ihren jeweiligen Mandanten wegen Honorarbeitreibung.

Rechtlicher Rahmen

3 Nach dem Real Decreto Legislativo Nr. 1578 vom 27. November 1933 (GURI Nr. 281 vom 5. Dezember 1933), umgewandelt in das Gesetz Nr. 36 vom 22. Januar 1934 (GURI Nr. 24 vom 30. Januar 1934), mit späteren Änderungen (im Folgenden: Real Decreto Legislativo) besteht der dem Justizminister zugeordnete Consiglio nazionale forense (Nationaler Rat der Rechtsanwälte, im Folgenden: CNF) aus Rechtsanwälten, die von den Angehörigen des Anwaltsstands gewählt werden, wobei auf den Gerichtsbezirk jeder Corte di appello ein Mitglied entfällt.

4 Artikel 57 des Real Decreto Legislativo bestimmt, dass die Maßstäbe für die Festsetzung der Honorare und Entgelte, die den Rechtsanwälten und den „procuratori” in Zivil- und Strafsachen sowie für außergerichtliche Tätigkeiten zustehen, alle zwei Jahre durch Beschluss des CNF festgelegt werden. Nachdem die Gebührenordnung vom CNF beschlossen ist, muss sie nach italienischem Recht vom Justizminister genehmigt werden, der zuvor eine Stellungnahme des Comitato interministeriale dei prezzi (Interministerieller Preisausschuss, im Folgenden: CIP) und ein Gutachten des Consiglio di Stato (Staatsrat) einzuholen hat.

5 Gemäß Artikel 58 des Real Decreto Legislativo werden die...

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