Leitsatz (amtlich)
1. Eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und nach § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG besteht, wenn sich auf Grund eines Bundesgesetzes, sei es auch erst nach Maßgabe weiterer gesetzgeberischer Akte, die Möglichkeit einer zukünftigen Belastung des Bundeshaushalts durch eine Verpflichtung des Bundes zum Eintritt in Zahlungspflichten ergibt, die zu Lasten eines Sozialversicherungsträgers entstanden sind.
2. § 120 SGB VII ist - bezogen auf die Bundesebene - im Kern eine Haftungsbestimmung im Sinne einer konstitutiven Auffangregelung für die Übernahme der finanziellen Lasten eines durch Gesetz aufgelösten bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers durch den Bund.
3. Es gibt kein subjektives "Recht auf den gesetzlichen Rechnungshofprüfer".
4. Das Sozialdatenschutzrecht des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch ist offen für die Berücksichtigung von Belangen, die sich aus den gesetzlichen Aufgaben der Rechnungshöfe ergeben.
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 06.06.2019; Aktenzeichen 16 A 3122/18) |
VG Köln (Urteil vom 16.07.2018; Aktenzeichen 4 K 2486/18) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Juni 2019 geändert. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 16. Juli 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts, eine der größten gewerblichen Berufsgenossenschaften in Deutschland und gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Anlage 1 Nr. 7 SGB VII, § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ein bundesunmittelbarer Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie hat nach § 29 Abs. 1 SGB IV das Recht zur Selbstverwaltung. Sie wendet sich gegen die Prüfung ihrer Haushalts- und Wirtschaftsführung durch den Bundesrechnungshof.
Rz. 2
Der Bundesrechnungshof erließ gegenüber der Klägerin nach deren vorheriger Anhörung unter dem 19. März 2018 eine Prüfungsanordnung. Diese benennt als Prüfungsgegenstand die Durchführung sozialmedizinischer Begutachtungen durch die Klägerin. Mit Bezug hierauf wird die Klägerin in dem Anordnungstenor verpflichtet, vom Jahr 2012 bis laufend Erhebungen von Beauftragten des Bundesrechnungshofs zu dulden, dem Bundesrechnungshof Einblick in Verfahren und in von ihm ausgewählte Vorgänge aus den Jahren 2012 bis laufend mit den im Weiteren genannten Schwerpunkten zu gewähren, seinen Beauftragten freien unmittelbaren Zugang zu allen bei der Klägerin vorhandenen, von dem Bundesrechnungshof zur Durchführung der Prüfung für erforderlich gehaltenen Unterlagen zu gewähren bzw. diese Unterlagen auf Verlangen innerhalb einer bestimmten Frist zu übersenden oder seinen Beauftragten vorzulegen sowie die von den Beauftragten erbetenen Auskünfte zu erteilen.
Rz. 3
Die Begründung der Anordnung verweist darauf, dass dem Bundesrechnungshof die Organisation und die Abläufe bei der Klägerin nicht bekannt seien. Insoweit werde er sich zunächst orientieren und entsprechende Einblicke nehmen. Er werde sodann Vorgänge und Unterlagen der Klägerin aus den Jahren 2012 bis laufend mit Bezug zu dem Prüfungsgegenstand einsehen. Bei der Prüfung gehe es insbesondere um ärztliche und psychologische Untersuchungsmaßnahmen bei Versicherten, denen sich diese auf Verlangen der Klägerin nach § 62 SGB I im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungen unterzögen. Im Vordergrund werde stehen, sich einen Überblick über Art und Umfang der Zusammenarbeit der Klägerin mit Ärzten und Kliniken, die in der Unfallmedizin und der Rehabilitation besonders qualifiziert seien, zu verschaffen. Als Schwerpunkte der Prüfung seien vorläufig die Verfahrensweise sowie etwaige Unterschiede bei den Leistungsarten, die Auswahl von Gutachtern, die entstehenden Kosten und die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zu nennen. Nach §§ 94, 95 BHO blieben Änderungen des zeitlichen und inhaltlichen Umfangs der Prüfung vorbehalten. Die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Klägerin unterliege gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO der Prüfung durch den Bundesrechnungshof. Im Sinne von § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO erhalte die Klägerin zwar keine Zuschüsse vom Bund, jedoch sei in Gestalt von § 120 SGB VII eine Garantieverpflichtung des Bundes gesetzlich begründet, weil nach dieser Vorschrift die Möglichkeit bestehe, dass Mittel aus dem Bundeshaushalt für Verbindlichkeiten aufgewendet werden müssten, die durch die Tätigkeit der Klägerin entstanden seien. Die externe Finanzkontrolle des Bundes und die Lückenlosigkeit dieser Kontrolle seien in Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG verankert. Der Prüfungsumfang und der Prüfungsinhalt richteten sich nach den weit auszulegenden Vorschriften der §§ 89 ff. BHO. Tatsächlich werde der Bundesrechnungshof jedoch nur einen Bruchteil der bei der Klägerin vorhandenen Unterlagen mit Bezug zu dem Prüfungsthema einsehen. Welche dies im Einzelnen seien bzw. welche Stichproben gezogen würden, lasse sich zu Beginn der Prüfung nicht abstrakt festlegen. Es liege in der Natur der Prüfungstätigkeit, dass die Methode und die Auswahl der Erkenntnisquellen sukzessive fortentwickelt und laufend angepasst werden müssten. Aus jetziger Sicht seien die Erhebungen in dem angekündigten Umfang erforderlich und zumutbar. Die Speicherung, Veränderung oder Nutzung erforderlicher Daten, die dem Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 SGB I unterlägen, seien für die Rechnungsprüfung durch den Bundesrechnungshof gemäß § 67c Abs. 3 SGB X zulässig. Grundlage für eine Übermittlung der Daten durch die Klägerin an den Bundesrechnungshof sei § 69 Abs. 5 SGB X. Die Belange des Sozialdatenschutzes sowie die Rechte Dritter würden umfassend beachtet.
Rz. 4
Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage gegen die Prüfungsanordnung hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Anordnung werde von § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1, § 94 Abs. 1, § 95 BHO als Ermächtigungsgrundlage getragen. Die Prüfungsanordnung sei formell rechtmäßig. Sie sei durch das nach §§ 8, 9 Abs. 1 Satz 1 BRHG zuständige Zweierkollegium IX 5 des Bundesrechnungshofs erlassen worden. Dieses habe sich durch die Einbindung anderer Stellen des Bundesrechnungshofs nicht seiner Letztverantwortung entzogen. Die Vorschrift des § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG, die auf Prüfungsanordnungen des Bundesrechnungshofs jedenfalls als Ausprägung des elementaren Prinzips der Rechtssicherheit anwendbar sei, sei nicht verletzt. Der Bundesrechnungshof werde in der streitgegenständlichen Anordnung im Sinne des § 37 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 VwVfG als erlassende Behörde ausgewiesen, der Offenlegung der internen Zuständigkeitsverteilung bedürfe es nicht. Entsprechend der durch §§ 8, 9 BRHG bewirkten Modifizierung des § 37 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 VwVfG sei die Anordnung nicht durch den Behördenleiter bzw. dessen Vertreter, sondern durch die Abteilungsleiterin und den Prüfungsgebietsleiter des Zweierkollegiums IX 5 unterzeichnet worden. Die Prüfungsanordnung sei auch materiell rechtmäßig. Sie genüge mit ihrem von dem Bundesrechnungshof als Arbeitstitel begriffenen Bezug auf die Durchführung sozialmedizinischer Begutachtungen durch die Klägerin und unter Berücksichtigung des iterativen Charakters von Rechnungshofprüfungen dem Bestimmtheitspostulat des § 37 Abs. 1 VwVfG, das hier jedenfalls als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips anwendbar sei. Der Bundesrechnungshof verfüge gegenüber der Klägerin über eine Prüfungsbefugnis aus § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO, neben denen § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG im vorliegenden Fall keine selbständige Bedeutung zukomme. Die Vorschrift des § 120 SGB VII stelle ungeachtet des Umstands, dass sie auch den Charakter einer Rechtsnachfolgeregelung habe, wegen des von ihr umfassten Haftungsrisikos eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO dar. Dieses Normverständnis ergebe sich aus einer Auslegung des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und des § 120 SGB VII nach den anerkannten Methoden der Norminterpretation. Zudem seien auch Prüfungsbefugnisse, die dem Bundesrechnungshof - wie durch § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO - auf der Grundlage des Art. 114 Abs. 2 Satz 4 (Satz 3 a.F.) GG einfach-gesetzlich eingeräumt worden seien, durch das verfassungsrechtliche Leitbild des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG überformt, demzufolge eine möglichst lückenlose, gegenwartsnahe sowie wirksame Finanzkontrolle stattfinden müsse und prüfungsfreie Räume zu vermeiden seien. Die Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs aus § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO werde nicht durch den Sozialdatenschutz der bei der Klägerin Versicherten eingeschränkt. Die Übermittlung auch von nicht anonymisierten Sozialdaten durch einen Sozialversicherungsträger an den Bundesrechnungshof sei - mit einer Ausnahme allenfalls in dem hier nicht gegebenen Fall offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit - nach § 67b Abs. 1 Satz 3, § 69 Abs. 5, § 76 Abs. 2 Nr. 2 SGB X gerechtfertigt. Hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit Verfassungs- und Unionsrecht bestünden keine Bedenken.
Rz. 5
Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil stattgegeben und die Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 aufgehoben. Es hat eine Befugnis des Bundesrechnungshofs für eine Prüfung der Klägerin aus § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG verneint. Eine die Prüfung eines bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträgers erlaubende gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und des § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG sei nur im Fall einer nicht ausschließlich vom Willen des Bundesgesetzgebers abhängigen, unter bestimmten Voraussetzungen - dem Garantiefall - rechtlich bindend eintretenden Leistungsverpflichtung gegeben. Eine solche enthalte die Vorschrift des § 120 SGB VII - soweit hier für die Bundesebene von Belang - nicht. Der in ihr umschriebene Übergang von Pflichten (und Rechten) hänge - abweichend von der Ausgestaltung ihrer rechtshistorischen Vorgängernormen - ausschließlich von der Entscheidung des (Bundes-)Gesetzgebers ab, einen (bundesunmittelbaren) Unfallversicherungsträger aufzulösen. Zudem könne der Bundesgesetzgeber im Zusammenhang mit einer von ihm getroffenen Auflösungsentscheidung von den in § 120 SGB VII vorgesehenen Rechtsfolgen abweichen. Obwohl sich in der amtlichen Überschrift des § 120 SGB VII der Begriff der Bundesgarantie finde, ändere dies nichts daran, dass die Norm keine rechtlich bindenden Einstandspflichten begründe, sondern allenfalls der ohnehin - auch in finanzieller Hinsicht - bestehenden Verantwortung des Bundes für die bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts in Bezug auf die bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträger deklaratorisch Ausdruck verleihe. Den aus Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG hergeleiteten, in § 111 Abs. 1 BHO für bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts umgesetzten Grundsatz der Lückenlosigkeit der Finanzkontrolle habe der Bundesgesetzgeber in § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO im Einklang mit § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG für bundesunmittelbare Sozialversicherungsträger durchbrochen. Auf die von dem Verwaltungsgericht nicht für durchgreifend erachteten, im Berufungsverfahren aufrecht erhaltenen weiteren Einwände der Klägerin gegen die Prüfungsanordnung ist es für die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht angekommen.
Rz. 6
Die Beklagte erstrebt mit ihrer von dem Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils: Nach dem Schutzzweck des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG stehe dem Bundesrechnungshof bereits verfassungsunmittelbar eine Prüfungsbefugnis auch für die mittelbare Bundesverwaltung zu, soweit deren Finanzgebaren Auswirkungen auf die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes haben könne. Die auf der Grundlage von Art. 114 Abs. 2 Satz 4 (Satz 3 a.F.) GG erlassenen einfach-gesetzlichen Bestimmungen der §§ 111 und 112 BHO, die ebenso wie die Vorschrift des § 55 Abs. 1 HGrG eine Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs für die mittelbare Bundesverwaltung regelten, konkretisierten lediglich das auch insoweit bestehende verfassungsunmittelbare Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofs und seien schon deshalb entsprechend dem Grundsatz einer möglichst lückenlosen externen Finanzkontrolle auszulegen und anzuwenden. Jedenfalls komme dieser Grundsatz für die genannten Normen über das verfassungsrechtliche Leitbild des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG zum Tragen. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund sei der in § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG enthaltene Begriff der gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung des Bundes weit auszulegen. Er umfasse alle auf der Grundlage eines formellen Gesetzes möglicherweise eintretenden Einstandspflichten des Bundes für Verbindlichkeiten eines Sozialversicherungsträgers. Insbesondere sei die Voraussetzung der gesetzlichen Begründung der Einstandspflicht entgegen der Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts auch dann gegeben, wenn der Gesetzgeber den nach der geltenden Gesetzeslage möglichen Haftungseintritt durch legislatives Handeln vermeiden könne. Dergleichen liege im Wesen einer gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung. Ohnedies stelle § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO nach der Systematik und dem Zweck des Gesetzes die eng auszulegende Ausnahme von der Regel des § 111 Abs. 1 BHO dar. Nach diesen Maßstäben stelle § 120 SGB VII eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und des § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG dar. Die Vorschrift begründe konstitutiv die Möglichkeit, dass im Rahmen der von ihr für den Fall der Auflösung eines bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers vorgesehenen Rechtsnachfolge des Bundes Mittel aus dem Bundeshaushalt für Verbindlichkeiten aufgewendet werden müssten, die aus der Tätigkeit des aufgelösten Trägers entstanden seien. Diese de lege lata mögliche Einstandspflicht des Bundes im Rahmen der Rechtsnachfolge sei für die Annahme einer Garantieverpflichtung entscheidend. Dementsprechend seien die rechtshistorischen Vorgängernormen des § 120 SGB VII durchweg vor allem als Garantieregelungen verstanden worden. Die Rechtsnachfolgeregelung des § 120 SGB VII setze keine in Widerspruch zu Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG stehende Tätigkeit der bundesunmittelbaren Verwaltung als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung voraus. Bei der Erfüllung von Verpflichtungen eines solchen Trägers gegenüber Dritten und den bei ihm Versicherten könne der Bund nach der Auflösungsentscheidung jenseits der die Tätigkeit eines Sozialversicherungsträgers kennzeichnenden Strukturmerkmale agieren. Das nach alledem unter Verletzung von Bundesrecht ergangene Berufungsurteil erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Die Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 sei nach den überzeugenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts insgesamt in formell und materiell rechtmäßiger Weise erlassen worden.
Rz. 7
Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision: Die Befugnisse zur Prüfung der mittelbaren Bundesverwaltung seien nicht im Sinne des Leitbilds einer lückenlosen Finanzkontrolle verfassungsrechtlich überformt. Der entsprechende Grundsatz sei in Bezug auf die mittelbare Bundesverwaltung gesetzesmediatisiert. Er könne erst zum Tragen kommen, nachdem eine Aufgabenzuweisung an den Bundesrechnungshof durch eine autonome Auslegung des einfachen Rechts festgestellt worden sei. Die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger unterlägen der durch § 111 Abs. 1 BHO für die bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorgesehenen Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung durch den Bundesrechnungshof nur unter den engen Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO, der § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG nachgebildet sei. Nach dem Wortlaut, der Systematik sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes bestünden die Merkmale, die eine Garantieverpflichtung des Bundes als Voraussetzung für eine Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs aus § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO kennzeichneten, in folgenden drei Maßgaben: Erstens der Möglichkeit finanzwirksamer Leistungen des Bundes, also einer möglichen Belastung des Bundeshaushalts, zweitens der Begünstigung eines Sozialversicherungsträgers als Kehrseite der Belastung des Bundes im Sinne einer Pflicht des Bundes zur Zahlung an einen Sozialversicherungsträger im Garantiefall sowie drittens der durch Bundesgesetz unmittelbar begründeten Zahlungspflicht des Bundes, das heißt des Feststehens dieser Pflicht qua Gesetzes bei Eintritt des Garantiefalls. Die Vorschrift des § 120 SGB VII genüge keiner dieser Maßgaben. Dass die dritte Maßgabe nicht erfüllt sei, habe das Oberverwaltungsgericht zutreffend erkannt. Da es im Fall der von § 120 SGB VII vorausgesetzten Auflösung eines Unfallversicherungsträgers diesen als einen solchen Träger, an den der Bund Zahlungen leisten könne, nicht mehr gebe, scheide auch eine Erfüllung der zweiten Maßgabe aus. Eine potentielle Belastung des Bundeshaushalts im Sinne der ersten Maßgabe könne sich aus § 120 SGB VII jedenfalls deshalb nicht ergeben, weil entgegen dem irreführenden Wortlaut der Vorschrift die (Rechte und) Pflichten eines aufgelösten Unfallversicherungsträgers von Verfassungs wegen nicht auf den Bund übergehen dürften. Während die Vorgängernormen des § 120 SGB VII aus vorkonstitutioneller Zeit die Gesamtrechtsnachfolge des Reiches in Rechte und Pflichten eines aufgelösten Unfallversicherungsträgers in Übereinstimmung mit den Reichsverfassungen von 1871 und 1919 hätten vorsehen können, sei es dem Bund nach Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG verwehrt, einen Unfallversicherungsträger in unmittelbarer Bundesverwaltung zu führen. Löse der Bund einen Unfallversicherungsträger auf, müsse er durch das Organisationsgesetz zugleich die Rechte und Pflichten - das heißt den Verwaltungs- und Vermögensbestand - des aufgelösten Trägers einem anderen Träger der mittelbaren Bundesverwaltung übertragen. Nur auf dieses Erfordernis aus Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG weise § 120 SGB VII hin.
Rz. 8
Die Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 leide ferner unabhängig davon, dass eine Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs nicht bestehe, an einer Vielzahl formeller und materieller Rechtsfehler. Sie sei formell rechtswidrig und nichtig, weil bei ihrem Erlass die Zuständigkeitsvorschriften des Bundesrechnungshofgesetzes verletzt worden seien und sie die erlassende Behörde nicht erkennen lasse. In materieller Hinsicht sei sie auf eine tatsächlich unmögliche Handlung gerichtet und infolgedessen nichtig, weil es sozialmedizinische Begutachtungen nach dem sozialversicherungsrechtlichen Verständnis dieses für die Bezeichnung des Prüfungsgegenstands verwandten Begriffs bei der Klägerin nicht gebe. Bei einem untechnischen Verständnis des Begriffs verstoße die Anordnung gegen das Bestimmtheitsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (i.w.S.). Die Anordnung sei schließlich mit dem Sozialdatenschutz der bei der Klägerin Versicherten nach den Bestimmungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch unvereinbar. Sähe man dies anders, wären diese Bestimmungen in Ermangelung eines hinreichenden Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung verfassungs- und unionsrechtswidrig.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die nach ihrer Zulassung durch das Oberverwaltungsgericht statthafte und auch sonst zulässige Revision der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.
Rz. 10
Das Berufungsurteil beruht mit seiner Einschätzung, eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG sei allein eine nicht ausschließlich vom Willen des Bundesgesetzgebers abhängige, unter bestimmten Voraussetzungen - dem Garantiefall - rechtlich bindend eintretende Leistungsverpflichtung, auf einer Verletzung von Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Diese Verletzung setzt sich in der berufungsgerichtlichen Beurteilung fort, § 120 SGB VII stelle deshalb keine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG dar, weil er keine rechtlich bindende Einstandspflicht in dem genannten Sinne begründe, sondern über den Eintritt des Garantiefalls - die Auflösung eines bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers - nur der Bundesgesetzgeber entscheide, wobei dieser es zugleich in der Hand habe, von den in § 120 SGB VII vorgesehenen Rechtsfolgen abzuweichen. Ein weiterer Verstoß gegen revisibles Recht liegt in der in diesem Zusammenhang angestellten Annahme des Oberverwaltungsgerichts, § 120 SGB VII verleihe allenfalls deklaratorisch einer ohnehin bestehenden (auch) finanziellen Verantwortung des Bundes für die bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträger Ausdruck (1.). Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen, von dem Oberverwaltungsgericht infolge seines Lösungsansatzes nicht geprüften Gründen im Sinne von § 144 Abs. 4 VwGO als im Ergebnis richtig dar. Die Klägerin kann mit ihren Angriffen gegen die Prüfungsanordnung des Bundesrechnungshofs vom 19. März 2018, die über die Verneinung einer Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs dem Grunde nach hinausgehen, nicht durchdringen. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Da es für diese Entscheidung in der Sache keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen bedarf, kann sie der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO selbst treffen (2.).
Rz. 11
1. Eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und - soweit sich mit dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift deckend - nach § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG besteht, wenn sich auf Grund eines Bundesgesetzes, sei es auch erst nach Maßgabe weiterer gesetzgeberischer Akte, die Möglichkeit einer zukünftigen Belastung des Bundeshaushalts durch eine Verpflichtung des Bundes zum Eintritt in Zahlungspflichten ergibt, die zu Lasten eines Sozialversicherungsträgers entstanden sind (a.). Die genannten Voraussetzungen werden durch § 120 SGB VII erfüllt, der - wenngleich als Rechtsnachfolgeregelung formuliert - auf Bundesebene im Kern eine Haftungsbestimmung im Sinne einer Auffangregelung für die Übernahme der finanziellen Lasten eines durch Gesetz aufgelösten bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers durch den Bund darstellt. Mit diesem Regelungsgehalt hat § 120 SGB VII konstitutive Bedeutung (b.).
Rz. 12
a. Das gebotene, einen weiten Umfang der Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs sichernde Normverständnis folgt nicht unmittelbar aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG (aa.). Es ergibt sich aus der Auslegung der im vorliegenden Fall einschlägigen einfach-gesetzlichen Regelungen in § 111 Abs. 1, § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG unter Berücksichtigung der Bestimmungen der § 42 Abs. 1, § 48 Abs. 1 HGrG (bb.).
Rz. 13
aa. Gemäß Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG prüft der Bundesrechnungshof, dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit besitzen, die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes. Die dergestalt verfassungsrechtlich verankerte externe Finanzkontrolle des Bundes ist eng mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes verbunden und Ausdruck der im parlamentarischen Regierungssystem gebotenen Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament. Sie sichert das parlamentarische Budgetrecht aus Art. 110 GG ab. Die parlamentarische Finanzkontrolle ist auf Lückenlosigkeit ausgerichtet. Der Bundesrechnungshof unterstützt das Parlament bei der Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion. Die Prüftätigkeit des Bundesrechnungshofs und seine diesbezügliche Berichterstattungspflicht gegenüber dem Parlament (vgl. Art. 114 Abs. 2 Satz 3 GG) sollen gewährleisten, dass Bundestag und Bundesrat über die erforderlichen Informationen verfügen, um die Aufgabe der Finanzkontrolle effektiv ausüben zu können. Dem Anliegen einer umfassenden, lückenlosen parlamentarischen Finanzkontrolle entspricht es, eine lückenlose Prüftätigkeit des Bundesrechnungshofs zu ermöglichen. Prüfungs- oder kontrollfreie Räume darf es danach prinzipiell nicht geben (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2011 - 8 C 53.09 - BVerwGE 139, 87 Rn. 48 m.w.N.).
Rz. 14
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezieht sich die in dieser Weise umschriebene verfassungsunmittelbare Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs entgegen der von einzelnen Stimmen im Schrifttum (etwa Engels, in: Kahl/Waldhoff/Walter ≪Hrsg.≫, Bonner Kommentar zum GG, Art. 114 Rn. 192, Stand August 2010; Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 114 Rn. 77 ff., 141, Stand April 2020) und von der Beklagten vertretenen Ansicht nur auf die unmittelbare Bundesverwaltung und erfasst die mittelbare Bundesverwaltung auch dann nicht, wenn zwischen dieser und dem Bundeshaushalt Interdependenzen bestehen. Die externe Finanzkontrolle der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts inklusive der Sozialversicherungsträger beruht auf den Bestimmungen, die der einfache Gesetzgeber - wenn auch unter weitgehender Übernahme der inhaltlichen Grundsätze, die die verfassungsunmittelbare Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs prägen - auf der Grundlage von Art. 114 Abs. 2 Satz 4 (Satz 3 a.F.) GG bzw. Art. 109 Abs. 4 GG in Gestalt der einschlägigen Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung und des Haushaltsgrundsätzegesetzes erlassen hat (BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2011 - 8 C 53.09 - BVerwGE 139, 87 Rn. 49; aus dem Schrifttum: Heintzen, in: v. Münch/Kunig/Kämmerer/Kotzur ≪Hrsg.≫, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2021, Art. 114 Rn. 23, 34; Jarass, in: Jarass/Kment, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 114 Rn. 5; Dittrich, BHO, § 111 Rn. 1, Stand Juli 2018; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 114 GG Rn. 22, Stand Februar 2018).
Rz. 15
bb. Die Vorschrift des § 111 Abs. 1 Satz 1 BHO ermächtigt den Bundesrechnungshof zur Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Sie ist gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO auf die bundesunmittelbaren Träger der Sozialversicherung - unter anderem diejenigen der gesetzlichen Unfallversicherung - nur dann anzuwenden, wenn diese auf Grund eines Bundesgesetzes vom Bund Zuschüsse erhalten oder eine Garantieverpflichtung des Bundes gesetzlich begründet ist. Sie steht im Einklang mit § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG, der bestimmt, dass eine Befugnis des Bundesrechnungshofs oder der Landesrechnungshöfe zur Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts besteht, wenn diese nicht eine Gebietskörperschaft, ein Zusammenschluss von Gebietskörperschaften oder Gemeindeverbänden oder eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 137 Abs. 5 WRV sind und wenn sie vom Bund oder einem Land Zuschüsse erhalten, die dem Grund oder der Höhe nach gesetzlich begründet sind, oder wenn eine Garantieverpflichtung des Bundes oder eines Landes gesetzlich begründet ist. Für eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung des Bundes, dessen Vorliegen hiernach - wie dasjenige des auf einem Bundesgesetz beruhenden Zuschusses - Voraussetzung dafür ist, dass bundesunmittelbare Sozialversicherungsträger wie die sonstigen bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit ihrer Haushalts- und Wirtschaftsführung der Prüfung durch den Bundesrechnungshof unterliegen, ist nach dem Wortlaut (aaa.), der Historie (bbb.), der Systematik (ccc.) sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes (ddd.) kein Raum. Dies gilt nicht nur in Bezug auf eine unmittelbare gesetzliche Bindung des Bundes für den Garantiefall, die nach der - von der Klägerin unterstützten - Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für die Annahme einer Garantieverpflichtung erforderlich ist, sondern auch und erst Recht für die nach Ansicht der Klägerin darüber hinaus zu verlangende Funktion einer solchen Verpflichtung, potentielle Zahlungen des Bundes (nur) an die jeweiligen Sozialversicherungsträger abzusichern.
Rz. 16
aaa. Der Wortlaut des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO unterscheidet - die Differenzierung in § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG aufnehmend - zwischen den durch das Wort "oder" getrennten, selbständigen Alternativen einerseits des Zuschusses, den ein Sozialversicherungsträger auf Grund eines Bundesgesetzes erhält, und andererseits der gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung des Bundes. Der Gesetzeswortlaut bietet damit nicht nur keinerlei Anhalt für die Ansicht der Klägerin, eine Garantieverpflichtung müsse sich im Anwendungsbereich des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO auf einen Zuschuss des Bundes an den jeweiligen Sozialversicherungsträger beziehen. Er ist vielmehr ein belastbarer Hinweis darauf, dass der Alternative der Garantieverpflichtung generell ein weiterer Anwendungsbereich zukommt als derjenigen des - seinerseits bereits weit zu verstehenden, auch zweckgebundene mittelbare Geldleistungen erfassenden - Zuschusses (zum Zuschussbegriff: BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2011 - 8 C 53.09 - BVerwGE 139, 87 Rn. 19). Dementsprechend kann auch das von dem Oberverwaltungsgericht angenommene Erfordernis einer vom Willen des Bundesgesetzgebers unabhängigen rechtlichen Bindung des Bundes nicht an dem Wortlaut des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO bzw. des § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG festgemacht werden. Der Begriffsbestandteil der "Verpflichtung" und der Passus "gesetzlich begründet" stellen schon deshalb keine Anknüpfungspunkte für dieses vermeintliche Erfordernis dar, weil der Bundesgesetzgeber - abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall einer Bindung durch Verfassungs- oder Unionsrecht - auch eine gesetzlich begründete Verpflichtung grundsätzlich jederzeit wieder beseitigen kann. Recht verstanden ergibt sich aus dem Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmungen allein, dass für die Annahme von Garantieverpflichtungen Gewährleistungen auf Grund von Rechtsgeschäften oder allgemeinen Haftungsgrundsätzen ausscheiden und - auf Bundesebene - ein formelles Gesetz erforderlich ist.
Rz. 17
bbb. Die Gesetzeshistorie spricht ebenfalls gegen ein restriktives Verständnis des Begriffs der gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung des Bundes.
Rz. 18
Durch in der Zeit des "Dritten Reiches" ergangene, auf Bundesebene in wesentlichen Teilen bis zum Erlass der Bundeshaushaltsordnung vom 19. August 1969 (BGBl I S. 1284) weitergeltende Regelungen waren die juristischen Personen des öffentlichen Rechts allgemein der Rechnungshofprüfung in Bezug auf ihre Haushaltsrechnung bzw. ihre Haushalts- und Wirtschaftsführung unterstellt worden. Ausgenommen hiervon war aus politischen und praktischen Gründen nur ein kleiner, auch die Träger der Sozialversicherung umfassender Kreis von Rechtsträgern (den Rechtszustand nach dem "Beiträgegesetz" vom 24. März 1934 - RGBl. S. 235 - und dem "Kriegskontrollgesetz" vom 5. Juli 1940 - RGBl. II S. 139 - zusammenfassend: BT-Drs. Nr. 1141 S. 9, 12; zu Differenzierungen der nachkonstitutionellen Geltung dieser Regelungen auf Landesebene: BVerwG, Urteile vom 11. April 1995 - 1 C 34.92 - BVerwGE 98, 163 ≪175 f.≫ und vom 30. September 2009 - 8 C 5.09 - BVerwGE 135, 100 Rn. 20 f.). Bereits durch § 4 Abs. 4 des Gesetzes über Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofes vom 27. November 1950 (BGBl. S. 765) wurden allerdings die Träger der Sozialversicherung mit ihrer Haushalts- und Wirtschaftsführung dann der Kontrolle durch den Bundesrechnungshof unterstellt, wenn sie Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln erhielten. Dies geschah ausweislich der Gesetzesmaterialien wegen der insoweit im Raum stehenden finanziellen Belastung des Bundes (BT-Drs. Nr. 1141 S. 13).
Rz. 19
Im Zuge der Haushaltsreform des Jahres 1969 wurde sodann die geltende Rechtslage geschaffen. § 48 Abs. 1 des am gleichen Tag wie die Bundeshaushaltsordnung - dem 19. August 1969 - erlassenen Haushaltsgrundsätzegesetzes (BGBl. I S. 1273) gibt der Gesetzgebung von Bund und Ländern als Grundsatz vor, dass auf bundes- oder landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts die Vorschriften des Gesetzes - also auch die Regelungen für die Prüfung durch die Rechnungshöfe in §§ 42 ff. HGrG - entsprechend anzuwenden sind, soweit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes nichts Anderes bestimmt ist. Als in Bund und Ländern einheitlich und unmittelbar geltende Vorschrift sieht § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG mit seinem bereits beschriebenen Regelungsgehalt eine Rechnungshofprüfung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts - mit Ausnahmen nur im Bereich der Gebietskörperschaften und Religionsgesellschaften - im Falle gesetzlich begründeter Zuschüsse oder Garantieverpflichtungen vor. Nach § 55 Abs. 1 Satz 3 HGrG bleiben andere Prüfungsrechte, die nach § 48 HGrG begründet werden, unberührt. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Haushaltsgrundsätzegesetz wird zu § 46 - dem späteren § 48 HGrG - ausgeführt, wegen der engen Beziehungen zwischen den Haushalten sei ein auch die juristischen Personen des öffentlichen Rechts erfassendes, in den Grundzügen einheitliches Haushaltsrecht ein dringendes Erfordernis, obwohl nicht verkannt werde, dass wegen der besonderen Aufgaben der juristischen Personen in gewissem Umfang haushaltsrechtliche Sonderregelungen unabweisbar seien (BT-Drs. V/3040 S. 57 f.). Zu § 51 Abs. 1 HGrG-E - dem späteren § 55 Abs. 1 HGrG - wird dargelegt, ein wegen § 46 HGrG-E (§ 48 HGrG) nicht gegebenes Prüfungsrecht des Rechnungshofs gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts solle jedenfalls dann bestehen, wenn die juristischen Personen auf Grund eines Gesetzes von einer Gebietskörperschaft Zuschüsse erhielten oder wenn eine Garantieverpflichtung einer Gebietskörperschaft gesetzlich begründet sei (BT-Drs. V/3040 S. 59; dazu: Haverkate, Prüfungsfreie Räume, in: Zavelberg ≪Hrsg.≫, Die Kontrolle der Staatsfinanzen 1989, S. 210).
Rz. 20
Der Bund hat für seinen Regelungsbereich die grundsätzliche Vorgabe des § 48 Abs. 1 HGrG umgesetzt, indem er durch § 111 Abs. 1 BHO für im Grundsatz alle bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs vorgesehen hat. Er hat nur für die bundesunmittelbaren Träger der Sozialversicherung in § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO eine Sonderregelung entsprechend den nach § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG jedenfalls einzuhaltenden Maßgaben geschaffen. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Bundeshaushaltsordnung ergibt sich, dass diese Sonderregelung nach § 110 Abs. 1 - dem späteren § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO - für erforderlich erachtet wurde, um die Einheitlichkeit des Rechts der Sozialversicherung für bundesunmittelbare und landesunmittelbare Träger nicht zu durchbrechen. Das Haushaltsrecht der Sozialversicherungsträger solle im Rahmen des Rechts der Sozialversicherung neu geregelt werden (BT-Drs. V/3040 S. 68).
Rz. 21
Entstehungsgeschichtlich liegt der Grund für eine Exemtion der bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger von der Kontrolle durch den Bundesrechnungshof mithin in dem Streben nach einer auf den Ebenen des Bundes und der Länder einheitlichen externen Finanzkontrolle im Bereich der Sozialversicherung. Auch im Rahmen dieser Zielsetzung sind nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers indes die Maßgaben des § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG - das heißt eine Rechnungshofkontrolle der Haushalts- und Wirtschaftsführung grundsätzlich aller juristischen Personen des öffentlichen Rechts jedenfalls in den Konstellationen der Bezuschussung und der gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung - wegen der insoweit gegebenen oder zumindest möglichen Haushaltsbelastung in jedem Fall einzuhalten (vgl. Zingsheim, in: Heuer/Scheller ≪Hrsg.≫, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 112 BHO Rn. 13 f., Stand Juni 2020). Dem widerspricht eine in der Tendenz auf eine Schmälerung dieses Mindestbestands der Kontrolle hinauslaufende Gesetzesinterpretation.
Rz. 22
ccc. Noch deutlicher fordert die Gesetzessystematik eine weite Auslegung des Begriffs der gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung des Bundes.
Rz. 23
Die von dem Oberverwaltungsgericht und der Klägerin vertretenen restriktiven Interpretationsansätze finden keine Stütze in einem Vergleich der besagten Verpflichtung mit den in §§ 39, 91 Abs. 3 BHO, §§ 23, 43 Abs. 3 HGrG genannten Krediten, Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen. Denn diese werden durchweg rechtsgeschäftlich vereinbart, wogegen § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG auf eine gesetzlich begründete Sicherung abstellen. Ebenso wenig lässt sich aus anderen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen, die das Oberverwaltungsgericht und die Klägerin als echte bzw. herkömmliche gesetzlich begründete Garantieverpflichtungen begreifen - insbesondere aus derjenigen des § 214 Abs. 1 SGB VI - schließen, dass auf andere Weise strukturierte, weniger stringente Regelungen, nicht ebenfalls die Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und des § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG erfüllen können.
Rz. 24
Die einschränkende Auslegung widerspricht auch im Übrigen der Gesetzessystematik. Vielmehr ist - bezogen auf die Ebene des Bundes - entsprechend dem dargelegten Verhältnis zwischen § 48 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 HGrG die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach § 111 Abs. 1 BHO die Regel und die Exemtion der bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger von dieser Prüfung nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO die eng auszulegende Ausnahme. Während die Regelvorschrift des § 111 Abs. 1 BHO unabhängig davon eingreift, ob das Finanzgebaren der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts den Bundeshaushalt berührt (vgl. Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 114 GG Rn. 22, § 111 BHO Rn. 1, Stand Februar 2018), kann die Ausnahmevorschrift des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO nur dann angewandt werden, wenn eine Belastung des Bundeshaushalts sicher ausgeschlossen ist.
Rz. 25
Darüber hinaus fällt systematisch maßgeblich ins Gewicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Grundsatz der Lückenlosigkeit und der Vermeidung prüfungsfreier Räume, der für den Inhalt der Kontrolle der unmittelbaren Bundesverwaltung durch den Bundesrechnungshof im Interesse einer wirksamen parlamentarischen Finanzkontrolle durch Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG vorgegeben wird, durch bindende Vorgaben des Haushaltsgrundsätzegesetzes für die Gesetzgebung des Bundes und der Länder auf die gesetzesmediatisierte Befugnis der Rechnungshöfe zur Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der bundes- und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts übertragen worden ist. Transmissionsnormen sind § 42 Abs. 1 HGrG, der die Prüfung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes und der Länder einschließlich ihrer Sondervermögen und Betriebe durch die Rechnungshöfe vorsieht, sowie § 48 Abs. 1 HGrG, der - vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Bestimmung - die entsprechende Anwendung dieser Regelung auf die bundes- oder landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts anordnet. Der Sinn und Zweck dieser Vorschriften, grundsätzlich sämtliches finanzrelevante Gebaren der öffentlichen Hand - inklusive der genannten juristischen Personen des öffentlichen Rechts - zu erfassen, ist auch bei der Auslegung anderweitiger gesetzlicher Bestimmungen im Sinne von § 48 Abs. 1 HGrG zu beachten. Dies gilt insbesondere in Bezug auf § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG. Die Prüfung auch der bundes- und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist so lückenlos wie möglich durchzuführen (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. April 1995 - 1 C 34.92 - BVerwGE 98, 163 ≪170, 174≫, vom 30. September 2009 - 8 C 5.09 - BVerwGE 135, 100 Rn. 15 f. und vom 23. Februar 2011 - 8 C 53.09 - BVerwGE 139, 87 Rn. 49; aus der Literatur: Heintzen, in: v. Münch/Kunig/Kämmerer/Kotzur ≪Hrsg.≫, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2021, Art. 114 Rn. 34; Haverkate, Prüfungsfreie Räume, in: Zavelberg ≪Hrsg.≫, Die Kontrolle der Staatsfinanzen, 1989, S. 198, 205; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 111 BHO Rn. 4, Stand Februar 2018; Zingsheim, in: Heuer/Scheller ≪Hrsg.≫, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 112 BHO Rn. 11, Stand Juni 2020). Hiernach gilt für die Frage einer Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung - nicht nur, aber auch - der bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger durch den Bundesrechnungshof gesetzessystematisch der Grundsatz "in dubio pro inspectione", d.h. im Zweifel ist von einer Prüfungsbefugnis auszugehen.
Rz. 26
ddd. Schließlich ergibt sich in Anbetracht des letztlich unkalkulierbaren Risikos des Staates, das mit gesetzlichen Zuschuss- und Garantieverpflichtungen verbunden ist (vgl. Haverkate, Prüfungsfreie Räume, in: Zavelberg ≪Hrsg.≫, Die Kontrolle der Staatsfinanzen, 1989, S. 208; Eibelshäuser/Wallis, in: Heuer/Scheller ≪Hrsg.≫, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 55 HGrG Rn. 3, Stand Juni 1999), nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes das Erfordernis, die Tatbestandsmerkmale weit auszulegen, die nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG in jedem Fall eine Rechnungshofkontrolle der Haushalts- und Wirtschaftsführung der erfassten juristischen Personen des öffentlichen Rechts ermöglichen. Was die in § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO enthaltene Regelung für die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger anbelangt, kommt die enorme gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Finanzmittel der Sozialversicherung (dazu: BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2005 - 2 BvF 2/01 - BVerfGE 113, 167 ≪201≫) hinzu.
Rz. 27
Hiernach gehen die das Tatbestandsmerkmal der gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung einschränkenden Interpretationsansätze des Oberverwaltungsgerichts und der Klägerin fehl. Die Annahmen, der Gesetzgeber habe eine externe Finanzkontrolle nur dann für erforderlich erachtet, wenn nach bestehender Gesetzeslage unabhängig von Maßgaben eines weiteren gesetzgeberischen Akts eine Zahlungspflicht entstehen könne oder - im Fall des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO - eine Zahlung des Bundes an einen bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger abgesichert werde, sind teleologisch nicht haltbar. Eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung ist vielmehr in allen Fällen anzunehmen, in denen nach der geltenden Gesetzeslage die Möglichkeit einer zukünftigen Belastung des staatlichen Haushalts durch eine Verpflichtung zum Eintritt in die Zahlungspflichten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts besteht. Ein solches Risiko für den Haushalt ist auch und bereits dann gegeben, wenn nach der jeweiligen Vorschrift das Entstehen der Zahlungspflicht von Maßgaben weiteren gesetzgeberischen Handelns abhängt. Denn der Gesetzgeber kann sich, wenn der in der betreffenden Vorschrift angelegte Regelungsbedarf entsteht, nicht gewissermaßen wegducken, sondern muss jedenfalls die Frage beantworten, wem denn die jeweiligen finanziellen Lasten aufgebürdet werden sollen, wenn diese nicht die bereits im Grundsatz als Lastenträger bestimmten staatlichen Haushalte tragen sollen. Dass die Antwort auf diese Frage nicht einfach zu finden sein wird, liegt auf der Hand. Hinzu kommt, dass es bei einer gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung - anders als bei der Zuschussgewährung - generell nicht auf den tatsächlichen Mittelabfluss aus dem Haushalt ankommt, um die in § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG angelegte Sperre einer Rechnungshofskontrolle zu überwinden (Zingsheim, in: Heuer/Scheller ≪Hrsg.≫, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 112 BHO Rn. 30, Stand Juni 2020; Gröpl ≪Hrsg.≫, Bundeshaushaltsordnung - Landeshaushaltsordnungen, 2. Aufl. 2019, § 112 Rn. 3; Nebel, in: Piduch (Hrsg.), Bundeshaushaltsrecht, § 112 Rn. 2, Stand Februar 2015). Aus welchem Grund die Zahlungspflicht entstanden ist, durch deren potentielle Übernahme eine Haushaltsbelastung droht, ist nach dem Kontrollzweck erst recht unerheblich.
Rz. 28
Insgesamt spiegelt sich in dem Gesetzeszweck das bereits in der Gesetzeshistorie und der Gesetzessystematik zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Bestreben wider, auch in Bezug auf die Haushalts- und Wirtschaftsführung der bundes- und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts - inklusive der bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO - im Interesse einer wirksamen parlamentarischen Finanzkontrolle eine möglichst lückenlose Prüfung durch die Rechnungshöfe sicherzustellen. Dies führt gerade in der Konstellation der gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung zu einer Vorverlagerung des Haushaltsschutzes. Bezogen auf die Bundesebene sollen die Prüfberichte des Bundesrechnungshofs das Parlament bereits zu einem Zeitpunkt über sich abzeichnende finanzielle Risiken für den Bundeshaushalt informieren, in dem noch geeignete Gegenmaßnahmen getroffen werden können.
Rz. 29
b. § 120 SGB VII bestimmt unter der amtlichen Überschrift "Bundes- und Landesgarantie", dass mit der Auflösung eines bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers dessen Rechte und Pflichten auf den Bund und mit der Auflösung eines landesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers dessen Rechte und Pflichten auf das aufsichtführende Land übergehen, soweit durch Rechtsvorschriften des Bundes oder der Länder nicht etwas Anderes bestimmt worden ist.
Rz. 30
Diese Vorschrift, die hier nur in Bezug auf die Auflösung eines bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers von Relevanz ist, ist in ihrem normativen Kern eine Haftungsbestimmung, nämlich eine konstitutive Auffangregelung für die Übernahme der finanziellen Lasten eines gesetzlich aufgelösten bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers durch den Bund. Sie stellt damit eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinne von § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG dar.
Rz. 31
Das Oberverwaltungsgericht ist schon als Folge seiner Bundesrecht widersprechenden Prämisse, eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinne von § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG erfordere eine vom Willen des Bundesgesetzgebers unabhängige rechtliche Bindung, nicht zu der Erkenntnis vorgedrungen, dass der Rechtscharakter des § 120 SGB VII als - subsidiäre - Haftungsbestimmung die revisible Vorschrift grundsätzlich für eine Einordnung - als Garantieverpflichtung des Bundes qualifiziert (aa.). Das Berufungsgericht hat bei seiner Ablehnung einer solchen Einordnung Bundesrecht zusätzlich dadurch verletzt, dass es angenommen hat, § 120 SGB VII habe wegen einer ohnehin bestehenden (auch) finanziellen Verantwortung des Bundes für die bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträger einen nur deklaratorischen Charakter (bb.).
Rz. 32
aa. Die Interpretation des § 120 SGB VII als Haftungsregelung wird durch den Gesetzeswortlaut nicht versperrt (aaa.). Entsprechend dem Verständnis der in das Kaiserreich zurückreichenden historischen Vorgängerregelungen der Norm (bbb.), nach einer insbesondere den Regelungsgehalt des Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG in den Blick nehmenden gesetzessystematischen Betrachtung (ccc.) und unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks (ddd.) wird der Rechtscharakter der Vorschrift durch den subsidiär angeordneten Übergang von finanziellen Verpflichtungen eines durch Gesetz aufgelösten bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers auf den Bund geprägt. Der gleichzeitig vorgesehene Übergang von Rechten tritt demgegenüber in den Hintergrund und hat nur die Funktion, die durch den Übergang von finanziellen Verpflichtungen entstehende Belastung des Bundes abzumildern.
Rz. 33
aaa. § 120 SGB VII ist zwar als Rechtsnachfolgeregelung formuliert. Jedoch weist die amtliche Überschrift der Vorschrift mit der Bezeichnung als Bundesgarantie nicht auf eine vollumfängliche Rechtsnachfolge des Bundes in die Stellung und die Funktion eines aufgelösten bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers. Sie deutet vielmehr darauf hin, dass es dem Gesetzgeber allein um die finanziellen Folgen der Auflösung und in diesem Zusammenhang vor allem darum ging, eine Verpflichtung des Bundes zu statuieren, für die Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen des aufgelösten Unfallversicherungsträgers erforderlichenfalls einzustehen. Der Übergang auch der finanziellen Forderungen des aufgelösten Trägers erweist sich insoweit quasi als Nebenaspekt.
Rz. 34
bbb. Die gesetzliche Unfallversicherung beruht als eigenständiger Sozialversicherungszweig in ihren Anfängen auf dem Unfallversicherungsgesetz (UVG) vom 6. Juli 1884 (RGBl. S. 69). Nach § 33 UVG konnten Berufsgenossenschaften, die zur Erfüllung der ihnen durch das Unfallversicherungsgesetz auferlegten Verpflichtungen leistungsunfähig geworden waren, auf Antrag des Reichsversicherungsamts von dem Bundesrat aufgelöst werden. Dabei waren die Industriezweige der aufgelösten Genossenschaft anderen Berufsgenossenschaften zuzuteilen. Mit der Auflösung der betroffenen Berufsgenossenschaft gingen deren Rechtsansprüche und Verpflichtungen auf das Reich über. In der Begründung des seinerzeitigen Gesetzentwurfs heißt es, es müsse Vorsorge dafür getroffen werden, dass im Fall der Leistungsunfähigkeit einer Berufsgenossenschaft die Absicherung der Arbeiter in den weiter arbeitenden Betrieben gegen Unfälle nicht unterbrochen werde und die in der Vergangenheit entstandenen Entschädigungsverbindlichkeiten rechtzeitig erfüllt würden. Da der aufgelösten Genossenschaft auch noch Rechtsansprüche zum Beispiel auf Zahlung rückständiger Beiträge zustehen könnten, sollten auch diese auf das Reich übergehen (Verhandlungen des Reichstages, Bd. 77, 1884, S. 68, 77). In dem Bericht der Kommission, die der Reichstag zur Vorberatung des Gesetzentwurfs eingesetzt hatte, sowie in den Verhandlungen des Reichstags selbst ist von der Vorschrift des § 33 UVG durchweg als von einer Reichsgarantie die Rede. Diese solle bewirken, dass in dem Fall der Insolvenz einer Berufsgenossenschaft - wobei weniger an Massenunfälle als an den Niedergang ganzer Industriezweige zu denken sei - hinter dieser noch jemand stehe, der den Ausfall decke. Das Gesetz sei unvollständig, wenn der Fall auch nur gedacht werden könne, dass jemand um seine gesetzliche Entschädigung komme (vgl. Verhandlungen des Reichstages, Bd. 78, Stenographische Berichte, V. Legislaturperiode, IV. Session 1884, Vierter Band, S. 875 f. sowie Bd. 76, wie zuvor, Zweiter Band, S. 879 ff.).
Rz. 35
Die in § 33 UVG enthaltenen Regelungen fanden in nahezu unveränderter Form Eingang in die Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 (RGBl. S. 509). Sie wurden in § 647 RVO auf drei Absätze aufgeteilt. Die Befugnis des Bundesrats, eine zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen unfähige Berufsgenossenschaft auf Antrag des Reichsversicherungsamts aufzulösen, war in dem ersten Absatz der Vorschrift geregelt. Deren zweiter Absatz betraf die Zuweisung der Gewerbszweige der aufgelösten Genossenschaft an andere Genossenschaften. Der dritte Absatz enthielt die Bestimmung, dass mit der Auflösung der Genossenschaft ihre Rechte und Pflichten auf das Reich übergingen. Dass der Gesetzgeber der Reichsversicherungsordnung mit § 647 RVO keine Vorstellungen verband, die von denjenigen abwichen, die die Vorgängervorschrift des § 33 UVG getragen hatten, wird daran deutlich, dass sich in der ausführlichen Begründung des Gesetzentwurfs zur Reichsversicherungsordnung und hier speziell in dem die Gewerbe-Unfallversicherung betreffenden Dritten Buch keine auf § 660 - den späteren § 647 RVO - bezogenen Erwägungen finden (Verhandlungen des Reichstages, Bd. 274, 1911, S. 273 ff.). In der Fassung der Reichsversicherungsordnung vom 15. Dezember 1924 (RGBl. I S. 779) wurde sodann lediglich in § 647 Abs. 1 RVO der Begriff des Bundesrats durch denjenigen des Reichsrats ersetzt.
Rz. 36
In der Gesamtschau spricht die Genese der vorkonstitutionellen Vorgängerregelungen des § 120 SGB VII deutlich dafür, dass die historischen Gesetzgeber keine Gesamtrechtsnachfolge des Reiches für eine aufgelöste Berufsgenossenschaft als Unfallversicherungsträger für die vor der Auflösung entstandenen Fälle anordnen wollten. Es ging ihnen ersichtlich darum, mit dem vorgesehenen Pflichtenübergang - und dem Übergang von Rechten quasi als Beiwerk - eine Garantie des Reiches in Gestalt einer Haftung für die finanziellen Verbindlichkeiten einer aufgelösten Berufsgenossenschaft, und hier insbesondere für deren aufgelaufene Entschädigungslast zu statuieren. Eine Einlösung dieser Garantie hätte dann jeweils noch einer dem konkreten Fall angepassten Regelung bedurft.
Rz. 37
Unter der Geltung des Grundgesetzes ersetzte das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz) vom 30. April 1963 (BGBl. I S. 241) § 647 RVO durch § 652 RVO. In dem ersten dieser nur noch zwei Absätze umfassenden Vorschrift war bestimmt, dass im Fall der Auflösung einer Berufsgenossenschaft die Unternehmensarten und Bezirke der aufgelösten Berufsgenossenschaft anderen Berufsgenossenschaften zugewiesen würden. Der zweite Absatz enthielt die Regelung, dass mit der Auflösung einer bundesunmittelbaren Berufsgenossenschaft deren Rechte und Pflichten auf den Bund übergingen. In der Begründung des Gesetzentwurfs der CDU/CSU - Fraktion zum Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz wird zu § 653 des RVO-Änderungsentwurfs - dem späteren § 652 RVO - ausgeführt, die Voraussetzungen, unter denen Berufsgenossenschaften aufgelöst werden könnten, richteten sich nach den für die Auflösung öffentlich-rechtlicher Körperschaften geltenden verfassungsrechtlichen Normen. Deshalb hätten von § 647 RVO a.F. nur der zweite und der dritte Absatz ihrem Inhalt nach übernommen werden können (BT-Drs. IV/120 S. 64). Hierin gelangt der dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz generell zu Grunde liegende Ansatz zum Ausdruck, demzufolge auf Bundesebene sowohl für die Neuerrichtung als auch für eine Auflösung sowie für jede Bestandsänderung einschließlich einer Vereinigung von Berufsgenossenschaften eine gesetzliche Regelung erforderlich war (vgl. BT-Drs. IV/120 S. 63 f. und dazu: Bigge, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner ≪Hrsg.≫, SGB VII, 2. Aufl. 2019, § 114 Rn. 4 f., § 118 Rn. 1; Quabach, in: Schlegel/Voelzke ≪Hrsg.≫, jurisPK-SGB VII, § 118 Rn. 9, Stand März 2014).
Rz. 38
In der Nachfolge des § 652 RVO wurde schließlich durch das Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz) vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1254) § 120 SGB VII mit seinem oben genannten Wortlaut eingeführt. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung heißt es, die Vorschrift regele - subsidiär - die Bundes- bzw. Landesgarantie. Sie entspreche dem (damals) geltenden Recht des § 652 Abs. 2 RVO (BT-Drs. 13/2204 S. 103). Allerdings bezieht sich § 120 SGB VII nicht nur auf Berufsgenossenschaften, sondern auf alle Unfallversicherungsträger des § 114 Abs. 1 SGB VII (Bigge, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner ≪Hrsg.≫, SGB VII, 2. Aufl. 2019, § 120 Rn. 1). Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 118 SGB VII zu sehen. Jene Norm räumt den Berufsgenossenschaften in Abkehr von dem im Jahr 1963 mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz geschaffenen Vereinigungsmonopol des Gesetzgebers das Recht zu freiwilligen und autonomen Zusammenschlüssen ein (vgl. BT-Drs. 13/2204 S. 103; Bigge, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner ≪Hrsg.≫, SGB VII, 2. Aufl. 2019, § 118 Rn. 1, 6 ff.; Quabach, in: Schlegel/Voelzke ≪Hrsg.≫, jurisPK-SGB VII, § 118 Rn. 23, Stand März 2014). Nach § 118 Abs. 1 Satz 7 SGB VII tritt die durch eine solche Vereinigung gebildete neue Berufsgenossenschaft in die Rechte und Pflichten der bisherigen Genossenschaften ein. Diese Bestimmung findet auch dann Anwendung, wenn sich eine Berufsgenossenschaft nach § 118 Abs. 2 SGB VII mit ihren abgrenzbaren Unternehmensarten parallel mit mehreren anderen, selbständig bleibenden Genossenschaften vereinigt und in der Folge aufgelöst ist (näher: Bigge, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner ≪Hrsg.≫, SGB VII, 2. Aufl. 2019, § 118 Rn. 16 ff.). An diesen Fall der Auflösung knüpft § 120 SGB VII nicht an (Quabach, in: Schlegel/Voelzke ≪Hrsg.≫, jurisPK-SGB VII, § 120 Rn. 4, Stand März 2014, Ricke, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 120 SGB VII Rn. 2, Stand September 2020). Er bezieht sich, was die Bundesebene anbelangt, allein auf das von § 118 SGB VII unberührte Recht des Gesetzgebers zu jeglicher Art der Bestandsveränderung und damit auch zur Auflösung von Berufsgenossenschaften (zu diesem Recht: Quabach, in: Schlegel/Voelzke ≪Hrsg.≫, jurisPK-SGB VII, § 118 Rn. 14, 36, Stand März 2014 und allgemein: Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 190, Stand August 2020). Löst der Bundesgesetzgeber hiernach eine Berufsgenossenschaft als bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträger auf, wird er die Versicherungsverhältnisse der aufgelösten Berufsgenossenschaft einer oder mehreren anderen Berufsgenossenschaften zuweisen oder einen neuen Träger in Gestalt einer bundesunmittelbaren Körperschaft einrichten. In diesem Rahmen hat für die finanziellen Verpflichtungen der aufgelösten Berufsgenossenschaft, sofern sich keine andere Lösung findet, gemäß § 120 SGB VII der Bund einzustehen.
Rz. 39
Auch der nachkonstitutionelle Gesetzgeber hat mithin zunächst § 652 Abs. 2 RVO und sodann § 120 SGB VII in Fortführung des Verständnisses der vorkonstitutionellen Vorgängerregelungen als normative Grundlagen für eine Haftung - nunmehr des Bundes - für die finanziellen Verbindlichkeiten einer aufgelösten Berufsgenossenschaft bzw. eines aufgelösten Unfallversicherungsträgers begriffen. Dies gilt entgegen der Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts ungeachtet des Umstands, dass die nachkonstitutionellen Normen nicht mehr an eine Auflösung durch einen untergesetzlichen Hoheitsakt, sondern an eine Auflösung durch Gesetz anknüpfen und deshalb wegen der Kompetenz des Gesetzgebers, eine abweichende Regelung zu treffen, einen nur subsidiären Charakter haben.
Rz. 40
ccc. In gesetzessystematischer Hinsicht ist für die Auslegung von § 120 SGB VII der verfassungsrechtliche Hintergrund in Gestalt von Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG von Belang. Nach dieser Vorschrift, auf die das Oberverwaltungsgericht nach seinem Lösungsansatz nicht einzugehen hatte, müssen diejenigen sozialen Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden. Damit ist für die landesübergreifenden Sozialversicherungsträger eine mittelbare Verwaltung durch eigenständige Körperschaften vorgeschrieben. Eine unmittelbare Verwaltung durch Bundesbehörden ist nicht zulässig (BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 - 2 BvL 23/81 - BVerfGE 63, 1 ≪35 f.≫; Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 161, 201, Stand August 2020).
Rz. 41
Die Klägerin weist hiernach zu Recht darauf hin, dass eine Auslegung des § 120 SGB VII, derzufolge der Bund im Fall der gesetzlichen Auflösung eines bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers beim Fehlen einer anderweitigen Bestimmung Gesamtrechtsnachfolger des aufgelösten Trägers werde, in Konflikt mit Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG geriete. Jedoch greift die von der Klägerin in der Folge befürwortete Deutung, der Inhalt des § 120 SGB VII bestehe allein in dem Hinweis darauf, dass der Bundesgesetzgeber mit der Auflösung eines bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers den Verwaltungs- und Vermögensbestand des aufgelösten Trägers in Übereinstimmung mit Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG einem anderen Träger der mittelbaren Bundesverwaltung übertragen müsse, zu kurz. Denn die Befugnis zu derartigen Veränderungen im Bestand der bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträger hat der Bundesgesetzgeber, wie bereits dargelegt, ohnehin. Der in § 120 SGB VII angelegte Aspekt einer im Zweifel eingreifenden finanziellen Belastung des Bundes käme in keiner Weise zum Tragen. Dieses Defizit tritt bei einer Interpretation des § 120 SGB VII als Regelung einer subsidiären Haftung des Bundes für die finanziellen Verbindlichkeiten des aufgelösten Unfallversicherungsträgers nicht ein. Auch ein solches Normverständnis vermeidet einen Widerspruch zu Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG, denn ein Einstehen des Bundes - auch - für die aufgelaufene Entschädigungslast eines aufgelösten Unfallversicherungsträgers kann nicht als ein Führen eines landesübergreifenden Sozialversicherungsträgers in bundesunmittelbarer Verwaltung qualifiziert werden.
Rz. 42
Nach der Gesetzessystematik steht dem Verständnis des § 120 SGB VII als Haftungs- bzw. Garantieregelung ferner ein Vergleich mit derartigen Regelungen in anderen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, insbesondere mit derjenigen des § 214 Abs. 1 SGB VI nicht entgegen. Es gibt insoweit keinen für alle Teilbereiche des Sozialversicherungsrechts maßgeblichen Regelungsstandard. Insoweit ergibt sich aus dem in anderem Zusammenhang bereits erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2011 - 8 C 53.09 - (BVerwGE 139, 87) keine abweichende Einschätzung. Das Bundesverwaltungsgericht hat in jenem Urteil für die Befugnis des Bundesrechnungshofs zur Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung eines Verbands von Unfallversicherungsträgern gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 BHO auf eine Prüfungsunterworfenheit von drei Verbandsmitgliedern auf Grund einer gesetzlichen Garantieverpflichtung des Bundes aus dem Regelwerk zur Privatisierung der ehemaligen Deutschen Bundespost bzw. wegen erhaltener Bundeszuschüsse abgestellt (BVerwG, a.a.O. Rn. 16 ff.). Die Frage einer unabhängig hiervon bestehenden Befugnis des Bundesrechnungshofs für eine Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung von Verbandsmitgliedern aus § 120 SGB VII war in dem seinerzeitigen Verfahren nicht entscheidungserheblich.
Rz. 43
ddd. Wie sich bereits den Darlegungen zur Entstehungsgeschichte des § 120 SGB VII entnehmen lässt, besteht der Zweck des § 120 SGB VII darin, eine subsidiär eingreifende, gegebenenfalls in geeigneter Form zu erfüllende Haftung des Bundes für die finanziellen Verbindlichkeiten - insbesondere auch für die aufgelaufene Entschädigungslast - eines durch Gesetz aufgelösten Unfallversicherungsträgers zu schaffen. Zur Illustration mag die noch unter Geltung der Reichsversicherungsordnung eingetretene, in finanzieller Hinsicht verheerende Situation dienen, in der sich die vormalige Bergbau-Berufsgenossenschaft Mitte der 1960er Jahre infolge des Niedergangs des deutschen Steinkohlebergbaus befand. Der Gesetzgeber versuchte seinerzeit, die genannte Berufsgenossenschaft von ihrer aufgelaufenen Entschädigungslast dadurch zu entlasten, dass er zum einen eine Umverteilung von Lasten auf alle anderen Berufsgenossenschaften vornahm und zum anderen einen Teil der Last in die Finanzierung durch den Bund übernahm (zu den seinerzeitigen gesetzgeberischen Maßnahmen und deren Verfassungsmäßigkeit: BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 1967 - 2 BvL 4/65 - BVerfGE 23, 12 ff. und vom 5. März 1974 - 1 BvL 17/72 - BVerfGE 36, 383 ff.). Hier hätte eine Alternative in der Auflösung der Bergbau-Berufsgenossenschaft, der Zuweisung der Versicherungsverhältnisse an andere Berufsgenossenschaften und der Übernahme des genannten Teils der Entschädigungslast durch den Bund als Folge seiner im Sinne einer Auffangregelung vorgeschriebenen Garantiehaftung bestanden.
Rz. 44
bb. Mit seinem Regelungsgehalt als Haftungsbestimmung im Sinne einer Auffangregelung für die Übernahme der finanziellen Lasten eines gesetzlich aufgelösten bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers durch den Bund hat § 120 SGB VII konstitutive Bedeutung. Das Oberverwaltungsgericht nennt keine Rechtsgrundlage, auf die es seine Annahme stützt, der Bund trage ohnehin die finanzielle Verantwortung für die Verbindlichkeiten aller bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, der § 120 SGB VII in Bezug auf die bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträger allenfalls deklaratorisch Ausdruck verleihe. Die Fragen, ob es jenseits spezialgesetzlicher Bestimmungen eine allgemeine staatliche Gewährträgerhaftung für juristische Personen des öffentlichen Rechts gibt, welche - insbesondere verfassungsrechtlichen - Vorschriften insoweit als normative Anknüpfungspunkte in Betracht kommen könnten und wie eine solche Haftung im Einzelnen ausgestaltet sein könnte, sind Gegenstand von kontroversen Erörterungen in der Literatur (vgl. etwa die Nachweise bei: Marz, NWVBl 2011, 201 ≪208≫). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine staatliche Finanzierungsverantwortung vor allem in grundrechtlich unterfangenen Sonderkonstellationen angenommen worden (für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten auf Grund von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1993 - 1 BvL 35/81 - BVerfGE 89, 144 ≪153 f.≫; für Universitäten unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG: BGH, Urteil vom 10. Juli 1996 - VIII ZR 132/95 - WM 1996, 1968 ≪1970≫; weiter ausgreifend aus vorkonstitutioneller Zeit für seitens des Staates zu seinen Zwecken gegründete Anstalten des öffentlichen Rechts: RG, Urteil vom 30. Oktober 1930 - IV 475/29 - RGZ 130, 169 ≪176 ff.≫). In dieser allgemein nicht abschließend geklärten Rechtslage kann der durch § 120 SGB VII bewirkten bereichsspezifischen Klärung einer subsidiären Haftung des Bundes die konstitutive Bedeutung nicht abgesprochen werden.
Rz. 45
2. Das Berufungsurteil kann nicht nach § 144 Abs. 4 VwGO auf Grund von Erwägungen aufrecht erhalten bleiben, auf die es aus Sicht der Vorinstanz mangels einer Befugnis des Bundesrechnungshofs zur Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Klägerin nicht angekommen ist. Die von der Klägerin angefochtene Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 wird neben § 111 Abs. 1, § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG von § 94 Abs. 1, §§ 95, 95a BHO getragen. Sie ist, wie bereits das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis zutreffend festgestellt hat, weder aus formell-rechtlichen noch aus materiell-rechtlichen Gründen nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben. Die von der Klägerin im Lauf des Rechtsstreits vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
Rz. 46
Gemäß § 94 Abs. 1 BHO bestimmt der Bundesrechnungshof Zeit und Art der Prüfung und lässt erforderliche örtliche Erhebungen durch Beauftragte vornehmen. Nach § 95 Abs. 1 BHO sind dem Bundesrechnungshof Unterlagen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben für erforderlich hält, auf Verlangen innerhalb einer bestimmten Frist zu übersenden oder seinen Beauftragten vorzulegen. Auf der Grundlage von § 95 Abs. 2 BHO sind dem Bundesrechnungshof und seinen Beauftragten die erbetenen Auskünfte zu erteilen. Die Vorschrift des § 95 BHO wurde um ihren dritten Absatz, wonach die Vorlage- und Auskunftspflicht nach den Absätzen 1 und 2 auch elektronisch gespeicherte Daten sowie deren automatisierten Abruf erfasst, erst nach Erlass der Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 durch Gesetz vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626) ergänzt. Diese Ergänzung hat allerdings kompetenzmäßig einen lediglich klarstellenden Charakter (BT-Drs. 19/4674 S. 299 f.). Aus dem bereits durch Gesetz vom 14. August 2017 (BGBl. I S. 3122) in die Bundeshaushaltsordnung eingefügten § 95a BHO ergibt sich die Befugnis des Bundesrechnungshofs, seine Rechte nach § 94 Abs. 1, § 95 BHO durch (Prüfungs-)Anordnungen, das heißt in der Form des Verwaltungsakts durchzusetzen (BT-Drs. 17/12639 S. 9 f.).
Rz. 47
Auf den streitgegenständlichen Bescheid vom 19. März 2018, der ein Prüfungsverfahren nach diesen Vorschriften gegenüber der Klägerin anordnet, sind die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes grundsätzlich anwendbar (a.). Zuständiges Organ des Bundesrechnungshofs, der in der Anordnung in Übereinstimmung mit § 37 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 VwVfG als erlassende Behörde angegeben ist, war nicht dessen Präsident, sondern gemäß §§ 8, 9 Abs. 1 BRHG das Kollegium IX 5, dessen Mitglieder in zutreffender Weise abweichend von den Vorgaben des § 37 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 VwVfG den Bescheid unterzeichnet haben (b.). Sollte das Kollegium IX 5, wie von der Klägerin vorgetragen, andere Stellen des Bundesrechnungshofs in objektiv verfahrensfehlerhafter Weise an der Entscheidungsfindung beteiligt haben, könnte sich die Klägerin darauf nicht berufen (c.). Die Prüfungsanordnung ist mit dem bezeichneten Prüfungsgegenstand der Durchführung sozialmedizinischer Begutachtungen durch die Klägerin nach § 37 Abs. 1 VwVfG inhaltlich hinreichend bestimmt und nicht im Sinne von § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG auf eine tatsächlich unmögliche Handlung gerichtet (d.). Die Anordnung berührt das Selbstverwaltungsrecht der Klägerin aus § 29 Abs. 1 SGB IV nicht in unverhältnismäßiger Weise (e.). Der Schutz der Sozialdaten der bei der Klägerin Versicherten wird nicht rechtswidrig eingeschränkt (f.).
Rz. 48
a. Die Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder auf von den Rechnungshöfen erlassene Prüfungsanordnungen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bisher offengeblieben (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 1995 - 1 C 34.92 - DVBl 1995, 1091 ≪1092 f.≫, insoweit in BVerwGE 98, 163 ff. nicht abgedruckt; generell ablehnend etwa: Keller/Stärkel, in: Heuer/Scheller ≪Hrsg.≫, Kommentar zum Haushaltsrecht, Vorbem. zu §§ 94, 95 und 95a BHO Rn. 54 f., Stand Dezember 2018). Nachdem die Verwaltungsaktsbefugnis des Bundesrechnungshofs in § 95a BHO explizit geregelt worden ist, ist die Frage einer Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf die von dem Bundesrechnungshof erlassenen Prüfungsanordnungen dem Grunde nach zu bejahen. Der Gesetzgeber hat durch diese Regelung zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei dem Verfahren, das mit dem Erlass einer solchen Anordnung abgeschlossen wird, um ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG handelt, und der Bundesrechnungshof insoweit gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 VwVfG als Behörde des Bundes eine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit ausführt bzw. Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (BT-Drs. 17/12639 S. 9 in Weiterentwicklung der Ausführungen in BT-Drs. 10/3323 S. 10 und BT-Drs. 17/11473 S. 32; in diesem Sinne auch: Schwarz, in: v. Mangold/Klein/Starck/Huber/Voßkuhle ≪Hrsg.≫, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 114 Rn. 78; Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 114 Rn. 115, Stand April 2020).
Rz. 49
Die Besonderheiten des Rechnungshofprüfungsverfahrens kommen gleichwohl in der sachlich gebotenen Weise zum Tragen. Spezielle Vorschriften des Bundesrechnungshofgesetzes oder der Bundeshaushaltsordnung, die unmittelbar den Erlass einer Prüfungsanordnung betreffen, verdrängen im Rahmen ihres Regelungsgehalts das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht gemäß § 1 Abs. 1 a.E. VwVfG. Soweit die genannten Regelwerke Bestimmungen enthalten, denen zwar keine unmittelbare Regelungswirkung für den Anordnungserlass zukommt, die jedoch in einem mittelbaren Zusammenhang mit diesem stehen, muss den Maßgaben dieser Bestimmungen bei der Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts auf die Prüfungsanordnungen Rechnung getragen werden. Dies betrifft vor allem den Umstand, dass das eigentliche Prüfungsverfahren, das sich an den Erlass einer Prüfungsanordnung anschließt, in Gestalt der §§ 89 ff. BHO - und vor allem durch die hier einschlägigen § 94 Abs. 1, § 95 BHO - eine die Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes jedenfalls grundsätzlich ausschließende spezielle Regelung erfahren hat (zu dieser Spezialität: Groß, VerwArch Bd. 95 ≪2004≫, 194 ≪214≫; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 114 GG Rn. 26, Stand Februar 2018). Diese Regelung entfaltet eine Vorwirkung auf die vorab erlassenen Prüfungsanordnungen.
Rz. 50
b. Die Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 ist zu Recht nicht von dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs erlassen worden. Die Organzuständigkeit lag bei dem nach dem kollegialen Aufbau des Hofbereichs im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 BRHG zu bestimmenden Entscheidungsgremium, das heißt im vorliegenden Fall bei dem (Zweier-)Kollegium IX 5 des Bundesrechnungshofs. Dessen Mitglieder haben diese Zuständigkeit nach außen mit Wirkung für den Bundesrechnungshof dadurch wahrgenommen, dass sie die Anordnung unterzeichnet haben.
Rz. 51
Bei der Anordnung handelt es sich um eine Entscheidung im Sinne von § 8 BRHG. Sie erfüllt, obwohl sie nicht Teil des eigentlichen Prüfungsverfahrens nach § 94 Abs. 1, § 95 BHO ist, sondern diesem vorangeht, die Merkmale der in § 13 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrechnungshofs (GO-BRH) vom 19. November 1997 in der Fassung vom 13. Dezember 2016 enthaltenen Definition des Entscheidungsbegriffs. Sie stellt eine Regelung dar, die dazu bestimmt ist, die gesetzlich vorgesehenen Befugnisse und Pflichten des Bundesrechnungshofs im konkreten Fall - nämlich der Durchführung einer Prüfung - auszuüben und das Verfahren festzulegen. Diese Entscheidung war gemäß §§ 8, 9 Abs. 1 BRHG von dem Kollegium des Bundesrechnungshofs zu treffen, dem in dem nach § 7 BRHG, § 10 GO-BRH für das Jahr 2018 aufgestellten Geschäftsverteilungsplan des Bundesrechnungshofs als Prüfungsgebiet die Unfallversicherung zugewiesen war. Dies war, was zwischen den Beteiligten in tatsächlicher Hinsicht nicht streitig ist, das Kollegium IX 5, hier in seiner gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 BRHG für den Regelfall vorgesehenen Zweierbesetzung.
Rz. 52
Die in der Begründung des Gesetzentwurfs zur Einfügung des § 95a BHO in die Bundeshaushaltsordnung umrissene Konzeption, wonach der Präsident des Bundesrechnungshofs auf Grund seiner Außenvertretungskompetenz aus § 6 Abs. 1 Satz 1 BRHG die Prüfungsanordnungen des Bundesrechnungshofs zu erlassen habe, um hierdurch den Entscheidungen der zuständigen Mitglieder des Bundesrechnungshofs, die von ihnen für erforderlich gehaltenen Prüfungen durchzuführen, Geltung zu verschaffen (BT-Drs. 17/12639 S. 9), ist mit der durch Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten richterlichen Unabhängigkeit der Mitglieder nicht zu vereinbaren. Diese Unabhängigkeit besteht, was in § 6 Abs. 3 Satz 2 BRHG zum Ausdruck kommt, auch gegenüber dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs (vgl. auch Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 114 GG Rn. 35, Stand Februar 2018). Die Verwirklichung der genannten Konzeption liefe demgegenüber auf eine potentielle Abhängigkeit der konkreten Prüfungstätigkeit der Mitglieder des Bundesrechnungshofs von einem Handeln des Präsidenten hinaus. Da diese Konzeption in dem Wortlaut des Bundesrechnungshofgesetzes keinen Niederschlag gefunden hat, kann sie ohne Weiteres unbeachtet bleiben. Dementsprechend nimmt § 3 Abs. 3 GO-BRH die Erfüllung der Prüfungs- und Beratungsaufgaben des Bundesrechnungshofs von der Außenvertretungskompetenz des Präsidenten ausdrücklich aus.
Rz. 53
Nach diesen Maßgaben wird die Vorschrift des § 37 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 VwVfG, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten muss, für die Prüfungsanordnungen des Bundesrechnungshofs durch die speziellen Bestimmungen der §§ 8, 9 Abs. 1 BRHG verdrängt. Zu unterzeichnen haben die Mitglieder des jeweiligen Kollegiums, im vorliegenden Fall des (Zweier-)Kollegiums IX 5. Der Senat sieht keinen Anlass, die in dem erstinstanzlichen Urteil getroffene Feststellung zu bezweifeln, dass die Anordnung (mit den Namen K. und W.) von der zuständigen Abteilungsleiterin und dem zuständigen Prüfungsgebietsleiter des Kollegiums IX 5 des Bundesrechnungshofs unterzeichnet worden ist.
Rz. 54
Zu alledem steht nicht in Widerspruch, dass die Behörde, die eine Prüfungsanordnung erlässt und als diese Behörde gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 VwVfG erkennbar sein muss, nicht das jeweilige Entscheidungsgremium des Bundesrechnungshofs, sondern der Bundesrechnungshof als solcher ist. Ausweislich von § 8 BRHG sind die Entscheidungen, die von den jeweils zuständigen Organen des Bundesrechnungshofs getroffen werden, Entscheidungen "des" Bundesrechnungshofs (dazu: Engels, in: Kahl/Waldhoff/Walter ≪Hrsg.≫, Bonner Kommentar zum GG, Art. 114 Rn. 176, Stand August 2010). Diese einfachgesetzliche Ausgestaltung entspricht der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG, der im Wortlaut von mehreren Mitgliedern ausgeht, aber die zu erledigenden Aufgaben als solche des Bundesrechnungshofs umschreibt (vgl. Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke ≪Hrsg.≫, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 114 Rn. 14). In dem Kopf der Anordnung vom 19. März 2018 wird dementsprechend zutreffend der Bundesrechnungshof - Außenstelle Potsdam - als erlassende Behörde genannt.
Rz. 55
c. Die Klägerin hat im Lauf des Verfahrens gerügt, das für den Erlass der Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 zuständige Kollegium IX 5 des Bundesrechnungshofs habe anderen Organen bzw. Stellen in Gestalt einer Mitzeichnung unzulässigen Einfluss auf die Entscheidung eingeräumt. Zwar könne die Beteiligung des Kollegiums I 1 den in § 15 GO-BRH enthaltenen Regelungen über die Zusammenarbeit der Kollegien des Bundesrechnungshofs entsprochen haben. Jedoch seien die dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs sowie dem Referat Pr/R-H gewährten und von diesen in Anspruch genommenen Mitzeichnungsrechte - in Bezug auf das Referat Pr/R-H im Zusammenhang mit einem von dort aus unterbreiteten und von dem Kollegium IX 5 akzeptierten Änderungsvorschlag - nicht gesetzlich vorgesehen und mit der in Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten richterlichen Unabhängigkeit der Mitglieder des Kollegiums IX 5 unvereinbar.
Rz. 56
Das Oberverwaltungsgericht hat infolge seines eingeschränkten Prüfungsansatzes keine Feststellungen zu den tatsächlichen Grundlagen der von der Klägerin erhobenen Rüge getroffen. Wären diese gegeben, läge objektiv ein Verfahrensfehler vor. Zwar ist dadurch, dass das Kollegiums IX 5 des Bundesrechnungshofs die endgültige Entscheidung über den Erlass der Prüfungsanordnung getroffen hat, die durch §§ 8, 9 Abs. 1 BRHG vorgegebene Zuständigkeitsordnung eingehalten worden. Insoweit kommt es auf die Beteiligung von anderen Organen und Stellen des Bundesrechnungshofs, die zuvor stattgefunden haben mögen, nicht an. Die Mitglieder der kollegialen Entscheidungsorgane des Bundesrechnungshofs müssen jedoch nicht nur die diesen Organen zugewiesenen Zuständigkeiten bei ihren (Schluss-)Entscheidungen beachten. Sie müssen diese Entscheidungen darüber hinaus im Rahmen der ihnen gemäß Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG zustehenden richterlichen Unabhängigkeit unbeeinflusst von einer nicht normativ vorgesehenen Beteiligung anderer Organe bzw. Stellen des Bundesrechnungshofs und einer damit potentiell verbundenen Einflussnahme treffen. Dies wäre, träfe die Rüge der Klägerin zu, im vorliegenden Fall nicht gewährleistet gewesen.
Rz. 57
Die Klägerin könnte sich indessen auf einen solchen Verfahrensfehler nicht berufen. Die in § 3 Abs. 1 BRHG genannten Mitglieder des Bundesrechnungshofs sind auf Grund der Gewährleistung des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG zwar den Richtern in ihrer Unabhängigkeit gleichgestellt (zu dem ihnen auf Grund dessen in persönlicher und sachlicher Hinsicht zustehenden Schutz: BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2019 - 6 C 1.18 - BVerwGE 164, 368 Rn. 12). Jedoch sind die Mitglieder des Bundesrechnungshofs selbst keine Richter, sondern Beamte (Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 114 GG Rn. 32, Stand Februar 2018). Die ihnen garantierte richterliche Unabhängigkeit prägt sich anders als die Unabhängigkeit der Richter nicht subjektiv-rechtlich für die den jeweiligen Verfahren Unterworfenen aus. Für die durch den Rechnungshof Geprüften gibt es kein subjektives "Recht auf den gesetzlichen Rechnungshofprüfer", das dem in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten Recht auf den gesetzlichen Richter entspräche.
Rz. 58
d. Das Prüfungsverfahren, das durch eine Prüfungsanordnung des Bundesrechnungshofs angeordnet wird, ist durch zwei charakteristische Merkmale gekennzeichnet: Zum einen haben die Mitglieder des Bundesrechnungshofs aufgrund ihrer durch Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten richterlichen Unabhängigkeit autonom über die Auswahl des Prüfungsgegenstands sowie die Art, die Form, den Umfang, den Zeitpunkt und die Dauer einer Prüfung zu bestimmen (Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 114 Rn. 56, 112, Stand April 2020; Siekmann, in: Sachs ≪Hrsg.≫, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 114 Rn. 37). Zum anderen lässt sich vom Tatsächlichen her der Vorgang des Prüfens typischerweise nicht im Voraus detailliert planen und beschreiben. Denn der Sinn einer Prüfung besteht gerade darin, herauszufinden, welche Informationen für den Bundesrechnungshof überhaupt im Detail von Interesse sind. Erst am Ende der Prüfung steht fest, welche dieser Informationen bei der geprüften Stelle vorhanden sind. Ergeben sich im Verlauf der Prüfung neue Aspekte, liegt es in der Natur der Sache, dass die Prüfer darauf reagieren und ihr weiteres Vorgehen entsprechend anpassen müssen (Keller/Stärkel, in: Heuer/Scheller ≪Hrsg.≫, Kommentar zum Haushaltsrecht, Vorbem. zu §§ 94, 95 und 95a BHO Rn. 36, Stand Dezember 2018). Mit Rücksicht sowohl auf die richterliche Unabhängigkeit der Prüfer als auch auf den iterativen Charakter des Prüfungsverfahrens räumen die für dieses Verfahren maßgeblichen Vorschriften der § 94 Abs. 1, § 95 BHO den Prüfern sehr weite Entscheidungsspielräume ein. Nach dem bereits erwähnten Erfordernis, den Regelungen für das spätere Prüfungsverfahren vorwirkend bereits bei der Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts auf den Erlass der vorhergehenden Prüfungsanordnung Rechnung zu tragen, muss sich die Weite dieser Spielräume, die den Prüfern des Bundesrechnungshofs in dem eigentlichen Prüfungsverfahren nach § 94 Abs. 1, § 95 BHO zukommen, in den Anforderungen an die Bestimmtheit einer Prüfungsanordnung nach § 37 Abs. 1 VwVfG widerspiegeln.
Rz. 59
Nach diesen Vorgaben ist der Inhalt der Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 hinreichend bestimmt. In der Anordnung ist als Prüfungsgegenstand die Durchführung sozialmedizinischer Begutachtungen durch die Klägerin bezeichnet. Der konkretisierenden Beschreibung dieses Gegenstands lässt sich entnehmen, dass es um von der Klägerin veranlasste ärztliche und psychologische Untersuchungsmaßnahmen von Versicherten und die Einbettung dieser Untersuchungen in die Leistungsverwaltung der Klägerin gehen soll. Mit Bezug hierauf werden der Klägerin Verpflichtungen zur Duldung von Erhebungen durch die Prüfer des Bundesrechnungshofs, insbesondere zur Gewährung von Zugang zu von den Prüfern für erforderlich gehaltenen Verfahren, Vorgängen und Unterlagen sowie zur Erteilung der von ihnen erbetenen Auskünfte auferlegt.
Rz. 60
Der Einwand der Klägerin, sozialmedizinische Begutachtungen im Sinne eines von ihr wiedergegebenen Begriffsverständnisses gebe es im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nicht, so dass der in der Prüfungsanordnung benannte und für deren Bestimmtheit wesentliche Prüfungsgegenstand auf eine tatsächlich unmögliche Handlung gerichtet und die Anordnung nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nichtig sei, liegt neben der Sache. Der Bundesrechnungshof hat in der Prüfungsanordnung dargelegt, was er für die von ihm beabsichtigte Prüfung - quasi als Arbeitstitel - als Durchführung sozialmedizinischer Begutachtungen durch die Klägerin verstanden wissen will. Allein darauf kommt es an. Wenn die Klägerin die Anordnung auch hiervon ausgehend für zu unbestimmt hält, rührt dies daher, dass sie die Vorwirkung der in § 94 Abs. 1, § 95 BHO enthaltenen weiten Vorgaben für das Prüfungsverfahren auf den nach § 37 Abs. 1 VwVfG zu fordernden Grad der inhaltlichen Bestimmtheit der konkreten Prüfungsanordnung nicht anerkennt.
Rz. 61
e. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit (i.w.S.) der Prüfungsanordnung, die sich mit Blick auf das nicht grundrechtlich unterfangene Selbstverwaltungsrecht der Klägerin als körperschaftlich verfasster Sozialversicherungsträger aus § 29 Abs. 1 SGB IV beurteilt, hat - ähnlich wie in Bezug auf die Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts und insbesondere des § 37 Abs. 1 VwVfG - die Vorwirkung der für das eigentliche Prüfungsverfahren geltenden Maßstäbe mit der dortigen Stellung des Bundesrechnungshofs als Herr des Verfahrens zu beachten. Im Ergebnis kann deshalb nur eine offensichtliche Unverhältnismäßigkeit (i.w.S.) der mit einer angeordneten Prüfung verbundenen Mühewaltung eines Prüfungsunterworfenen die Rechtswidrigkeit der vorangehenden Prüfungsanordnung zur Folge haben.
Rz. 62
Nach diesem Maßstab kann die unter dem 19. März 2018 angeordnete Prüfung mit dem in der Anordnung umschriebenen Prüfungsgegenstand entgegen der Ansicht der Klägerin keineswegs als von vornherein ungeeignet qualifiziert werden, Aufschluss über die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Klägerin zu geben. Ferner ist die Klägerin zu einer Bearbeitung von Versichertenakten vor deren Vorlage an den Bundesrechnungshof, die sie aus Gründen des Schutzes der Sozialdaten der bei ihr Versicherten für erforderlich, jedoch vom Aufwand her für unzumutbar erachtet, wie sogleich darzulegen sein wird, nicht berechtigt. Sie ist darüber hinaus darauf zu verweisen, dass der Bundesrechnungshof in seiner Prüfungspraxis generell Stichproben akzeptiert (dazu: BVerwG, Urteil vom 6. März 2002 - 9 A 16.01 - BVerwGE 116, 92 ≪94≫; Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 114 Rn. 112, Stand April 2020) und in der Begründung der angegriffenen Prüfungsanordnung angekündigt hat, auch im vorliegenden Fall entsprechend zu verfahren.
Rz. 63
f. Nach dem Regelungsgehalt der Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 hat die Klägerin den Prüfern des Bundesrechnungshofs auch Vorgänge und Unterlagen vorzulegen sowie Auskünfte zu erteilen, die personenbezogene Gesundheitsdaten der bei der Klägerin Versicherten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 und Art. 15 DSGVO enthalten, welche, weil sie von der Klägerin als Leistungsträger nach § 35 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 12, 22 SGB I verarbeitet werden, zugleich Sozialdaten gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 SGB X darstellen. Eine Regelung, die der Klägerin eine Anonymisierung oder Pseudonymisierung dieser Daten gestatten würde, enthält die Anordnung nicht. Sie bezieht sich auf die elektronisch oder in Papierform vorhandenen Vorgänge und Unterlagen im Original und schließt damit grundsätzlich jedwede Bearbeitung derselben durch die Klägerin vor der Übermittlung an den Bundesrechnungshof aus. Dieser Regelungsgehalt der Prüfungsanordnung widerspricht nicht den Maßgaben des einfachen Sozialdatenschutzrechts (aa.), das seinerseits mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG im Einklang steht (bb.) und den Vorgaben des Unionsrechts genügt, insbesondere in der Datenschutzgrundverordnung enthaltene mitgliedstaatliche Handlungsoptionen ausfüllt (cc.).
Rz. 64
aa. Der Bundesrechnungshof stützt die der Klägerin in der Prüfungsanordnung auferlegten Verpflichtungen auf seine weitreichenden Befugnisse aus § 94 Abs. 1, § 95 BHO. Aus der Sicht der Klägerin als eines Leistungsträgers im Sinne des § 35 SGB I ist die Übermittlung von Sozialdaten an einen Rechnungshof indes nur unter den Voraussetzungen der § 67b Abs. 1 Satz 3, § 67c Abs. 3 Satz 1, § 69 Abs. 5, § 76 Abs. 2 Nr. 2 SGB X gestattet. Gemäß § 67b Abs. 1 Satz 3 SGB X ist die Übermittlung von biometrischen, genetischen oder Gesundheitsdaten abweichend von Art. 9 Abs. 2 Buchst. b, d bis j DSGVO nur zulässig, soweit eine gesetzliche Übermittlungsbefugnis nach den §§ 68 bis 77 SGB X oder nach einer anderen Rechtsvorschrift in dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch vorliegt. § 67c Abs. 3 Satz 1 SGB X bestimmt, dass eine Speicherung, Veränderung oder Nutzung von Sozialdaten zulässig ist, wenn sie für die Wahrnehmung von Aufsichts-, Kontroll- und Disziplinarbefugnissen, der Rechnungsprüfung oder der Durchführung von Organisationsuntersuchungen für den Verantwortlichen erforderlich ist. Nach § 69 Abs. 5 SGB X ist die Übermittlung von Sozialdaten zulässig für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Rechnungshöfe und der anderen Stellen, auf die § 67c Abs. 3 Satz 1 SGB X Anwendung findet. Schließlich ordnet § 76 Abs. 2 Nr. 2 SGB X an, dass unter anderem im Rahmen des § 69 Abs. 5 SGB X die Regelung des § 76 Abs. 1 SGB X nicht gilt, wonach die Übermittlung von Sozialdaten, die einer in § 35 SGB I genannten Stelle von einem Arzt oder einer Ärztin oder einer anderen in § 203 Abs. 1 und 4 StGB genannten Person zugänglich gemacht worden sind, nur unter den Voraussetzungen zulässig ist, unter denen diese Person selbst übermittlungsbefugt wäre.
Rz. 65
In die Betrachtung dieser unmittelbar einschlägigen Vorschriften einzubeziehen ist zunächst § 67b Abs. 1 Satz 4 SGB X, demzufolge § 22 Abs. 2 BDSG entsprechend gilt. Danach sind bei der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen der betroffenen Personen vorzusehen, wie sie in § 22 Abs. 2 Satz 2 BDSG exemplarisch aufgeführt sind. Ferner ist § 67d SGB X ergänzend zu berücksichtigen. Nach § 67d Abs. 1 Satz 1 SGB X liegt die Verantwortung für die Zulässigkeit der Datenübermittlung an einen Dritten grundsätzlich bei der übermittelnden Stelle. Wenn die Übermittlung auf Ersuchen des Dritten erfolgt, trägt dieser gemäß § 67d Abs. 1 Satz 2 SGB X die Verantwortung für die Richtigkeit der Angaben in seinem Ersuchen. Dies wird dahingehend verstanden, dass die übermittelnde Stelle sowohl die eigene Übermittlungsbefugnis zu prüfen als auch das Erforderlichkeitsprinzip zu berücksichtigen hat (Cormann, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 67d SGB X Rn. 6, Stand September 2020; in letztgenannter Hinsicht enger: Stähler, in: Diering/Timme/Stähler ≪Hrsg.≫, SGB X, 5. Aufl. 2019, § 67d Rn. 2). § 67d Abs. 2 SGB X bestimmt sinngemäß, dass bei der zulässigen Übermittlung von Sozialdaten auch die mit diesen verbundenen und von ihnen nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand trennbaren Daten, für die keine Übermittlungsbefugnis besteht, gleichwohl übermittelt werden dürfen, wenn schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder eines Dritten an der Geheimhaltung dieser Daten nicht überwiegen.
Rz. 66
Nach dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verankerten sog. Doppeltürprinzip ist die Öffnung eines rechtmäßig für einen anderen Zweck angelegten Datenbestands für die Aufgabenwahrnehmung einer staatlichen Stelle nur dann mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar, wenn einerseits der Inhaber des Datenbestands gesetzlich berechtigt und verpflichtet ist, die Daten für die Wahrnehmung der staatlichen Aufgabe zu übermitteln, und andererseits die für die Aufgabe zuständige Behörde berechtigt ist, die Daten für diesen Zweck abzurufen. Sowohl die Übermittlung als auch der Abruf bedürfen jeweils einer gesetzlichen Grundlage. Nur wenn die Voraussetzungen beider Rechtsgrundlagen erfüllt sind, bildlich gesprochen beide den Zugang versperrenden Türen geöffnet sind, darf der Datenbestand zugunsten der Behörde zweckgebunden geöffnet werden (BVerfG, Beschlüsse vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 - BVerfGE 130, 151 ≪184, 200 ff.≫ und vom 27. Mai 2020 - 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13 - BVerfGE 155, 119 Rn. 92 ff., 130 ff.; aus der Rechtsprechung des Senats: BVerwG, Beschluss vom 31. März 2021 - 6 B 41.20 - juris Rn. 9). Es liegt auf der Hand, dass die § 94 Abs. 1, § 95 BHO, wonach der Bundesrechnungshof Herr des Prüfungsverfahrens ist und somit grundsätzlich auch den Umfang der hierfür benötigten Daten bestimmt, den Datenabruf zum Zweck einer Rechnungshofprüfung unter weniger strengen Voraussetzungen gestatten, als sie in der differenzierten Regelung durch die genannten Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch für die Datenübermittlung durch einen Leistungsträger an den Bundesrechnungshof verlangt werden. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine Datenübermittlung, die sich nach den letztgenannten Vorschriften als zulässig erweist, erst recht den Maßgaben der § 94 Abs. 1, § 95 BHO genügt. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt.
Rz. 67
Kern des genannten Normbestands aus dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch ist die § 69 Abs. 5 i.V.m. § 67c Abs. 3 Satz 1 SGB X zu entnehmende Bestimmung, dass für die Übermittlung von Sozialdaten an einen Rechnungshof der Grundsatz der Erforderlichkeit gilt. Die Regelung stellt insoweit auf einen objektiven Maßstab ab und lässt für eine Relativierung im Sinne einer subjektiven Einschätzung seitens des (Bundes-)Rechnungshofs keinen Raum (so aber für § 94 Abs. 1, § 95 BHO: Keller/Stärkel, in: Heuer/Scheller ≪Hrsg.≫, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 94 BHO Rn. 54, Stand Dezember 2018; Klostermann, ebendort, § 95 BHO Rn. 7, Stand Juli 2001). Dies ergibt sich jedenfalls unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Hintergrunds der genannten Normen, auf den sich der Gesetzgeber bei ihrer Anpassung an die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung bezogen hat, unter anderem aus Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e und Art. 9 Abs. 2 Buchst. h DSGVO (BT-Drs. 18/12611 S. 105). Aus dem Unionsrecht folgt ferner, dass zu dem - die Geeignetheit mitumfassenden - objektiven Grundsatz der Erforderlichkeit derjenige der Angemessenheit hinzutreten muss.
Rz. 68
Die Regelung aus § 69 Abs. 5 i.V.m. § 67c Abs. 3 Satz 1 SGB X hat, obwohl sie die Datenübermittlungsbefugnis der Leistungsträger betrifft, auch die Belange im Blick, denen die Regelungen der Datenabrufbefugnis der Rechnungshöfe dienen. Dies ergibt sich aus der Erwähnung der "Wahrnehmung der Rechnungsprüfung" in § 67c Abs. 3 Satz 1 SGB X sowie der "Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Rechnungshöfe" in § 69 Abs. 5 SGB X. Die Regelung aus § 69 Abs. 5 i.V.m. § 67c Abs. 3 Satz 1 SGB X ist damit offen für eine Berücksichtigung des Umstands, dass der Verlauf des eigentlichen Rechnungshofprüfungsverfahrens bei dem Erlass der hierauf bezogenen Prüfungsanordnung noch nicht absehbar ist. Das in einer Prüfungsanordnung enthaltene, an einen Leistungsträger gerichtete Gebot zur Übermittlung von Sozialdaten kann damit letztlich nur auf offensichtliche, bereits bei Erlass der Prüfungsanordnung ohne Weiteres feststellbare Verstöße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (i.w.S.) überprüft werden.
Rz. 69
An die durch § 69 Abs. 5 i.V.m. § 67c Abs. 3 Satz 1 SGB X bewirkte Öffnung des Sozialdatenschutzrechts für die Berücksichtigung von Belangen, die sich aus den gesetzlichen Aufgaben der Rechnungshöfe ergeben, knüpfen sich weitere Rechtsfolgen. So kommt bei der Ableitung von Anforderungen aus § 67b Abs. 1 Satz 4 SGB X i.V.m. § 22 Abs. 2 BDSG dem Umstand maßgebliche Bedeutung zu, dass die Rechnungshöfe nach § 35 Abs. 1 Satz 4 SGB I nicht anders als die Leistungsträger selbst das Sozialgeheimnis aus § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB I zu wahren haben. Ferner kann sich die in § 67d Abs. 1 Satz 1 SGB X vorgesehene Verteilung der administrativen Verantwortung für die Zulässigkeit einer Sozialdatenübermittlung in der Konstellation, in der die Übermittlung durch eine - der Bestandskraft fähige - Prüfungsanordnung eines Rechnungshofs gefordert wird, nicht auswirken. Will die übermittelnde Stelle der Anordnung auf Grund ihrer Beurteilung der Zulässigkeit der Übermittlung nicht nachkommen, muss sie diese anfechten. Die Prüfung der Erforderlichkeit hat dann im Verwaltungsprozess das Gericht vorzunehmen. Schließlich ist in den Fällen, in denen sich die angeforderte Übermittlung einer Unterlage bzw. Datei nach dem oben genannten, zurückgenommenen Maßstab als verhältnismäßig (i.w.S.) erweist, nicht mehr zu prüfen, ob von dem in ihr enthaltenen Datenbestand nicht ein Teil nach § 67d Abs. 2 SGB X abgetrennt werden kann. Die in dieser Vorschrift vorgesehene Güterabwägung wird durch den genannten Maßstab überlagert.
Rz. 70
Gemessen an diesen normativen Vorgaben, verstößt der in der Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 umschriebene Zugriff des Bundesrechnungshofs auf elektronisch oder in Papierform vorhandene Unterlagen und Vorgänge der Klägerin, auch soweit diese Sozialdaten der bei der Klägerin Versicherten enthalten, nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (i.w.S.) aus § 69 Abs. 5 i.V.m. § 67c Abs. 3 Satz 1 SGB X. Die Anordnung erstreckt sich insbesondere nicht auf Informationen, die in Bezug auf den von den Mitgliedern des Bundesrechnungshofs in richterlicher Unabhängigkeit festgelegten Prüfungsgegenstand der Durchführung sozialmedizinischer Begutachtungen durch die Klägerin von vornherein erkennbar irrelevant wären. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es bei der Klägerin einen separat angelegten Datenbestand mit besonders sensiblen, dem Arztgeheimnis unterfallenden und für den Prüfungsgegenstand offensichtlich nicht bedeutsamen Gesundheitsdaten geben könnte. Die Klägerin hat vielmehr im Verfahren selbst vorgetragen, dass sie eine auf eine derartige Separierung hinauslaufende getrennte (elektronische) Aktenführung nicht vornimmt (vgl. zu einer gegebenenfalls restriktiven Datenübermittlung im Fall der Separierung: BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1989 - 3 C 68.85 - BVerwGE 82, 56 ≪61≫ sowie nachgehend BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. April 1996 - 1 BvR 1226/89 - NJW 1997, 1633 ≪1634≫). In der gegebenen Situation kann es nicht der Klägerin überlassen bleiben, die Dateien und Unterlagen speziell für die von dem Bundesrechnungshof angeordnete Prüfung aufzubereiten. Ebenso wenig kommt eine Übermittlung allein von anonymisierten oder pseudonymisierten Daten in Betracht. Im einen wie im anderen Fall wäre die Authentizität der gewonnenen Prüfungsergebnisse nicht gewährleistet. Beispielsweise bestünde die Gefahr, dass etwa zu Lasten der Klägerin vorgenommene Doppelabrechnungen von Leistungen nicht erkannt werden könnten. Im Übrigen wird aus der Begründung der angefochtenen Prüfungsanordnung deutlich, dass der Bundesrechnungshof seinen Zugriff auf die Sozialdaten der bei der Klägerin Versicherten und sonstige personenbezogene Daten auf das für die Prüfung unbedingt erforderliche Maß beschränken wird. Dies entspricht insbesondere der durch § 35 Abs. 1 Satz 4 SGB I statuierten eigenständigen Pflicht des Bundesrechnungshofs zur Wahrung des Sozialgeheimnisses der Betroffenen und seiner daraus erwachsenden gesetzlichen Fürsorgepflicht. In Anbetracht dieser Pflicht kann die Klägerin auch mit ihrer im Verfahren geäußerten und auf § 67b Abs. 1 Satz 4 SGB X i.V.m. § 22 Abs. 2 BDSG gestützten Rüge nicht durchdringen, der Bundesrechnungshof habe ihr ein Sicherheitskonzept über die Einhaltung der Anforderungen aus § 67b Abs. 1 Satz 4 SGB X i.V.m. § 22 Abs. 2 BDSG vorlegen müssen.
Rz. 71
bb. Die Bestimmungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch, die die Übermittlung der von der Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 betroffenen Daten an den Bundesrechnungshof tragen, begrenzen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der bei der Klägerin Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in wirksamer Weise.
Rz. 72
Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich bei den von ihr als Sozialversicherungsträger erhobenen Gesundheitsdaten der Versicherten nicht um Daten, die im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen wären. Diese Daten unterliegen mithin nicht einem strikten, nicht durch eine Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativierbaren Schutz, dem der Gesetzgeber durch normenklare, eingriffsminimierende Regelungen sowohl auf der Ebene der Datenerhebung als auch auf derjenigen der nachgelagerten Datenauswertung und -verwertung Rechnung zu tragen hätte (dazu: BVerfG, Urteile vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07 - BVerfGE 120, 274 ≪335 ff.≫ und vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 - BVerfGE 141, 220 Rn. 124 ff., 175 ff., 197 ff., 217 ff.).
Rz. 73
Ob ein Sachverhalt dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung angehört, hängt davon ab, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berührt. Maßgebend sind die Besonderheiten des jeweiligen Falles (grundlegend: BVerfG, Beschluss vom 14. September 1989 - 2 BvR 1062/87 - BVerfGE 80, 367 ≪374≫). In Bezug auf die Kommunikationsbeziehung zwischen Ärzten und Patienten gilt nichts Anderes (BVerfG, Urteile vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99 - BVerfGE 109, 279 ≪322 f.≫ und vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 - BVerfGE 141, 220 Rn. 121). In seiner den ärztlichen Bereich betreffenden Entscheidungspraxis hat das Bundesverfassungsgericht eine Zuordnung zum unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung weder für ärztliche Karteikarten noch für den vergleichbaren Kontext von Klientenakten einer Suchtberatungsstelle vorgenommen, sondern diese außerhalb der unantastbaren Intimsphäre der Betroffenen verortet (BVerfG, Beschlüsse vom 8. März 1972 - 2 BvR 28/71 - BVerfGE 32, 373 ≪379 f.≫ und vom 24. Mai 1977 - 2 BvR 988/75 - BVerfGE 44, 353 ≪372 f.≫). Es hat des Weiteren die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, wonach auch Patientenakten einer psychiatrischen Klinik im Ansatz nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (i.w.S.) einem Landesrechnungshof zugänglich gemacht werden dürfen, also nicht per se einen einer Abwägung entzogenen Schutz genießen (BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1989 - 3 C 68.85 - BVerwGE 82, 56 ≪60 f.≫; BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. April 1996 - 1 BvR 1226/89 - NJW 1997, 1633 ≪1634≫).
Rz. 74
Vor dem derart gekennzeichneten verfassungsrechtlichen Hintergrund sind die Sozialdaten der bei der Klägerin als einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung Versicherten nicht dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung dieser Personen zuzuordnen. Die gesetzliche Unfallversicherung beruht ganz wesentlich auf dem sozialen Schutzprinzip. Zwischen den Unternehmen untereinander sowie den Unternehmen und den Versicherten besteht eine spezifische Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehung nicht nur hinsichtlich des aktuellen Arbeitsunfall- und Berufskrankheiten-Geschehens, sondern auf Grund des Umlageprinzips und der gegebenenfalls jahrzehntelang zu erbringenden Entschädigungsleistungen über entsprechend viele Jahre und letztlich Generationen hinweg (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 34/05 R - juris Rn. 16 f.). In diesen sozialen Bezug sind die Daten der Versicherten einzuordnen, die im Zusammenhang mit tatsächlichen oder potentiellen Leistungsansprüchen erhoben worden sind. Dieser Sozialbezug besteht im Fall der Übermittlung der Daten an den die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Unfallversicherungsträgers prüfenden Bundesrechnungshof fort. Denn diese Prüfung dient der Funktionsfähigkeit des Trägers und damit auch der Erfüllbarkeit der tatsächlichen bzw. potentiellen Ansprüche der bei dem Träger Versicherten durch die spiegelbildlichen tatsächlichen bzw. potentiellen Leistungspflichten des Trägers.
Rz. 75
Gemessen an den Vorgaben, die sich jenseits des Kernbereichs privater Lebensgestaltung für die Rechtfertigung von Eingriffen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ergeben (dazu etwa: BVerfG, Beschluss vom 10. November 2020 - 1 BvR 3214/15 - NVwZ 2021, 226 Rn. 84 ff.), bestehen in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit der in dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch enthaltenen Regelung für die Übermittlung von Sozialdaten durch einen Leistungsträger an einen Rechnungshof - hier denjenigen des Bundes - keine Bedenken. Die Regelung dient insbesondere im Hinblick auf die Aufgabe des Bundesrechnungshofs zur lückenlos durchzuführenden externen Finanzkontrolle der Sozialversicherungsträger einem legitimen Gemeinwohlzweck und wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (i.w.S.). Nach den bisherigen Darlegungen ist die Übermittlung von Sozialdaten auf Grund der beschriebenen Normen geeignet und erforderlich, damit der Bundesrechnungshof die genannte Aufgabe effektiv wahrnehmen kann. Die Übermittlung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne, weil die Sicherung der Effektivität der Kontrolle zu keinen unzumutbaren Einschränkungen des Schutzniveaus der Daten der Sozialversicherten führt. Dies hat seinen Grund darin, dass der Bundesrechnungshof und seine Mitarbeiter nicht anders als der jeweilige Sozialversicherungsträger und dessen Personal dem Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 SGB I unterliegen.
Rz. 76
cc. Die Regelungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch zur Übermittlung von Sozialdaten zum Zweck der Rechnungshofkontrolle genügen den Vorgaben des Unionsrechts. Der von der Klägerin im Verfahren erhobene Einwand, es fehle an hinreichenden Vorkehrungen zur Wahrung des durch Art. 1 i.V.m. Art. 7 und 8 GRC unter Berücksichtigung von Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRC, Art. 9 Abs. 2 Buchst. g DSGVO geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung, greift schon deshalb nicht durch, weil die in Rede stehenden Daten, wie zum nationalen Recht dargelegt, nicht dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen sind. Ferner hat der Senat keinen Zweifel daran, dass das Sozialdatenschutzrecht auch mit seiner Öffnung für die Belange der Rechnungshofprüfung von den zum einen in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e i.V.m. Abs. 2 sowie Abs. 3 Satz 1 Buchst. b und Satz 2 bis 4 DSGVO, zum anderen in Art. 9 Abs. 2 Buchst. h, Abs. 3 und 4 DSGVO enthaltenen mitgliedstaatlichen Handlungsoptionen umfasst wird, auf die sich der nationale Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren unter anderem und im Wesentlichen berufen hat (BT-Drs. 18/12611 S. 103 ff.).
Rz. 77
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Fundstellen
Haufe-Index 14709676 |
BVerwGE 2022, 306 |
DÖV 2021, 1083 |
GewArch 2021, 457 |
LKV 2021, 3 |
SächsVBl. 2021, 2 |