Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtskrafterstreckung des Scheidungsausspruchs bei Tod eines Ehegatten auf Folgesachen. Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft bei nur teilweiser Anfechtung des Scheidungsverbundurteils

 

Leitsatz (amtlich)

a) § 619 ZPO a.F. ist nicht anzuwenden, wenn ein Ehegatte nach Rechtskraft des Scheidungsausspruchs, aber vor rechtskräftiger Entscheidung einer Folgesache stirbt (vgl. nunmehr § 131 FamFG).

b) Wird ein Scheidungsverbundurteil nur teilweise angefochten, so erwachsen die Entscheidungsteile, die Familiensachen betreffen, welche nicht Gegenstand des Hauptrechtsmittels sind, mit Ablauf der Frist des § 629a Abs. 3 ZPO a.F. (vgl. nunmehr § 145 FamFG) in Rechtskraft, sofern sie nicht bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls angefochten werden.

 

Normenkette

ZPO a.F. §§ 619, 629a Abs. 3; FamFG §§ 131, 145

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Beschluss vom 01.07.2009; Aktenzeichen 8 UF 171/08)

AG Lüdinghausen (Urteil vom 10.07.2008; Aktenzeichen 14 F 315/04)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Senats für Familiensachen des OLG Hamm vom 1.7.2009 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 15.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Parteien streiten über die Erledigung eines Scheidungsverfahrens.

Rz. 2

Durch Urteil des AG - FamG - Lüdinghausen vom 10.7.2008 wurde die Ehe der Parteien geschieden. Außerdem entschied das FamG über die Folgesachen Versorgungsausgleich, Zugewinnausgleich und Hausratsverteilung.

Rz. 3

Gegen das Urteil des FamG hat die Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) fristgerecht Berufung eingelegt. In ihrer wiederum fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung hat die Ehefrau "in dem Berufungsverfahren gegen das Verbundurteil des AG" beantragt, das Endurteil des AG aufzuheben, die Anträge des Antragsgegners (im Folgenden: Ehemann) auf Durchführung des Versorgungsausgleichs und auf Zahlung eines Zugewinnausgleichs zurückzuweisen sowie seinen Antrag auf Zuteilung von Hausratsgegenständen insoweit zurückzuweisen, als er ihrem Zuteilungsantrag nicht entspreche. In der nachfolgenden Begründung hat die Ehefrau unter Ziff. I im Einzelnen zum Versorgungsausgleichsverfahren Stellung genommen sowie unter Ziff. II zum Zugewinnausgleich und unter Ziff. III zur Hausratsverteilung. Die Berufungsbegründung ist zuletzt der Deutschen Rentenversicherung Bund am 28.10.2008 zugestellt worden. Mit Verfügung vom 3.12.2008 hat das Berufungsgericht die Ehefrau unter Fristsetzung bis 20.1.2009 um Klarstellung gebeten, ob auch der Scheidungsausspruch als solches angefochten werden solle.

Rz. 4

Am 12.12.2008 ist der Ehemann verstorben. Mit Schriftsatz vom 22.4.2009 hat die Ehefrau ausgeführt, in der Berufungsbegründung seien nicht nur die Folgesachen angefochten worden.

Rz. 5

Das OLG hat den Antrag der Ehefrau, die Ehesache durch Beschluss für erledigt zu erklären, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Ehefrau.

II.

Rz. 6

Für das Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senat, Urt. v. 16.12.2009 - XII ZR 50/08, FamRZ 2010, 357 Rz. 7 m.w.N.).

Rz. 7

Die vom Berufungsgericht zugelassene und damit gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere fehlt es weder an einer Beschwer der Ehefrau noch an einem Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren.

Rz. 8

Allerdings tritt die Erledigung in der Hauptsache gem. § 619 ZPO a.F. (jetzt: § 131 FamFG) - ebenso wie die Rechtskraft - von Gesetzes wegen ein, ohne dass es eines Ausspruchs durch das Gericht bedarf. Ein Beschluss des Gerichts, der - wie der angefochtene Beschluss - einen Antrag auf Erledigterklärung zurückweist, hat dementsprechend ausschließlich deklaratorische Wirkung (vgl. Staudinger/Voppel BGB 2007 Vorbem. zu §§ 1313 ff. Rz. 51 m.w.N., 54). Dennoch kann demjenigen, der die Feststellung der Erledigung begehrt, ein Rechtsschutzbedürfnis für einen entsprechenden Ausspruch nicht abgesprochen werden, zumindest wenn - wie hier - der Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsausspruchs zweifelhaft ist. Der Frage, ob ein Ehegatte geschieden oder verwitwet ist, kann erhebliche Bedeutung zukommen, etwa für die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Dies begründet ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Klarstellung (OLG Düsseldorf FamRZ 2005, 386 [387]; OLG Hamm FamRZ 1995, 101; Staudinger/Voppel, a.a.O., Vorbem. zu §§ 1313 ff. Rz. 54 m.w.N.; Zöller/Philippi ZPO, 27. Aufl., § 619 Rz. 5; a.A. OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 480 m.w.N.). Entsprechend kann auch die Zulässigkeit einer (Rechts-) Beschwerde gegen einen die Erledigung betreffenden Beschluss nicht allein unter Hinweis auf dessen deklaratorischen Charakter verneint werden (OLG Hamm FamRZ 1995, 101).

III.

Rz. 9

In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg.

Rz. 10

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, eine Erledigung i.S.v. § 619 ZPO a.F., § 269 Abs. 4 ZPO sei nicht eingetreten, da das angefochtene Urteil im Scheidungsausspruch bereits vor dem Tod des Ehemannes rechtskräftig gewesen sei. Die Ehefrau habe ihre Berufung ausweislich der Berufungsbegründung nach Maßgabe ihrer Anträge sowie ihrer Ausführungen im Einzelnen ausdrücklich und allein auf die Folgesachen Versorgungsausgleich, Zugewinnausgleich und Hausrat beschränkt. Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist habe für sie keine Möglichkeit mehr bestanden, ihr Rechtsmittel zu erweitern. Dies sei allenfalls zulässig, wenn sich die Gründe hierfür bereits aus der Rechsmittelbegründungsschrift ergäben, was hier nicht der Fall sei. Da auch der Ehemann innerhalb der Monatsfrist des § 629a Abs. 3 Satz 1 ZPO a.F. keine Änderung des Scheidungsausspruchs beantragt habe, sei letzterer mit Ablauf des 28.11.2008 rechtskräftig geworden.

Rz. 11

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis Stand.

Rz. 12

2. Gemäß § 619 ZPO a.F. ist ein Verfahren in einer Ehesache als in der Hauptsache erledigt anzusehen, wenn einer der Ehegatten stirbt, bevor das Urteil rechtskräftig ist. § 619 ZPO a.F. ist allerdings nicht anzuwenden, wenn ein Ehegatte nach Rechtskraft des Scheidungsausspruchs, aber vor rechtskräftiger Entscheidung einer Folgesache stirbt (Senatsbeschluss v. 12.10.1988 - IVb ZB 129/86, FamRZ 1989, 35 [36 m.w.N.]; Zöller/Philippi, a.a.O., § 619 Rz. 18; vgl. nunmehr § 131 FamFG).

Rz. 13

Zutreffend geht das OLG davon aus, dass der Ehemann vorliegend erst nach Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsausspruchs verstorben ist, weshalb eine Feststellung der Erledigung ausscheidet.

Rz. 14

a) Allerdings wird die Rechtskraft eines Urteils durch die rechtzeitige Einlegung eines an sich statthaften Rechtsmittels (vgl. GmS-OGB BGHZ 88, 353 [357]) gem. § 705 ZPO insgesamt gehemmt. Die Hemmungswirkung erfasst zunächst auch die den Rechtsmittelführer begünstigenden Teile der Entscheidung, außerdem umfasst sie im Falle einer Teilanfechtung zunächst auch die nicht angefochtenen Teile. Ein den Rechtsmittelführer begünstigender oder von ihm nicht angegriffener Teil wird - von dem hier nicht vorliegenden Fall des Rechtsmittelverzichts abgesehen - erst rechtskräftig, wenn er nicht mehr durch eine Erweiterung der Rechtsmittelanträge oder ein Anschlussrechtsmittel in das Rechtsmittelverfahren einbezogen werden kann (BGH, Urt. v. 8.6.1994 - VIII ZR 178/93, NJW 1994, 2896 [2897]; v. 1.12.1993 - VIII ZR 41/93, NJW 1994, 657 [659]; Krüger in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 705 Rz. 9 ff. m.w.N.). Dabei führt - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - bereits die grundsätzlich gegebene Möglichkeit, das Rechtsmittel trotz vorheriger Beschränkung auszudehnen, zur umfassenden Hemmung der Rechtskraft der den Rechtsmittelführer belastenden Entscheidungsteile. Unerheblich ist demgegenüber, ob eine Rechtsmittelerweiterung zulässig wäre, insb. ob sie sich im Rahmen der Rechtsmittelbegründung bewegen würde (Krüger in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 705 Rz. 11 f.; Schlosser in Stein/Jonas ZPO, 21. Aufl., § 629a Rz. 21).

Rz. 15

Während die Berufung jedoch grundsätzlich bis zum Schluss der Berufungsverhandlung erweitert werden kann (BGH, Urt. v. 8.6.1994 - VIII ZR 178/93, NJW 1994, 2896 [2897]; Krüger in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 705 Rz. 11; zur Anschlussberufung vgl. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO), begrenzt § 629a Abs. 3 ZPO a.F. (jetzt: § 145 FamFG) für Scheidungsverbundurteile die Möglichkeit, bisher nicht angefochtene Familiensachen zum Gegenstand einer Berufungserweiterung oder einer Anschlussberufung zu machen, in zeitlicher Hinsicht (vgl. Senatsbeschluss v. 11.11.1992 - XII ZA 20/92, NJW-RR 1993, 260 [261]). Mit dieser Regelung verfolgt das Gesetz den Zweck, die vorzeitige (Teil-) Rechtskraft einzelner Entscheidungen eines Verbundurteils, insb. des Scheidungsausspruchs, unabhängig von dem weiteren Schicksal der (sonstigen) Folgesachen zu ermöglichen (Senat, Urt. v. 22.4.1998 - XII ZR 281/96, FamRZ 1998, 1024 [1025 m.w.N.]). Der Scheidungsausspruch wird somit spätestens mit Ablauf der Frist des § 629a Abs. 3 ZPO a.F. rechtskräftig, wenn er nicht zuvor angefochten wird.

Rz. 16

b) Danach ist die Scheidung vorliegend mit Ablauf des 28.11.2008 rechtskräftig geworden, also vor dem Tod des Ehemannes.

Rz. 17

Die zeitlich letzte Zustellung der Berufungsbegründung erfolgte am 28.10.2008. Da innerhalb der Monatsfrist des § 629a Abs. 3 Satz 1 ZPO a.F. weder Anschlussberufung eingelegt noch die Berufung erweitert wurde, ergibt sich der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens hier allein aus den in der Berufungsbegründung enthaltenen Berufungsanträgen (vgl. Senat, Urt. v. 20.7.2005 - XII ZR 155/04, FamRZ 2005, 1538). Diese sind dahingehend auszulegen, dass die Ehefrau den Scheidungsausspruch nicht angefochten hat.

Rz. 18

aa) Für die Auslegung von Berufungsanträgen, die der erkennende Senat als Rechtsbeschwerdegericht selbst vornehmen kann, ist nicht allein der Wortlaut der Anträge maßgebend. Vielmehr ist stets die Berufungsbegründung zur Auslegung des Berufungsbegehrens heranzuziehen. Weiter sind sämtliche sonstige Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die dem Gericht bekannt und dem Rechtsmittelgegner zugänglich sind. Im Zweifel gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (Senat, Urt. v. 20.7.2005 - XII ZR 155/04, FamRZ 2005, 1538; vgl. auch BGH, Urt. v. 26.5.2009 - VI ZR 174/08, NJW-RR 2010, 428 Rz. 13; Leipold in Stein/Jonas ZPO, 22. Aufl. vor § 128 Rz. 247 f., jeweils allgemein zur Auslegung von Prozesserklärungen).

Rz. 19

bb) Die Berufungsanträge der Ehefrau sind - isoliert betrachtet - missverständlich formuliert. Sie beantragt zum einen ohne Einschränkung, das Endurteil des AG - FamG - aufzuheben, während sie auf der anderen Seite konkrete Anträge nur zum Versorgungsausgleich, zum Zugewinnausgleich und zur Hausratsverteilung stellt. Die Auslegung der Anträge unter Einbeziehung der Berufungsbegründung und der sonstigen Umstände ergibt indes, dass der Scheidungsausspruch nicht angefochten wurde.

Rz. 20

Allerdings ist bei der Auslegung zu berücksichtigen, dass die Ehefrau in erster Instanz einer Abtrennung der Scheidungssache widersprochen und ihr Interesse an einer gleichzeitigen Entscheidung über die Scheidung und die Folgesachen betont hat. Begründet hat sie ihren Standpunkt unter Hinweis auf befürchtete Härten im Versorgungsausgleich und den drohenden Verlust von Ansprüchen auf Witwenrente. Darüber hinaus sind jedoch keine für die Auslegung relevanten Umstände ersichtlich, die auf eine Anfechtung auch des Scheidungsausspruchs hindeuten könnten. Insbesondere ist die Formulierung "Verbundurteil" in der Berufungsbegründung nicht aussagekräftig. Vielmehr ist auf der anderen Seite zu beachten, dass sich in der Begründung nur Ausführungen zu den Folgesachen finden, während die Ehefrau zur Scheidung keine Stellung nimmt. Auch hat die Ehefrau ihren Scheidungsantrag nicht zurückgenommen, so dass von einem grundsätzlich weiterhin vorhandenen Scheidungswillen auszugehen war. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine auch gegen den Scheidungsausspruch gerichtete Berufung insoweit mangels Begründung unzulässig gewesen wäre, was im Rahmen einer interessengerechten Auslegung nicht außer Acht bleiben kann. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt die erstinstanzliche Ablehnung einer Abtrennung für sich allein keine Auslegung dahingehend, dass die Ehefrau mit ihrer Berufung auch den Scheidungsausspruch angefochten hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Ehefrau den für sie bestehenden Interessenkonflikt - Scheidungswille einerseits, negative Auswirkungen einer Scheidung andererseits - in zweiter Instanz zugunsten des Scheidungswillens gelöst hat, zumal die von der Ehefrau befürchteten Härten im Versorgungsausgleich ohnehin nicht drohten.

Rz. 21

cc) Ein anderes Auslegungsergebnis folgt nicht daraus, dass die Ehefrau mit Schriftsatz vom 22.4.2009 klargestellt hat, auch den Scheidungsausspruch anfechten zu wollen. Denn im Rahmen der Auslegung befristeter Erklärungen sind nur Umstände zu berücksichtigen, die bis zum Fristablauf dem Gericht bekannt und dem Rechtsmittelgegner zugänglich waren. Nachträgliche Klarstellungen sind demgegenüber grundsätzlich unbeachtlich (Senatsbeschluss v. 14.2.2001 - XII ZB 192/99, FamRZ 2001, 1703 [1704 m.w.N.]; BGH, Urt. v. 15.12.1998 - VI ZR 316/97, NJW 1999, 1554). Entsprechend konnte die nach Ablauf der Frist des § 629a Abs. 3 ZPO a.F. erfolgte Klarstellung keine Berücksichtigung mehr finden. Zu diesem Zeitpunkt war die Scheidung bereits rechtskräftig geworden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2540502

FamRZ 2011, 31

FuR 2011, 98

NJW-RR 2011, 148

ZAP 2011, 11

MDR 2010, 1460

FF 2011, 88

FamFR 2010, 567

FamRB 2011, 6

NJW-Spezial 2011, 100

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