Leitsatz (amtlich)

a) Zur Beseitigung der durch das angefochtene Urteil geschaffenen Beschwer, wenn der Kläger von der erstinstanzlich abgewiesenen Feststellungsklage mit der Berufung zur Leistungsklage übergeht.

b) Die Hemmung der Rechtskraft durch ein Rechtsmittel ergreift auch den Teil des Urteils, der nach dem Inhalt der Berufungsanträge nicht angefochten wird (hier: Zwischenfeststellungsklage). Der Kläger kann insoweit die Berufung bis zum Schluß der Berufungsverhandlung – auch nach Zurückverweisung an das Berufungsgericht – erweitern, soweit die Erweiterung durch den Inhalt der Berufungsbegründung gedeckt wird.

 

Normenkette

ZPO § 264 Fassung: 1976-12-03, §§ 511, 705

 

Verfahrensgang

OLG Koblenz

LG Mainz

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Juni 1993 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Inhaberin einer Weinkommission in W.. Am 18. Dezember 1981 schloß sie mit der Beklagten, einer in Rheinhessen ansässigen Bezirkswinzergenossenschaft, einen Vertrag, wonach ihr der Alleinvertrieb der von der Beklagten produzierten Weine übertragen wurde. Diesen Vertrag kündigte die Beklagte mit einem am 14. September 1990 zugegangenen Schreiben fristlos.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die fristlose Kündigung sei unwirksam; eine darin liegende ordentliche Kündigung habe den Alleinvertriebsvertrag frühestens zum 31. Dezember 1991 beenden können. Sie hat im ersten Rechtszug beantragt, festzustellen, daß

  1. der Alleinvertriebsvertrag nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten beendet, und
  2. die Beklagte verpflichtet sei, ihr den „Verdienstausfall” aus der Zeit vom 14. September bis 31. Dezember 1991 zu ersetzen.

Die in erster Instanz ebenfalls streitige Erledigung eines Anspruches der Klägerin auf Zahlung rückständiger Provision ist nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits.

Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich der Klaganträge zu 1 und 2 mit der Begründung abgewiesen, der Alleinvertriebsvertrag sei durch die fristlose Kündigung der Beklagten aufgelöst worden.

Im Berufungsrechtszug hat die Klägerin die Anträge angekündigt, die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils

  1. Auskunft über alle in der Zeit vom 14. September 1990 bis 31. Dezember 1991 verkauften Weine, aufgeteilt nach Faß- und Flaschenweinen, sowie über den Zeitpunkt der Bezahlung des jeweiligen Kaufpreises und die Anzahl der von der Beklagten pro Erntejahr unmittelbar verkauften Flaschenweine zu erteilen und
  2. ihr für Faß- und Flaschenweine eine Provision von 5% des Kaufpreises und für die unmittelbar verkauften Flaschenweine von 3% – jeweils nebst Zinsen – zu zahlen.

Sie hat zur Begründung weiterhin die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung geltend gemacht und u.a. vorgetragen, sie verlange im Berufungsrechtszug nicht mehr die erstinstanzlich begehrte Feststellung, sondern im Rahmen einer Stufenklage zunächst Auskunft und sodann auf deren Grundlage die Zahlung der ihr nach dem Alleinvertriebsvertrag bis zum 31. Dezember 1991 zustehenden Provisionen. In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin keine Anträge gestellt. Das Berufungsgericht hat die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen.

Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagziel in Gestalt der zweitinstanzlich angekündigten Anträge weiter und bittet um Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht hat trotz der nach § 333 ZPO zu unterstellenden Säumnis der Klägerin in der Berufungsverhandlung von seinem Standpunkt aus zu Recht die Berufung durch unechtes Versäumnisurteil als unzulässig verworfen (BGH, Urteil vom 28. Januar 1969 – VI ZR 195/67 = NJW 1969, 845, 846 unter b). Die nach § 547 ZPO zulässige Revision hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig, weil die Klägerin mit ihr nicht die Abweisung ihres ursprünglichen Klagbegehrens angreife, sondern mit dem Rechtsmittel im Wege der Klagänderung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stelle. Mit der zweitinstanzlich erhobenen Stufenklage erstrebe die Klägerin somit nicht die Beseitigung ihrer durch das erstinstanzliche Urteil geschaffenen Beschwer. Durch die Abweisung der erstinstanzlichen Feststellungsanträge habe das Landgericht gleichzeitig festgestellt, daß der Alleinvertriebsvertrag durch die fristlose Kündigung der Beklagten aufgelöst worden sei und Schadensersatzansprüche der Klägerin nicht bestünden. An diese Feststellungen sei das Berufungsgericht gebunden, solange sie nicht angefochten würden. Der im Berufungsrechtszug angekündigte Auskunftsanspruch, den die Klägerin als erste Stufe nur habe geltend machen wollen, hätte daher nur dann Erfolg haben können, wenn die Klägerin gleichzeitig die ihr nachteilige Feststellung des Landgerichts angegriffen hätte. Dies habe sie jedoch nicht getan.

2. Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß eine Berufung unzulässig ist, wenn sie den in erster Instanz erhobenen Klaganspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, also die Richtigkeit der erstinstanzlichen Klagabweisung gar nicht in Frage stellt, sondern lediglich im Wege, der Klagänderung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt (BGH, Urteil vom 25. November 1992 – XII ZR 116/91 = NJW 1993, 597, 598 unter 2 a, Urteile vom 22. November 1990 – IX ZR 73/90 = WM 1991, 609 unter 2 a und vom 9. Mai 1990 – VIII ZR 237/89 = WM 1990, 1748, 1749 unter II m. w. Nachw. aus der älteren höchstrichterlichen Rechtsprechung).

b) Die Revision rügt aber mit Recht, daß das Berufungsgericht von einer derartigen prozessualen Situation auch im Streitfall ausgegangen ist.

Vor dem Landgericht hat die Klägerin zum einen die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Provision bis zum 31. Dezember 1991 – dem Zeitpunkt, zu dem die fristlose Kündigung der Klägerin als ordentliche Kündigung wirksam geworden wäre – verlangt (Klagantrag Nr. 2). Darüber hinaus hat sie – im Wege der Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO – die Feststellung begehrt, daß der zwischen den Parteien bestehende Alleinvertriebsvertrag durch die am 14. September 1990 zugegangene fristlose Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden sei (Klagantrag Nr. 1).

aa) Mit der Berufung ist die Klägerin hinsichtlich ihres bisherigen Klagantrages Nr. 2 von der Feststellung zur Leistungsklage übergegangen, indem sie nunmehr Zahlung der ihr bis zum 31. Dezember 1991 zustehenden Provision begehrte. Daß sie den zunächst noch unbestimmten Zahlungsantrag zur Vorbereitung seiner Bezifferung mit einem Auskunftsanspruch verband, den sie nach ihren Ausführungen in der Berufungsbegründung – wie bei der Stufenklage allgemein üblich – zunächst allein stellen wollte, ändert an der Bewertung der zweitinstanzlich angekündigten Anträge als Leistungsklage nichts. Denn mit der Zustellung der Berufungsbegründung wurde auch der noch unbestimmte Zahlungsantrag rechtshängig (BGH, Urteile vom 8. Mai 1961 – II ZR 205/59 MDR 1961, 751 und vom 29. Oktober 1957 – I ZR 192/56 = LM ZPO § 254 Nr. 3 unter IV); die Stufenklage ist daher insgesamt eine Leistungsklage (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 52. Aufl., § 254 Rdnr. 2; Zöller/Greger, ZPO, 18. Aufl., § 254 Rdnr. 1).

Hierin liegt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine Klagänderung. In Rechtsprechung und Schrifttum ist vielmehr allgemein anerkannt, daß der Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage eine Klagerweiterung gemäß § 264 Nr. 2 ZPO darstellt, wenn sich der neue Antrag auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht (vgl. z.B. BGH, Urteile vom 12. Mai 1992 – VI ZR 118/91 = NJW 1992, 2296 unter II und vom 4. Oktober 1984 – VII ZR 162/83 = WM 1984, 1653, 1654 unter II 1 m. w. Nachw.). So ist es hier, denn der Klaggrund – die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Alleinvertriebsvertrages – war in der Berufungsinstanz derselbe wie im ersten Rechtszug. Die Klägerin hat daher, was das Berufungsgericht verkennt, mit der Berufung nicht etwas anderes verlangt, als im ersten Rechtszug, sondern sie hat aus demselben Sachverhalt lediglich weitergehende Rechtsfolgen hergeleitet. Daraus folgt zugleich, daß die Klägerin mit dem im Berufungsrechtszug angekündigten Leistungsantrag die Beseitigung ihrer durch Abweisung ihres auf Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten gerichteten erstinstanzlichen Klagantrages Nr. 2 geschaffenen Beschwer erstrebte.

bb) Die Wiederholung ihres erstinstanzlichen Klagantrages Nr. 1 (Zwischenfeststellungsklage) hat die Klägerin bis zur Berufungsverhandlung allerdings nicht angekündigt. Ob darin eine nur teilweise Anfechtung des landgerichtlichen Urteils liegen sollte oder ob die Klägerin, die eingangs der Berufungsbegründung erklärt hatte, das erstinstanzliche Urteil werde, soweit es ihr nachteilig sei, in vollem Umfang zur Überprüfung gestellt, mit der Berufung beide erstinstanzlichen Anträge in Gestalt der zweitinstanzlichen Stufenklage weiter verfolgen wollte – worin hinsichtlich des erstinstanzlichen Klagantrages Nr. 1 eine Klagänderung liegen könnte –, bedarf keiner Entscheidung. Denn für die Zulässigkeit der Berufung reicht es aus, daß der Berufungskläger jedenfalls einen Teil der in erster Instanz erhobenen und dort abgewiesenen Klagansprüche weiter verfolgt. Dies ist – wie ausgeführt – jedenfalls hinsichtlich des erstinstanzlichen Klaganspruchs Nr. 2 der Fall.

3. Da das Oberlandesgericht somit die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihre Berufungsanträge zu stellen.

Für die Berufungsverhandlung weist der Senat darauf hin, daß das Oberlandesgericht entgegen seiner im Berufungsurteil geäußerten Ansicht selbst dann nicht an einer Entscheidung im Sinne der Klägerin gehindert ist, wenn der Umstand, daß die Klägerin bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist keine Wiederholung des erstinstanzlichen Klagantrages Nr. 1 (Zwischenfeststellungsklage) angekündigt hat, als nur teilweise Anfechtung des landgerichtlichen Urteils gewertet werden sollte (vgl. zuvor unter 2 b bb). Dadurch stünde nicht etwa rechtskräftig fest, daß der Alleinvertriebsvertrag durch die fristlose Kündigung der Beklagten beendet wurde (vgl. hierzu etwa Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rdnr. 167; Leipold ebenda § 322 Rdnr. 116; MünchKomm ZPO-Lüke, § 256 Rdnr. 73; Gottwald ebenda, § 322 Rdnr. 168; BGH, Urteil vom 1. Dezember 1993 – VIII ZR 41/93 NJW 1994, 657, 659 unter II 4 d). Denn auch durch die – möglicherweise – nur beschränkte Anfechtung des landgerichtlichen Urteils wurde dessen Rechtskraft in vollem Umfang gemäß § 705 ZPO gehemmt (RGZ 56, 31, 33 – 34; BGHZ 7, 143, 144; 12, 42, 67 f.; BGH, Urteile vom 6. Oktober 1987 – VI ZR 155/86 = NJW-RR 1988, 66 unter A, vom 12. Mai 1992 – VI ZR 118/91 = NJW 1992, 2296 unter II 1 und vom 1. Dezember 1993 a.a.O.). Ein – teilweiser – Eintritt der Rechtskraft läge nur dann vor, wenn die Klägerin insoweit einen Rechtsmittelverzicht erklärt hätte, was aber nach der bereits zitierten Eingangsbemerkung zur Berufungsbegründung der Klägerin auszuschließen ist. Die Klägerin wäre daher nicht gehindert gewesen, bis zum Schluß der Berufungsverhandlung ihre – möglicherweise – beschränkte Berufung durch Wiederholung des erstinstanzlichen Feststellungsantrages Nr. 1 zu erweitern. Diese Erweiterung würde sich auch im Rahmen der Berufungsbegründung bewegt haben (vgl. dazu BGHZ 12, 52, 67 f. und Urteil vom 6. Oktober 1987 a.a.O.), denn auch die erstinstanzliche Feststellungsklage wurde mit der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung der Beklagten begründet, die auch den Kern der Begründung für die in der Berufungsbegründung formulierten Anträge bildete. Die – etwa beabsichtigte – Wiederholung des erstinstanzlichen Feststellungsantrages Nr. 1 wäre auch noch nach Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht bis zum Schluß der erneuten Berufungsverhandlung möglich (BGH, Urteil vom 13. Dezember 1962 – III ZR 89/62 = NJW 1963, 444).

 

Fundstellen

Haufe-Index 609681

NJW 1994, 2896

AP, 0

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