Entscheidungsstichwort (Thema)

Verweisungsbeschluss. Bindungswirkung. Willkür. Forderungen eines Steuerberaters

 

Leitsatz (redaktionell)

Weicht das verweisende Gericht mit seinem Verweisungsbeschluss von einer sowohl in Literatur als auch in der Rechtsprechung vielfach vertretenen Rechtsauffassung ab, vermag allein dies den Vorwurf der Willkür nicht zu begründen. Der Verweisungsbeschluss ist daher bindend.

 

Normenkette

ZPO §§ 281, 29 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg

 

Nachgehend

OLG Celle (Beschluss vom 27.09.2011; Aktenzeichen 4 AR 51/11)

 

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das AG Berlin-Mitte bestimmt.

 

Gründe

I. Die Beklagte wohnt in Berlin. Die Kläger sind Steuerberater in Hamburg und verlangen von der Beklagten Zahlung von Honorar für Steuerberatungsleistungen.

Nach Erlass eines Mahnbescheids, Einlegung des Widerspruchs und Abgabe des Verfahrens an das AG Hamburg-Altona haben die Kläger beantragt, "die Klage an das zuständige AG in Berlin-Mitte" zu verweisen. Mit Beschl. v. 13.12.2002 hat sich das AG Hamburg-Altona daraufhin für örtlich unzuständig erklärt und "den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger gem. § 281 ZPO an das für den Wohnsitz/Geschäftssitz der Beklagten örtlich zuständige AG Berlin-Mitte" verwiesen. Dieses Gericht hat sich mit Beschl. v. 15.1.2003 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem Hanseatischen OLG Hamburg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Das Hanseatische OLG Hamburg möchte das AG Berlin-Mitte als zuständiges Gericht bestimmen. Es verneint zwar eine Bindungswirkung des durch das AG Hamburg-Altona ausgesprochenen Verweisungsbeschlusses, weil dieser jeglicher Rechtsgrundlage entbehre und sich damit als willkürlich darstelle. Da der Sozietätssitz der Kläger in Hamburg nicht der Erfüllungsort für die Klageforderung sei, sei jedoch gem. § 13 ZPO das Wohnsitzgericht der Beklagten zuständig.

Das Hanseatische OLG Hamburg sieht sich an einer entsprechenden Bestimmung durch eine Entscheidung des OLG Hamm (OLG Hamm v. 13.7.1998 - 1 Sbd 46/98) gehindert, nach der Steuerberater ihre Forderungen gem. § 29 ZPO am Sitz ihrer Beraterpraxis gerichtlich geltend machen können.

II. Die Vorlage ist zulässig.

1. Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein OLG, das nach § 36 Abs. 2 ZPO mit einer Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem BGH u. a. dann vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen OLG abweichen will. Diese Voraussetzung ist hier gegeben.

Das vorlegende OLG will seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde legen, dass Steuerberaterforderungen nicht gem. § 29 ZPO am Geschäftssitz des Steuerberaters geltend gemacht werden können. Damit würde es von der Rechtsprechung anderer OLG (außer der vom vorlegenden Gericht genannten Entscheidung des OLG Hamm, (OLG Hamm Gl 1999, 241; OLG Köln v. 29.10.1996 - 5 W 74/96, OLGReport Köln 1997, 11 = NJW-RR 1997, 825; BayObLG v. 10.12.2000 - 1Z AR 163/02, MDR 2003, 660 = NJW 2003, 1196 [1197]; vgl. für Schadensersatzansprüche gegen Steuerberater auch v. 25.9.1992 - 1Z AR 107/92, GmbHR 1993, 161 = ZIP 1992, 1652 [1653];v. 7.3.1996 - 1Z AR 14/96, MDR 1996, 850 = BayObLG 1996, 48) abweichen. Dass es - wie die nachfolgenden Ausführungen ergeben - auf die Frage der Anwendbarkeit des § 29 ZPO im Streitfall nicht ankommt, steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. Sinn des § 36 ZPO ist es, jedem langwierigen Streit der Gerichte untereinander über die Grenzen ihrer Zuständigkeit ein Ende zu machen und eine Ausweitung von solchen Streitigkeiten tunlichst zu vermeiden. Angesichts dessen muss es für die Zulässigkeit einer Vorlage gem. § 36 Abs. 3 ZPO ausreichen, wenn die Rechtsfrage, die zur Vorlage an den BGH führt, nach Auffassung des vorlegenden OLG entscheidungserheblich ist und wenn dies in den Gründen des Vorlagebeschlusses nachvollziehbar dargelegt wird (BGH, Beschl. v. 19.2.2002 - X ARZ 334/01, MDR 2002, 713 = BGHReport 2002, 480 = NJW 2002, 1425 [1426]).

2. Zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist das AG Berlin-Mitte, weil es an den Verweisungsbeschluss des AG Hamburg-Altona v. 13.12.2002 gebunden ist.

a) Nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kann ein Verweisungsbeschluss allerdings nicht als verbindlich hingenommen werden, wenn er auf Willkür beruht. Hierfür genügt es aber nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt (BGH, Beschl. v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, BGHReport 2002, 946 = MDR 2002, 1450 = NJW-RR 2002, 1498; Beschl. v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, MDR 1993, 576 = NJW 1993, 1273). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfG BVerfGE 29, 45 [49]; BGH, Beschl. v. 23.1.1996 - X ZB 3/95, MDR 1996, 1032). Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der Verweisungsbeschluss des AG Hamburg-Altona v. 13.12.2002 nicht willkürlich.

Das AG Hamburg-Altona ist in diesem Beschluss zwar von einer Rechtsauffassung abgewichen, die sowohl von der Literatur vielfach vertreten wird (Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 29 ZPO Rz. 25; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 29 ZPO Rz. 31; Patzina in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 29 ZPO Rz. 81; Musielak/Schmid, ZPO, 3. Aufl., § 29 ZPO Rz. 22) als auch der Rechtsprechung (BayObLG v. 7.3.1996 - 1Z AR 14/96, MDR 1996, 850 = BayObLG 1996, 48; OLG Köln v. 29.10.1996 - 5 W 74/96, OLGReport Köln 1997, 11 = NJW-RR 1997, 825; OLG Hamm v. 1 Sbd 98/99, NJW 2000, 1347; LG Darmstadt v. 1.3.1984 - 3 O 717/83, AnwBl. 1984, 503) zugrunde gelegt worden ist. Allein dies vermag den Vorwurf der Willkür jedoch nicht zu begründen, weil dem deutschen Recht eine Präjudizienwirkung grundsätzlich fremd ist (BGH, Beschl. v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, BGHReport 2002, 946 = MDR 2002, 1450 = NJW-RR 2002, 1498 m. w. N.). Für die Annahme, dass der Verweisungsbeschluss v. 13.12.2002 jeder rechtlichen Grundlage entbehre, bedarf es deshalb zusätzlicher Umstände. Solche sind hier nicht gegeben.

Das vorlegende Hanseatische OLG hat in tatsächlicher Würdigung der beruflichen Tätigkeit eines Steuerberaters deren Erbringung nicht als ortsgebunden angesehen und deshalb die Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 ZPO im Falle der gerichtlichen Geltendmachung der Vergütungsforderung am Sitz der Kanzlei des Steuerberaters verneint. Unabhängig davon, ob dem in der Begründung und/oder dem Ergebnis beigetreten werden kann, ist dies eine sachbezogene, nachvollziehbare Begründung für die Unzuständigkeit des verweisenden AG Hamburg-Altona im Streitfall. Das schließt es aus, die Annahme einer Zuständigkeit des AG Berlin-Mitte als Gericht des Erfüllungsorts als in der Sache schlechthin unhaltbar zu erachten. Etwas anderes lässt sich dann aber auch für den diese Verweisung an dieses Gericht aussprechenden Beschluss des AG Hamburg-Altona v. 13.12.2002 nicht feststellen. Denn die vom Hanseatischen OLG Hamburg zur Rechtfertigung seiner Vorlage der Sache an den BGH gegebene Begründung kann auch dieser Verweisungsbeschluss für sich in Anspruch nehmen.

Demgegenüber ist es in dem hier interessierenden Zusammenhang ohne Belang, dass das AG Hamburg-Altona in seinem Beschl. v. 13.12.2002 eine den Ausführungen des Hanseatischen OLG Hamburg entsprechende Begründung tatsächlich nicht gegeben hat, dem Verweisungsbeschluss als Begründung vielmehr nur entnommen werden kann, dass das AG Hamburg-Altona das Wohnsitzgericht der Beklagten für örtlich zuständig hält. Denn selbst bei gänzlichem Fehlen einer Begründung ist ein Verweisungsbeschluss wegen dieses Mangels noch nicht offensichtlich gesetzwidrig, wenn die Entscheidung im Einvernehmen beider Parteien ergangen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 26.2.2002 - X ARZ 9/02; Beschl. v. 23.3.1998 - IVb ARZ 8/88, FamRZ 1988, 943; Schmidt/Assmann in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 103 GG Rz. 100). Das ist hier der Fall. Denn auch die Beklagte hat gegenüber dem AG Hamburg-Altona beantragt, den Rechtsstreit an das AG Berlin-Mitte zu verweisen.

Ob der oben wiedergegebenen Auffassung, dass Steuerberater ihre Forderungen am Sitz ihrer Beraterpraxis gem. § 29 ZPO gerichtlich geltend machen können, insbesondere unter den tatsächlichen Umständen der heutigen Zeit (noch) beigetreten werden kann, braucht daher im Streitfall nicht entscheiden werden. Die Zuständigkeit des AG Berlin-Mitte ist unabhängig davon, ob diese Frage zu verneinen ist, aufgrund des bindenden Verweisungsbeschlusses des AG Hamburg-Altona v. 13.12.2002 gegeben.

 

Fundstellen

NJW 2003, 3201

BGHR 2003, 1305

KammerForum 2003, 417

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis Gold. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge