Tz. 48

Weil § 264 Abs. 2 HGB ein zutreffendes Bild des Jahresabschlusses erreichen will, wird zum Teil vertreten, dass ein Verstoß zur Nichtigkeit gem. § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG führen kann. Begründet wird dies mit der Gläubigerschutzfunktion von § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB.[82] Die Gegenauffassung verweist auf die fehlende eigenständige Bedeutung der Vorschrift mit ihrer bloßen Funktion, Auslegungsfragen zu klären und Lücken zu schließen.[83] Dieses Problem wird relevant, wenn entweder nicht gegen GoB verstoßen worden ist oder der Verstoß gegen GoB evtl. wegen der Geringfügigkeit (z. B. vergessene Untergliederung) nicht isoliert zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses führen kann. Wenn man mit der vorliegend vorgestellten Sichtweise eine Korrekturpflicht zur Darstellung der abweichenden tatsächlichen Verhältnisse nur dann annimmt, wenn das Bilanzbild durch (zulässige) Gestaltungsmaßnahmen erreicht worden ist, wird man der ersten Auffassung folgen können.

 

Tz. 49

Umstritten ist, ob § 264 Abs. 2 HGB Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist. Das wird z. T. bejaht, weil die Vorschrift die Interessen der Gesellschafter und Dritter schützen soll.[84] Dafür wird auf die Begründung im Regierungsentwurf abgestellt.[85] Die zutreffende Gegenauffassung verneint die Schutzgesetzeigenschaft.[86] Der Verweis auf den Gläubiger- und Gesellschafterschutz überzeugt bereits deshalb nicht, weil das Bilanzrecht mit jeder Vorschrift sowohl Gläubiger- als auch Gesellschafterschutz erreichen will. Gleichwohl führen Bilanzierungsfehler gerade nicht zu einer Außenhaftung gegenüber den Geschädigten, sondern diese müssen sich an die Gesellschaft halten. Nur die Gesellschaft kann entstandene Nachteile bei den zuständigen Organen liquidieren. Es geht vielmehr um die Frage, ob Vorschriften des Bilanzrechts individualschützende Vorschriften sind.[87] Das ist ausgeschlossen.

 

BEISPIEL

Wie richtig diese Lösung ist, zeigt auch das folgende Beispiel: Ein Steuerberater unterstützt den Geschäftsführer einer kleinen GmbH (§ 267 Abs. 1 HGB) bei der Erstellung eines Jahresabschlusses. Es wird gegen § 264 Abs. 2 HGB verstoßen, indem durch sale-and-lease-back-Geschäfte ein Gewinn generiert, aber nicht im Anhang ausgewiesen wird. Ansprüche geschädigter Gläubiger und Gesellschafter gegen den Steuerberater bzw. Geschäftsführer sind in keiner Weise zu rechtfertigen. Allenfalls die GmbH kann sich an den Geschäftsführer halten (§ 43 Abs. 2 GmbHG); ggf. auch an den Steuerberater (§ 280 BGB).

Es besteht bei einer Ablehnung von § 823 Abs. 2 BGB allein die Gefahr, dass die Gesellschafter den Geschäftsführer legitimieren, trotz Notwendigkeit auf zusätzliche Anhangangaben zur Darstellung einer zutreffenden Lage zu verzichten. Es drohen aber auch hier keine Haftungslücken, wenn man § 43 Abs. 3 GmbHG bei Verstößen gegen das Bilanzrecht unabhängig von einem Verstoß gegen die Kapitalerhaltung heranzieht. Wird unter Beachtung der GoB gegen § 264 Abs. 2 HGB allein deshalb verstoßen, um Gläubiger zu täuschen, haftet der Betreffende zudem aus § 826 BGB (vgl. Kapitel 20 Tz. 49).

[82] Graf/Bisle, in: MüKo-BilR, § 264 HGB Rn. 78; Hüttemann/Meyer, in: GroßKo-HGB, § 264 HGB Rn. 59.
[83] ADS, § 264 HGB Rn. 138.
[84] So z. B. Graf/Bisle, in: MüKo-BilR, § 264 HGB Rn. 79; Winkeljohann/Schellhorn, in: BeckBilKo, § 264 HGB Rn. 59.
[85] Begr. RegE BT-Drucks., 10/317, 63.
[86] ADS, § 264 HGB Rn. 141; Claussen, in: KK-RechnR, § 264 HGB Rn. 70; Hüttemann/Meyer, in: GroßKo-HGB, § 264 HGB Rn. 62; z. B. BGH v. 10.7.1964, Ib ZR 208/62, DB 1964, 1585 (für Kommanditisten, der Bilanz unterzeichnet hat).
[87] ADS, § 264 HGB Rn. 141.

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