Rz. 1086

Organhaftung ist Verschuldenshaftung.[1] Organmitglieder, die "die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmanns" (§§ 43 Abs. 1[2], 64 Satz 2 GmbHG) angewandt haben, handeln nicht schuldhaft und haften nicht für (trotzdem) eintretenden Schaden.

 

Rz. 1087

Geschäftsführungsmitglieder müssen bei der Erfüllung ihrer Pflichten die Sorgfalt anwenden, die ein ordentlicher Geschäftsmann bei selbständiger Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen in leitender Position anzuwenden hat.[3] Hierbei sind im Einzelfall Art, Größe und Situation des Unternehmens zu berücksichtigen.[4] Die Geschäftsführungsmitglieder können sich gegenüber der GmbH nicht darauf berufen, über für die Ausübung des Amtes notwendige Fähigkeiten oder Eigenschaften nicht zu verfügen, die für die Ausübung des Amts notwendig sind. Ebenso wenig können Geschäftsführungsmitglieder einwenden, dass die Gesellschafter von den unzureichenden Fähigkeiten und Eigenschaften wusste und dies in Kauf genommen haben (und damit ihrerseits fehlerhaft gehandelt habe); dieser Einwand des Mitverschuldens ist dem Geschäftsführer versagt.[5]

 

Rz. 1088

Für Mitglieder des Aufsichtsorgans und Beiräte gilt hingegen nach h. M. ein individualisierter Sorgfaltsmaßstab, wenn sie z. B. aufgrund ihrer Spezialkenntnisse in das Aufsichtsorgan, den Beirat oder einen Fachausschuss entsandt wurden (Wirtschaftsprüfer in das Audit Committee) oder aufgrund ihrer Spezialkenntnisse bestimmte Gefahren für die Gesellschaft hätten erkennen müssen (Bankenvertreter bei der Prüfung der finanziellen Lage der GmbH).[6] Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich derartige Organmitglieder darauf berufen können, über Fähigkeiten und Kenntnisse, die für die allgemeine Aufgabenbewältigung als Organmitglied notwendig sind, nicht zu verfügen. Jedes Organmitglied (auch ein Arbeitnehmervertreter) muss in der Lage sein, die allgemeinen Geschäftsvorgänge selbstständig zu verstehen, nachzuvollziehen und zu beurteilen, um seiner Überwachungsfunktion gerecht werden zu können.[7]

 

Rz. 1089

Organmitglieder haften nach §§ 43 Abs. 1, 64 Satz 3 GmbHG nicht für Verschulden von Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB)[8], es sei denn, ihnen ist ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden vorzuwerfen.

 

Rz. 1090

Ein Verschulden von Mitgliedern der Geschäftsführung, des Aufsichtsorgans oder des Beirats – und damit eine Organhaftung – kann dadurch ausgeschlossen werden, dass das Organ den Rat fachkundiger Dritter einholt; dies erkennt der BGH[9] u. a. für die Verletzung der Insolvenzantragspflicht eines Geschäftsführers an: "Zwar verletzt ein organschaftlicher Vertreter seine Insolvenzantragspflicht nicht schuldhaft, wenn er den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers[10] einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle entsprechend dem Inhalt der ihm erteilten Antwort von der Stellung eines Insolvenzantrags absieht." Die Tatsache allein, dass ein Anwalt Mitglied des Beirats ist und dieser seine Kanzlei mit dem Vorgang befasst hat, der zum Schadenseintritt geführt hat, entlastet weder Geschäftsführer noch Beirat.[11]

[1] Ziemons, in Michalski, § 43 Rn. 49 (für die Geschäftsführung); Giedinghagen, in Michalski, § 52 Rn. 307 (für den Beirat).
[2] Der Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG ist nach h. M. Verschuldensmaßstab, vgl. Diekmann, in MüHaGesR, Band 3, § 46 Rn. 11 m. w. N.
[3] OLG Oldenburg, Urteil v. 22.6.2006, 1 U 34/03, NZG 2007 S. 434, 435; Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 43 Rn. 9; Buck-Heeb, in Gehrlein/Born/Simon, § 43 Rn. 61 m. w. N.
[4] Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 43 Rn. 9.
[6] Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 52 Rn. 72; U. H. Schneider, in Scholz, § 52 Rn. 517; BGH, Urteil v. 20.9.2011, II ZR 234/09, AG 2011, 876 ff. ("ISION") [zur AG]; LG Hamburg, Urteil v. 16.12.1980, 8 O 229/79, ZIP 1981, 194, 197 [zur AG].
[7] Sog. "objektiver Mindeststandard", vgl. Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 52 Rn. 72; Nießen, in Gehrlein/Born/Simon, § 52 Rn. 41; Jeweils zur AG: BGH, Urteil v. 15.11.1982, II ZR 27/82, BGHZ 85 S. 293, 295 = NJW 1983 S. 991, wonach die dauerhafte Hinzuziehung von Beratern für die allgemeine Aufsichtsratstätigkeit unzulässig ist. OLG Stuttgart, Urteil v. 29.2.2012, 20 U 3/11, bestätigt durch BGH, Beschluss v. 6.11.2012, II ZR 111/12: Aufsichtsratsmitglied hat sich nach eigenem Bekunden keine Klarheit über die Risiken von Optionsgeschäften von Porsche verschafft und wusste demzufolge nicht, wie hoch die Risiken waren ("Piech"); kritisch dazu Hoffmann, AG 2012, S. 478, 481.
[8] Diekmann, in MüHaGesR, Band 3, § 46 Rn. 8.
[9] BGH, Beschluss v. 16.7.2007, II ZR 226/06, DStR 2007, 1641; Ebenso (für Vorstand einer AG): BGH, Urteil v. 14.5.2007, II ZR 48/06, NJW 2007 S. 2118, 2119;zu allgemeinen Grundsätzen und Leitlinien, wann externer Rat einzuholen ist und in welchem Umfang auf ihn vertraut werden kann: Binder, AG 2008, S. 274, 282...

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