Rz. 193

Umsätze, die zwischen den einzelnen Teilen des Organkreises im Inland erbracht werden, sind nach bisher einhellig vertretener nationaler Auffassung als Innenumsätze nicht der Besteuerung zu unterwerfen, soweit weiterhin von solchen nicht steuerbaren Innenumsätzen in einem Organkreis ausgegangen werden kann, vgl. zu den Einzelheiten Rz. 329ff.

 

Rz. 193a

Ob die Nichtbesteuerung von Leistungen zwischen rechtlich selbstständigen Teilen eines einheitlichen Organkreises vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH weiterhin möglich ist, ist derzeit fraglich. Der EuGH[1] hat sich im Zusammenhang mit Grundsatzfragen zur Organschaft auch zu Leistungen innerhalb eines Organkreises geäußert, allerdings ohne eine klare Aussage zu der Frage der Steuerbarkeit von Innenumsätzen zu treffen. Der EuGH stellt in seinen Entscheidungen zwar fest, dass die Verschmelzung zu einem einzigen Steuerpflichtigen es zwar ausschließt, dass die Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe weiterhin getrennt Steuererklärungen abgeben und innerhalb und außerhalb der Gruppe weiterhin als Steuerpflichtige angesehen werden. Leistungen, die von Dritten bezogen werden, sind dann als an diese Gruppe ausgeführte Leistungen anzusehen. In der Entscheidung C-269/20 war dann die Frage zu klären, ob eine Leistung, die von einer Organgesellschaft (gegen Entgelt) gegenüber dem Organträger ausgeführt wurde und die vom Organträger sowohl für seine wirtschaftlichen (unternehmerischen) Tätigkeiten als auch für hoheitliche (nichtunternehmerische) Zwecke verwendet wird, für den Organkreis zur Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe führt. Der EuGH lehnt die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe schon deshalb ab, da in dem vorliegenden Fall die Leistung der Organgesellschaft entgeltlich ausgeführt wird.

 

Rz. 193b

Ob sich aus dieser Feststellung ableiten lässt, dass der EuGH grundsätzlich die innerhalb eines Organkreises ausgeführten Leistungen als zu besteuernde Leistungen behandelt sehen will, ist allerdings zweifelhaft.[2] Sollte sich aus der Feststellung des EuGH tatsächlich ergeben, dass die Ausführung eines Innenumsatzes zu einem der normalen Besteuerung unterliegenden Umsatz führt, wäre dem Institut der Organschaft der eigentliche wirtschaftliche Vorteil genommen, der ihm nach der Einführung des "Mehrwertsteuerrechts" 1968 verblieben ist. Insbesondere in den Fällen, in denen einzelne Teile des Organkreises den Vorsteuerabzug nicht zulassende oder teilweise nicht zulassende Ausgangsleistungen ausführen, würde die Besteuerung der im Organkreis ausgeführten Leistungen bei gleichzeitig eingeschränkter Vorsteuerabzugsberechtigung des empfangenden Organteils zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung führen – insbesondere im Finanzdienstleistungsbereich, dem Gesundheitswesen und der Immobilienwirtschaft.

 

Rz. 193c

Aufgrund dieser Unsicherheit hat der BFH[3] jetzt den EuGH erneut angerufen. Der BFH legt dem EuGH die folgenden Fragen vor:

  1. Führt die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen (= "national Organkreis") … dazu, dass entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer … unterliegen?
  2. Unterliegen entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen jedenfalls dann dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da ansonsten die Gefahr von Steuerverlusten besteht?

Der BFH weist in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausdrücklich darauf hin, dass in der Vergangenheit in verschiedenen Stellungnahmen von Generalanwälten beim EuGH unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten wurden. Während früher von der Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze ausgegangen wurde, war insbesondere die Generalanwältin Medina von steuerbaren Leistungen innerhalb des Organkreises ausgegangen. Der EuGH hatte sich bisher zu dieser Rechtsfrage nicht geäußert.

 

Rz. 193d

Der BFH wägt in seinem Vorabentscheidungsersuchen – insbesondere vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung, dem Regelungszweck und dem Risiko eines (unberechtigten) Steuervorteils – die Argumente für und wider die Steuerbarkeit von Innenumsätzen ab. Im Ergebnis tendiert der BFH dazu, dass – entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung – Innenumsätze wohl als der Umsatzsteuer unterliegende Umsätze anzusehen sind (zumindest bei zivilrechtlich eigenständigen Gesellschaften innerhalb der Organschaft). Obwohl er in seiner zweiten Vorlagefrage wissen möchte, ob sich die Steuerbarkeit auf die Fälle beschränken kann, in denen sich aufgrund nicht vorliegender vollständiger Vorsteuerabzugsberechtigung ein Steuerausfall ergeben würde, hält er dies in seiner Vorlagebegründung wegen der sich daraus ergebenden Rechtsunsicherheit und dem Zweck der Verwaltungsvereinfachung zuwider laufenden Konsequenzen selbst für wohl nicht für eine realisierbare Möglichkeit.

 

Rz. 193e

Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH sich in der Folgeentscheidung positionieren wird. Zumindest aufgrund der eindeutigen...

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