Rz. 212

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG berechtigt nur die in einer Rechnung ausgewiesene USt zum Vorsteuerabzug, die für die in Rechnung gestellte Leistung auch gesetzlich geschuldet wird. Folge dieser dem Unionsrecht nach dem EuGH-Urteil Genius Holding[1] entsprechende Rechtslage ist, dass der Leistungsempfänger eine gezahlte und nur in Rechnung gestellte, nicht aber gesetzlich für die in Rechnung gestellte Leistung geschuldete USt vom Rechnungsaussteller zurückzufordern hat. Auf dieser Grundlage hat der EuGH in seinem Urteil Reemtsma[2] entschieden, dass die Grundsätze der Neutralität, der Effektivität und der Nichtdiskriminierung nationalen Rechtsvorschriften, nach denen nur der leistende Unternehmer einen Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht als MwSt gezahlten Beträgen gegen die Steuerbehörden hat und der Leistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung der zu viel gezahlten USt gegen diesen leistenden Unternehmer erheben kann, nicht entgegenstehen. Für den Fall, dass eine solche Erstattung der USt unmöglich ist oder übermäßig erschwert wird, müssen die Mitgliedstaaten allerdings nach dem EuGH-Urteil Reemtsma Mittel vorsehen, die es dem Leistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen. Dabei wird die Erstattung der USt insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des leistenden Unternehmers unmöglich oder übermäßig erschwert. Es kann dann geboten sein, dass der Leistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richtet (sog. Direktanspruch).[3] Inzwischen hat die Verwaltung[4] die bisher zum Direktanspruch ergangene BFH-Rechtsprechung aufgegriffen und verarbeitet. Das BMF-Schreiben legt indessen sehr hohe Hürden für den Direktanspruch fest. Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchen des FG Münster[5] muss der EuGH sich (erstmals) unmittelbar zu den Voraussetzungen des Direktanspruchs äußern. Streitig ist, ob das FA zu Recht einen Antrag des Klägers auf Erlass von Umsatzsteuernachforderungen und Zinsen zur USt aus Billigkeitsgründen abgelehnt hat. Der Fall zeigt, dass in der Praxis unter Umständen viele Jahre ins Land gehen können, in denen die Betroffenen mit zu viel gezahlter und von den Leistenden nicht erstatteter USt belastet sein können.[6] Nachfolgend hat inzwischen auch der BFH[7] den EuGH mit dem Direktanspruch befasst. In der Vorinstanz kam das FG Düsseldorf[8] u. a. zu dem Ergebnis, der sogenannte Reemtsma-Anspruch solle keine allgemeine Einstandspflicht des Fiskus begründen, wenn es im Verhältnis zwischen Leistungsempfänger und leistendem Unternehmer zu Störungen in der zivilrechtlichen Vertrags(rück)abwicklung kommt und der Leistungsempfänger wirtschaftlich mit der USt belastet bleibt. Voraussetzung für einen unionsrechtlichen Direktanspruch des Leistungsempfängers gegenüber dem Fiskus i. S. d. EuGH-Urteils Reemtsma sei auch, dass der Leistungsempfänger einen zivilrechtlichen Anspruch gegen den Leistenden auf Erstattung einer rechtsgrundlos gezahlten USt hat. Eine sachliche Unbilligkeit der Steuerfestsetzung i. S. d. § 163 AO ergebe sich nicht daraus, dass die zivilrechtliche Rückabwicklung nicht möglich war.

[1] EuGH v. 13.12.1989, C-342/87, Genius Holding, Haufe-Index 60581, HFR 1991, 181.
[2] EuGH v. 15.3.2007, C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken, HFR 2007, 515.
[4] BMF v. v. 12.4.2022, BStBl I 2022, 652; kritisch dazu Heinrichshofen, UVR 2022, 214.
[6] Zu weiteren Einzelheiten und der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zu dem Thema vgl. Huschens, UVR 2022, 337.
[8] FG Düsseldorf v. 4.12.2020, 1 K 1510/18 AO, Haufe-Index 14809031, EFG 2021, 1969.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge