Sachverhalt

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Münster ging es um den Direktanspruch gegenüber dem Fiskus nach der sog. Reemtsma-Rechtsprechung des EuGH. Fraglich war, ob es unionsrechtlich geboten ist, dass einem Unternehmer ein Anspruch auf Erstattung der von ihm an seine Vorlieferanten zu viel gezahlten MwSt einschließlich der Zinsen unmittelbar gegen die Finanzbehörde zusteht, auch wenn noch die Möglichkeit besteht, dass die Finanzbehörde durch die Vorlieferanten aufgrund einer Berichtigung der Rechnungen zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch genommen wird und dann möglicherweise keinen Rückgriff mehr beim Unternehmer nehmen kann.

Das FG Münster fragte den EuGH:

Gebieten die Bestimmungen der MwStSystRL - insbesondere der Grundsatz der steuerlichen Neutralität sowie der Effektivitätsgrundsatz - unter den Umständen des Ausgangsverfahrens, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung der von ihm an seine Vorlieferanten zu viel gezahlten Mehrwertsteuer einschließlich der Zinsen unmittelbar gegen die Finanzbehörde zusteht, auch wenn noch die Möglichkeit besteht, dass die Finanzbehörde durch die Vorlieferanten aufgrund einer Berichtigung der Rechnungen zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch genommen wird und dann - möglicherweise - nicht mehr Rückgriff beim Kläger nehmen kann, sodass die Gefahr besteht, dass die Finanzbehörde dieselbe Mehrwertsteuer zweimal erstatten muss?

Falls der EuGH die Vorlagefrage dahingehend beantworten sollte, dass dem Kläger des Streitfalls ein Direktanspruch gegen die Finanzbehörde zusteht, so umfasste dieser Anspruch nach Auffassung des FG nur die an die Vorlieferanten gezahlte MwSt, nicht aber auch die Zinsen, die aufgrund der Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung auf eigenständiger Rechtsgrundlage (§ 233a AO) entstanden sind.

Streitig war, ob das Finanzamt zu Recht einen Antrag des Klägers auf Erlass von Umsatzsteuernachforderungen und Zinsen zur USt aus Billigkeitsgründen abgelehnt hatte. Der Kläger ist Land- und Forstwirt und betreibt (u. a.) einen gewerblichen Handel mit Holz. In den Jahren 2011 bis 2013 erwarb der Kläger von seinen Vorlieferanten, mit denen er jeweils Nettovereinbarungen getroffen hatte, das Holz unter Ausweis der USt in den jeweiligen Rechnungen i. H. des Regelsteuersatzes von 19 %. Der Kläger veräußerte und lieferte in der Folge das Holz an seine Kunden unter Ausweis des ermäßigten Steuersatzes von 7 % als Brennholz. Die Vorlieferanten erklärten jeweils die Umsätze und führten die Steuer i. H. v. 19 % an die Finanzbehörden ab. Der Kläger erklärte Ausgangsumsätze zu lediglich 7 % und brachte seinerseits den Vorsteuerabzug aus den Lieferungen i. H. v. 19 % in Abzug. Die sich hieraus ergebene Steuerschuld wurde vom Kläger an die Finanzbehörde gezahlt. Anhaltspunkte für eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Klägers waren zu keinem Zeitpunkt gegeben. Ein Betrugsverdacht lag nicht vor.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, dass die Ausgangsumsätze des Klägers nicht dem ermäßigten Steuersatz, sondern dem Regelsteuersatz unterliegen würden. Im Rahmen eines sich hieran anschließenden Klageverfahrens bestätigte das FG Münster, dass die Ausgangsumsätze des Klägers dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Das FG vertrat indes auch die Auffassung, dass bereits die Eingangsumsätze des Klägers dem ermäßigten Steuersatz i. H. v. 7 % unterlagen und der Kläger auch nur insoweit einen Vorsteuerabzug in Abzug bringen konnte, weil nur insoweit eine gesetzlich geschuldete Steuer vorlag. Daher wurde der Vorsteuerabzug des Klägers gekürzt. Das Urteil[1] wurde rechtskräftig.

Zur Umsetzung des Urteils forderte das Finanzamt USt für die Jahre 2011 bis 2013 nach und setzte Zinsen zur USt für die Jahre 2011 bis 2013 fest. Der Kläger wandte sich in der Folge an seine Vorlieferanten mit der Bitte, die Rechnungen ihm gegenüber zu berichtigen und ihm den Differenzbetrag auszuzahlen. Bei sämtlichen Vorlieferanten war für die Veranlagungszeiträume 2011 bis 2013 in verfahrensrechtlicher Hinsicht bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Sämtliche Vorlieferanten beriefen sich hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf Berichtigung der Rechnungen und Rückzahlung des Differenzbetrags auf die zivilrechtliche Einrede der Verjährung. Die Rechnungen wurden demnach nicht berichtigt und der Kläger erhielt auch den Differenzbetrag der geschuldeten USt nicht von seinen Vorlieferanten zurück. Der Kläger hatte somit nach nationalem Zivilrecht aufgrund der erhobenen Einrede der Verjährung keine Möglichkeit, seinen Anspruch gegenüber den Vorlieferanten durchzusetzen.

Daraufhin stellte der Kläger im Oktober 2019 einen Antrag beim Finanzamt, ihm die nachgeforderte USt und die festgesetzten Zinsen zur USt im Wege der Billigkeit gem. §§ 163, 227 AO zu erlassen. Dabei nahm er ausdrücklich Bezug auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs.[2]Das Finanzamt lehnte die Anträge auf Erlass gem. § 163 AO und gem. § 227 AO ab. Zur Begründung führte es im Wesentli...

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