Rz. 97

Vor dem 1.1.2023 gelieferte und installierte Fotovoltaikanlagen (Altanlagen) haben seinerzeit dem allgemeinen Steuersatz von 19 % unterlegen. Der Nullsteuersatz ist nämlich nur auf nach dem 31.12.2022 gelieferte Anlagen anzuwenden (Rz. 7). Insbesondere Privatpersonen mussten sich bei der Anschaffung von Fotovoltaikanlagen bis zum 31.12.2022 entscheiden, ob sie die Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG in Anspruch nehmen oder aber zur Regelbesteuerung nach § 19 Abs. 2 UStG optieren sollten. Entschieden sie sich für die (Nicht-)Besteuerung als Kleinunternehmer, brauchten sie zwar die Umsätze aus dem Stromverkauf und die unentgeltliche Wertabgabe des dezentral (selbst) verbrauchten Stroms nicht zu versteuern. Andererseits konnten sie die ihnen mit dem allgemeinen Steuersatz von 19 % in Rechnung gestellte USt für die Anschaffung der Fotovoltaikanlage nicht als Vorsteuer abziehen. Im Ergebnis wurde die Anlage um die in Rechnung gestellte USt teurer. Dies war der Preis, um in der Praxis von umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten verschont zu bleiben (Rz. 92).

 

Rz. 98

Weil die für den Erwerb einer Fotovoltaikanlage bis zum 31.12.2022 in Rechnung gestellte USt jedoch ein erheblicher Kostenfaktor darstellte, entschieden sich viele Privatpersonen dafür, auf die Besteuerung als Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 2 UStG zu verzichten (Option zur Regelbesteuerung). Dies betraf Fotovoltaikanlagen, die zumindest einen Teil des von ihnen erzeugten Stroms in das öffentliche Stromnetz einspeisen. Durch die Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des UStG (Regelbesteuerung) erlangten die Anlagenbetreiber das Recht zum Vorsteuerabzug aus den Anschaffungskosten der Anlage und damit eine Kostenersparnis in Höhe der für den Erwerb der Anlage in Rechnung gestellten USt. Um den Vorsteuerabzug ganz oder teilweise in Anspruch nehmen zu können, musste die Anlage ganz oder zumindest teilweise dem Unternehmensvermögen zugeordnet werden. Außerdem musste der Stromverkauf an das Energieunternehmen bzw. den Netzbetreiber (Einspeisevergütung) und der dezentral (selbst) verbrauchte Strom als unentgeltliche Wertabgabe in USt-Voranmeldungen und USt-Jahreserklärungen angegeben werden. Gerade diese zusätzliche Bürokratie war ein wesentlicher Grund für die Einführung des Nullsteuersatzes auf die Lieferung von Fotovoltaikanlagen (Rz. 1ff.).

 

Rz. 99

Speist der Betreiber einer Fotovoltaikanlage einen Teil des erzeugten Stroms in das öffentliche Stromnetz ein und nutzt den anderen Teil für private Zwecke, hat der Unternehmer (Betreiber) ein Zuordnungswahlrecht. Er kann die gesamte Anlage seinem Unternehmensvermögen zuordnen und den vollen Vorsteuerabzug aus der Anschaffung der Anlage geltend machen, wenn die unternehmerische Nutzung mindestens 10 % beträgt (§ 15 Abs. 1 S. 2 UStG). Zum Ausgleich unterliegt der dezentral (privat) verbrauchte Strom der Wertabgabenbesteuerung nach § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 UStG.[1] Ob und ggf. mit welchen Anteilen ein Betreiber seine Fotovoltaikanlage dem Unternehmensvermögen zuordnen kann, hängt nicht zuletzt von den verschiedenen Fassungen des EEG[2] ab. Für die Zuordnung einer Anlage zum Unternehmensvermögen und die Höhe des Vorsteuerabzugs ist der Zeitpunkt der Anschaffung einer Fotovoltaikanlage maßgeblich. Der Anschaffungszeitpunkt ist auch maßgeblich dafür, ob und ggf. in welcher Höhe der dezentral (privat) verbrauchte Strom als unentgeltliche Wertabgabe i. S. d. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 UStG zu versteuern ist (wegen der Einzelheiten vgl. § 2 UStG Rz. 166ff.).

 

Rz. 100

 
Praxis-Beispiel

Eine Privatperson lässt sich im Januar 2022 auf dem Dach ihres Einfamilienhauses eine Fotovoltaikanlage installieren. Der Solarunternehmer stellt hierfür 30.000 EUR zuzüglich 19 % USt = 5.700 EUR, zusammen 35.700 EUR brutto in Rechnung. Der durch die Fotovoltaikanlage erzeugte Strom wird teilweise ins öffentliche Stromnetz eingespeist und zum Teil für den Haushalt verbraucht. Der Anlagenbetreiber erhält von seinem Energieunternehmen im Jahr 2022 eine Einspeisevergütung von 1.000 EUR zuzüglich 19 % USt = 190 EUR, zusammen 1.190 EUR brutto. Die bisherige Privatperson verzichtet nach § 19 Abs. 2 UStG auf die (Nicht-)Besteuerung als Kleinunternehmer, um den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen zu können. Die nun zum Unternehmer mutierte Privatperson verbraucht im Jahr 2022 von der Fotovoltaikanlage erzeugten Strom im Wert von 800 EUR in ihrem Haushalt.

In der USt-Jahreserklärung 2022 hat der Betreiber der Fotovoltaikanlage den Stromverkauf von 1.000 EUR netto als Umsätze zum allgemeinen Steuersatz von 19 % USt zu erklären. Außerdem muss er eine unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 UStG i. H. v. 800 EUR und die darauf entfallende USt zum Steuersatz von 19 % angeben. Andererseits zieht er die für den Erwerb der Fotovoltaikanlage in Rechnung gestellte USt von 5.700 EUR in voller Höhe als Vorsteuer ab.

 

Rz. 101

Wenn eine unter Inanspruchnahme des vollen Vorsteuerabzugs erworbene Altanlage (Erwerb vor dem 1.1.2023) im Jahr 2023 oder...

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