Rz. 459

Eine gesetzliche Definition des Begriffs "Verbindlichkeiten" gibt es nicht; der Begriffsinhalt lässt sich aber aus dem Zusammenhang mehrerer Gesetzesstellen ermitteln.

Nach § 247 Abs. 1 HGB sind auf der Passivseite neben dem Eigenkapital und den Rechnungsabgrenzungsposten "die Schulden" auszuweisen. Darunter fallen nach dem Bilanzschema des § 266 Abs. 3 HGB Verbindlichkeiten und Rückstellungen. Der Terminus "Schulden" ist somit in der handelsrechtlichen Terminologie der Oberbegriff für Verbindlichkeiten und Rückstellungen.[1] Verbindlichkeiten sind mithin alle Schulden, die nicht Rückstellungen sind. Aus der Definition der Rückstellungen als "ungewisse" Verbindlichkeiten lässt sich schließen, dass Verbindlichkeiten "gewiss" sein müssen.

 

Rz. 460

Eine Verbindlichkeit ist die Verpflichtung des Schuldners, gegenüber einem Dritten – dem Gläubiger – eine Leistung zu erbringen. Als (passives) Wirtschaftsgut muss die Verbindlichkeit selbstständig bewertbar, d. h. als Einzelheit greifbar (Rz. 464), sein.

Voraussetzung für die Passivierung einer Verbindlichkeit des Betriebsvermögens ist jedoch nicht nur

  • eine erzwingbare Leistungsverpflichtung (Rz. 466),
  • gegenüber einem Dritten (Rz. 464),
  • die selbstständig bewertbar ist (Rz. 349);

erforderlich ist vielmehr darüber hinaus, dass die Verpflichtung

  • wirtschaftlich belastend (Rz. 478ff.) und
  • eindeutig quantifizierbar (dem Inhalt und der Höhe nach bestimmt Rz. 469) ist.

Die Verbindlichkeit muss zudem im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich verursacht sein, vgl. Rz. 483ff. und zusammenfassend BFH v. 17.12.1998, IV R 21/97, BFHE 187, 552, BFH/NV 1999, 870.

Die Merkmale 1–3 bestimmen den Begriffskern der "Verbindlichkeit". Merkmal 4 ist – wie auch bei den Rückstellungen – Voraussetzung der Bilanzierungsfähigkeit einer Verbindlichkeit; Merkmal 5 dient der Abgrenzung zum Bereich der Rückstellungen.[2]

 

Rz. 461

Die Verpflichtung muss dem Wortsinn nach "verbindlich" sein. Eine Leistungsabsicht auf rein freiwilliger Basis ist "unverbindlich". Um für den Verpflichteten verbindlich zu sein, bedarf es über den reinen Leistungswillen hinaus objektiver Umstände, die eine Erfüllung der Verpflichtung erwarten lassen. Die objektiven Umstände bestehen i. d. R. in der Rechtspflicht des Stpfl. zur Leistungserbringung, der ein Forderungsrecht des Gläubigers gegenübersteht (Rz. 466). Sie können sich aber auch aus faktischen Leistungszwängen ergeben (Rz. 467). Besteht eine Rechtspflicht, so entspricht dem eine rechtliche Erzwingbarkeit der Erfüllung; deshalb wird mitunter der Begriff der Verbindlichkeit i. S . einer erzwingbaren Verpflichtung verstanden.[3] Allerdings muss der Begriff "Erzwingbarkeit" dabei weit gefasst werden, damit auch faktische oder nicht fällige Verbindlichkeiten erfasst werden.

 

Rz. 462

Bei rechtlich verbindlichen Verpflichtungen ist die Verbindlichkeit die Kehrseite der Forderung. Wie diese kann auch die Verbindlichkeit nur bestehen zwischen zwei unterschiedlichen Rechtssubjekten. Es gibt also keine "Verbindlichkeit gegen sich selbst" (Rz. 349). Ist dieselbe Person Forderungsinhaber und Schuldner, so tritt Konfusion ein: Forderung und Schuld erlöschen. Aus diesem Grund sind die Passivposten für unterlassene Instandhaltung oder Abraumbeseitigung (§ 249 Abs. 1 HGB) keine Verbindlichkeiten; Rückstellungen hierfür haben somit keinen Verbindlichkeiten-Charakter; vgl. näher Rz. 453f.

Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Person des Gläubigers bekannt ist, wie daraus ersichtlich ist, dass Verbindlichkeiten aus Anleihen, diskontierten Wechseln oder Schadensersatzverpflichtungen gegenüber (noch) nicht bekannten Geschädigten resultieren können. Auch solche Verbindlichkeiten sind deshalb zu passivieren, es sei denn, es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sie nicht geltend gemacht wird (Rz. 478).

Gesellschafter einer Personengesellschaft und die Personengesellschaft sind unterschiedliche Rechtssubjekte, sodass zwischen ihnen – auch in Höhe der Beteiligungsquote des Gesellschafters – Verbindlichkeiten bestehen können, die unabhängig von der bilanziellen bzw. steuerlichen Erfassung der Beteiligung an der Personengesellschaft und deren Gewinn- oder Verlustauswirkung in der Bilanz auszuweisen sind. Für die Steuerbilanz gilt dies nur, soweit die Verbindlichkeit nicht wegen § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Hs. 2 ertragsteuerlich als Eigenkapital gilt (vgl. BFH v. 18.12.1991, XI R 43/88, BStBl II 1992, 585; BFH v. 9.5.1996, IV R 64/93, BStBl II 1996, 642, BFH/NV 1996, 330; Rz. 476; § 15 Rz. 280ff., 286).

 

Rz. 463

Gegenstand einer Verbindlichkeit kann eine Geldschuld, ein vermögenswerter Gegenstand, aber auch ein Handeln oder Unterlassen sein. Eine Verbindlichkeit führt aber nur dann zum Ansatz eines – vermögensmindernden – Passivpostens, wenn ihre Erfüllung das Vermögen des Verpflichteten entweder durch die Hingabe des geschuldeten Gegenstands oder durch den zur Erbringung der geschuldeten Leistung erforderlichen Aufwand vermindert bzw. belastet (Rz. 401). Durc...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge