Rz. 399

Ist die Verbindlichkeit, die durch die Rückstellung berücksichtigt wird, erst in weiterer Zukunft zu erfüllen, stellt sich die Frage, ob eine Abzinsung des Rückstellungsbetrags zu erfolgen hat.

Die Frage der Abzinsung wurde ursprünglich unter dem Gesichtspunkt gesehen, dass die Verpflichtung, zu deren Erfüllung die Rückstellung gebildet wird, nicht sofort oder in näherer Zukunft zu erfüllen ist, sondern erst in späterer Zeit. Der Wert einer (unverzinslichen) Schuld, die erst in fernerer Zukunft zu entrichten ist, ist um den bis dahin anfallenden Zinsbetrag geringer als der einer sofort zu erfüllenden Schuld.[1]

 

Rz. 400

Die regelmäßige Abzinsung unterstellt, dass der Rückstellungsbetrag verzinslich angelegt und daher mithilfe der Zinsen ein höherer Rückstellungsbetrag finanziert werden kann.[2] Abzinsung i. d. S. bedeutet, dass die erst in Zukunft zu erfüllende Verbindlichkeit zum gegenwärtigen Bilanzstichtag um soviel geringer gebildet wird, dass die Zinsen den Rückstellungsbetrag bis zum Zahlungstag auf den vollen Nennwert auffüllen. Es werden also die künftig zu erwirtschaftenden Zinsen in die Rückstellungsbildung einbezogen. Damit werden zum gegenwärtigen Bilanzstichtag noch nicht verwirklichte (Zins-)Gewinne ausgewiesen, d. h. die ungewisse Verbindlichkeit (Rückstellung) um den Betrag der künftigen Zinsen unter dem Nennwert (Rückzahlungsbetrag) bewertet.[3] Eine so verstandene Abzinsung verstößt gegen den Realisationsgrundsatz und ist ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht zulässig.[4]

 

Rz. 401

Eine Abzinsung war nach diesen Grundsätzen daher nur möglich, wenn in dem Rückstellungsbetrag ein Zinsanteil enthalten war, d. h. wenn angenommen werden konnte, dass bei sofortiger Bezahlung der ungewissen Verbindlichkeit der Zahlungsbetrag wegen einer gedanklich eingerechneten Verzinsung niedriger wäre als bei späterer Zahlung.[5]

 

Rz. 401a

Durch das BilMoG[6] hat sich die handelsrechtliche Rechtslage geändert. Nach § 253 Abs. 2 HGB sind Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr immer abzuzinsen, und zwar mit einem der Restlaufzeit entsprechenden durchschnittlichen Marktzins der vergangenen sieben Geschäftsjahre.[7] Der Abzinsungszinssatz wird nach Maßgabe einer Rechtsverordnung[8] durch die Deutsche Bundesbank ermittelt und monatlich bekanntgegeben. Die handelsrechtliche Regelung entspricht dem Grunde nach damit jetzt der steuerrechtlichen Regelung, nicht jedoch hinsichtlich des Prozentsatzes für die Abzinsung.

 

Rz. 402

Hat danach eine Abzinsung zu erfolgen, bedeutet dies gedanklich, dass die Rückstellung aufgespalten wird in den Nennbetrag der Verbindlichkeit und die Zinsschuld. Der Nennbetrag der Verbindlichkeit wird von dem ersten Bilanzstichtag an in voller Höhe zurückgestellt; der Zinsanteil als erst im Laufe der Zeit entstehende Verbindlichkeit wird nach dem jeweiligen Zinslauf bei Entstehung der Zinsverbindlichkeit zurückgestellt.

 

Rz. 403

Steuerrechtlich war bis Vz 1998 keine eigenständige Abzinsungsregelung vorhanden, sodass die handelsrechtliche Regelung nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz auch für das Steuerrecht galt.

[1] BFH v. 19.7.1983, VIII R 160/79, BStBl II 1984, 56; BFH v. 7.7.1983, IV R 47/80, BStBl II 1983, 753, wo anstelle einer Abzinsung auch eine aktive Abgrenzung des Zinsbetrags für möglich gehalten wird, ebenso wie bei zinslosen Verbindlichkeiten, vgl. § 6 EStG Rz. 364ff.
[2] Clemm, StbJb 1987/88, 67, 78; Jakobs, DStR 1988, 238, 244.
[3] Ebenso Jacobs, DStR 1988, 238, 245; im Ergebnis ebenso Kupsch, DB 1989, 53, 60; a. A. Ross, DStZ 1995, 179 mit dem Argument, der Teilwert einer erst in der Zukunft zu erfüllenden Verbindlichkeit sei geringer als der Nennwert; das widerspricht aber § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG.
[4] BFH v. 15.7.1998, I R24/ 96, BStBl II 1998, 728, BFH/NV 1998, 1568 m. w. N.
[5] § 253 Abs. 1 S. 2 HGB a. F.; Karrenbrock, DB 1994, 1941; BFH v. 12.12.1990, I R 153/86, BStBl II 1991, 479, 483; BFH v. 12.12.1990, I R 18/89, BStBl II 1991, 485, 487.
[6] Gesetz v. v. 25.5.2009, BStBl I 2009, 650.
[7] Küting/Cassel/Metz, DB 2008, 2317; Stapf/Elgg, BB 2009, 2134; Wüstemann/Koch, BB 2010, 1075; Wulf, DStZ 2011, 667, 670; Kropp/Wirtz, DB 2011, 541.
[8] Rückstellungsabzinsungsverordnung v. 18.11.2009, BGBl I 2009, 3790.

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