Rz. 404

Steuerlich ist die Abzinsung von Rückstellungen durch Gesetz v. 24.3.1999[1] in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e) EStG unabhängig von der handelsrechtlichen Rechtslage und damit unter Durchbrechung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes, neu geregelt worden. Danach sind Rückstellungen grundsätzlich mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen, und zwar auch dann, wenn der Verpflichtungsbetrag kein Zinselement enthält.[2] Die Verpflichtung zur Abzinsung betrifft auch Rückstellungen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes gebildet worden sind. Insoweit liegt eine unechte Rückwirkung vor, die als im Interesse der Allgemeinheit liegende Beschränkung der Bildung stiller Reserven verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig ist.[3] Der Eingriff sei verhältnismäßig gering, da er lediglich eine Verschiebung der Steuerlast bewirke, also nicht eine endgültige Steuererhöhung. Dem Vertrauensinteresse des Steuerpflichtigen werde dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass der durch die Abzinsung der "Altrückstellungen" entstehende Gewinn nach § 52 Abs. 16 S. 7, 8 und 10 EStG 1999 auf 10 Jahre verteilt werden kann (Rz. 416a).

 

Rz. 404a

Die Abzinsungsverpflichtung betrifft sowohl Geld- als auch Sachleistungsverpflichtungen. Auch Ansammlungsrückstellungen, und zwar sowohl echte als auch unechte Ansammlungsrückstellungen, sind abzuzinsen.[4] Zu den Begriffen der "echten" und "unechten" Ansammlungsrückstellung vgl. Rz. 414. Die Finanzverwaltung hat zur Abzinsung von Rückstellungen umfassend Stellung genommen.[5]

 

Rz. 404b

Die Regelung der Abzinsung für Rückstellungen entspricht weit gehend der Abzinsung von Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3. Als Grund für die Notwendigkeit der Abzinsung führt BT-Drs. 14/265, 172/173 an, dass eine unverzinsliche Verpflichtung bei längerer Laufzeit wirtschaftlich weniger belastend sei als eine verzinsliche. Ohne Abzinsung werde der Verpflichtungsbetrag durch die Zinsvorteile erheblich gemindert; die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit werde daher nicht um den Erfüllungsbetrag der Rückstellung, sondern nur um den abgezinsten Erfüllungsbetrag gemindert. Der Zinsvorteil könne die Belastung sogar übersteigen.

 

Rz. 405

Diese Begründung ist nicht ausreichend, die Abkehr von den handelsrechtlichen Grundsätzen zu rechtfertigen. Der Zinsvorteil wird gebildet durch zukünftige, nicht realisierte Einnahmen; der Rückstellungsbetrag kann verzinslich angelegt und hieraus können Einnahmen erzielt werden. Künftige, noch nicht realisierte Einnahmen können aber die gegenwärtige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht erhöhen. Auch sonst würde niemand die Ansicht vertreten, die Besteuerung müsse zum gegenwärtigen Zeitpunkt höher sein, weil der Stpfl. in der Zukunft Gewinne erzielen könne. Der Sache nach wird eine künftige, erwartete wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als gegenwärtig eingetretene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit besteuert. Es wird also Steuer auf unrealisierte, unsichere künftige Gewinne erhoben; das ist unsachgemäß und stellt einen unakzeptablen Verstoß gegen das Realisationsprinzip dar.[6]

 

Rz. 405a

Auch der in der Begründung[7] angeführte Teilwertgedanke (ein gedachter Käufer würde die Verbindlichkeit nur mit dem abgezinsten Betrag bewerten) ändert hieran nichts, da diese Argumentation übersieht, dass der (höhere) Teilwert nur dann der Besteuerung zugrunde gelegt wird, wenn er realisiert ist. Der Ansatz eines nicht realisierten höheren Teilwerts verstößt gegen den Realisationsgrundsatz und ist daher als Verstoß gegen die grundlegende Systematik der Ertragsbesteuerung unzulässig. Im Übrigen wird auch sonst der Teilwertgedanke bei der Rückstellungsbildung nicht berücksichtigt (Rz. 358).

 

Rz. 406

Das steuerliche Abzinsungsgebot betrifft nur Rückstellungen für Verbindlichkeiten (Verpflichtungen); dies sind die Verbindlichkeitsrückstellungen nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sowie die Rückstellungen für Gewährleistung ohne rechtliche Verpflichtung, nach § 249 Abs. 2 Nr. 2 HGB (Rz. 457). Die Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 2 Nr. 1 HGB sind nicht abzuzinsen, da es sich nicht um eine Verpflichtung handelt; wegen der kurzen Laufzeit dieser Rückstellungen würde eine Abzinsung auch keinen Sinn haben (Rz. 454, 455).

 

Rz. 406a

Das Abzinsungsgebot betrifft sowohl Geldzahlungsverpflichtungen als auch Sachleistungsverpflichtungen. Es gilt auch für ratierlich anzusammelnde Rückstellungen.[8] Zumindest hinsichtlich derjenigen Sachleistungsverpflichtungen, die ratierlich anzusammeln sind (Rz. 413), ist das Abzinsungsgebot äußerst bedenklich. Die ratierliche Ansammlung einer wirtschaftlich in voller Höhe entstandenen Verpflichtung berücksichtigt bereits das Zeitelement, das darin besteht, dass der Rückstellungsbetrag nicht sofort geleistet zu werden braucht, sondern erst in der Zukunft. Die ratierliche Ansammlung hat daher einen der Abzinsung vergleichbaren Effekt.[9] Wenn diese Rückstellung zusätzlich abzuzinsen ist, wird dieses Zeitelement doppelt berücksichtigt. Dies ist unsachgemäß; es ist auch gleichheitswidrig, da bei Geld...

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