Rz. 352

Maßgebend für die Zulässigkeit der Rückstellung am Bilanzstichtag ist, dass die selbstständig bewertbare wirtschaftliche Last zum Bilanzstichtag nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise im abgelaufenen Geschäftsjahr oder früheren Zeiträumen ihre wirtschaftliche Verursachung hat.[1]

Die Frage der wirtschaftlichen Verursachung ist in besonderem Maß mit dem Theorienstreit um dynamische und statische Bilanzauffassung verknüpft (Rz. 12). Nach der dynamischen Bilanzauffassung[2] liegt die wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit, wenn die zukünftigen Aufwendungen mit Erträgen in der Vergangenheit verknüpft sind; die wirtschaftliche Verursachung liegt in der Zukunft, wenn die zukünftigen Aufwendungen mit in der Zukunft zu erzielenden Erträgen verknüpft sind. Danach sind selbst rechtlich bereits bestehende Verbindlichkeiten nicht durch Rückstellungen zu berücksichtigen, wenn sie mit künftigen Erträgen zusammenhängen. Auf die Frage der wirtschaftlichen Verursachung kommt es nach der statischen Bilanzauffassung dagegen nur an, wenn die Verbindlichkeit am Bilanzstichtag rechtlich noch nicht entstanden war. Ist sie rechtlich bereits entstanden, ist sie zu passivieren ohne Rücksicht darauf, wann sie wirtschaftlich verursacht ist.[3] Ist andererseits die Verbindlichkeit am Bilanzstichtag weder rechtlich entstanden noch wirtschaftlich verursacht, darf eine Rückstellung nicht gebildet werden.[4] Im Ergebnis ist damit bei Auseinanderfallen von Entstehen der Verbindlichkeit und wirtschaftlicher Verursachung der frühere der beiden Zeitpunkte für die Bildung der Rückstellung maßgebend. Ist die Verbindlichkeit im Bilanzstichtag bereits entstanden, ist eine Rückstellung zu bilden, auch wenn die Verbindlichkeit wirtschaftlich nicht in der Vergangenheit verursacht war. Ist die Verbindlichkeit im Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht, ist sie ebenfalls zurückzustellen, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtlich entstanden war.

 

Rz. 352a

Der BFH, jedenfalls der I. Senat, erteilt damit allen Versuchen, die Bildung einer Rückstellung mit künftigen Erträgen zu koppeln, eine Absage. Er vertritt eine stark statisch orientierte Bilanzauffassung.[5] Er verwirft damit die Alimentationstheorie ("matching principle"), wonach keine Rückstellung zu bilden ist, wenn Aufwand rechtlich bereits entstanden, aber wirtschaftlich noch nicht verursacht ist. Er lehnt ausdrücklich die Anwendung des Realisationsprinzips ab, das dazu führen könnte, dass rechtlich bereits entstandene Verbindlichkeiten (Aufwendungen) deshalb nicht zu passivieren sind, weil sie durch Umsätze nach dem jeweiligen Bilanzstichtag alimentiert werden. Allerdings ist die Rspr. des BFH insoweit nicht konsequent, da z. B. der IV. Senat dem Umstand, dass im Rahmen einer Verpflichtung bereits Erträge erzielt wurden und ohne eine Rückstellung ein zu hoher Gewinn ausgewiesen wird, zumindest indizielle Bedeutung beimisst[6], also die Alimentationsthese zumindest für den Fall der bereits verursachten, rechtlich aber noch nicht entstandenen Verbindlichkeit anwendet. Auch diesem Urteil ist aber nicht zu entnehmen, dass eine rechtlich entstandene Verbindlichkeit aufgrund eines Alimentationsprinzips nicht zu passivieren sei.

In der Literatur wird hiervon abweichend z. T. nicht auf die rechtliche Entstehung abgestellt, sondern diese für unbeachtlich gehalten.[7] Stattdessen wird auf die Alimentationsthese bzw. das Realisationsprinzip abgestellt; am Bilanzstichtag realisierte Aufwendungen (z. B. Schadensersatzverpflichtungen) sollen immer zurückgestellt werden; bei künftigen, nicht realisierten Aufwendungen soll es auf die wirtschaftliche Verknüpfung mit realisierten Erträgen (dann Rückstellung) bzw. mit künftigen Erträgen (dann keine Rückstellung) ankommen.[8]

 

Rz. 353

Für die wirtschaftliche Verursachung ist erforderlich, dass der fragliche Sachverhalt so eng mit dem betrieblichen Geschehen des abgelaufenen Wirtschaftsjahrs verknüpft ist, dass der Tatbestand im Wesentlichen in diesem abgelaufenen Wirtschaftsjahr bereits verwirklicht ist und allenfalls noch von unwesentlichen künftigen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Ist die Verbindlichkeit am Bilanzstichtag bereits rechtlich entstanden, ist sie immer zu diesem Bilanzstichtag auch wirtschaftlich verursacht.[9] So ist eine Verpflichtung zur Zahlung von Gebühren für die Zulassung eines zulassungspflichtigen Produkts, wie Pflanzenschutzmittel oder Medikamente, rechtlich bereits mit der Stellung des Zulassungsantrags entstanden und kann daher durch eine Rückstellung berücksichtigt werden, auch wenn unsicher ist, ob dem Zulassungsantrag stattgegeben wird und daher auch, ob künftig damit zusammenhängende Einnahmen erzielt werden können.[10] Unbeachtlich ist auch, dass sich der Kaufmann auch entscheiden kann, das zulassungsbedürftige Produkt später nicht zu vertreiben. Das lässt die einmal entstandene Gebührenverpflichtung unberührt. Ist sie zum Bilanzstichtag rechtlich nicht entstanden, ist sie dann wirtschaftlich verursacht, wen...

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