Rz. 99

Veräußerung ist als Spiegelbild zur Anschaffung die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen anderen. Darüber hinaus können aber auch andere marktoffenbare Vorgänge als Veräußerung zu beurteilen sein.[1] Entgeltliche Geschäfte beim Anschaffenden sind regelmäßig auch solche beim Veräußerer.[2] Beim Erwerb durch Ehegatten jeweils zu 1/2 gilt nur der jeweilige Miteigentumsanteil als erworben.[3] Zivilrechtlich ist Veräußerung das dingliche Geschäft der Eigentumsübertragung oder der Forderungsabtretung, bzw. die Erlangung wirtschaftlichen Eigentums, sofern die Eigentumsübertragung nachfolgt. Demgegenüber ist für die Berechnung der Frist des § 23 EStG das Verpflichtungsgeschäft maßgebend (Rz. 83, Rz. 111ff.).

Der Begriff Veräußerung ist weiter zu fassen als im Zivilrecht.[4] Veräußerung i. S. d. § 23 EStG ist z. B.

  • die Abtretung des Anspruchs aus dem Meistgebot bei einer Zwangsversteigerung[5]
  • die Abtretung des Rückkaufsanspruchs hinsichtlich eines in die Umlegungsmasse nach dem BBauG eingebrachten Grundstücks[6]
  • die Veräußerung einer unter dem Nennbetrag angeschafften Forderung sowie die Einziehung einer solchen Forderung durch den Stpfl. selbst[7]
  • der Abschluss eines bürgerlich-rechtlich wirksamen, beide Vertragsparteien bindenden Vorvertrags[8]
  • die Übertragung eines fremdfinanzierten Anteils an einem geschlossenen Immobilienfonds in Erfüllung einer Vergleichsvereinbarung.[9]

Da die Steuerpflicht ausschließlich an objektive Umstände geknüpft ist (Rz. 19), fallen auch die Veräußerungen unter § 23 EStG, die unter Zwang zustande gekommen sind, es sei denn, eine Veräußerung unter Zwang hat wegen der Anschaffung eines Ersatzwirtschaftsguts nicht zu einer Gewinnverwirklichung geführt (Rz. 96).

Keine Veräußerungen sind die Zerstörung oder der Verlust des Wirtschaftsguts, die Rückabwicklung eines Anschaffungsgeschäfts wegen irreparabler Vertragsstörungen[10] und die Kündigung einer typisch stillen Gesellschaft und die Vereinnahmung des Auseinandersetzungsguthabens[11] sowie die in Erfüllung des Sachleistungsanspruchs aus einer XETRA-Gold-Inhaberschuldverschreibung erfolgte Einlösung und Lieferung physischen Goldes, die Veräußerung von "Gold Bullion Securites", Inhaberschuldverschreibungen oder die Einziehung einer Forderung, die von einem Dritten unter Nennwert erworben wurde.[12] Eine Rückabwicklung eines Anschaffungsgeschäfts liegt vor, wenn das auf die Anschaffung eines Grundstücks gerichtete Erwerbsgeschäft wegen Vertragsstörungen keinen Bestand hat und die Vertragspartner sich die gegenseitig erbrachten Leistungen vollständig zurückgewähren.[13]

Entsprechendes gilt, wenn der Erwerb einer mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligung rückabgewickelt wird, wenn der nur mittelbar an einer Personengesellschaft beteiligte Treugeber durch Kündigung gegenüber dem Treunehmer das Treuhandverhältnis beendet und seine Rechtsstellung auf diesen zurück überträgt. Diese Rückgabe ist kein marktoffenbarer Vorgang. Es spielt keine Rolle, warum die Rückabwicklung erfolgt ist.[14]

 

Rz. 100

Wird die für die zwangsweise Abgabe eines Wirtschaftsguts erhaltene Entschädigung nicht in voller Höhe für die Beschaffung eines Ersatzwirtschaftsguts verwendet, darf die aufgelöste stille Reserve nach H 6.6 Abs. 3 (Mehrentschädigung) EStH 2020 nur anteilig auf das Ersatzwirtschaftsgut übertragen werden. Der andere Teil führt damit zur Gewinnrealisierung. Diese Regelung im betrieblichen Bereich muss auch für vergleichbare Fälle des § 23 EStG gelten. Wenn ein Stpfl. für ein enteignetes Grundstück einen gesetzlich begründeten Anspruch auf Zuteilung eines Ersatzgrundstücks hat, dann ist der Erwerb des Ersatzlands keine Anschaffung i. S. v. § 23 EStG. Das Ersatzgrundstück bildet vielmehr in Anwendung von § 23 EStG mit dem enteigneten Grundstück eine Einheit.[15] Das kann auch dann gelten, wenn eine unmittelbar bevorstehende Enteignung durch Verkauf abgewendet und das Ersatzgrundstück durch bürgerlich-rechtlichen Vertrag erworben wird.[16] Wenn aber andererseits ein Stpfl. im Zusammenhang mit einer drohenden Enteignung einer Teilfläche seines Privatgrundstücks zur Vermeidung von Wertverlusten oder sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen auch die nicht unmittelbar von dem rechtlichen Veräußerungszwang betroffenen Grundstücksteile durch ein anderes Grundstück ersetzt, dann handelt es sich insoweit wieder um eine Anschaffung i. S. v. § 23 EStG.[17]

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