rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Geltung der Drei-Tages-Zugangs-Fiktion eines Verwaltungsakts auch an Sonn- und Feiertagen; Widerlegung der Zugangsvermutung bei Einlegung einer Briefsendung in das Postfach des Adressaten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Vermutung des Zugangs eines Verwaltungsakts innerhalb von drei Tagen nach § 122 Abs. 2 Nr.1 AO 1977 gilt auch dann, wenn der erste Tag auf einen Samstag und der zweite und dritte Tag auf einen Sonn- oder Feiertag fallen.

2. Für den - eine tatsächliche Kenntnisnahme des Empfängers innerhalb des Drei-Tages-Zeitraums nicht voraussetzenden - "Zugang" des Verwaltungsakts reicht es, wenn die an die Wohn- und Geschäftsadresse des Steuerpflichtigen adressierte Sendung des FA im Einklang mit den postalischen Auslieferungsvorschriften in ein Postfach des Steuerpflichtigen eingelegt wird und das Postfach innerhalb der Drei-Tages-Frist normalerweise auch noch geleert werden kann.

3. Ist ein Bescheid nach dem glaubhaften Absendevermerk des FA am Freitag zur Post gegeben und angesichts der dem Gericht bekannten, von der Post bestätigten ortsüblichen Postlaufzeit von nur einem Tag vermutlich am darauf folgenden Samstag zwischen 4.45 und 9.00 Uhr in das Postfach des Steuerpflichtigen eingelegt worden, so reicht der zeitlich nicht näher substantiierte Vortrag des anwaltlich vertretenen Klägers, er habe sein Postfach auch an diesem Samstag geleert, die Sendung aber - weil das Postamt am Sonntag und dem Montag, einem gesetzlichen Feiertag, geschlossen war - erst bei der nächstmöglichen Leerung am folgenden Dienstag vorgefunden, nicht aus, um den Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist zu widerlegen.

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 47 Abs. 1, § 54 Abs. 2; ZPO § 222 Abs. 1; BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger betrieb 1994/95 ein Bus- und Transportunternehmen (Bl. 1, 12). Er schuldet dem Beklagten Lohnsteuer(LSt), Umsatzsteuer(USt) und steuerliche Nebenleistungen – ohne nach zu berechnende Säumniszuschläge – in Höhe von insgesamt 68.061,25 DM (Bl. 50). Er meldete den Betrieb im Juni 1996 auf seinen Namen ab und übertrug ihn statt dessen auf seinen Sohn (Bl. 50, 43 Rs.). Vor dem Amtsgericht S hat er die eidesstattliche Versicherung abgegeben (Bl. 50).

Bereits Anfang 1994 war der Kläger mit der Tilgung angemeldeter LSt und USt in Höhe von rd. 55.000 DM in Rückstand geraten und beantragte hierwegen unter seiner Geschäftsanschrift mit Schreiben vom 5. August 1994 beim Beklagten einen entsprechenden Erlass bzw. hilfsweise die Stundung oder Aussetzung der Vollstreckung der seinerzeit bestehenden Steuerschulden (Bl. 1, 12, 71). Der Beklagte beschied diese Anträge durch Bescheid vom 30. August 1994 abschlägig (Bl. 10). Die dagegen eingelegte Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion S durch Beschwerdeentscheidung vom 24. April 1995 mangels Erlass- und Stundungsbedürftigkeit bzw. – würdigkeit des Klägers sowie wegen fehlender Vollstreckungs-unbilligkeit als unbegründet zurück (Bl. 10 ff.). Die Beschwerdeentscheidung wurde am Freitag, den 28. April 1995 als einfacher Brief an die angegebene Geschäftsanschrift des Klägers zur Post gegeben (Bl. 9 f., 28).

Am 2. Juni 1995 hat der Kläger bei Gericht Klage erhoben (Bl. 1, 2). Das Verfahren wurde im Hinblick auf – dann allerdings nicht eingehaltenen – Zahlungsvereinbarungen des Klägers mit dem Beklagten zunächst zum Ruhen gebracht (Bl. 23, 34, 34, 49, 44 f.).

Der Kläger beantragt im am 15. November 1996 wieder aufgenommenen Verfahren (sinngemäß Bl. 1),

  • unter Aufhebung der ablehnenden Erlass- und Stundungsentscheidung des Beklagten vom 30. August 1994 und der Beschwerdeentscheidung vom 24. April 1995 den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die in seinem Erlassantrag bezeichneten Lohn- und Umsatzsteuerschulden zu erlassen,
  • hilfsweise: ihm diese Steuerschulden zu stunden.

Er trägt vor: Über sein Klagebegehren müsse zur Sache entschieden werden, da er die Beschwerdeentscheidung, selbst wenn sie tatsächlich am 28. April 1995 zur Post gegeben worden sein sollte, erst am 2. Mai 1995 in seinem zuvor letztmals am 29. April 1995 geleerten Postfach vorgefunden habe. Da ihm dieses wegen der beiden dazwischen liegenden Sonn- und Feiertage nicht zugänglich gewesen sei, sei die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AbgabenordnungAO – hinreichend erschüttert und damit seine Klage am 2. Juni 1995 fristgerecht erhoben worden (Bl. 23, 33 f.).

Der Beklagte beantragt (sinngemäß Bl. 9, 49, 68 f.),

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage in erster Linie für verfristet (Bl. 9, 27, 68 f.). Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO greife nämlich auch dann ein, wenn der letzte Tag der Frist ein Sonn- oder Feiertag sei und die streitbefangene Beschwerdeentscheidung erst an diesen Tagen in das Postfach des Klägers eingelegt worden sein sollte. Der Vortrag des Klägers sei daher nicht substantiiert genug, um die Zugangsvermutung der Vorschrift in Zweifel zu ziehen.

Wegen weiterer Sachverhaltseinzelheiten wird auf die Schriftsätze der Betei...

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