Die vorzeitige Herausgabe von Nacherbschaftsvermögen durch den Vorerben ohne Entgelt gilt als Schenkung unter Lebenden.[1] Tritt dann zu einem späteren Zeitpunkt der Nacherbfall ein, erfolgt insoweit keine Besteuerung mehr.

 
Hinweis

Übergabe einzelner Nachlassgegenstände vor dem Nacherbfall möglich

Es muss nicht der ganze Nachlass auf den Nacherben übergehen. Es können auch nur einzelne Gegenstände auf den Nacherben lebzeitig übertragen werden. Ist dies der Fall, so unterfallen sie nicht mehr der Nacherbschaft.[2]

Eine Gegenleistung durch den Nacherben führt zur Anwendung der Grundsätze einer gemischten Schenkung.[3] Dies dürfte aber unproblematisch sein, da die Gegenleistung bereicherungsmindernd abgezogen werden kann.[4] Das Anwartschaftsrecht selbst ist aber nicht als Gegenleistung anzusehen.

Der Besteuerung wird grundsätzlich das Verhältnis des Nacherben zum Vorerben und nicht das zum Erblasser zugrunde gelegt.

Der Nacherbe kann aber auch beantragen, dass der Versteuerung sein Verhältnis zum Erblasser zugrunde zu legen ist.[5]

Dies wird dann angezeigt sein, wenn der Nacherbe zum Erblasser in einem günstigeren Verwandtschaftsverhältnis steht (s. a. Tz. 2.3.2).[6]

 
Praxis-Beispiel

Lebzeitige Herausgabe des Vorerbschaftsvermögens

Der Großvater GV hat die Enkelin EN1 zur Vorerbin und die Enkelin EN2 (Schwester von EN1) zur Nacherbin eingesetzt. Der gemeine Wert des Nachlassvermögens beläuft sich auf 600.000 EUR. GV verstirbt am 1.5.2021. Der Nacherbfall soll mit dem Tod der Vorerbin eintreten.

Da EN1 über ausreichendes eigenes Vermögen verfügt, gibt diese das Vorerbschaftsvermögen schon vor dem Nacherbfall (im Dezember 2023) an die Nacherbin EN2 heraus.

Lösung:

Der Tod von GV führt dazu, dass EN1 einen Erwerb von Todes wegen[7] verwirklicht. Nach Abzug des persönlichen Freibetrags i. H. v. 200.000 EUR[8] hat EN1 einen steuerpflichtigen Erwerb i. H. v. 400.000 EUR zu versteuern. Hieraus ergibt sich bei einem Steuersatz von 15 %[9] eine Erbschaftsteuer i. H. v. 60.000 EUR.

Mit der Herausgabe des Vorerbschaftsvermögens an die Nacherbin EN2 ist der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG erfüllt. EN2 hat ihren Erwerb im Verhältnis zu EN1 der Besteuerung zu unterwerfen. Nach Abzug des persönlichen Freibetrags i. H. v. 20.000 EUR[10] hat EN2 einen steuerpflichtigen Erwerb i. H. v. 580.000 EUR zu versteuern. Hieraus ergibt sich bei einem Steuersatz von 25 %[11] eine Erbschaftsteuer i. H. v. 145.000 EUR.

EN2 kann hier aber den Antrag stellen, dass ihrer Versteuerung das Verhältnis zu Großvater GV zugrunde gelegt wird.[12] Damit steht der Enkelin EN2 ein persönlicher Freibetrag i. H. v. 200.000 EUR[13] zu. Des Weiteren verringert sich auch der anzuwendende Steuersatz von 25 % auf 15 %.[14]

Nach Abzug des persönlichen Freibetrags i. H. v. 200.000 EUR[15] hat EN2 einen steuerpflichtigen Erwerb i. H. v. 400.000 EUR zu versteuern. Hieraus ergibt sich bei einem Steuersatz von 15 %[16] eine Erbschaftsteuer i. H. v. 60.000 EUR.

Erhält der Nacherbe neben Nacherbschaftsvermögen auch eigenes Vermögen des Vorerben, dann erfolgt die Ermittlung der Steuer nach § 6 Abs. 2 Satz 2 bis 5 ErbStG. Dies wird durch § 7 Abs. 2 Satz 2 ErbStG angeordnet.

Eine Steueranrechnung der gezahlten Steuer des Vorerben, wie sie das Gesetz für § 6 Abs. 3 ErbStG vorsieht, ist hier aber nicht möglich.[17]

Befindet sich im Nacherbschaftsvermögen nach den §§ 13a, 19a ErbStG begünstigtes Vermögen (Betriebsvermögen), kann der Nacherbe hierfür die entsprechenden Begünstigungen beanspruchen.[18]

 
Hinweis

BFH- Urteil zur Vor- und Nacherbschaft im Zusammenhang mit § 14 ErbStG

Mit Urteil v. 3.11.2010[19] hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass wenn ein Vorerbe auf den Nacherben mit Rücksicht auf die angeordnete Nacherbschaft Vermögen überträgt, es sich auch dann um einen gem. § 14 Abs. 1 ErbStG mit einem späteren Erwerb des Nacherben vom Vorerben zusammenzurechnenden Erwerb handelt, wenn der Nacherbe nach § 7 Abs. 2 Satz 1 ErbStG beantragt, der Versteuerung der Vermögensübertragung sein Verhältnis zum Erblasser zugrunde zu legen. Ferner hat der Bundesfinanzhof in diesem Urteil entschieden, dass bei der Versteuerung des späteren Erwerbs des Nacherben vom Vorerben § 7 Abs. 2 Satz 2 ErbStG i. V. m. § 6 Abs. 2 Satz 3 bis 5 ErbStG entsprechend anzuwenden ist.

Leistet im Falle angeordneter Vor- und Nacherbschaft der Vorerbe an den Nacherben eine Zahlung, um damit einen Herausgabeanspruch abzuwenden, dann kann er diese Zahlung gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG abziehen.

Gemäß § 1 Abs. 2 ErbStG gilt die Vorschrift des § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG auch für Schenkungen unter Lebenden, soweit bei diesen entsprechende bereicherungsmindernde Umstände wie Erwerbsaufwendungen i. S. d. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG vorliegen. Dies gilt nach Auffassung des Bundesfinanzhofs auch dann, wenn die Zahlung zwar nicht zur Erlangung – so der Wortlaut der Vorschrift –, jedoch zur Erhaltung des Erwerbs geleistet worden ist.[20]

Das Finanzamt hatte dagegen die Revision eingelegt. Der BFH hat hier im Urteil vom 6.5.2021[21] F...

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