Leitsatz (amtlich)

Rückstellungen eines Erdölleitungsunternehmens für die Verpflichtung, nach Auslaufen der Gestattungsverträge Rohrleitungen zu entfernen und die Grundstücke wiederherzustellen, sind keine Dauerschulden.

 

Normenkette

GewStG § 12 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR), deren Gesellschafter die P-AG und die Gewerkschaft E sind. Eine Organgesellschaft der Klägerin, die H-GmbH (GmbH), befaßt sich mit dem Bau und Betrieb von Rohrleitungen zum Abtransport von Erdöl, Erdgas und Erdölgas, vorwiegend aus Produktionsstätten der Gesellschafter der Klägerin. Die GmbH schloß mit den Eigentümern der Grundstücke, über die die unterirdischen Rohrleitungen führten, sogenannte Gestattungsverträge ab, die unterschiedliche Bestimmungen über die Entfernung von Leitungen (bzw. Stationen) nach Beendigung des Vertragsverhältnisses enthielten. Teils war die GmbH verpflichtet, die Leitungen zu entfernen und die Grundstücke zu planieren (Vertragstyp I). In anderen Fällen stand es der GmbH frei, die Leitungen zu entfernen oder im Boden zu belassen (Vertragstyp II). Bei einer dritten Gruppe von Verträgen konnten die Grundstückseigentümer innerhalb einer Ausschlußfrist die Entfernung der Leitungen verlangen; andernfalls konnte die GmbH wählen, ob sie die Leitungen entfernen oder im Boden belassen wollte (Vertragstyp III).

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) berücksichtigte bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der GmbH zum 1. Januar 1965 als Schuldposten eine Rückstellung in Höhe von 303 266 DM für die Entfernung der Leitungen und die Wiederherstellung der Grundstücke nach Auslaufen der Gestattungsverträge. Das FA legte den Einheitswert der Gewerbesteuermeßbetragsfestsetzung 1965 der Klägerin nach dem Gewerbekapital zugrunde, behandelte indes die Rückstellung als eine hinzuzurechnende Dauerschuld (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG). Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die Klage hatte Erfolg (EFG 1973, 400).

Das FA macht mit der Revision geltend: Das FG habe nicht zwischen Entstehung und Fälligkeit der Verpflichtungen unterschieden. Es handele sich um am Stichtag bereits entstandene Schulden, die allerdings erst bei Vertragsbeendigung fällig würden. Die Entfernungs- und Wiederherstellungsverpflichtung bestehe auch bei den Vertragstypen II und III. Die Ungewißheit über die Höhe der Schuld stehe nicht der Annahme entgegen, daß der GmbH Betriebsmittel "belassen" worden seien; die Grundstückseigentümer hätten sich bereitgefunden, die Erfüllung ihrer Ansprüche bis zu einem späteren Zeitpunkt zurückzustellen. Die Verpflichtungen seien nicht im laufenden Geschäftsbetrieb entstanden. Sie hingen wirtschaftlich mit dem Verlegen, Dulden und Beseitigen der Rohrleitungen (Anlagevermögen) zusammen (Urteil des BFH vom 13. April 1965 I 366/62U, BFHE 82, 466, BStBl III 1965, 416), anders als im Falle des BFH-Urteils vom 14. November 1968 I 51/65 (BFHE 94, 574, BStBl II 1969, 266), in dem es um Schadensersatzverpflichtungen aus dem laufenden Abbau von Kohle gegangen sei.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 12 Abs. 1 GewStG gilt als Gewerbekapital der Einheitswert des gewerblichen Betriebs i. S. BewG mit den sich aus § 12 Abs. 2 bis 4 GewStG ergebenden Änderungen. Hinzuzurechnen sind nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG - soweit sie bei der Feststellung des Einheitswerts abgezogen worden sind - Verbindlichkeiten, die den Schuldzinsen i. S. des § 8 Nr. 1 GewStG entsprechen (Dauerschulden). Darunter fallen auch Schulden, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen (§ 8 Nr. 1 GewStG).

a) Es ist davon auszugehen, daß der streitigen Rückstellung unbedingt zu erfüllende Verbindlichkeiten auf Entfernung der Leitungen und auf Wiederherstellung der Grundstücke zugrunde liegen. Das ergibt sich aus der Bindung an die Einheitswertfeststellung (BFH-Urteile vom 13. März 1964 IV 385/62 S, BFHE 79, 311, BStBl III 1964, 344; vom 3. Juli 1968 I 196/65, BFHE 93, 159, BStBl II 1968, 717), ohne daß zu unterscheiden wäre, ob ein Abzug bewertungsrechtlich auch möglich war, soweit die Entfernung der Leitungen und die Wiederherstellung von einem besonderen Entschluß der Grundstückseigentümer abhängig sind (Vertragstyp III; zur aufschiebend bedingten Last vgl. BFH-Urteil vom 7. August 1970 III R 119/67, BFHE 100, 122, BStBl II 1970, 842) oder gar der GmbH freisteht (Vertragstyp II). Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf den Schuldcharakter; der Beurteilung ist der Sachverhalt zugrunde zu legen, der bei der Einheitsbewertung zum Abzug der Verbindlichkeit führte (BFH-Urteil vom 5. November 1964 IV 104/64 U, BFHE 81, 267, BStBl III 1965, 97, betreffend Abzug einer Privatschuld als Betriebsschuld). Das FA hat bei der Einheitsbewertung unter Billigung der Klägerin angenommen, daß am Stichtag bereits Verbindlichkeiten bestanden.

Die Bindung besteht auch, obwohl die Einheitswertfeststellung hier für die Organgesellschaft (GmbH) durchgeführt (Abschn. 12 VStR) und das Gewerbekapital der Organgesellschaft im Rahmen der Meßbetragsfestsetzung des Organträgers (Klägerin) erfaßt wird (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG, Abschn. 83 GewStR). Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 GewStG ist im Falle der Organschaft so zu verstehen, daß sie die Bindung an alle Einheitswertfeststellungen anordnet, die den zusammenzurechnenden Gewerbekapitalermittlungen für den Organträger und die Organgesellschaften zugrunde liegen.

b) Das FG nimmt an, daß Rückstellungen allenfalls dann Dauerschulden sein können, wenn sie für der Höhe nach ungewisse, am Stichtag bereits "akute" (fällige) Verbindlichkeiten gebildet worden seien. Hierzu bedarf es keiner Stellungnahme. Es handelt sich im Streitfall um Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs, die das Betriebskapital nur vorübergehend stärken und schon ihrer Art nach keine Dauerschulden sein können. Der Senat hat zwar in dem Urteil vom 26. November 1957 I 230/56 U (BFHE 66, 97, BStBl III 1958, 39) Rückstellungen für die Wiederauffüllung und Planierung von ausgebeuteten Kiesgruben als Dauerschulden angesehen. Die Steuerpflichtige des Urteilsfalles war jedoch ihren Verpflichtungen nicht in vollem Umfang nachgekommen. Es konnte davon ausgegangen werden, daß die Mittel dem Betrieb längere Zeit zur Verfügung standen. Soweit dem Urteil entnommen werden könnte, daß Rückstellungen stets ohne Rücksicht auf den Charakter und die Laufzeit der zugrunde liegenden Verbindlichkeiten Dauerschulden seien, wird an ihm nicht festgehalten. Der IV. Senat des BFH hat Rückstellungen für drohende Haftpflicht- und Gewährleistungsverpflichtungen bei einem Unternehmen für die Herstellung von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen als laufende Verbindlichkeiten angesehen (BFH-Urteil IV 385/62 S). Der erkennende Senat ist dem gefolgt für die Schadensrückstellungen im Sachversicherungsgeschäft (BFH-Urteil vom 12. Juni 1968 I 278/63, BFHE 93, 154, BStBl II 1968, 715) und für Bergschäden-Rückstellungen (BFH-Urteil I 51/65). Der Streitfall liegt ähnlich.

Es braucht nicht geprüft zu werden, ob auch das Verlegen von Rohrleitungen oder nur das Durchleiten von Erdöl, Erdgas und Erdölgas den laufenden Geschäftsbetrieb der GmbH ausmachen. Selbst wenn das letztere angenommen wird, sind die Verbindlichkeiten im laufenden Geschäftsbetrieb entstanden. Zwar müssen zunächst die Leitungen verlegt werden, damit sie später einmal beseitigt werden können; die Verpflichtungen entstehen auch sogleich mit der Verlegung. Hierin erschöpft sich jedoch der Zusammenhang zwischen der Verlegung und den Verpflichtungen. Die Gestattungsverträge, in denen die Verpflichtungen geregelt sind, ermöglichen der GmbH nicht nur das Verlegen von Leitungen, sondern auch und insbesondere die langjährige Nutzung der verlegten Leitungen. Die Nutzung und ihr Auslaufen sind, wirtschaftlich gesehen, der Anlaß für die Beseitigung der Leitungen. Das FA räumt ein, daß die Rückstellung auch auf das "Dulden ... der Rohrleitungen" durch die Grundstückseigentümer zurückzuführen sei. Dem Dulden entspricht auf seiten der GmbH der Gebrauch der Leitungen.

Das FA beruft sich zu Unrecht auf das BFH-Urteil I 366/62 U. Der Senat hat in diesem Urteil Kredite, die ein Personenbeförderungsunternehmen zum Ankauf von Omnibussen (Anlagevermögen) aufnahm, als Dauerschulden angesehen. Im Streitfall dienten die Beseitigungsund Wiederherstellungsverpflichtungen nicht der Anschaffung oder Herstellung der als Anlagevermögen zu beurteilenden Rohrleitungen, sondern entstanden lediglich anläßlich der Anschaffung oder Herstellung der Leitungen.

Am Bewertungsstichtag waren noch sämtliche Rohrleitungen in Betrieb, so daß Dauerschulden auch unter dem Gesichtspunkt der in Abwicklung befindlichen Verbindlichkeiten (BFH-Urteil I 51/65) ausscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71186

BStBl II 1975, 114

BFHE 1975, 105

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