Leitsatz (amtlich)

Rückstellungen für Bergschäden sind so lange keine Dauerschulden, wie sich die ihnen zugrunde liegenden Verbindlichkeiten noch in der Abwicklung befinden und das Hinausschieben der endgültigen Schadensregulierung dem Erfordernis eines möglichst vollständigen und dauerhaften, die Belange des Bergbauunternehmens und des Geschädigten in gleicher Weise berücksichtigenden Schadenersatzes entspricht.

 

Normenkette

GewStG § 12 Abs. 2 Nr. 1, § 8 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige), eine Bergwerksgesellschaft, übernahm aus ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1952 in ihre Bilanz zum 31. Dezember 1953 Rückstellungen für Bergschäden in Höhe von 2 654 374 DM. Diese wurden bei der Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs der Steuerpflichtigen abgezogen. Der Revisionskläger (das FA) rechnete sie im Gewerbesteuer-Meßbescheid für das Streitjahr 1953 bei der Ermittlung des Gewerbekapitals dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs als Dauerschulden wieder hinzu.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Auf die Berufung hin änderte das FG den Gewerbesteuer-Meßbescheid. Das FG hat die Rückstellungen für Bergschäden nicht als Dauerschulden angesehen. Da sich die Steuerpflichtige in ihrem laufenden Geschäftsbetrieb mit dem Abbau von Kohle befasse, der mit dem erheblichen Risiko eines dadurch verursachten Bergschadens behaftet sei, gehörten die anläßlich konkreter Schadensfälle gebildeten Rückstellungen für Bergschäden jedenfalls zum 31. Dezember 1953 insoweit zu den laufenden Schulden, als die den Rückstellungen zugrunde liegenden Ansprüche sich in diesem Zeitpunkt noch in der Abwicklung befunden hätten und über die Erfüllung der Ansprüche zwischen den Beteiligten noch Verhandlungen in Gang gewesen seien. Nach dem nicht bestrittenen Vorbringen der Steuerpflichtigen und den eingeholten Auskünften ergebe sich, daß zu dem hier streitigen Stichtag teilweise die Bodensenkungen noch nicht beendet gewesen seien und durch laufende Umstellungen der Planungen weder eine Schadensbeseitigung noch eine endgültige Schadensfeststellung möglich gewesen sei. Die Anspruchsberechtigten hätten in keinem Fall der Steuerpflichtigen eine Beseitigung der Schäden oder einen entsprechenden Schadenersatz gestundet, da der Steuerpflichtigen bei den Großobjekten mit zum Teil landschaftsveränderndem Charakter ein nennenswerter Einfluß auf die Beschleunigung der Schadensfeststellung versagt geblieben sei. Hinsichtlich der wasserwirtschaftlichen Maßnahmen habe im übrigen nach § 2 des Lippe-Gesetzes vom 19. Januar 1926 (Preußische Gesetzsammlung S. 13) der Genossenschaft "Lippe-Verband" die Herstellung, Unterhaltung und der Betrieb von Anlagen für die Erhaltung und Ausnutzung des Wasserschatzes und der Schutz der Wasserversorgung obgelegen. Die Steuerpflichtige, als Genossin des Lippe-Verbandes, habe gemäß § 12 des Lippegesetzes a. a. O. lediglich durch Beiträge zu den Genossenschaftslasten beizutragen, die veranlagt würden aufgrund der Schädigungen, die der einzelne Genosse im Verbandgebiet herbeiführe. Soweit von der Steuerpflichtigen entsprechende Beiträge gefordert worden seien, sei sie ihren Verpflichtungen unverzüglich nachgekommen. Für die gebildeten Rückstellungen seien somit zum 31. Dezember 1953 die zu den Rückstellungen führenden Ungewißheiten weder beseitigt noch der Grund und die Höhe der Ansprüche aufgrund von Vereinbarungen oder eines rechtskräftigen Urteils festgestellt gewesen. Die Rückstellungen gehörten daher zu den laufenden Schulden.

Die Rechtsbeschwerde (Revision) des FA rügt unrichtige Anwendung des Rechts.

Das FA meint, für die Einordnung von Verbindlichkeiten als Dauerschulden sei allein entscheidend die nicht nur vorübergehende objektive Verstärkung des Betriebskapitals, die hier gegeben sei. Bei den Bergschäden handle es sich auch nicht um typische, zum laufenden Geschäftsverkehr gehörende Vorfälle. Der Abbau von Kohle falle zwar in den laufenden Geschäfts betrieb der Steuerpflichtigen. Die laufenden Verbindlichkeiten, die nach der Rechtsprechung nicht zu den Dauerschulden zählten, entstünden aber im laufenden Geschäfts verkehr, d. h. bei Vorgängen, die mit dem Umlaufvermögen zusammenhingen. Die Bergschäden rührten dagegen auch aus dem Anlagevermögen her. Im übrigen dürfe das Zeitmoment, möge es auch aufgrund der Rechtsprechung bei laufenden Verbindlichkeiten an Bedeutung verloren haben, nicht außer acht gelassen werden. Die Rückstellungen verblieben dem Unternehmen im ungünstigsten Fall fünfzehn Jahre lang, ein Zeitraum, an dem man wohl nicht vorbeisehen könne. Dieser Zeitraum könne auch nicht als typische Abwicklungszeit angesehen werden. Vielmehr bedeute das Hinausschieben der Schadensregulierung ein begründetes und auch vernünftiges - vielfach wohl auch stillschweigendes - Übereinkommen, das einer langfristigen Kreditgewährung gleichzustellen sei.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Gewerbesteuer-Meßbetrag nach dem Gewerbekapital unter Berücksichtigung der Rückstellungen für Bergschäden als Dauerschulden anderweit festzusetzen.

Die Steuerpflichtige beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet. Die Rückstellungen für Bergschäden stellen im Streitfall keine Dauerschulden dar.

Diese Rückstellungen wurden für Verpflichtungen der Steuerpflichtigen zum Schadenersatz nach § 148 des Allgemeinen Berggesetzes (ABG) in der Fasssung vom 24. September 1937 (Gesetzsammlung S. 93) oder zur Leistung von Beiträgen an den Lippe-Verband aufgrund von Schäden, die die Steuerpflichtige verursacht hatte, gebildet. Das waren Verpflichtungen, die dem Grunde oder der Art oder der Höhe nach noch nicht feststanden. Derartige Rückstellungen für ungewisse Schulden sind Dauerschulden, wenn die zugrunde liegenden Verbindlichkeiten wirtschaftlich mit der Gründung oder dem Erwerb des Betriebs oder eines Anteils am Betrieb oder mit einer Erweiterung oder Verbesserung des Betriebs zusammenhängen oder der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen (§ 12 Abs. 2 Nr. 1, § 8 Nr. 1 GewStG). Dieser Tatbestand der Dauerschulden ist im Streitfall nicht erfüllt. Denn die den Rückstellungen zugrunde liegenden Verbindlichkeiten entstanden, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, im laufenden Geschäftsbetrieb der Steuerpflichtigen und befanden sich am Bilanzstichtag noch in der Abwicklung.

1. Der Betrieb des Bergbauunternehmens bringt, wie nicht näher begründet zu werden braucht, die Gefahr wiederkehrender Verpflichtungen zum Schadenersatz wegen der Schäden mit sich, die das Bergbauunternehmen dem Grundeigentum oder seinem Zubehör zufügt. Die besondere Gefährdungshaftung nach § 148 ABG, die ohne Rücksicht darauf besteht, ob der Betrieb unter dem beschädigten Grundstück stattgefunden hat oder nicht, ob die Beschädigung vom Bergbauunternehmen verschuldet ist und ob sie vorhergesehen werden konnte oder nicht, hat ihren Grund nicht zuletzt darin, daß nach der Erfahrung mit solchen Schäden regelmäßig zu rechnen ist. Wiederkehrende Verpflichtungen zum Schadenersatz, die ihren Grund in der Eigenart des Geschäftsbetriebs des betreffenden Unternehmens haben, zählen zu den laufenden Verbindlichkeiten. Der BFH hat das bereits für ein Unternehmen entschieden, das sich mit der Errichtung technischer Anlagen befaßte und daher mit einem nicht unbedeutenden Risiko der Entstehung von Haftpflicht- und Gewährleistungsverbindlichkeiten behaftet war (BFH-Urteil IV 385/62 S vom 13. März 1964, BFH 79, 311, BStBl III 1964, 344). In Anlehnung an dieses Urteil hat der Senat in jüngster Zeit auch die den Schadensrückstellungen eines Versicherungsunternehmens zugrunde liegenden Verpflichtungen zu den laufenden Schulden gezählt und daher ihre Eigenschaft als Dauerschulden verneint (BFH-Urteil I 278/63 vom 12. Juni 1968, BFH 93, 154, BStBl II 1968, 715). Auf der Linie dieser Rechtsprechung liegt es, auch die Rückstellungen für Bergschäden als laufende Geschäftsverbindlichkeiten zu beurteilen. Dabei erscheint es dem Senat nicht möglich, mit dem FA zwischen laufendem Geschäftsverkehr und laufendem Geschäftsbetrieb zu unterscheiden und darauf abzustellen, ob die Verbindlichkeit mit dem Umlaufvermögen oder mit dem Anlagevermögen zusammenhängt. Das BFH-Urteil IV 385/62 S (a. a. O.) trifft - entgegen der Ansicht des FA - diese Unterscheidung nicht. Es sagt vielmehr im entscheidenden Teil seiner Begründung: "Da sich die KG in ihrem laufenden Geschäfts betrieb mit der Errichtung technischer Anlagen befaßt, die mit nicht unbedeutenden Risiken behaftet sind, gehören die anläßlich konkreter Schadensfälle gebildeten Haftpflicht- und Gewährleistungs-(Nachbesserungs-)rückstellungen zu den laufenden Schulden jedenfalls so lange, als die den Rückstellungen zugrunde liegenden Ansprüche sich in der Abwicklung befinden und über die Berechtigung der Ansprüche zwischen den Beteiligten noch Verhandlungen im Gange sind." Ferner wird schwerlich behauptet werden können, daß die Errichtung technischer Anlagen durch ein Unternehmen nur mit dem Umlaufvermögen und nicht auch oder sogar vorwiegend mit dem Anlagevermögen dieses Unternehmens zusammenhängt.

Die Einordnung als Verbindlichkeiten, die im laufenden Geschäftsbetrieb entstanden sind, setzt weiter voraus, daß die Rückstellungen anläßlich konkreter Schadensfälle gebildet werden (BFH-Urteile IV 385/62 S, a. a. O., I 278/63, a. a. O.). Auch diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Wie der vom FG festgestellte Sachverhalt zeigt, wurden die Rückstellungen für Bergschäden im Streitfall für drei bestimmt umrissene Großschadensbereiche gebildet.

2. Rückstellungen für Verbindlichkeiten, die im laufenden Geschäftsbetrieb entstanden sind, können so lange nicht als Dauerschulden angesehen werden, wie sich die Ansprüche in der Abwicklung befinden und über die Berechtigung der Ansprüche zwischen den Beteiligten noch Verhandlungen im Gange sind. Sie werden zu Dauerschulden, wenn sie nicht innerhalb von 12 Monaten nach Beseitigung der Ungewißheit getilgt werden. Die Ungewißheit wird in der Regel beseitigt durch Vereinbarung oder durch Urteil, bei ungebührlicher Verzögerung der Abwicklung u. U. auch schon vorher (BFH-Urteile IV 385/62 S, a. a. O.; I 278/63, a. a. O.). Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG waren für die gebildeten Rückstellungen zum 31. Dezember 1953 die zu ihnen führenden Ungewißheiten weder beseitigt noch der Grund und die Höhe der Ansprüche durch Vereinbarung oder durch Urteil festgestellt. Die Ansprüche befanden sich daher noch in der Abwicklung. Diese Feststellungen des FG sind frei von Rechtsfehlern und daher für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Die lange Dauer der Abwicklung kann nicht, wie das FA meint, dahin gedeutet werden, daß hier durch ein stillschweigendes Übereinkommen der Beteiligten die Schadensregulierung hinausgeschoben werde und daß das einer langfristigen Kreditgewährung gleichzustellen sei. Sie beruht vielmehr auf der Besonderheit der Bergschäden. Diese besteht, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, darin, daß sich die Verursachung des Schadens (durch den Abbau der Kohle) über viele Jahre erstreckt und daß die Beseitigung des Schadens nicht allein in der Macht des Bergbauunternehmens steht, weil sie mit den wasserwirtschaftlichen und verkehrstechnischen Planungen der zuständigen staatlichen und wirtschaftlichen Stellen koordiniert werden muß. Dazu kommt, wie das FG ebenfalls zutreffend berücksichtigt hat, daß das Gebot, vollständig Schadenersatz zu leisten, sobald ein Bergschaden erkennbar geworden ist, unter dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) steht (vgl. Heinemann, Der Bergschaden, 3. Aufl., S. 68, 52, mit Angaben über die Rechtsprechung des Reichsgerichts - RG -). Das kann dazu führen, daß der Zeitpunkt der endgültigen Schadensregulierung hinausgeschoben wird, weil die Wiederherstellung des früheren Zustandes (§ 249 BGB) nicht von Dauer wäre oder weil zur Zeit unverhältnismäßig hohe Aufwendungen notwendig wären (Heinemann, a. a. O., S. 68 ff. mit Angaben über die Rechtsprechung des RG). Die Leistung des Schadenersatzes wird in diesen Fällen nicht durch Übereinkommen der Beteiligten, sondern durch das Gesetz auf einen späteren Zeitpunkt als den der Erkennbarkeit des Schadens verschoben. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Beteiligten, dem Gebot des § 242 BGB folgend, durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung die Schäden erst "reifen" lassen, bis eine vernünftige Schadensbeseitigung möglich ist. Selbst wenn auf diese Weise der - im Einzelfall sehr schwer feststellbare - Zeitpunkt überschritten würde, an dem nach den gesetzlichen Vorschriften, einschließlich des § 242 BGB, der Schadenersatz zu leisten wäre, könnte das der Senat jedenfalls so lange nicht als eine ungebührliche Verzögerung der Abwicklung im Sinne der Rechtsprechung (BFH-Urteil IV 385/62 S, a. a. O.; I 278/63, a. a. O.) ansehen, wie das Übereinkommen der Beteiligten dem Erfordernis eines möglichst vollständigen und dauerhaften, die Belange des Bergbauunternehmens und des Geschädigten in gleicher Weise berücksichtigenden Schadenersatzes entspricht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG besteht im Streitfall kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß - neben anderen Hindernissen - derartige sachliche Erwägungen dazu geführt haben, daß die Bergschäden am Bilanzstichtag noch nicht beseitigt waren.

 

Fundstellen

BStBl II 1969, 266

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