Entscheidungsstichwort (Thema)

Langer Zeitraum zwischen Verkündung und Abfassung eines Urteils

 

Leitsatz (NV)

Ein Urteil ist dann nicht mit Gründen versehen i. S. des § 119 Nr. 6 FGO, wenn zwischen seiner Beratung und Verkündung und der schriftlichen Abfassung ein Zeitraum von 15 Monaten liegt.

 

Normenkette

FGO § 119 Nr. 6

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beerbte ihren am 15. Februar 1975 verstorbenen Ehemann. Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 4. Dezember 1980 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) die noch in der Person des verstorbenen Ehemannes entstandene Erbschaftsteuer auf . . . DM fest.

Anfang 1981 teilte der Bevollmächtigte der Klägerin dem beklagten FA mit, der angekündigte Erbschaftsteuerbescheid sei bisher bei der Klägerin nicht eingegangen. Da inzwischen die Festsetzungsverjährung eingetreten sei, erübrigte sich nunmehr der Erlaß eines Erbschaftsteuerbescheids. Vorsorglich legte er Einspruch gegen einen evtl. doch vorliegenden gültigen Erbschaftsteuerbescheid ein.

Der Einspruch wurde zurückgewiesen. Die Klage hatte Erfolg. Das stattgebende Urteil wurde in der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 1985 den Parteien verkündet; die Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe erfolgte am 25. August bzw. 27. August 1986.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil der geltend gemachte absolute Revisionsgrund des Fehlens von rechtlich beachtlichen Gründen (§ 119 Nr. 6 FGO) vorliegt. Eine Sachentscheidung, wie sie das FA mit seinem Revisionsantrag erstrebt, kann nicht getroffen werden.

1. Ein Urteil ist dann nicht ,,mit Gründen versehen" i. S. des § 119 Nr. 6 FGO, wenn zwischen seiner Beratung und Verkündung und der schriftlichen Abfassung ein so langer Zeitraum liegt, daß die zutreffende Wiedergabe des Beratungsergebnisses nicht mehr gewährleistet erscheint (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1987 VII R 47/87, BFHE 151, 328, BStBl II 1988, 283 mit umfangreichen Nachweisen und Literaturangaben). Die Entscheidungsgründe eines wegen verspäteter Abfassung erst etwa ein Jahr nach seiner Verkündung zugestellten Urteils haben dann nicht mehr die Beurkundungsfunktion, die die schriftlichen Gründe des richterlichen Urteils zu erfüllen haben. Zudem wird der Angriff gegen ein solches Urteil unzumutbar erschwert, weil das Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch in der Erinnerung der Beteiligten verblaßt. Diese Mängel schließen es aus, die Gründe einer derartigen Entscheidung, auch wenn sie ausführlich gehalten sind, hinzunehmen. Auf weitere Umstände (vgl. dazu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 30. August 1988 9 C 14/88, Deutsches Verwaltungsblatt - DVBl - 1989, 249) kommt es nicht an. Sie können lediglich eine Rolle spielen, wenn bei einer kürzeren als einjährigen Zeitspanne zu beurteilen ist, ob die Beurkundungsfunktion der Gründe in Frage zu stellen ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 9. Februar 1989 V R 126/84, nicht veröffentlicht: bei sechs Monaten; Urteil vom 14. August 1986 III R 44/86, BFH / NV 1987, 102: bei achteinhalb Monaten; BVerwG-Urteil in DVBl 1989, 249, 250: neun bis zehn Monate; BVerwG-Beschluß vom 23. November 1979 4 CB 78/79, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1981, 185: sechs Monate).

2. Im Streitfall liegt zwischen der Verkündung des Urteils und der Zustellung ein Zeitraum von rd. 15 Monaten. Mit dieser Verspätung ist der Revisionsgrund nach § 119 Nr. 6 FGO gegeben. Auf etwaige weitere Mängel kommt es nicht an. Daß das Urteil auf dem entscheidenden Mangel des Fehlens der Gründe beruht, wird kraft Gesetzes unwiderleglich vermutet (ebenso Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. Januar 1981 10/8 b RAr 1/80, HFR 1982, 81; vgl. auch BFH-Urteil vom 23. August 1988 VII R 40/88, BFHE 154, 422, BStBl II 1989, 43). Daher war die Vorentscheidung aufzuheben und die nicht spruchreife Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 249

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