Leitsatz (amtlich)

1. Der BFH hält an seiner bisherigen Auffassung fest, daß eine Berichtigung eines HGA-Bescheides auf Grund des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO zulässig ist (Urteil III 92/63 vom 30. Mai 1968, BFH 92, 239, BStBl II 1968, 480). Diese Berichtigung ist unabhängig von der Art der Aufdeckung des Fehlers. Die Fehleraufdeckung kann auch auf Grund eines Hinweises (oder Anregung) des FA von der Aufsichtsbehörde vorgenommen werden.

2. Die Frage der Bezugsfertigkeit einer Wohnung entscheidet sich danach, wann das Beziehen der Wohnung nach objektiven Merkmalen zumutbar ist. Der tatsächliche Bezug der Wohnung läßt zwar den Schluß zu, daß die Wohnung zu diesem Zeitpunkt bezugsfertig war. Dieser Schluß ist aber nicht zwingend und daher widerlegbar. Auf die Abnahme der Wohnung durch die Bauaufsichtsbehörde kommt es nicht an.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 3; BewDV § 33a; BewG 1965 § 72

 

Tatbestand

Der Revisionsbeklagte (= Kläger und Abgabeschuldner) war in dem hier maßgebenden Zeitraum Eigentümer eines durch Kriegseinwirkung zerstörten Grundstücks.

Auf dem Grundstück ruhte HGA. Der Abgabeschuldner begann im Jahre 1956 mit dem Wiederaufbau, der Anfang 1959 beendet war. Am 21. Juli 1959 stellte der Abgabeschuldner einen Antrag auf Gewährung der Wiederaufbauvergünstigung nach § 104 LAG, den er am 19. August 1960 wiederholte. Nachdem das FA den Antrag zunächst abgelehnt hatte, entsprach es ihm durch berichtigten Bescheid vom 27. März 1962 und setzte die HGA auf 0 DM herab.

Am 10. April 1963 legte das FA die Akten der OFD mit der Bitte um Überprüfung vor, weil es in dem Herabsetzungsbescheid nach seiner Meinung in fehlerhafter Weise die Kapitalkosten für die zweite Hypothek nicht mit dem Zinssatz für erststellige Hypotheken, sondern mit den tatsächlichen Zinsen angesetzt hatte. Der BdF habe im Erlaß vom 2. Juni 1962 (abgedruckt in der LA-Kartei, § 104, Karte 30) den marktüblichen Zinssatz, der für erststellige Hypotheken insbesondere für den Ansatz von Eigenkapitalkosten und für die Begrenzung der Fremdkapitalkosten von Bedeutung sei, für die einzelnen Zeitpunkte mitgeteilt. Er betrage für den hier maßgeblichen Stichtag 1. September 1958 bis 31. Januar 1959 6 1/4 % und für die Zeit vom 1. Februar 1959 bis 31. Mai 1959 5 3/4 %. Da zunächst der höhere Zinssatz angesetzt worden sei, sei es im Streitfall zur Herabsetzung der HGA auf 0 DM gekommen, während sich bei Berücksichtigung des niedrigeren Zinssatzes ein Überschuß ergebe, der zur Ablehnung des Herabsetzungsantrages führe (Hinweis auf § 3 Abs. 2 Nr. 1 der 24. AbgabenDV-LA in Verbindung mit § 21 der II. BVO und Tz. 50 des BdF-Erlasses vom 29. Dezember 1959, BStBl I 1960, 15).

Durch Verfügung vom 10. Juni 1963 wies die OFD das FA an, einen Berichtigungsbescheid nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO zu erlassen und dabei die in der Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Hypothek Abteilung III Nr. 12 anzusetzenden Zinsen mit 5 3/4 % zu berechnen. Auf Grund dieser Anweisung erstellte das FA eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung, die infolge der vorgenannten Änderung der Zinssätze einen Grundstücksüberschuß auswies. Da dieser Überschuß zur Deckung der laufenden HGA-Leistungen ausgereicht hätte, hob das FA mit Bescheid vom 22. Oktober 1963 den Bescheid vom 27. März 1962 auf und lehnte den Herabsetzungsantrag gemäß § 104 LAG ab.

Hiergegen legte der Abgabeschuldner Einspruch ein, mit dem er geltend machte, die Wohnungen seien bereits Anfang Januar 1959 bezugsfertig gewesen und die Zinsen seien deshalb mit 6 1/4 % anzusetzen. Zum Nachweis des Zeitpunkts der Bezugsfertigkeit legte der Abgabeschuldner eine entsprechende Erklärung des bauleitenden Architekten bei. Der Einspruch blieb ohne Erfolg; das FA nahm als Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit der Wohnungen den 1. März 1959 an und stützte sich hierzu auf eigene Erklärungen des Abgabeschuldners sowohl in den beiden Antragsschreiben auf Herabsetzung der HGA und in Anträgen gegenüber den Baubehörden als auch auf eine Auskunft des Amts für Bauförderung.

In der Berufung (Klage) legte der Abgabeschuldner zum Nachweis dafür, daß die Wohnungen bereits bis 31. Januar 1959 bezugsfertig waren, ein Gutachten eines Architekten und Erklärungen von vier Baufirmen vor, die im Jahre 1959 die Abschlußarbeiten durchgeführt hatten.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG ging zwar mit dem FA davon aus, daß die Wohnungen im Streitfall erst zum 1. März 1959 bezugsfertig gewesen sein könnten und der 1. "berichtigte" Bescheid vom 27. März 1962 deshalb "fehlerhaft" gewesen sei. Es hob die Einspruchsentscheidung und den angefochtenen Ablehnungsbescheid jedoch auf, weil nach seiner Meinung im Streitfall die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht vorlägen. Die Vorinstanz führt aus, daß sie mit dieser Entscheidung bewußt von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen wolle, da sie die darin zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung nicht teile. Von einer Aufdeckung eines Fehlers durch die OFD könne keine Rede sein, da im Streitfall das FA selbst den Fehler festgestellt und die OFD keine eigene Entscheidungsbefugnis mehr gehabt habe. Die Auslegung der Vorschrift des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO durch den BFH könne weder auf den "Willen des Gesetzgebers" noch auf die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift zurückgeführt werden. Eine wörtliche Auslegung der Vorschrift führe im Streitfall dazu, daß keine Aufdeckung eines Fehlers durch die Aufsichtsbehörde vorliege. Insofern unterscheide sich dieser Fall auch von der im Beschluß des BVerfG 2 BvR 246/62, 257/62, 110/63, 111/63 vom 3. November 1965 (BStBl I 1966, 181) behandelten Rechtsfrage, die die Rechtsprechung des BFH zu dieser Rechtsnorm als mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar erklärt habe.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, das unrichtige Anwendung geltenden Rechts rügt. Unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ist das FA der Meinung, daß eine Berichtigung des Herabsetzungsbescheides zulässig gewesen sei. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Bezugsfertigkeit aller Wohnungen vertritt das FA weiterhin die Auffassung, daß die Bezugsfertigkeit nicht vor dem 1. März 1959 vorgelegen habe. Die Mieter hätten nicht vor dem 1. März 1959 einziehen können, weil das Ende der Austrockenzeit hätte abgewartet werden sollen und deshalb das Tapezieren der Räume zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich gewesen sei. Im übrigen habe der Abgabeschuldner selbst wiederholt in schriftlichen Erklärungen als Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit den 1. März 1959 angegeben.

Demgegenüber ist der Abgabeschuldner der Meinung, daß im Streitfall die Berichtigung des Herabsetzungsbescheides nicht auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO gestützt werden könne, auch wenn man von der bisherigen Rechtsprechung des BFH ausgehe. Es liege keine Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde vor, wenn der Fehler schon vorher dem FA bekanntgewesen sei. Da der Sachverhalt dem FA schon bei der ersten Berichtigung seines Herabsetzungsbescheides bekanntgewesen sei, sei die durch Bescheid vom 22. Oktober 1963 verwirklichte "Fehleraufdeckung" zumindest ermessenwidrig.

Was den Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit angehe, so habe zwar der Abgabeschuldner in früheren Erklärungen den 1. März 1959 als Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit angegeben. Der Abgabeschuldner sei aber damals von der irrigen Annahme ausgegangen, daß es bei Beantwortung der Frage nach der Bezugsfertigkeit darauf ankäme, ab welchem Zeitpunkt die Wohnungen tatsächlich vermietet worden seien. Im Streitfall sei, wie schon im finanzgerichtlichen Verfahren nachgewiesen, die Bezugsfertigkeit auf den 31. Januar 1959 anzunehmen. Das ergebe sich auch aus seiner Erklärung, daß vier Makler Mühe gehabt hätten, "die Wohnungen an den Mann zu bringen" und daß die letzte Wohnung nur "bei zweimonatigem Mietausfall" hätte vermietet werden können. Auf die Angaben in den Bauakten und die Abnahme durch die Baubehörde komme es nicht an. Das FG habe zu Unrecht darauf abgestellt, daß noch nicht tapezierte Räume "nach der Verkehrsauffassung" als noch nicht bezugsfertig angesehen werden könnten.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Entgegen der Auffassung des FG ist der Berichtigungsbescheid nicht deshalb unwirksam, weil die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO im Streitfall nicht vorgelegen hätten. Die Auffassung des FG steht im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Ausführungen der Vorinstanz geben dem erkennenden Senat keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.

Der RFH und der BFH sind in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO verfassungsgemäß ist und daß sie auch auf Bescheide über Lastenausgleichsabgaben Anwendung findet (s. z. B. die Entscheidung des erkennenden Senats III 89/64 U vom 15. Oktober 1964, BFH 81, 291, BStBl III 1965, 104; III 116/65 vom 8. März 1968, BFH 92, 32, und III 92/63 vom 30. Mai 1968, BFH 92, 239, BStBl II 1968, 480). Die ständige Rechtsprechung des Senats, nach der die Berichtigung von HGA-Bescheiden auf Grund des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO zulässig ist, ist vom BVerfG in dem Beschluß 2 BvR 246/62, 257/62, 110/63, 111/63 vom 3. November 1965 (a. a. O.) aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht beanstandet worden. Entgegen der Meinung der Vorinstanz verstößt es im Streitfall auch nicht gegen Treu und Glauben, daß das FA, nachdem es einen vermeintlichen Fehler erkannt hatte, bei der OFD die Fehleraufdeckung anregte und auf deren Weisung die in § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO gesetzlich vorgeschriebene Berichtigung durchführte. Es kommt bei einer Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht darauf an, wie die Nachprüfung der Aufsichtsbehörde eingeleitet worden ist. Die richtige (gerechte) Besteuerung, die der Berichtigungsmöglichkeit des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO dient, kann nicht von der Art der Aufdeckung des Fehlers abhängig gemacht werden. Diese Auffassung, wonach es für die Nachprüfung und Entscheidung unerheblich ist, ob die Aufsichtsbehörde von sich aus oder erst auf Grund eines Hinweises (oder Anregung) des FA den von diesem erkannten Fehler aufdeckt, ist die logische Folge des gesetzlichen Gebots an die Verwaltung, für eine richtige (gerechte) Besteuerung zu sorgen, was nur bei zutreffender rechtlicher Beurteilung möglich ist.

Entscheidend ist hiernach allein die Tatsache, daß die Aufsichtsbehörde von sich aus darüber entscheidet, daß ein Fehler vorliegt und sie dementsprechend das FA anweist, einen berichtigten Bescheid zu erlassen. Diese Rechtsauffassung wird auch von dem weitaus überwiegenden Teil des Schrifttums als zutreffend anerkannt (s. z. B. Becker, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl. § 212, Anm. 10; Berger, Die Reichsabgabenordnung nach ihren Schwerpunkten für die Praxis der Besitz- und Verkehrsteuern, 00, 105; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 222 AO, Anm. 237, 238; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 1737; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 222 AO, Tz. 33; Vogel, Die Berichtigungsveranlagung, Heft 41 des Rechtsund Steuerdienstes, S. 57; Woerner, Die Zurücknahme, Änderung und Ersetzung von Verfügungen der Steuerverwaltungsbehörden, zu VII C Nr. 4 S. 44 oben). Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist, wie noch darzulegen ist, nicht spruchreif. Das FG hat bei seiner erneuten Entscheidung die dargelegte Rechtsauffassung zugrunde zu legen.

2. Das FG geht davon aus, daß im Streitfall ein Fehler des FA vorlag. Die hierzu getroffenen Feststellungen reichen aber hierfür nicht aus. Welcher Zinssatz im Streitfall in der Wirtschaftlichkeitsberechnung bei der in Abteilung III Nr. 12 des Grundbuchs eingetragenen Hypothek anzusetzen ist, hängt davon ab, ob, wie der Abgabeschuldner vorträgt, die Wohnungen am 31. Januar 1959 oder, wie das FA und das FG meinen, erst am 1. März 1959 bezugsfertig waren. Zwar hat der Abgabeschuldner in seinen Anträgen auf Herabsetzung der HGA als Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit der letzten Wohnungen den 1. März 1959 angegeben. Bereits im Einspruchsverfahren hat er aber geltend gemacht, daß er sich geirrt habe, weil er der Meinung gewesen sei, daß diese Frage auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vermietung abgestellt sei. Das FA hätte insoweit den Sachverhalt aufklären und das Vorbringen des Abgabeschuldners und die von ihm vorgelegten Beweismittel daraufhin würdigen müssen, ob die Bezugsfertigkeit oder nur der Bezugstermin vor oder nach dem 31. Januar 1959 lag. Entscheidend ist die Bezugsfertigkeit aller Wohnungen. Diese kann nicht allgemein unter Hinweis auf die Verkehrsauffassung bestimmt werden, wie es die Vorinstanz getan hat. Der BFH ist an diese "Feststellung" nicht gebunden. Der Begriff Verkehrsauffassung ist nämlich kein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes, das einer Feststellung durch die Tatsacheninstanz bedarf, sondern eine gerichtsbekannte Auffassung breiter Bevölkerungskreise, die bei der Entscheidung der Rechtsfrage zu berücksichtigen ist (s. BFH-Entscheidung I 286/56 S vom 16. Dezember 1958, BFH 68, 198 [205], BStBl III 1959, 77). Bei der Feststellung der Bezugsfertigkeit von Wohnungen handelt es sich nicht um einen Fall, in dem nach dem Willen des Gesetzgebers die Verkehrsauffassung erkennbar von den beteiligten Wirtschaftskreisen abzuleiten ist oder der anzuwendende Begriff durch den Wirtschaftsverkehr bestimmter Wirtschaftskreise geprägt wird. Der BFH ist daher in der Lage festzustellen, daß es entgegen der Meinung der Vorinstanz keine Verkehrsauffassung dahin gibt, daß Wohnräume nur dann als bezugsfertig angesehen werden könnten, wenn sie tapeziert sind.

Die Beantwortung der Frage, wann eine Wohnung bezugsfertig ist, entscheidet sich nach der Rechtsprechung danach, wann das Beziehen einer Wohnung bzw. eines Hauses zumutbar ist. Der Begriff "bezugsfertig" war im Anschluß an die Rechtsprechung des RFH (Entscheidung III A 143/33 vom 19. Mai 1933, RStBl 1933, 866) im Bewertungsrecht in § 33a BewDV wie folgt definiert: "Ein Gebäude ist als bezugsfertig anzusehen, wenn der Bau so weit gefördert ist, daß den zukünftigen Bewohnern oder sonstigen Benutzern des Gebäudes zugemutet werden kann, das Gebäude zu beziehen (vgl. auch § 72 BewG 1965). Die Frage, wann diese Voraussetzung vorliegt, ist nach Auffassung des RFH (a. a. O.) nach den Anschauungen des Verkehrs zu beurteilen. Auf die Genehmigung durch die Baupolizei komme es nicht entscheidend an. Entscheidend sei der Zeitpunkt, in dem die Benutzung des Gebäudes oder der Räume zumutbar ist, nicht der Zeitpunkt, an dem die Wohnungen oder Räume tatsächlich bezogen worden sind oder der Zeitpunkt der Abnahme durch die Bauaufsichtsbehörde. Schon das Preußische Oberverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 6. Juli 1934 (JW 1934, 3087) ausgeführt, daß es sich bei der Frage der Bezugsfertigkeit um eine Tatfrage handele. "In rechtlicher Beziehung muß davon ausgegangen werden, daß es sich bei der Auslegung des Begriffs der Zumutbarkeit nicht auf die persönlichen Verhältnisse des im Einzelfalle Betroffenen ankommt, der u. U. auch unter Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit jedes Opfer bringt, um im eigenen Hause wohnen zu können. Maßgebend müssen vielmehr die Ansprüche sein, die von jedem billigerweise unter Berücksichtigung der Verkehrssitte an ein neuerbautes, von ihm zu beziehendes Gebäude gestellt werden können." Nach der Entscheidung des OVG Lüneburg A 158/53 vom 21. Januar 1956 (Bundesbaublatt 1957 S. 13 - BBauBl 1957, 13 -) ist die Frage, ob das Beziehen einer Wohnung zugemutet werden kann, im wesentlichen nach objektiven Merkmalen zu entscheiden. Der tatsächliche Bezug läßt hiernach zwar den Schluß zu, daß die Wohnung zu diesem Zeitpunkt bezugsfertig war. Dieser Schluß ist aber nicht zwingend und deshalb widerlegbar.

Ein Haus oder eine Wohnung kann im allgemeinen dann als bezugsfertig angesehen werden, wenn die Türen und Fenster eingebaut, die Anschlüsse für Strom- und Wasserversorgung sowie die sanitären Einrichtungen vorhanden sind und die Möglichkeit des Kochens und Heizens besteht. Die wesentlichen Maler-, ggf. auch Tapeziererarbeiten sollen ausgeführt sein (s. hierzu Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, § 72 BewG 1965, Bd. I, Anm. 2 und 3; Steinhardt, Bewertungsgesetz, § 72, Anm. 2). Ob im Einzelfall ein Zimmer nur getüncht oder tapeziert wird, steht nach allgemeiner Meinung weitgehend im Belieben des Hausherrn oder des Mieters. Es gibt viele Fälle, in denen der Hausherr oder die Mieter eine als bezugsfertig anzusehende Wohnung noch längere Zeit, ggf. sogar ein oder zwei Jahre, in getünchtem Zustand austrocknen lassen, bevor sie einen Raum tapezieren. In solchen Fällen die Bezugsfertigkeit der Wohnung bis zum Tapezieren hinauszuschieben, erscheint nicht gerechtfertigt. Andererseits würde man nur bei einem Rauhputz an den Wänden der Wohnräume, der für ein Tünchen nicht ausreicht, die Wohnung noch nicht als bezugsfertig ansehen können.

Nach diesen Gesichtspunkten hätte die Vorinstanz weitere Feststellungen darüber treffen müssen, ob, nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt, der 31. Januar oder 1. März 1959 als Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit der letzten Wohnungen festgestellt werden kann. Jedenfalls reicht die "Feststellung" des FG, daß die Räume noch nicht tapeziert gewesen seien, für sich allein nicht aus, um die Bezugsfertigkeit zum 31. Januar 1959 verneinen zu können.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 769

BFHE 1971, 9

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