1 Begriff und Wirkung

 

Rz. 1

Stundung ist das Hinausschieben der nach einem Einzelsteuergesetz oder nach § 220 eingetretenen oder eintretenden Fälligkeit des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) durch Verwaltungsakt, und zwar aus Billigkeitsgründen. Die Verschiebung der Fälligkeit bedeutet, dass im Zeitpunkt der ursprünglichen Fälligkeit Verzug und Säumnis ausgeschlossen sind, so dass Säumniszuschläge nach § 240 nicht entstehen. Die materiell-rechtlichen Verzugsfolgen werden aufgehoben[1], jedoch nicht die bereits eingetretenen. Dafür werden für die Dauer der gewährten Stundung nach § 234 Stundungszinsen erhoben, wenn auf diese nicht aus Billigkeitsgründen verzichtet wird (§ 234 Abs. 2).

Mit der Stundung entfallen auch alle rechtlichen Möglichkeiten der Finanzbehörde und sonstige Folgen, die eine Fälligkeit voraussetzen. Die Aufrechnung mit einer gestundeten Forderung ist der Finanzbehörde unmöglich, Vollstreckungsmaßnahmen dürfen nicht mehr getroffen werden[2]. Eine begonnene Vollstreckung ist auf dem Stand zur Zeit der Stundung einzustellen (§ 257 Abs. 1 Nr. 4). Bereits vor der Stundung durchgeführte Vollstreckungsmaßnahmen werden allerdings nicht ipso iure wirkungslos, sondern nur durch einseitiges Handeln der Finanzbehörde. Die Vollstreckungsanweisung lässt trotz der nach § 257 Abs. 2 bestehenden Möglichkeit der Abweichung die getroffene Vollstreckungsmaßnahme bestehen bleiben. Sie ordnet kein abweichendes Verfahren an. Die Maßnahmen bleiben auch bei rückwirkender Stundung (vgl. Rz. 21) bestehen (a. A. Kruse, in T/K, AO, § 222 Rz. 2 für den Fall der ausdrücklichen Aufhebung). Das gilt selbst für Zwangshypotheken[3]. Eine nachträgliche Stundung mit Rückwirkung auf den Fälligkeitstag ändert auch nichts am eingetragenen haftungsbegründenden Tatbestand[4].

Mit Ablauf der Stundungsfrist tritt automatisch Fälligkeit ein, ohne dass es weiterer Handlungen der Finanzbehörde (z. B. Mahnung, Leistungsgebot) bedarf. Die Schonfrist des § 240 Abs. 3 gilt auch hier. Während der Zeit der Stundung ist die Zahlungsverjährung gemäß § 231 Abs. 1 u. 2 unterbrochen, mit dem Beginn des Kalenderjahres nach dem Ablauf der Stundungsfrist beginnt eine neue Zahlungsverjährungsfrist.

[2] § 254 Abs. 2 S. 1; s. im Einzelnen Pump, DStZ 1985, 587.
[3] So auch Rüsken, in Klein, AO, § 222 Rz. 12.

2 Anwendungsbereich

2.1 Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

 

Rz. 2

Die Stundung ist für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die allesamt Zahlungsansprüche sind, möglich. Das gilt für alle Steuer- und Haftungsansprüche, die Rückforderungsansprüche (Erstattungsansprüche des Steuerberechtigten) ebenso wie für die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen. Die gegen Steuerberechtigte gerichteten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (z. B. Erstattungsansprüche, Zinsen nach § 233a aus Steuererstattungen, Zinsen auf Erstattungsbeträge nach § 236) können dagegen nach Sinn und Zweck des § 222 nicht von der Finanzbehörde gestundet werden[1]. Keine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind Geldstrafen und Geldbußen (Bußgelder), auch wenn sie aus steuerlichen Delikten stammen. Für sie kommt eine Stundung nur nach § 42 StGB bzw. §§ 18, 93 OWiG[2] als Zahlungserleichterung in Frage.

Gestundet werden können alle Steuern, auch die Zölle (vgl. Rz. 2a), Abschöpfungen, Realsteuern (durch die zuständigen Stellen), die USt und bis zum 29.12.1993 die LSt und die anderen Abzugsteuern. Durch das Missbrauchsbekämpfungs- und SteuerbereinigungsG v. 21.12.1993 ist durch Anfügung der S. 3 und 4 an § 222 für diese Fälle die Stundung sowohl gegenüber dem Steuerschuldner als auch gegenüber dem Entrichtungsverpflichteten ausgeschlossen worden (vgl. Rz. 18a18c). Vorher war die Zulässigkeit einer Stundung in diesen Fällen zweifelhaft. An sich kam hinsichtlich der vom Arbeitgeber einzubehaltenden und abzuführenden Beträge keine Fälligkeit eines Zahlungsanspruchs gegen den Arbeitnehmer in Betracht. Auch ist die Pflicht des Arbeitgebers zur Einbehaltung der LSt kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis[3]. Eine Stundung konnte daher nur für den Zahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber möglich sein. In der Lit. wurde jedoch zunehmend die Auffassung vertreten, dass der Einbehaltungs- und Abführungspflicht des Arbeitgebers der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis ausschließlich gegenüber dem Arbeitnehmer zugrunde liegt und dass eine Stundung nur gegenüber diesem in Frage kommt[4]. Der BFH hat sich dieser Auffassung für § 222 angeschlossen und gemeint, dass sich diese Vorschrift grundsätzlich von § 127 RAO unterscheide[5]. Zu den weiteren Argumenten für diese Auffassung und zu der früher an dieser Stelle im Einzelnen begründeten Gegenmeinung bedarf es nach der gesetzlichen Regelung der Frage in den S. 3 und 4 der Vorschrift keiner Stellungnahme mehr.

 

Rz. 2a

Neben § 222 enthalten die AO (s. z. B. § 224a Abs. 4), Einzelsteuergesetze und andere gesetzliche Bestimmungen für eine Reihe von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis besondere Stu...

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