Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagebegehren, Beschwer

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Bezeichnung des Klagebegehrens i. S. des § 65 Abs. 1 und 2 FGO reicht es aus, wenn sich der Kläger innerhalb der Ausschlußfrist auf die bereits tatsächlich beim Finanzamt eingereichten Steuererklärungen bezieht.

2. Zur Substantiierung der Beschwer i. S. des § 79 b Abs. 1 FGO genügt es, wenn sich aus dem innerhalb der Ausschlußfrist Vorgetragenen ergibt, daß sich der Kläger gegen die Nichtanerkennung eines Verlustvortrags wendet.

 

Normenkette

FGO §§ 65, 79b Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die einen Kfz-Handel betreibt, machte in ihren Körperschaftsteuererklärungen für die Streitjahre 1991 und 1992 folgende Angaben:

1991 1992

DM DM

Gewinn 6 192 15 210

verbleibender Verlustabzug

zum 31. Dezember des Vorjahres 57 416 51 224

Verlustabzug 6 192 15 210

verbleibender Verlustabzug zum 31. Dezember 51 224 36 014

Mit Bescheid für das den Streitjahren vorausgegangene Jahr 1990 vom 27. Dezember 1993 stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) den verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 1990 mit 0 DM fest. Wegen unter anderem dieser Feststellung ist das Klageverfahren ... an hängig, über das noch nicht entschieden wurde.

Für 1991 setzte das FA mit Bescheid vom ... die Körperschaftsteuer mit ... DM fest. Das zu versteuernde Einkommen wurde -- entsprechend der Körperschaftsteuererklärung -- mit ... DM angesetzt. Der verbleibende Verlustabzug zum 31. Dezember 1991 wurde mit 0 DM festgestellt. Für 1992 wurde die Körperschaftsteuer mit Bescheid vom ... auf ... DM festgesetzt. Das Einkommen wurde mit ... DM festgestellt. Dabei ging das FA vom erklärten Bilanzgewinn in Höhe von ... DM aus, den es um nicht abziehbare Aufwendungen (Körperschaftsteuer für 1992) in Höhe von ... DM erhöhte. Eine Feststellung über den verbleibenden Verlustabzug ist in dem Bescheid nicht getroffen.

Die Klägerin legte gegen die entsprechenden Festsetzungen Einspruch ein und wandte sich erfolglos gegen die Abweichung von den eingereichten Steuererklärungen.

Mit der Klage beantragte die Klägerin zunächst, "den/die angefochtenen Bescheid(e), auch in Form der Rechtsbehelfsentscheidung aufzuheben". Hierzu führt die Klägerin aus, mit der Klage verfolge sie die unbegründeten Abweichungen von den Erklärungen. Es werde erklärungsgemäße Veranlagung beantragt, wie dies der Steuerakte zu entnehmen sei, auf deren Inhalt sie Bezug nehme und deren Zuziehung sie ausdrücklich zur Begründung und zu Beweiszwecken beantrage.

Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 27. März 1995 wurde die Klägerin gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, innerhalb von vier Wochen nach Zustellung der Verfügung den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Zugleich wurde sie gemäß § 79 b FGO aufgefordert, innerhalb dieser Frist diejenigen Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sie sich beschwert fühle. Insbesondere wolle sie genau mitteilen, worin die Abweichungen von den Erklärungen bestünden, die sie in ihrer Klageschrift rüge. Auf die Folgen der Versäumung der Fristen nach §§ 65 bzw. 79 b FGO wurde hingewiesen.

Ebenfalls am 27. März 1995 forderte das Finanzgericht (FG) -- anläßlich der Übersendung der Klageschrift -- das FA auf, die "Bescheide und die Einspruchsentscheidung" vorzulegen. Die in der entsprechenden Verfügung vorgesehene Aufforderung zur Aktenvorlage wurde vom Vorsitzenden gestrichen.

Mit dem innerhalb der Frist bei Gericht eingegangenen Schreiben erklärte die Klägerin unter Bezugnahme auf die Fristsetzungen:

"1. Gegenstand des Klagebegehrens ist der in der Klageschrift exakt bezeichnete Verwaltungsakt (Saldierungstheorie aufgrund GrS 1/66 ... ).

2. Die Tatsache(n), durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung der Kläger sich beschwert fühlt, ist/sind: = die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen, wie sie sich aus den eingereichten Erklärungen ergeben."

Dies sei im übrigen der Klage, insbesondere im Zusammenhang mit den Steuerakten, deren Zuziehung zur Begründung und zu Beweiszwecken beantragt worden sei, zu entnehmen.

Das FA übersandte entsprechend der gerichtlichen Aufforderung -- innerhalb der Ausschlußfrist -- nur die angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidung. Die Steuer akten legte es erst aufgrund einer erneuten, nach Ablauf der Ausschlußfrist ergangenen Aufforderung des FG vor.

Das FG verwarf die Klage.

Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin, unter Abänderung des Urteils des FG die Körperschaftsteuer für 1991 und 1992 erklärungsgemäß festzusetzen; hilfsweise unter Aufhebung des Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung an das FG zurückzuverweisen und regt Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO an.

Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG hat die Klage der Klägerin zu Unrecht als unzulässig verworfen.

1. Wie der Senat mit Urteil vom 17. April 1996 I R 91/95 (BFH/NV 1996, 900) entschieden hat, reicht es für die Bestimmung des Antrags einer Anfechtungsklage nach § 65 FGO aus, wenn die anderweitig anzusetzende Besteuerungsgrundlage dem Betrag nach bezeichnet wird. Die Klägerin hat innerhalb der Ausschlußfrist auf die Besteuerungsgrundlagen hingewiesen, wie sie sich aus den zu diesem Zeitpunkt bereits beim FA eingereichten Steuererklärungen ergaben (jeweils Körperschaftsteuer 0 DM). Dies genügt (vgl. z. B. auch Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. September 1995 IX R 78/94, BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16; vom 7. Februar 1995 VIII R 48/92, BFH/NV 1996, 43, und vom 16. März 1988 I R 93/84, BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895). Da das FA die den Streitfall betreffenden Akten und damit auch die darin befindlichen Steuererklärungen nach § 71 Abs. 2 FGO nach Empfang der Klageschrift an das FG zu übersenden hat, ist es ausreichend, wenn die Klägerin gegenüber dem FG ihren Klageantrag unter Hinweis auf die zu diesem Zeitpunkt in den vorzulegenden Steuerakten tatsächlich befindlichen Steuererklärungen präzisiert. Die Verwerfung der Klage unter Berufung auf § 65 Abs. 2 FGO ist insbesondere dann mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr vereinbar, wenn -- wie im Streitfall geschehen -- die rechtzeitige Vorlage der Steuerakten (einschließlich der Steuererklärungen) durch das FA dadurch verhindert wird, daß das FG entgegen einem ausdrücklich gestellten Antrag der Klägerin und entgegen § 71 Abs. 2 FGO u. a. die Steuererklärungen von der grundsätzlichen Übersendungspflicht ausnimmt.

2. Die von der Klägerin innerhalb der Ausschlußfrist gemachten Angaben reichen auch aus, um festzustellen, inwieweit sich die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 79 b Abs. 1 FGO verletzt fühlt. Wenngleich § 65 und § 79 b Abs. 1 FGO unterschiedliche Sachurteilsvoraussetzungen schaffen und folglich in ihren Regelungsbereichen voneinander abzugrenzen sind, ist es nicht ausgeschlossen, daß im Einzelfall die von einem Kläger gemachten Angaben sowohl § 65 als auch § 79 b FGO erfüllen (so im Ergebnis auch BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 900).§

79 b Abs. 1 FGO hat den Zweck, den äußeren Rahmen des Streitprogramms in tatsächlicher Hinsicht abzustecken. Er dient der Substantiierung der Beschwer, nicht aber der Angabe von Tatsachen schlechthin, die bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind. Dies folgt aus § 79 b Abs. 2 FGO, der eine Fristsetzung zur Angabe von Tatsachen über § 79 b Abs. 1 FGO hinaus vorsieht. Ob der Kläger ausreichende Angaben zur Substantiierung seiner Beschwer i. S. des § 79 b Abs. 1 FGO dargetan hat, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles. Das FG kann sich daher zur Stützung seiner Auffassung nicht auf die Entscheidung des X. Senats des BFH vom 8. März 1995 X B 243, 244/94 (BFHE 177, 201, BStBl II 1995, 417) berufen, die zu einem ganz komplexen Sachverhalt ergangen ist. Im Streitfall hat die Klägerin innerhalb der Ausschlußfrist klar zum Ausdruck gebracht, daß sie sich durch die Abweichung von den eingereichten Steuererklärungen beschwert fühlt, die in der Versagung eines Verlustvortrages aus dem Jahr 1990 lag. Dem FG war diese Problematik auch bereits aus dem bei ihm seinerzeit bereits anhängigen, 1990 betreffenden Klageverfahren bekannt.

3. Das Urteil der Vorinstanz, das von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Insbesondere kann der Senat selbst nicht über eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO entscheiden, weil nach Angaben des FA die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs 1990 nicht Gegenstand des 1990 betreffenden Klageverfahrens sein soll. Es ist Sache des FG, im zweiten Rechtsgang die Notwendigkeit einer Aussetzung des Verfahrens zu überprüfen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 870

HFR 1998, 113

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