Leitsatz (amtlich)

Weist der Prozeßbevollmächtigte seine schriftliche Vollmacht nicht nach, so muß die Entscheidung des Gerichtes gegen die angeblich vertretene Person als Partei ergehen. Der Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung des BFH (BFHE 92, 173, BStBl II, 1968, 473) fest.

 

Normenkette

FGO § 62

 

Tatbestand

Der Revisionskläger hat in einer Grunderwerbsteuerhaftungssache der Frau X vor dem FG Klage erhoben. Eine schriftliche Prozeßvollmacht hat er nicht vorgelegt, obwohl das FG gemäß § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO eine entsprechende Frist bestimmt hatte. Daraufhin hat das FG die Klage als unzulässig abgewiesen. Mangels nachgewiesener Vollmacht sei der Revisionskläger selbst und nicht die angeblich von ihm vertretene Frau X Prozeßbeteiligter. Er habe nicht geltend gemacht, daß er selbst durch den gegen Frau X gerichteten Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung beschwert sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Der Revisionskläger ist durch das angefochtene Urteil beschwert, weil dieses gegen ihn als Partei ergangen ist.

Die Revision ist begründet.

Das Urteil des FG mußte aufgehoben werden, denn es hat über eine vermeintliche Klage des Revisionsklägers entschieden, welche dieser gar nicht erhoben hatte. Prozeßbeteiligte des beim FG ... anhängigen Verfahrens ist Frau X.

1. Das FG meint, ein Prozeßbevollmächtiger erhebe die Klage im eigenen Namen, falls er keine schriftliche Vollmacht der angeblich von ihm vertretenen Person vorlegen könne. Dieser Auffassung schließt sich der BFH nicht an. Bei nicht nachgewiesener Prozeßvollmacht muß die Entscheidung des Gerichtes gegen die angeblich vertretene Person als Partei ergehen (vgl. den Beschluß vom 19. April 1968 III B 85/67, BFHE 92, 173, BStBl II 1968, 473).

Unstreitig hatte der Revisionskläger gegenüber dem FG erklärt, daß er den Rechtsbehelf im Namen der Frau X einlege. Diese Erklärung läßt sich nicht dahin auslegen, daß der Revisionskläger im eigenen Namen handeln wollte. Ebensowenig sind irgendwelche Umstände erkennbar, die auf einen solchen nicht wörtlich zum Ausdruck gekommenen Willen des Revisionsklägers schließen lassen. Steuerschuldnerin und Adressatin des Haftungsbescheides sowie der Einspruchsentscheidung war Frau X. Der Revisionskläger konnte nur die Absicht haben, seine angebliche Mandantin - und nicht sich selbst - vor geltend gemachten Steueransprüchen zu schützen und für sie die Frist des § 47 Abs. 1 FGO zu wahren.

2. Sonstige Gründe, welche es gebieten, bei mangelndem Nachweis der schriftlichen Vollmacht einen Prozeßbevollmächtigten selbst als Kläger anzusehen, sind nicht ersichtlich. Bestehen Zweifel daran, ob eine als Partei benannte Person tatsächlich diese Stellung in dem Prozeß innehat, so werden die Interessen dieser Person berührt. Sie muß daher als Beteiligte des Verfahrens behandelt werden, in welchem über diese Zweifelsfrage zu entscheiden ist. Wird eine Vollmacht trotz Bestimmung einer Frist nach § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO nicht eingereicht, so bedeutet das überdies nur, daß sie nicht nachgewiesen wurde. Sie kann aber trotzdem vorliegen. Auch diese bloße Möglichkeit zwingt schon dazu, der von dem Prozeßbevollmächtigten als Kläger benannten Person die Stellung eines Prozeßbeteiligten einzuräumen. Denn die Vollmacht kann noch nachträglich im Revisionsverfahren nachgewiesen werden mit der Folge, daß das Prozeßurteil des FG aufgehoben und der Rechtsstreit zur Sachentscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen wird (vgl. das BFH-Urteil vom 18. Mai 1972 V R 77/70, BFHE 106, 257, BStBl II 1972, 792). Die vertretene Person war dann von Anfang an Klägerin und hat insbesondere - falls die Klageschrift rechtzeitig beim FG oder FA eingegangen war - die Frist des § 47 Abs. 2 FGO gewahrt. Eine Klage des Prozeßbevollmächtigten in eigener Person hätte diese letzgenannte Wirkung nicht gehabt.

3. Das FG hat schon in der veröffentlichten Entscheidung vom 19. November 1970 IV 14/68 (EFG 1971, 236) Bedenken gegen die bisherige Rechtsprechung des BFH erhoben. Es wiederholt diese Bedenken in dem hier angefochtenen Urteil. Der BFH hält sie jedoch nicht für gerechtfertigt.

a) Das FG meint, der BFH stütze sich bei seiner bisherigen Rechtsprechung nur auf Kommentierungen zur ZPO sowie zur VwGO und lasse die Unterschiede zwischen Zivilprozeß und Finanzprozeß außer acht. Das führe in verschiedener Hinsicht zu Schwierigkeiten für den Fall, daß zunächst der vollmachtlose Vertreter Klage erhebe (erste Klage, erstes Verfahren) und anschließend die angeblich vertretene Person in der gleichen Sache selbst einen Rechtsbehelf einlege (zweite Klage, zweites Verfahren).

aa) Nach Ansicht des FG steht in dem unterstellten Fall die angeblich vertretene Person im Finanzprozeß mit ihrer zweiten Klage schlechter als im Zivilprozeß. Im letzteren habe der Gegner lediglich die Einrede der Rechtshängigkeit (§ 263 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), während im Finanzprozeß die zweite Klage unzulässig sei (§ 66 Abs. 2 FGO). Bei Steuerstreitigkeiten würden also die Rechte der angeblich vertretenen Person in dem zweiten Verfahren erheblich beeinträchtigt, wenn man auch die erste Klage als ihre eigene ansehe und sie daher in dem zweiten Verfahren sich noch um die Zulässigkeit ihrer Klage streiten müsse. Diese Auffassung trifft insofern nicht zu, als auch im Zivilprozeß die Rechtshängigkeit durch das Gericht von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. das Urteil des RG vom 17. Mai 1939 II 200/38, RGZ 160, 338, 344). Die ZPO gebraucht auch für solche von Amts wegen zu berücksichtigenden Prozeßvoraussetzungen den Begriff der prozeßhindernden "Einrede" (vgl. § 274 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 4 und 7 ZPO). Darüber hinaus wird aber der angeblich vertretenen Person bei der zweiten Klage nicht die Wahrnehmung ihrer Rechte erschwert, wenn man sie auch in dem ersten Verfahren als Partei ansieht. Zunächst liegt es nahe, daß ein Gericht die beiden Sachen gemäß § 73 Abs. 1 FGO miteinander verbindet. Denn die Abweisung der zweiten Klage als unzulässig setzt die Überzeugung des Gerichtes voraus, daß in dem ersten Verfahren eine schriftliche Vollmacht erteilt war. Durch die Verbindung kann die Vollmachtfrage beschleunigt geklärt werden. Sobald feststeht, daß in dem ersten Verfahren keine Vollmacht vorgelegt werden kann, ist der Weg für eine Sachentscheidung in dem zweiten Verfahren frei.

Das FG hält es sogar für möglich, daß ein Gericht schon vor Klärung der Vollmachtfrage in dem ersten Verfahren die zweite Klage als unzulässig abweist, und dadurch endgültig der Weg zu einer Sachentscheidung versperrt wird, weil auch die erste Klage anschließend mangels nachgewiesener Vollmacht durch Prozeßurteil abgewiesen werden muß. Diese Gefahr besteht jedoch nach Ansicht des BFH nicht, wenn das Gericht die beiden Sachen miteinander verbindet. Selbst wenn letzteres nicht geschieht, könnte ein Prozeßurteil in dem zweiten Verfahren nur darauf beruhen, daß das Gericht die Vollmachtfrage nicht mit dem Kläger erörtert und ihm daher das rechtliche Gehör versagt hätte. Damit wäre in jedem Fall eine Überprüfung durch das Revisionsgericht möglich (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO).

bb) Schließlich kann - entgegen der Ansicht des FG - der Kläger in dem zweiten Verfahren auch nicht dadurch Nachteile erleiden, daß die erste Klage zurückgenommen wird. Die Folgen des § 72 Abs. 2 Satz 1 FGO treten ohnehin nicht ein, wenn beide Klagen gleichzeitig anhängig sind. Dann kann die Rücknahme der ersten nicht den Verlust der zweiten Klage zur Folge haben. Selbst wenn sich aber die beiden Verfahren zeitlich nicht überschneiden, kann die Rücknahme der nur im Namen der angeblich vertretenen Person erhobenen Klage nur den Verlust dieser Klage zur Folge haben, nicht aber einer von der Steuerpflichtigen selbst erhobenen Klage nach § 72 Abs. 2 Satz 1 FGO entgegenstehen.

cc) Der BFH sieht - anders als das FG - in dem unterstellten Fall auch keine Schwierigkeiten bei der Entscheidung über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO. Ist bei beiden Klagen die Zulässigkeit fraglich, so rechtfertigt dieser Umstand allein es nicht, dem Kläger im zweiten Verfahren den Rechtsschutz nach § 69 FGO zu versagen. Das Gericht muß berücksichtigen, daß in einem der beiden Hauptverfahren mit Sicherheit eine Sachentscheidung möglich sein wird. Das rechtfertigt eine positive Entscheidung über den Aussetzungsantrag, sofern im übrigen die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 FGO vorliegen. Gegenstand des Verfahrens nach § 69 FGO ist nur die Frage, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ihre Beantwortung braucht nicht von den Umständen eines einzigen oder eines bestimmten Hauptverfahrens abhängig zu sein. Sie kann sich auch nach den Gegebenheiten mehrerer solcher Verfahren richten. Es genügt daher, daß eine von mehreren Klagen Anlaß zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes gibt, selbst wenn sich noch nicht übersehen läßt, welche Klage dies ist.

b) Der vorliegende Fall ist nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, über welchen der BFH mit seinem vom FG erwähnten Urteil vom 9. April 1964 V 180/63 entschieden hat (HFR 1965, 124). Dort hatte der angebliche Prozeßbevollmächtigte ausdrücklich erklärt, daß er - soweit keine Vollmacht erteilt werde - die Rechtsbeschwerde im eigenen Namen einlege. Der BFH hat dieses Rechtsmittel als eine nur gegen die Kostenentscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde des angeblichen Prozeßbevollmächtigten angesehen.

Durch die vorliegende Entscheidung wird die beim FG noch anhängige, im Namen der Frau X erhobene Klage nicht berührt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Gemäß § 121 und § 90 Abs. 3 FGO hat der Senat durch Vorbescheid entschieden.

 

Fundstellen

BStBl II 1974, 218

BFHE 1974, 221

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