Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage der Prozeßvollmacht nach Erlaß des FG-Urteils, mit dem die Klage wegen fehlender Vollmacht als unzulässig abgewiesen wurde

 

Leitsatz (NV)

Weist das FG die Klage wegen fehlender Prozeßvollmacht nach fruchtlosem Verstreichen einer für deren Vorlage gesetzten - einfachen - Frist (nicht Frist nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG) als unzulässig ab und geht danach eine vor Erlaß des FG-Urteils ausgestellte Prozeßvollmacht beim FG ein, so beruht das FG-Urteil (objektiv) auf einem (von Amts wegen zu beachtenden) Verfahrensfehler, der auf Revision des Klägers zur Aufhebung des FG-Urteils führt (Anschluß an Beschluß des GmSOGB in HFR 1984, 389 und BFH-Urteil in BFHE 142, 3, BStBl II 1984, 83).

 

Normenkette

FGO § 62

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die X-Steuerberatungsgesellschaft erhob namens der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) Klage gegen die Bescheide über die Einheitswerte des Betriebsvermögens der Y-KG ...

Durch Verfügung des Finanzgerichts (FG) vom 23. Dezember 1991 wurde die Steuerberatungsgesellschaft zur mündlichen Verhandlung am 29. Januar 1992 geladen und gleichzeitig aufgefordert, bis zu diesem Termin die Prozeßvollmacht der Klägerin vorzulegen. Diese Verfügung wurde der Steuerberatungsgesellschaft am 7. Januar 1992 zugestellt.

In der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 1992 war für die Klägerin niemand erschienen. Da bis zu dem genannten Termin auch eine Prozeßvollmacht der Klägerin nicht vorgelegt worden war, wies das FG die Klage durch am selben Tag verkündetes Urteil als unzulässig ab und legte die Kosten des Verfahrens der Steuerberatungsgesellschaft auf.

Mit am 30. Januar 1992 beim FG eingegangenem Schriftsatz vom 24. Januar 1992 begründete die Steuerberatungsgesellschaft die Klage und legte gleichzeitig die am 23. Januar 1992 unterzeichnete Prozeßvollmacht der Klägerin vor.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung ihres Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -; §§ 96 Abs. 2 und 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie trägt u.a. vor, daß die am 24. Januar 1992 im Büro ihres jetzigen Prozeßbevollmächtigten eingegangene Prozeßvollmacht ihres Generalbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr.Z, mit einfachem Brief noch am selben Tag an das FG weitergeleitet worden sei. Dies ergebe sich aus dem Datum des Poststempels und werde auch seitens des FG bestätigt. Gleichwohl sei die Prozeßvollmacht erst sechs Tage später - am 30. Januar 1992 - beim FG eingegangen. Ihr Prozeßvertreter habe darauf vertrauen dürfen, daß bei normalem Lauf der Dinge ein im Inland abgesandtes Schriftstück den Empfänger spätestens innerhalb von drei Werktagen erreiche. Ihren Prozeßbevollmächtigten treffe daher an dem verspäteten Eingang der Prozeßvollmacht beim FG kein Verschulden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. a) Vor dem FG können sich die Beteiligten durch Bevollmächtigte vertreten lassen (§ 62 Abs. 1 Satz 1 FGO). Läßt sich ein Beteiligter vertreten, ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO) und dem Gericht vorzulegen (§ 62 Abs. 3 Satz 2 FGO). Die von dem Bevollmächtigten erhobene Klage ist unzulässig, wenn die schriftliche Vollmacht dem Gericht nicht vorgelegt wird. Es fehlt dann an einer Sachentscheidungsvoraussetzung (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. April 1971 IV R 208/69, BFHE 102, 442, BStBl II 1971, 689).

Ist die Vollmacht nachzureichen (vgl. § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO), hat eine dafür vom FG - ggf. durch den gemäß § 79 FGO zuständigen Richter - gesetzte Frist keine ausschließende Wirkung, es sei denn, das Gericht verfährt - was im Streitfall nicht zutraf - gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) - s. ab 1. Januar 1993 § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO -; vgl. BFH-Urteile vom 11. Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229; vom 26. August 1987 I R 135/84, BFHE 151, 1, BStBl II 1988, 280). Eine noch nach Fristablauf nachgereichte Vollmacht heilt den zunächst die Unzulässigkeit der Klage bewirkenden Mangel der fehlenden Vollmacht (BFH-Urteil in BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229). Dies gilt nach der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes selbst dann, wenn die Prozeßvollmacht erst im Revisionsverfahren nachgereicht wird, vorausgesetzt, die Vollmacht war - wie im vorliegenden Streitfall - bereits vor Erlaß des angefochtenen Prozeßurteils ausgestellt worden (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 17. April 1984 Gms-OGB 2/83, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1984, 389; BFH-Urteil vom 4. Juli 1984 II R 188/82, BFHE 142, 3, BStBl II 1984, 831).

b) Nach diesen Grundsätzen, denen der erkennende Senat folgt, bewirkte der Eingang der von dem Generalbevollmächtigten der Klägerin Dr.Z am 23. Januar 1992 - also vor Erlaß der angefochtenen Vorentscheidung - unterzeichneten Vollmachtsurkunde und der von der Klägerin unterzeichneten, den Generalbevollmächtigten Dr.Z legitimierenden notariellen Vollmachtsurkunde vom 7. Juni 1977, daß der bei Erlaß des klageabweisenden Prozeßurteils vorliegende Mangel der wirksamen Vollmachtserteilung rückwirkend behoben wurde. Damit erweist sich das auf die vermeintlich fehlende Sachentscheidungsvoraussetzung der wirksamen Vollmachtserteilung gestützte Prozeßurteil des FG als objektiv verfahrensfehlerhaft. Denn es stellt einen Verfahrensmangel dar, wenn das FG unrichtigerweise durch Prozeß-, statt durch Sachurteil entscheidet (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 15. Januar 1992 IV B 168/90, BFH/NV 1992, 613; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 115 FGO Rdnr. 66), und es kommt für das Vorliegen eines Verfahrensmangels - bei Zugrundelegung des materiell-rechtlichen Standpunkts der Vorinstanz - auf die objektive Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 29. August 1984 9 B 11247/82, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1985, 757).

Der in Rede stehende Verfahrensmangel betrifft - wie dargelegt - eine Sachentscheidungsvoraussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens. Er ist deshalb auch ohne dahingehende Rüge von Amts wegen zu beachten (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rdnr. 47, 49 und 34).

Aus den vorstehenden Gründen muß die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden. Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat entgegen der vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt) vertretenen Auffassung nicht in Widerspruch zu dem BFH-Beschluß in BFHE 151, 1, BStBl II 1988, 280. Denn der dortige Fall wies die hier nicht gegebene Besonderheit auf, daß der Vollmachtgeber die Vollmachtsurkunde unmittelbar dem FG übermittelte. Daraus folgerte der I.Senat des BFH, daß die Vollmacht - als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung - erst mit Eingang beim FG wirksam geworden sei. Dieser Schluß läßt sich im hier vorliegenden Fall deshalb nicht ziehen, weil die beiden Vollmachtsurkunden vom jeweiligen Vollmachtgeber zunächst dem jeweiligen Bevollmächtigten ausgehändigt wurden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 645

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