Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Endet das Recht einer Witwe auf wiederkehrende lebenslängliche Nutzungen im Falle der Wiederverheiratung, so greift die Bewertung allein nach § 16 Abs. 1 und 2 BewG Platz. Von dem so ermittelten Kapitalwert ist wegen des Wegfalls der Nutzungen im Falle der Wiederverheiratung kein Abschlag nach § 16 Abs. 5 BewG vorzunehmen.

 

Normenkette

BewG Abs. 5; BewG §§ 15, 13, 16, 14, 17 Abs. 3, § 15/3, § 67 Abs. 1 Ziff. 4, § 110/1/4

 

Tatbestand

Streitig ist die Ermittlung des Kapitalwerts des Gewinnbeteiligungsrechts, das der Bgin. lt. Testament ihres verstorbenen Ehemannes als Witwe auf Lebenszeit zusteht, aber mit dem Tage der Wiederverheiratung erlöschen soll. Der Ansatz eines Kapitalwerts als sonstiges Vermögen gemäß § 67 Abs. 1 Ziff. 4 BewG a. F. ist dem Grunde nach unstreitig. Der Jahreswert der Nutzungen ist nach § 17 Abs. 3 BewG von den Beteiligten und dem Finanzgericht übereinstimmend geschätzt worden. Die Bgin. war am Stichtag 55 Jahre alt.

Das Finanzamt bewertete für die Vermögensteuer 1957 das Gewinnbeteiligungsrecht nach § 16 Abs. 2 BewG (wegen des Ansatzes der Vermögensabgabe durch vorläufigen Bescheid) mit dem Zwölffachen des Jahreswertes.

Die Bgin. begehrte demgegenüber, die betragsmäßig nicht bestrittenen Nutzungen nach § 15 Abs. 2 BewG mit dem Neunfachen des Jahreswertes zu bewerten, da die Nutzungen mit dem Tage der Wiederverheiratung erlöschen sollten. Die Bgin. beruft sich für ihre Auffassung auf das Urteil des Reichsfinanzhofs III A 222/29 vom 10. April 1930, RStBl 1930 S. 394.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Nach den Ausführungen des Steuerausschusses seien hier, abgesehen von der Nutzungsdauer auf Lebenszeit, die Voraussetzungen einer Nutzung von unbestimmter Dauer nicht gegeben. Denn es sei fraglich, ob die Bgin. jemals wieder heirate. Es sei nicht nur ungewiß, wann, sondern ob überhaupt die Rente vor dem Lebensende wegfalle. Es handle sich somit bei dieser Verfügung des Erblassers um eine auflösende Bedingung, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BewG außer acht zu bleiben habe (Hinweis auf VStR 1960 Abschn. 61 Abs. 6).

Mit der Berufung stellte die Bgin. hilfsweise den Antrag auf Berücksichtigung eines angemessenen Wertabschlages nach § 16 Abs. 5 Satz 1 BewG. Der gemeine Wert eines Gewinnbeteiligungsrechts, das bei einer möglichen Wiederverheiratung wegfalle, müsse geringer sein als der volle Kapitalwert nach § 16 Abs. 2 BewG.

Das Finanzgericht gab der Berufung im Hauptantrag statt. Es führte aus, es handle sich um eine Nutzung von unbestimmter Dauer mit zwei Erlöschensgründen. Eine erneute Heirat würde das Nutzungsrecht vor dem Ableben zum Erlöschen bringen. Infolgedessen sei der Wert einer solchen Nutzung so lange gemäß § 15 Abs. 2 BewG nur mit dem Neunfachen anzusetzen, als nicht wegen des fortgeschrittenen hohen Alters der nutzungsberechtigten Person eher mit ihrem Ableben als mit ihrer Wiederverheiratung gerechnet werden müsse. Ein auf die Lebensdauer abgestelltes Nutzungsrecht, das im Falle einer Wiederverheiratung wegfallen solle, wäre erst dann ausschließlich gemäß § 16 Abs. 2 BewG zu bewerten, wenn die berechtigte Person 66 und mehr Jahre alt geworden sei. Das Finanzgericht berufe sich auf das oben genannte Urteil des Reichsfinanzhofs vom 10. April 1930 (im Urteil versehentlich 10. März) und die dort angeführte Rechtsprechung sowie auf verschiedene Kommentare. Mit § 5 BewG könne der angefochtene Kapitalwert nicht gerechtfertigt werden. Nach dem dortigen Abs. 1 Satz 2 blieben ausdrücklich die Vorschriften über die Berechnung des Kapitalwerts der Nutzungen von unbestimmter Dauer unberührt. Der vom Finanzamt zu den Akten überreichte Erlaß des Finanzministers Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai 1954 entspreche dem Abschn. 61 Abs. 6 VStR 1960; beides sei für das Gericht nicht bindend.

Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts Verstoß gegen § 15 Abs. 2, 2. Halbsatz und § 16 BewG. Das Gewinnbeteiligungsrecht sei gemäß § 16 Abs. 2 Ziff. 7 BewG mit dem Zwölffachen des Jahreswertes zu bemessen. § 16 BewG habe als Spezialbestimmung den Vorrang vor § 15 Abs. 2, 2. Halbsatz BewG. Davon abgesehen habe der Erlöschensgrund der Wiederverheiratung, gesondert betrachtet, dem Gewinnbeteiligungsrecht nicht den Charakter einer Nutzung auf unbestimmte Dauer verliehen, da nicht feststehe, ob der Fall der Wiederverheiratung eintrete. Der Erlöschensgrund der Wiederverheiratung sei als auflösende Bedingung anzusehen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung der Berufung.

Bei dem Gewinnbeteiligungsrecht handelt es sich um ein Recht auf wiederkehrende Nutzungen und Leistungen, dessen Kapitalwert nach den §§ 19 und 67 Abs. 1 Ziff. 4 BewG bei der Vermögensermittlung heranzuziehen ist (Hinweis auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs III 163/59 U vom 19. April 1962, BStBl 1962 III S. 270, Slg. Bd. 75 S. 1). Die Voraussetzungen hierfür sind dem Grunde nach in jedem Falle gegeben, gleichgültig ob man die Nutzungen als auf die Lebenszeit der Bgin., als auf unbestimmte Zeit bis zur Wiederverheiratung oder auf beide zeitliche Möglichkeiten abgestellt ansieht. Von entscheidender Bedeutung ist diese Frage dagegen für die Höhe des Kapitalwertes. Den von keiner Seite beanstandeten und dem § 17 Abs. 3 BewG entsprechenden Schätzungsbetrag der jährlichen Nutzung legt auch der erkennende Senat seiner Entscheidung zugrunde. Das Gewinnbeteiligungsrecht ist von unbestimmter Dauer, da das Ende sicher, aber der Zeitpunkt des Wegfalls ungewiß ist. Zu den Nutzungen auf unbestimmte Dauer gehören auch die Nutzungen, die auf die Lebenszeit einer Person beschränkt sind. Solche Nutzungen sind jedoch nicht nach § 15 Abs. 2 BewG mit dem Neunfachen, sondern gemäß dem dort gemachten Vorbehalt nach § 16 Abs. 1 und 2 BewG zu bewerten, der den Vorrang vor der Berechnung mit dem Neunfachen des Jahreswertes für die in ihm geregelten Fälle hat (Entscheidung des Bundesfinanzhofs III 369/58 S vom 11. August 1961, BStBl 1961 III S. 477, Slg. Bd. 73 S. 584). Nach den dortigen Urteilsgründen steht der Anwendung des § 16 BewG nicht entgegen, daß sich auf diese Weise ein höherer Kapitalwert als nach § 15 Abs. 2 Halbsatz 2 ergibt. Soweit sich das Finanzgericht auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs beruft, daß nämlich, wenn die Dauer eines Nutzungsrechts außer von der Lebenszeit von dem Eintritt eines früheren, ungewissen Ereignisses abhängig sei, von mehreren Bewertungsmöglichkeiten die zu wählen sei, die den geringeren Kapitalwert ergebe (Entscheidungen des Reichsfinanzhofs VI A 34/22 vom 22. März 1922, Slg. Bd. 8 S. 337, und III A 222/29 vom 10. April 1930 a. a. O.), lehnt der Senat diese Rechtsprechung ab. Gegenüber der Bewertung des Kapitalwerts nach § 16 Abs. 1 und 2 BewG gibt es keine gesetzliche Bestimmung, die das Neunfache des Jahreswertes als Höchstgrenze bestimmen sollte (so auch Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensgesetz § 15 BewG Anm. 31; Rössler-Troll, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz 7. Aufl. § 15 BewG Anm. 6, bei letzterem also Aufgabe der vom Finanzgericht zitierten Auffassung der 6. Auflage). Ein Gegenstück zu § 15 Abs. 1 Satz 3 BewG findet sich im Verhältnis des § 16 BewG zu § 15 Abs. 2 BewG im Gesetz nicht. Im Gegenteil ist aus dem Fehlen einer dem § 15 Abs. 1 Satz 3 BewG entsprechenden Formulierung bei Konkurrenz zwischen § 15 Abs. 2 Halbsatz 2 und § 16 zu folgern, daß der Gesetzgeber hier eine Regelung, jeweils der niedrigere der beiden Kapitalwerte sei anzusetzen, bewußt nicht getroffen hat. § 16 BewG ist ein Sonderfall der Schätzung gegenüber der allgemeinen Schätzung bei Nutzungen von unbestimmter Dauer gemäß § 15 Abs. 2 und hat daher als Spezialbestimmung den Vorrang. Die Bewertung allein nach § 16 BewG muß also auch dann Platz greifen, wenn die Bestimmung über den Wegfall der Nutzungen im Falle der Wiederverheiratung als gleichrangiger Erlöschensgrund neben dem Tode der Bgin. anzusehen wäre. Das dürfte aber im vorliegenden Falle zu verneinen sein. Die Wortfassung des Testaments im Anschluß an die Verpflichtung des Sohnes zur Auszahlung der halben Erträgnisse lautet: "Diese Verpflichtung erlischt mit dem Tage der Wiederverheiratung meiner Ehefrau." Die Bestimmung stellt wirtschaftlich und rechtlich lediglich eine auflösende Bedingung des Vermächtnisses an die Ehefrau dar, aber kein sicheres Ereignis, bei dem nur der Zeitpunkt des Eintritts ungewiß wäre. Die billige und vernünftige allgemeine Auffassung geht in einem solchen Falle keineswegs dahin, die Ehefrau habe ein Nutzungsrecht bis zu ihrer Wiederverheiratung erhalten, sondern vielmehr dahin, daß die Ehefrau das Nutzungsrecht erhalten habe, es jedoch bei einer Wiederverheiratung verliere. So gesehen erhielt die Bgin. das Nutzungsrecht unter einer auflösenden Bedingung. Bei der Wiederverheiratung ist nicht nur der Zeitpunkt, sondern überhaupt der Eintritt des Ereignisses zweifelhaft. Eine auflösende Bedingung ist bewertungsrechtlich nicht zu beachten (ß 5 Abs. 1 BewG). Wenn das Recht auf wiederkehrende Nutzungen und Leistungen von unbestimmter Dauer auflösend bedingt ist, so bewirkt diese Bedingung keine Ausnahme von den Bewertungsregeln der §§ 15 Abs. 2, 16 BewG (vgl. Gürsching-Stenger a. a. O., § 15 BewG Anm. 29). Die vom Finanzgericht gewählte Methode, je nach dem Alter des überlebenden Ehegatten eine Wahrscheinlichkeitsberechnung über die Aussichten einer Wiederverheiratung anzustellen, widerspricht der Systematik der §§ 5, 15 Abs. 1 und 2 sowie 16 Abs. 1 und 2 BewG.

Somit ist der ursprüngliche Hauptantrag der Bgin. unbegründet. Der Kapitalwert des Gewinnbeteiligungsrechts ist entgegen der Entscheidung des Finanzgerichts gemäß § 16 Abs. 1 und 2 BewG nach dem Lebensalter der Bgin. zu bestimmen. Dem Hilfsantrag der Begin., von dem so ermittelten Kapitalwert einen "angemessenen Wertabschlag gemäß § 16 Abs. 5 BewG" vorzunehmen, kann nicht stattgegeben werden. Entweder ist der Abschlag rein rechtssystematisch deshalb zu versagen, weil die Testamentsbestimmung über die Wiederverheiratung lediglich den Charakter einer auflösenden Bedingung hat und deshalb bewertungsrechtlich unbeachtlich ist, oder aber es entfällt ein Abschlag aus dem Gesichtspunkt des § 10 Abs. 2 BewG. Danach sind für den gemeinen Wert persönliche Verhältnisse nicht zu berücksichtigen. Infolgedessen kann auch der von der Bgin. geltend gemachte § 16 Abs. 5 Satz 1 BewG keine Anwendung finden. Ganz allgemein ist für die Anwendung des § 16 Abs. 5 BewG Voraussetzung, daß der gemeine Wert der gesamten Nutzungen oder Leistungen nachweislich geringer ist als der Kapitalwert nach § 16 Abs. 2 BewG. An einem solchen Nachweis fehlt es hier (vgl. das oben genannte Urteil des Bundesfinanzhofs III 163/59 U a. a. O.). Somit kommt der Bestimmung über den Wegfall der Gewinnbeteiligung bei Wiederverheiratung bewertungsrechtlich keine Bedeutung zu.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411807

BStBl III 1966, 2

BFHE 1966, 1

BFHE 84, 1

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