Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezeichnung des Klagebegehrens

 

Leitsatz (NV)

Die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens kann durch Bezugnahme auf genau bezeichnete Unterlagen in den Steuerakten gegenüber dem Gericht auch dann vorgenommen werden, wenn dem Kläger die Bezeichnung nach §65 Abs. 2 FGO aufgegeben worden ist. Die in Bezug genommenen Unterlagen können auch nachgereichte Steuererklärungen sein.

 

Normenkette

FGO § 65 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat mit Schriftsätzen vom 30. Mai 1989 Klagen gegen die Steuerbescheide wie im Rubrum bezeichnet erhoben und deren Aufhebung beantragt. Die Bescheide waren aufgrund von Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen nach einer Steuerfahndungs-Prüfung bei der Klägerin ergangen. Die Klagebegründungen versprach diese nachzureichen. Im Einvernehmen der Beteiligten sollte dies erst nach Abschluß des laufenden Strafverfahrens erfolgen. Nach Einstellung dieses Verfahrens gemäß §153 a der Strafprozeßordnung noch in 1989 verständigten sich die Beteiligten hinsichtlich der Jahre 1984 bis 1986. Hinsichtlich der Streitjahre unterblieben die Klagebegründungen nach wie vor. Das Finanzgericht (FG) setzte der Klägerin daraufhin am 4. Juli 1994 durch richterliche Verfügung des Berichterstatters eine Ausschlußfrist gemäß §65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Bezeichnung der Klagebegehren bis zum 20. August 1994. Die Klägerin äußerte sich nicht. Sie hatte -- nach ihrem unwidersprochenen Vortrag -- zwischenzeitlich allerdings für die Streitjahre beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) Steuererklärungen eingereicht und in einem Schreiben an das FG vom 14. August 1994 beantragt, "die Bescheide betr. KSt 77--79 u. GewSt-Meßbetr. 1976--1979 aufzuheben und gem. den eingereichten Steuererklärungen f. d. o. a. Zeitraum zu entscheiden". Dieses Schreiben befindet sich nicht in den das Vorverfahren betreffenden FG-Akten. Auch in den mündlichen Verhandlungen beantragte sie, die angefochtenen Bescheide nach Maßgabe dieser Erklärungen zu ändern.

Das FG wies die Klagen ab. Sie seien unzulässig, weil dem FG der konkrete Sachverhalt nicht substantiiert unterbreitet worden sei. Bei unübersichtlichen und umfangreichen Sachverhalten -- wie in den Streitfällen nach Durchführung der Steuerfahndungs- Prüfung -- reiche es nicht aus, auf die Bescheide zu verweisen und deren Änderung gemäß den vorgelegten Erklärungen zu begehren. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, den Streitstoff ohne Angabe konkreter Anhaltspunkte aus dem gesamten Inhalt der Steuerakten herauszufiltern.

Mit ihren Revisionen rügt die Klägerin Verletzung von §65 Abs. 1 FGO.

Sie beantragt, die FG-Urteile aufzuheben und die Sachen zu anderweitigen Verhandlungen und Entscheidungen an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die -- zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen (§73 Abs. 1 FGO) -- Revisionen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG hat die Klagen der Klägerin durch Prozeßurteile als unzulässig abgewiesen. Die Feststellungen des FG und die vorgelegten Akten reichen nicht aus, um diese Urteile zu bestätigen.

1. Nach §65 Abs. 1 Satz 1 FGO muß eine Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens, bei Anfechtungsklagen auch den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung, bezeichnen. Außerdem soll sie einen bestimmten Antrag enthalten. Nach §65 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende oder der von ihm bestimmte Berichterstatter den Kläger aufzufordern, die erforderlichen Ergänzungen innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegen, wenn die Klage diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang entspricht.

Aus der in §65 Abs. 2 FGO vorgesehenen Möglichkeit, nachträgliche Ergänzungen der Klageschrift vorzunehmen, läßt sich folgern, daß nicht sämtliche in §65 Abs. 1 FGO aufgeführten Bestandteile bis zum Ablauf der Klagefrist vorzuliegen brauchen. Bis zu deren Ende müssen vielmehr nur die Erfordernisse beachtet sein, von denen es abhängt, ob ein Schriftstück sich überhaupt als Klageschrift qualifizieren läßt (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532, m. w. N.). Darüber hinaus besteht jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, die fehlenden Angaben im Rahmen des bis zum Ablauf der Klagefrist gezogenen Klageumfangs zu präzisieren. Dies kann grundsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung geschehen. Ist dem Kläger jedoch durch richterliche Verfügung des Berichterstatters des FG gemäß §65 Abs. 2 Satz 2 FGO eine Frist zur Erfüllung seiner prozessualen Pflichten gesetzt worden, muß die Präzisierung des Klagebegehrens innerhalb dieser Frist erfolgen. Anders als zuvor (vgl. Senatsurteil vom 16. März 1988 I R 93/84, BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895) enthält §65 Abs. 2 Satz 2 FGO i. d. F. des Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (FGOÄndG) vom 21. November 1992 (BGBl I 1992, 2109) im Interesse der Beschleunigung des finanzgerichtlichen Verfahrens eine Präklusionsvorschrift (siehe auch BFH-Urteil vom 12. September 1995 IX R 78/94, BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16; im einzelnen Herlinghaus/Woring, Der Betrieb -- DB -- 1997, 898). Dies bedingt, daß die fragliche Präzisierung des Klagebegehrens innerhalb der gesetzten Frist dem FG gegenüber erfolgt. Nur dann, wenn die Mindestanforderungen der Klage dem Gericht gegenüber erfüllt werden, wird diesem eine Sachprüfung und Sachentscheidung ermöglicht. Die Ausschlußfrist wird folglich nicht eingehalten, wenn das Klagebegehren dem FA gegenüber bestimmt wird, es sei denn, dem Gericht wird eine entsprechende Mitteilung gemacht (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juni 1996 III R 93/95, BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483; Herlinghaus/Woring, DB 1997, 898, 906).

2. Im Streitfall hat die Klägerin den jeweiligen Gegenstand der Klagebegehren jedenfalls zunächst nicht ausreichend bezeichnet. Nach §65 Abs. 1 FGO muß "die Klage" den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des FG, den Gegenstand der Klage selbst zu ermitteln (BFH-Urteil in BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483). Dies gilt auch dann, wenn den angefochtenen Steuerbescheiden -- wie im Streitfall -- Prüfungsfeststellungen der Finanzbehörden vorangegangen sind, zu denen der Steuerpflichtige Stellung genommen hat. Es ist zu erwarten, daß der Steuerpflichtige gleichwohl im einzelnen herausstellt, in welchen Punkten er die im Anschluß an die Durchführung der Prüfung ergangenen Steuerbescheide anfechten will. Wie der Senat durch Urteile vom 17. Oktober 1990 I R 118/88 (BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242), ebenso vom 17. April 1996 I R 91/95 (BFH/NV 1996, 900) in BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895 entschieden hat, kann der Gegenstand des Klagebegehrens allerdings durch Bezugnahme auf eine beim FA nach Erlaß des angefochtenen Steuerbescheides eingereichte Steuererklärung ausreichend bezeichnet werden. Die gesetzlichen Regelungen geben keine Handhabe, weitere Ausführungen und Erläuterungen des Klägers zu verlangen. Insbesondere ist das Maß der prozessualen Anforderungen zur Bestimmung des Klagebegehrens grundsätzlich nicht davon abhängig, welchen tatsächlichen und/oder rechtlichen Schwierigkeitsgrad und welche Komplexität der Streitstoff hat.

3. Von diesen Vorgaben ausgehend ist dem erkennenden Senat eine abschließende Beurteilung des Streitfalles nicht möglich. Nach dem Vorbringen der Klägerin, dem das FA nicht widersprochen hat, sind die fraglichen Steuererklärungen, jedenfalls soweit sie in dem angefochtenen Umfang die Körperschaftsteuer und die einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbeträge betreffen, innerhalb der Ausschlußfrist eingereicht worden. Sie sind allerdings nicht Bestandteil der dem Senat vorliegenden Steuerakten. Sie sind überdies -- auch nach dem Vorbringen der Klägerin -- lediglich beim FA und nicht, wie dies erforderlich gewesen wäre, beim FG eingegangen. Die Klägerin hat jedoch die Kopie eines Schreibens vom 14. August 1994 vorgelegt, das an das FG gerichtet ist und aus dem sich im Rahmen des darin gestellten Antrages ein Hinweis auf die zwischenzeitlich vorgelegten Steuer erklärungen ergibt. Sollte dieses Schreiben tatsächlich ebenfalls innerhalb der Ausschlußfrist gemäß §65 Abs. 2 Satz 2 FGO beim FG eingegangen sein, so wäre dies ausreichend gewesen. Da das FA die den Streitfall betreffenden Akten und damit auch die darin befindlichen Steuererklärungen nach §71 Abs. 2 FGO nach Empfang der Klageschrift an das FG zu übersenden hat, hätte der dem Gericht gegenüber erfolgte Hinweis auf die eingereichten Steuererklärungen genügt, um den Anforderungen an die Bestimmung des Klagebegehrens zu entsprechen. Dies würde auch für die gleichermaßen angefochtenen Umsatzsteuerbescheide zu gelten haben, sofern die entsprechenden Umsatzsteuererklärungen ebenfalls eingereicht worden sein sollten. Sollte sich der -- fristgerechte -- Eingang des Schreibens vom 14. August 1994 (oder anderer Umstände, aus denen sich für das FG die fristgerechte Vorlage der Steuererklärungen ergibt) indes nicht feststellen lassen, oder sind die fraglichen Steuererklärungen beim FA nicht eingegangen, hätte das FG zu Recht entschieden und die Klagen als unzulässig abgewiesen.

4. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidungen können deshalb keinen Bestand haben. Die Sachen sind jedoch nicht entscheidungsreif. Es ist Sache des FG, die erwähnten Feststellungen nachzuholen. Sollte sich der Vortrag der Klägerin ganz oder teilweise bewahrheiten, wären die angefochtenen Steuerbescheide in entsprechendem Umfang von Amts wegen auf ihre formelle und materielle Richtigkeit hin zu überprüfen. Die Sachen sind daher zu erneuten Verhandlungen und Entscheidungen an das FG zurückzuverweisen (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 66707

BFH/NV 1998, 175

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