Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens: Anwendbarkeit der Rechtsprechung zum "Streitgegenstand", Bezugnahme auf dem FG nicht vorliegende Steuerakten, Konkretisierung, Abgrenzung zu § 79b FGO, genaue Benennung von Anzugsbeträgen, Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens kann durch eine Bezugnahme auf genau bezeichnete Unterlagen in den Steuerakten gegenüber dem Gericht auch dann vorgenommen werden, wenn dem Kläger die Bezeichnung nach § 65 Abs.2 FGO aufgegeben worden ist.

 

Orientierungssatz

1. Die bisherige Rechtsprechung zum "Streitgegenstand" ist auf den "Gegenstand des Klagebegehrens" nach § 65 Abs.1 Satz 1 FGO i.d.F. des FGO-Änderungsgesetzes vom 21.12.1992 weiter anwendbar. Zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens ist dessen Konkretisierung erforderlich. Hierfür ist vorzutragen, worin die den Kläger treffenden Rechtsverletzungen liegen und inwieweit der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sein soll.

2. Wie ein Klagebegehren zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsakts, der Steuerart und der Klageart. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird, zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt. Hierzu ist nicht die Angabe sämtlicher Tatsachen erforderlich, durch die sich der Kläger beschwert fühlt.

3. Die nach § 65 Abs.1 Satz 1 FGO zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens geforderten Angaben sind abzugrenzen von denen, die das Gericht nach § 79b Abs.1 FGO verlangen kann (vgl. Rechtsprechung).

4. Für die Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens bei einer Anfechtungsklage gegen einen Einkommensteuerbescheid ist es ausreichend, aber auch erforderlich, den Streitpunkt in allgemeinerer Form --z.B. durch genaue Benennung der nach Ansicht des Klägers zu Unrecht nicht berücksichtigten Abzugsbeträge, etwa bestimmter Betriebsausgaben-- so zu umreißen, daß er konkretisiert und von anderen denkbaren Streitpunkten abgrenzbar ist.

5. Der Gegenstand des Klagebegehrens kann grundsätzlich nicht durch allgemeine Bezugnahme auf beigefügte umfangreiche Anlagen bezeichnet werden. Allerdings sind bei der Auslegung des in der Klageschrift zu formulierenden Klagebegehrens Anlagen und auch die Steuerakten heranzuziehen. Eine Bezugnahme auf genau bezeichnete Unterlagen in den Steuerakten kann auch dann ausreichend sein, wenn diese Steuerakten dem FG nicht vorliegen. (vgl. BFH-Rechtsprechung).

6. § 65 Abs.2 Satz 2 FGO erlegt dem Kläger keine zusätzlichen, weitergehenden Obliegenheiten auf als § 65 Abs.1 Satz 1 FGO und begründet keinen Anspruch des FG, daß ihm eine ohne Hinzuziehung noch nicht vorliegender Steuerakten aus sich heraus verständliche Darstellung des nach Ansicht des Klägers maßgeblichen steuerlichen Sachverhalts vorgelegt wird.

 

Normenkette

FGO § 65 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1992-12-21, Abs. 2 S. 2, § 79b Abs. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhoben unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) Klage, ohne diese näher zu begründen. Sie wurden deshalb vom Berichterstatter nach § 65 Abs.2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, den Gegenstand des Klagebegehrens innerhalb einer Ausschlußfrist zu bezeichnen. Innerhalb dieser Frist trugen die Kläger vor, die Finanzverwaltung sei im Rahmen der Veranlagung von ihren Erklärungen abgewichen. In den Erläuterungen zum Steuerbescheid verweise das FA darauf, daß die von ihm angeforderten Unterlagen nicht eingereicht worden seien. Der Einspruch gegen den Steuerbescheid sei als unbegründet zurückgewiesen worden. Dagegen richte sich das Klagebegehren.

Dem Schriftsatz war ein Konvolut von Anlagen beigefügt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab und führte im wesentlichen folgendes aus:

Die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens erfordere, daß die Kläger substantiiert und in sich schlüssig die Tatsachen vortrügen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nach ihrer Ansicht ergebe. Die Kläger hätten jedoch keine derartigen Tatsachen vorgetragen. Sie hätten nur Abweichungen von der Einkommensteuererklärung gerügt, ohne diese Abweichungen in sich verständlich und nachvollziehbar zu erläutern und ohne darzulegen, welcher steuerliche Sachverhalt berücksichtigt werden solle. Die Anlagen zu ihrem Schriftsatz seien für einen Außenstehenden aus sich heraus nicht verständlich.

Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die vom FG zugelassene Revision.

Die Kläger beantragen sinngemäß, den Gerichtsbescheid aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der Gegenstand des Klagebegehrens ist von den Klägern fristgerecht gemäß § 65 Abs.1 Satz 1 FGO bezeichnet worden.

1. Nach § 65 Abs.2 Satz 2 FGO kann das Gericht dem Kläger eine Frist zur Ergänzung seiner Klage setzen, wenn sie nicht den Anforderungen des § 65 Abs.1 Satz 1 FGO entspricht. Diese Vorschrift verlangt als zwingende Voraussetzung einer zulässigen Anfechtungsklage neben der Angabe des Klägers, des Beklagten und des angefochtenen Verwaltungsaktes die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens. Dieses zuletzt genannte Tatbestandsmerkmal des § 65 Abs.1 Satz 1 FGO ist durch das FGO-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109) neu gefaßt worden. Dabei ist der dort bisher verwandte Begriff "Streitgegenstand" durch die Tatbestandsvoraussetzung "Gegenstand des Klagebegehrens" ersetzt worden. Der Gesetzgeber hat hiermit jedoch keine sachliche Änderung beabsichtigt (BTDrucks 12/1061, S.14), sondern die Auslegung und Anwendung der Vorschrift in § 65 Abs.1 Satz 1 FGO lediglich von dem Meinungsstreit über den Streitgegenstand freihalten wollen. Die bisherige Rechtsprechung zu § 65 Abs.1 Satz 1 FGO ist daher weiter anwendbar (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. November 1994 VIII B 29/94, BFH/NV 1995, 886, m.w.N.; vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 65 Rz.31, 46; List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10.Aufl., § 65 FGO Rz.34; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17.Aufl., § 65 FGO Bem.2 c).

Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 26. November 1979 GrS 1/78 (BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99) ist zur Bezeichnung des Streitgegenstandes --jetzt: des Gegenstandes des Klagebegehrens-- die Konkretisierung des Klagebegehrens erforderlich. Hierfür ist vorzutragen, worin die den Kläger treffenden Rechtsverletzungen liegen und inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sein soll. Diese Anforderungen sollen das Gericht in die Lage versetzen, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis zu bestimmen (§ 96 Abs.1 Satz 2 FGO).

2. Wie weit ein Klagebegehren zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes, der Steuerart und der Klageart (BFH-Beschlüsse in BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, und in BFH/NV 1995, 886). Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird, zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt. Dafür muß ihm von dem Kläger der konkrete Sachverhalt substantiiert unterbreitet werden (BFH-Beschluß in BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99).

Die Gegenüberstellung von § 65 Abs.1 Satz 1 FGO und § 79b Abs.1 FGO zeigt, daß das Gesetz zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens keine Angabe sämtlicher Tatsachen verlangt, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sich der Kläger beschwert sieht. Die von § 65 Abs.1 Satz 1 FGO geforderten Angaben sind abzugrenzen von denen, die das Gericht nach § 79b Abs.1 FGO verlangen kann. Letztere müssen nach dem BFH-Beschluß vom 8. März 1995 X B 243, 244/94 (BFHE 177, 201, BStBl II 1995, 417) über die pauschale Benennung von Streitkomplexen hinaus dem FG so viele sachverhaltsmäßige Erläuterungen geben, daß es die Streitpunkte wenigstens in ihren Grundzügen erkennen und ggf. nach § 79b Abs.2 FGO eine weitere Konkretisierung durch --von ihm zu benennende-- speziellere Tatsachenangaben verlangen kann. Demgemäß ist es für die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens bei einer Anfechtungsklage gegen einen Einkommensteuerbescheid ausreichend, aber auch erforderlich, den Streitpunkt in allgemeinerer Form --z.B. durch genaue Benennung der nach Ansicht des Klägers zu Unrecht nicht berücksichtigten Abzugsbeträge, etwa bestimmter Betriebsausgaben-- so zu umreißen, daß er konkretisiert und von anderen denkbaren Streitpunkten abgrenzbar ist.

3. Die Kläger haben durch die Angaben in ihrem Schriftsatz und durch die diesem beigefügten Anlagen allein eine solche Konkretisierung der Streitpunkte nicht vorgenommen.

Aus dem Schriftsatz selbst läßt sich nur entnehmen, daß die Kläger die Streitpunkte, um die es im Einspruchsverfahren gegangen ist, im Klageverfahren weiterverfolgen wollen. Um welche Streitpunkte es sich dabei handelt, ergibt sich aus dem Schriftsatz hingegen nicht. Die Streitpunkte sind in diesem nicht einmal ihrer rechtlichen Einordnung nach --Einkünfte aus ..., Betriebsausgaben oder dergleichen-- benannt, was überdies für die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens im allgemeinen auch nicht ausreichte.

Die beigefügten umfangreichen Anlagen bezeichnen den Gegenstand des Klagebegehrens ebenfalls nicht ausreichend. Nach § 65 Abs.1 FGO muß "die Klage" den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Sinn und Zweck des § 65 Abs.1 FGO und die Fassung dieser Vorschrift schließen es aus, vom FG zu verlangen, den Gegenstand des Klagebegehrens anhand einer Vielzahl ihm vorgelegter Unterlagen selbst zu ermitteln, und die Anforderungen des § 65 Abs.2 Satz 2 FGO als erfüllt anzusehen, wenn die vorgelegten Unterlagen dies mehr oder weniger leicht und zuverlässig ermöglichen.

4. Allerdings sind bei der Auslegung des in der Klageschrift zu formulierenden Klagebegehrens Anlagen und nach dem BFH-Beschluß vom 6. März 1986 I R 301/82 (BFH/NV 1986, 754) auch die Steuerakten heranzuziehen. Nach dem Urteil des BFH vom 16. März 1988 I R 93/84 (BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895) kann der Gegenstand des Klagebegehrens sogar allein durch Bezugnahme auf eine beim FA nach Erlaß des angefochtenen Steuerbescheides eingereichte Steuererklärung ausreichend bezeichnet werden.

Eine ähnliche Bezugnahme enthält der Schriftsatz der Kläger. Sie haben in ihm auf die Abweichung der Steuerfestsetzung des FA von ihren "Erklärungen" und auf die Einspruchsentscheidung hingewiesen, die diese Abweichung mit dem Fehlen der vom FA angeforderten Unterlagen begründet habe. Die Kläger haben damit zur Konkretisierung ihres Klagebegehrens sinngemäß auf ihre Gewinn- und Verlustrechnung und die Einspruchsentscheidung Bezug genommen. Durch einen Vergleich der Gewinn- und Verlustrechnung mit dem Einkommensteuerbescheid wird der Gegenstand des Begehrens der Kläger ebenso deutlich wie aus der Einspruchsentscheidung.

Das Urteil in BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895, das eine Bezugnahme auf bei den Steuerakten befindliche Unterlagen zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens für zulässig erklärt hat, betrifft allerdings nicht die Erfüllung einer durch richterliche Verfügung nach § 65 Abs.2 Satz 2 FGO begründeten prozessualen Pflicht (vgl. BFH-Beschluß vom 26. Januar 1995 V B 63/94, BFH/NV 1995, 896). Für sie gilt jedoch aus folgenden Gründen das gleiche wie für die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens in einer Klageschrift:

Mit seiner Verfügung nach § 65 Abs.2 Satz 2 FGO hat das FG von den Klägern verlangt, eine Prozeßhandlung gegenüber dem Gericht vorzunehmen. Dem haben die Kläger mit ihrem an das FG gerichteten Schriftsatz fristgerecht entsprochen. Sie haben mit diesem Schriftsatz und der darin enthaltenen Bezugnahme den Gegenstand ihres Klagebegehrens objektiv festgelegt. Da die zu diesem Zweck von ihnen in Bezug genommenen Unterlagen aus den Akten des FA allerdings dem FG noch nicht vorlagen, war es diesem ohne Beiziehung dieser Akten subjektiv nicht möglich, sogleich allein anhand jenes Schriftsatzes festzustellen, worin der Gegenstand des Klagebegehrens tatsächlich besteht und ob die in Bezug genommenen Teile der Steuerakten überhaupt in hinreichend klarer Weise über ihn Aufschluß geben; das FG konnte also, ohne zunächst diese Akten beizuziehen, nicht entscheiden, ob der gerichtlichen Verfügung durch den Schriftsatz der Kläger genügt worden und die Klage folglich zulässig ist.

Abgesehen davon, daß dieses Erschwernis, daß das FG für die Erfüllung seiner Aufgabe, die Zulässigkeit der Klage zu prüfen, erst Akten beiziehen mußte, nicht wesentlich ins Gewicht fällt und die Entscheidung nur unbedeutend verzögern kann, gibt § 65 Abs.2 Satz 2 FGO dem FG nur die Befugnis, dem Kläger mit ausschließender Wirkung eine Frist für die Vornahme der Prozeßhandlungen zu setzen, die er an sich nach § 65 Abs.1 Satz 1 FGO unaufgefordert hätte vornehmen müssen. § 65 Abs.2 Satz 2 FGO erlegt dem Kläger also keine zusätzlichen, weitergehenden Obliegenheiten auf als § 65 Abs.1 Satz 1 FGO, außer daß der Kläger es nunmehr innerhalb der gesetzten Frist nachzuholen hat, die dort geregelten Pflichten zu erfüllen, d.h., sich darüber schlüssig zu werden, inwiefern seiner Ansicht nach der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sein soll, und dies dem FG substantiiert zu unterbreiten. Durch eine Bezugnahme auf genau bezeichnete Unterlagen in den Steuerakten, die diese Funktion erfüllen und den Gegenstand des Klagebegehrens gemäß § 65 Abs.1 Satz 1 FGO bezeichnen, wird daher auch einer gerichtlichen Verfügung nach § 65 Abs.2 Satz 2 FGO genügt. Das FG kann nach § 65 Abs.2 Satz 2 FGO nicht verlangen, daß ihm eine ohne Hinzuziehung noch nicht vorliegender Steuerakten aus sich heraus verständliche Darstellung des nach Ansicht des Klägers maßgeblichen steuerlichen Sachverhalts vorgelegt wird.

Die Entscheidung des FG, die von anderen Grundsätzen ausgeht, ist aufzuheben. Da die Sache nicht entscheidungsreif ist, geht sie zurück an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 66014

BFH/NV 1996, 291

BStBl II 1996, 483

BFHE 180, 247

BFHE 1997, 247

BB 1996, 1758 (Leitsatz)

DB 1996, 1908 (Leitsatz)

DStR 1996, 1483-1484 (Kurzwiedergabe)

DStZ 1997, 199 (Leitsatz)

HFR 1996, 747-748 (Leitsatz)

StE 1996, 548 (Kurzwiedergabe)

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