Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung Zollrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Steuerbescheiden, mit denen Eingangsabgaben gefordert werden, beginnt die Rechtsmittelfrist auch ohne Rechtsmittelbelehrung zu laufen.

 

Normenkette

AO § § 211-212, 246/1, § 237 a. F, § 246 Abs. 3, § 237/2, § 237/1; ZG § 86 Abs. 1; BVwGG § 21; GG Art. 19 Abs. 4

 

Gründe

Nach § 211 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) sind nur Steuerbescheide, die nach den Steuergesetzen schriftlich zu erteilen sind, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Zollbescheide können nach § 86 Abs. 1 des Zollgesetzes mündlich oder schriftlich erteilt werden, gehören also, gleichgültig ob sie mündlich oder schriftlich erteilt werden, zu den formlosen Steuerbescheiden im Sinne des § 212 AO, für die eine Pflicht zur Rechtsmittelbelehrung in der AO nicht vorgesehen ist und für die daher die Vorschrift des § 246 Abs. 3 AO nicht gilt (vgl. Siegert, Zollgesetz, 6. Auflage, Anm. 2 zu § 86; Kühn, Reichsabgabenordnung, 5. Auflage, Anm. 1 und 3 zu § 212 AO, Anm. 3 zu § 246 AO, und Riewald, Anm. 1 zu § 210 b und Anm. 1 Abs. 6 zu § 212 AO). Auch soweit in einem Zollbescheid Verbrauchsteuern für die eingeführten Waren angefordert werden, bleibt der Steuerbescheid ein formloser Steuerbescheid im Sinne des § 212 AO, weil sich die Erhebung der Verbrauchsteuern bei der Einfuhr nach den entsprechenden Zollvorschriften richtet (vgl. Riewald a. a. O. und für den Streitfall, bei dem neben dem Zoll Ausgleichsteuer zu erheben war, § 15 des Umsatzsteuergesetzes, § 2 der Ausgleichsteuerordnung). Die Auffassung der Beschwerdeführerinnen (Bfinnen.), die ihnen ausgehändigten Zollquittungen stellten förmliche schriftliche Steuerbescheide im Sinne des § 211 AO dar, ist unzutreffend. Es handelt sich dabei, auch wenn sie - wie im Streitfalle - Nachforderungen betreffen, um vorbereitete Quittungen, die dem Steuerpflichtigen nach Entrichtung der Abgabenbeträge als Nachweis der Zahlung dienen und deren Durchschriften Belege für die an die Zollkasse entrichteten Zahlungen werden (vgl. § 37 Abs. 1 und 3 der Amtskassenordnung). Der Umstand, daß diese Quittungen den Abfertigungsbefund und die Abgabenberechnung enthalten, macht sie nicht zu förmlichen Steuerbescheiden. Förmliche Steuerbescheide sollen nach § 211 Abs. 2 Ziff. 3 AO eine Zahlungsaufforderung, d. h. also eine Anweisung enthalten, wo, wann und wie die Steuer zu entrichten ist. Eine solche Zahlungsaufforderung enthalten die den Bfinnen, ausgehändigten Zollquittungen nicht. Die Aufforderung zur Zahlung geschah vielmehr mit der übergabe der vorbereiteten Zollquittungen mündlich. Der umrandete Vermerk auf der Rückseite der Zollquittungen ist nur ein allgemein gehaltener Hinweis auf die Möglichkeit der unbaren Zahlung. Aus der Fassung "Zahlt unbar!" ist zu ersehen, daß nicht der im einzelnen Falle in Betracht kommende Steuerpflichtige zur Zahlung eines bestimmten Betrages aufgefordert wird, sondern daß es sich lediglich um eine an die Steuerpflichtigen allgemein gerichtete Empfehlung handelt, sich der unbaren Zahlungsweise zu bedienen. Es braucht demnach nicht erörtert zu werden, ob der Aufdruck einer Rechtsmittelbelehrung auf der Rückseite dieser Quittungen praktikabel und sinnvoll wäre (vgl. dazu insoweit das amtlich nicht veröffentlichte Urteil des Bundesfinanzhofs V z 80/56 vom 22. Mai 1957, abgedruckt in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern - ZfZ - 1957 S. 276).

Da eine Rechtsmittelbelehrung im Streitfall gesetzlich nicht vorgeschrieben war, ist die Rechtsmittelfrist mit der mündlichen Bekanntgabe der Nachforderungsbescheide am 6. Juni 1957 in Lauf gesetzt worden und war daher bei der Einlegung der Einsprüche am 13. Juli 1957 bereits abgelaufen.

An dieser auf der AO beruhenden Rechtslage hat sich auch durch das Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht (BVwGG) vom 23. September 1952 - BStBl I S. 625 - nichts geändert, dessen § 21 bestimmt, daß jedem anfechtbaren Verwaltungsakt einer Bundesbehörde eine Rechtsmittelbelehrung anzufügen ist und daß ohne diese Rechtsmittelbelehrung die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen beginnt. Der Bundesfinanzhof hat in seinem amtlich nicht veröffentlichten Beschluß V z B 15/53 vom 10. September 1954 (abgedruckt in ZfZ 1955 S. 26) entschieden, daß die Bestimmungen des BVwGG über die Rechtsmittelbelehrung auf die mit der Beschwerde nach §§ 237, 303 AO anfechtbaren Verfügungen der Finanzbehörden, für die eine Rechtsmittelbelehrung in der AO nicht vorgesehen ist, nicht anwendbar sind. Der erkennende Senat tritt dieser Ansicht auch für die formlosen Zollbescheide des § 212 AO bei. Die AO stellt gegenüber dem BVwGG ein Sonderrecht dar, das die Materie der Rechtsmittelbelehrung für ihren Bereich abschließend geregelt hat. Die Bestimmungen der AO über die Rechtsmittelbelehrung haben demnach auch nach Inkrafttreten des BVwGG ihre Sondergeltung behalten. Hätte der Gesetzgeber durch das BVwGG auch die Vorschriften der AO über die Rechtsmittelbelehrung entsprechend ändern wollen, hätte er dies besonders zum Ausdruck bringen müssen. Zutreffend hat die Vorinstanz darauf hingewiesen, daß schon aus der Stellung des § 21 BVwGG im Teil I des III. Abschnitts, der die allgemeinen Verfahrensvorschriften für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht enthält, ersichtlich ist, daß die bezeichnete Bestimmung nur für solche Verwaltungsakte gelten soll, die durch die allgemeinen Verwaltungsgerichte nachgeprüft werden (vgl. dazu auch Rümelin in ZfZ 1955 S. 3, 1956 S. 364, und Fließbach in Steuer und Wirtschaft 1958 Sp. 757).

Der Bundesminister der Finanzen hat das Rundschreiben des Bundesministers des Innern betreffend Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder für Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte der Bundesbehörden vom 30. September 1952, in welchem auf Grund des § 21 BVwGG den Bundesbehörden die Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung zur Pflicht gemacht wurde, durch den Erlaß vom 22. Oktober 1952 im Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen 1952 S. 575 bekanntgegeben. Aus dieser Bekanntgabe kann nicht gefolgert werden, daß der Bundesminister der Finanzen damit die Auffassung vertreten habe, sämtliche Verwaltungsakte der Bundesfinanzbehörden, also auch nicht förmliche Steuerbescheide, seien mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Die Bekanntgabe im Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen war vielmehr deswegen angezeigt, weil auch im Bereich der Bundesfinanzverwaltung Verwaltungsakte ergehen, die bei den allgemeinen Verwaltungsgerichten nach den für diese geltenden Vorschriften angefochten werden können. Im übrigen hätten durch einen Runderlaß des Bundesministers der Finanzen die betreffenden Gesetzesvorschriften der AO nicht geändert werden können. Auch aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) läßt sich eine über die Vorschriften der AO hinausgehende allgemeine Rechtsmittelbelehrungspflicht nicht herleiten. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet lediglich den Rechtsweg gegen Verwaltungsakte, die den einzelnen in seinen Rechten verletzen. Er enthält aber keine nähere Regelung des Verfahrens, insbesondere keine Verpflichtung, alle Verwaltungsakte mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 235/53 S vom 1. Dezember 1954, BStBl 1955 III S. 26, Slg. Bd. 60 S. 68, außerdem Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Randziffer 51 zu Art. 19 IV, sowie Ritter in ZfZ 1956 S. 199). Auch aus einer sonstigen Vorschrift des GG kann nicht gefolgert werden, daß alle Verwaltungsakte, also auch solche des Steuerrechts, abweichend von den Rechtsmittelbelehrungsvorschriften der AO, mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen werden müssen.

 

Fundstellen

BStBl III 1959, 355

BFHE 1960, 247

BFHE 69, 247

StRK, AO:211 R 5

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