Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsrecht Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Es verstößt nicht gegen das GG, wenn nach der AO bei nicht schriftlich zu erteilenden Steuerbescheiden eine Rechtsmittelbelehrung nicht vorgeschrieben ist.

§ 94 Abs. 1 Nr. 1 AO steht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht im Widerspruch.

 

Normenkette

GG Art. 3, 19 Abs. 4; AO § 94 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Bfin. die Berichtigung in den Jahren 1957 und 1958 ergangener, nicht angefochtener Zollbescheide und die entsprechende Erstattung von Eingangsabgaben verlangen kann.

Die Bfin. ließ in den Jahren 1952 bis 1958 laufend eingeführte Rollmeißel, Rollenkronen und Scheidrollensätze aus Hartmetall zum freien Verkehr abfertigen. Die Waren wurden entsprechend dem für die Verzollung maßgebenden Zeitpunkte der Zolltarifnr. 82.03 - C des Zolltarifs (ZT) 1951 und der Zolltarifnr. 82.05 ZT 1958 zugewiesen. Mit Schreiben vom 22. Oktober 1958 beantragte die Bfin. Erstattung des nach ihrer Ansicht zu Unrecht entrichteten Teils der Eingangsabgaben, und zwar für die Zeit vom 10. Juli 1952 bis 31. Dezember 1956 im Betrage von DM aus Billigkeitsgründen und für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 30. September 1958 im Betrage von DM aus Rechtsgründen. Dabei berief sich die Bfin. auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs V z 145/56 vom 17. Juli 1958, nach dem die Waren nach Tarifnr. 8461 ZT 1951 bzw. Tarifnr. 84.23 ZT 1958 hätten verzollt werden müssen.

Während über die aus Billigkeitsgründen begehrten Beträge rechtskräftig entschieden ist, geht es in diesem Rechtsmittelverfahren um die Berichtigung der Bescheide aus der Zeit vom 1. Januar 1957 bis 30. September 1958 und die entsprechende Erstattung, die das Hauptzollamt abgelehnt hat.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Mit ihrer Rb. macht die Bfin. folgendes geltend:

Hinsichtlich der zu berichtigenden Zollbescheide sei die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt worden, da sie keine Rechtsmittelbelehrung enthalten hätten. Deren Fehlen verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), der nach herrschender Meinung eine Verfassungsbestimmung mit Grundrechtscharakter sei. Aus der grundrechtlichen Rechtsschutzgarantie folge die Verpflichtung zur Einteilung einer Rechtsmittelbelehrung, da die Aufklärung des Beschwerten über die Rechtsschutzmöglichkeit eine unabdingbare Voraussetzung der vollen Auswirkung dieser Verfassungsbestimmung sei. Die Nichtanerkennung der Notwendigkeit einer Belehrung würde im vorliegenden Fall mit dem aus Art. 20 GG zu folgernden Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit kollidieren, aus dem folge, daß das Gesetz klar gefaßt sein müsse. § 259 Abs. 1 AO habe aber besagt, daß es bei Zöllen und Verbrauchsteuern kein Einspruchsverfahren gebe, während nach dem Gesetz vom 22. Oktober 1957 auch für diese Abgaben das Berufungsverfahren gegeben gewesen sei. Das Fehlen der Rechtsmittelbelehrung verstoße auch gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. In der öffentlichen Verwaltung sei die Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung allgemein Praxis und zumindest seit dem Erlaß des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes vorgeschrieben. Das müsse auch für die Finanzbehörden als Teil der öffentlichen Verwaltung gelten.

Wenn die Rechtsprechung die Berichtigung nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO verschieden behandle, je nachdem, ob es um eine änderung zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen gehe, sei diese relative Rechtskraft mit den Grundsätzen des Rechtsstaats nicht vereinbar. Wenn § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO in seiner jetzigen Fassung aufrechterhalten werden solle, müßten Zollbescheide bis zum Ablauf der Verjährungsfrist auch zugunsten des Steuerpflichtigen jederzeit abänderbar sein.

Unter Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten sei § 224 AO falsch angewendet worden. Aus dem Urteil des Finanzgerichts IV 3/61 vom 17. Februar 1962, das mit den Akten herbeigezogen sei, ergebe sich, daß die Oberfinanzdirektion in ihrer Beschwerdeentscheidung vom 29. Juli 1960 sachlich über den Erstattungsanspruch der Bfin. entschieden habe, also innerhalb der Verjährungsfrist von einer fehlerhaften Veranlagung Kenntnis bekommen habe. Wenn aber die Aufsichtsbehörde die fehlerhafte Veranlagung aufgedeckt habe, müsse die Steuerfestsetzung berichtigt werden.

Falls aber keine Fehleraufdeckung vorläge, ergäbe sich ein Berichtigungsanspruch aus § 94 AO. Die Ablehnung einer Berichtigung sei ermessensmißbräuchlich, da die falsche Tarifierung nur auf Fehler der Verwaltung zurückgehe und man der Bfin. weder die falsche Zollberechnung noch die Nichteinlegung eines Rechtsmittels zum Vorwurf machen könne. Nachdem im Jahre 1952 im Gegensatz zu einer verbindlichen Zollauskunft der Oberfinanzdirektion der Bundesminister der Finanzen die Tariffrage durch Erlaß vom 6. August 1952 III B - Z XVI - 124/52 entschieden habe, sei die Einlegung eines Rechtsmittels ein unzumutbares Risiko gewesen. Die Verweigerung einer Berichtigung verstoße auch gegen den Grundsatz der Zweckmäßigkeit. Der Zweck des § 94 AO liege gerade darin, daß ohne Rücksicht auf Rechtskraft Zollbescheide berichtigt werden können. Selbst wenn man die Abänderung zugunsten des Steuerpflichtigen noch an besondere Bedingungen knüpfe (Urteil des Bundesfinanzhofs VII 104/60 U vom 7. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 84, Slg. Bd. 72 S. 225), seien diese erfüllt, denn die Bfin. habe weder vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Fehlerhaftigkeit der Zollbescheide erkannt noch erkennen müssen. Außerdem seien die Voraussetzungen zur Gewährung von Nachsicht erfüllt. Sie lägen einmal im Fehlen der Rechtsmittelbelehrung und in der Unübersichtlichkeit der Rechtsmittelmöglichkeiten. Zum anderen könne der Bfin. die Nichteinlegung des Rechtsmittels deshalb nicht vorgeworfen werden, weil sie nach der Entscheidung des Bundesministers der Finanzen und der darauf abgeänderten verbindlichen Zollauskunft keine Chance für eine andere Beurteilung der Rechtsfrage gesehen habe. Wenn trotzdem der Bundesfinanzhof zu einer anderen Rechtsauffassung gelangt sei, dürfte dies ein Grund zur Nachsichtgewährung sein (Urteil des Bundesfinanzhofs III 183/52 U vom 10. April 1953, BStBl 1953 III S. 165 ff., Slg. Bd. 57 S. 424).

Die Bfin. sehe in der Verweigerung einer Berichtigung trotz zweimaliger Entscheidung des Bundesfinanzhofs einen Verstoß gegen Treu und Glauben und den rechtsstaatlichen Grundsatz der Besteuerungsmoral.

Der Vertreter der Verwaltung hat in der mündlichen Verhandlung folgendes ausgeführt:

Rechtsprechung und Schrifttum stimmten darin überein, daß nicht in allen Fällen eine Rechtsmittelbelehrung erforderlich sei. Eine solche sei bei Zollbescheiden wegen der Vielzahl der Verwaltungsakte praktisch nicht durchführbar, ferner aber auch nicht im Interesse des Steuerpflichtigen notwendig. In schwierigen Fällen ergingen im übrigen schriftliche Bescheide, die eine Rechtsmittelbelehrung enthielten. Bei der änderung der AO durch das Gesetz vom 23. April 1963 (BGBl I S. 197) sei in einzelnen Vorschriften eine Rechtsmittelbelehrung zur Pflicht gemacht worden. Wenn das in § 212 AO nicht geschehen sei, so müsse der Gesetzgeber das bewußt getan haben. § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO sehe eine nachträgliche änderung bei Zollbescheiden wegen der sofortigen und summarischen Abfertigung vor. Wenn die Verwaltung zu einer Nachforderung komme, sei der Steuerpflichtige nicht schlechtergestellt, da er den Nachforderungsbescheid anfechten könne. Der Vorschrift lägen zwei widerstreitende Grundsätze zugrunde, nämlich der der Rechtssicherheit und der der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Beides seien Grundsätze mit Verfassungsrang. Die AO habe sich nicht ausschließlich für den einen oder den anderen entschieden. Die Bfin. habe sich dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen nicht zu beugen brauchen; wenn sie auf Rechtsmittel verzichtet habe, habe sie sich die Folgen zuzuschreiben. Auch ein Fall des § 224 AO läge nicht vor, da die Oberfinanzdirektion sich auf den Bericht des Hauptzollamts dessen Auffassung angeschlossen habe. Der Bundesfinanzhof habe bestätigt, daß erst der Tarif 1959 Klarheit gebracht habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. kann keinen Erfolg haben.

Die Zollbescheide, deren Berichtigung die Bfin. begehrt, sind mangels eines dagegen eingelegten Rechtsmittels unanfechtbar geworden.

Der erkennende Senat hat die Frage, ob Zollbescheide einer Rechtsmittelbelehrung bedürfen und bei deren Fehlen die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt wird, in seinen Urteilen VII 10/59 U vom 1. Juli 1959 (BStBl 1959 III S. 355, Slg. Bd. 69 S. 247) und VII 16/59 U vom 25. Januar 1961 (BStBl 1961 III S. 146, Slg. Bd. 62 S. 397) sowie in dem von der Bfin. angeführten Urteil VII 54/62 vom 12. Februar 1963 im Hinblick auf die von der AO für das Sondergebiet der Abgaben getroffene gesetzliche Regelung verneint. Er sieht auch nach erneuter Prüfung keinen Anlaß, von dieser Auffassung abzugehen.

Es ist nicht zu verkennen, daß die Verwirklichung der im Art. 19 Abs. 4 GG zum Ausdruck kommenden Forderung nach einem umfassenden Rechtsschutz es notwendig macht, daß derjenige, der sich durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt glaubt, in der Lage sein muß, sich ohne Schwierigkeiten über die ihm zustehenden Rechtsmittel und damit in Zusammenhang stehenden Formvorschriften zu unterrichten. Das bedeutet nicht, daß jeder Verwaltungsakt ohne Rücksicht darauf, in welcher Form er ergeht, mit einer Rechtsmittelbelehrung verbunden sein muß. Bei schriftlich ergehenden Verwaltungsakten wird auch eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung die gebotene Form sein, die in solchen Fällen in der Regel auch ausdrücklich vorgeschrieben ist (vgl. für die schriftlich zu erteilenden Steuerbescheide jetzt § 211 Abs. 1 AO in der Fassung des Gesetzes zur änderung des Gesetzes über die Finanzverwaltung, der Reichsabgabenordnung und anderer Steuergesetze vom 23. April 1963, BGBl I S. 197). Nicht vorgeschrieben ist nach der AO die Rechtsmittelbelehrung nach wie vor für die nicht schriftlich zu erteilenden Steuerbescheide. Dazu gehören in erster Linie die bei der Eingangsabfertigung von eingeführten Waren nach dem Zollrecht zu erteilenden mündlichen Abgabenbescheide. Da diese durch mündliche Mitteilung und übergabe der vorbereiteten Zollquittung, aus der der Zollbeteiligte die angewendete Tarifnummer, den zugrunde gelegten Zollwert und die Berechnung der Abgaben ersieht, bekanntgegeben werden, ist dabei der Zollbeteiligte selbst oder sein Vertreter auf der Zollstelle anwesend. Der Steuerbescheid geht also bei gleichzeitiger Anwesenheit des zuständigen Beamten der Zolldienststelle und des Empfängers oder seines Vertreters dem Zollbeteiligten zu, so daß dieser sich ohne Schwierigkeiten sofort vergewissern kann, ob und welches Rechtsmittel ihm zusteht und innerhalb welcher Frist er davon Gebrauch machen muß. Handelt es sich bei dem Zollbeteiligten zudem um einen Gewerbetreibenden, so kommt hinzu, daß dieser in der Regel - wie das auch bei der Bfin. der Fall war - wiederholt Waren verzollt und ihm daher aus dem häufigen Verkehr mit der Zollstelle bekannt ist, wie er sich gegen Zollbescheide zur Wehr setzen kann. Damit ist aber in diesen Fällen nach Ansicht des Senats die Unterrichtung des Steuerpflichtigen über die ihm gegen die Abgabenbescheide zustehenden Rechtsmittel hinreichend sichergestellt und der oben erwähnten Forderung des GG nach einem wirksamen umfassenden Rechtsschutz genügt. Daher verstößt auch eine aus sachlichen Gründen gerechtfertigte unterschiedliche Regelung nicht gegen Art. 3 GG.

Zu einer anderen Auffassung nötigt auch nicht der Umstand, daß § 259 Abs. 1 AO nicht alsbald den Vorschriften des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit vom 22. Oktober 1957 (BGBl I S. 1746) angepaßt worden war. Denn soweit der Empfänger eines Eingangsabgabenbescheides nicht auf die vorerwähnte Weise von der Möglichkeit des Einspruchs erfuhr, sondern noch die Anfechtung für das zulässige Rechtsmittel hielt, war eine falsche Bezeichnung seines Rechtsmittels unschädlich.

Auch die Rüge der Bfin., daß die Finanzverwaltung nicht für sich in Anspruch nehmen könne, einen unanfechtbar gewordenen Bescheid über Zölle oder Verbrauchsteuern nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO innerhalb der Verjährungsfrist zuungunsten des Steuerpflichtigen zu berichtigen, dagegen nach ihrem Ermessen eine Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen abzulehnen, ist nicht begründet.

Es ist nicht zu verkennen, daß die Rechtsstellung der abgabenerhebenden öffentlichen Körperschaft dem Wesen der Sache nach eine andere ist als die des einzelnen Steuerpflichtigen. So sind die Finanzverwaltungsbehörden als Organe des Steuergläubigers - sofern nicht besondere rechtliche Gründe, wie z. B. die Grundsätze von Treu und Glauben, entgegenstehen - verpflichtet, die auf Grund Gesetzes entstandenen Abgabeansprüche geltend zu machen, und zwar verbietet ihnen der Gleichheitsgrundsatz die Besserstellung eines einzelnen gegenüber anderen, bei denen der gleiche Tatbestand vorliegt und daher der gleiche Abgabenanspruch entstanden ist. Der Durchführung dieses Grundsatzes dient es, wenn das Gesetz in gewissem Rahmen die Möglichkeit gibt, daß Steuerbescheide durch diejenige Behörde, die sie erlassen hat, zurückgenommen oder geändert werden können, und zwar bei Zöllen und Verbrauchsteuern im Hinblick darauf, daß die Umstände der Abfertigung häufig keine genaue Prüfung erlauben, in weiterem Umfang als bei den anderen Abgaben. Da dies aber nur innerhalb der Verjährungsfrist geschehen kann (§ 223 AO), die bei Zöllen und Verbrauchsteuern nur ein Jahr beträgt (§ 144 AO), ist bei diesen Abgaben die änderungsmöglichkeit zeitlich stärker beschränkt als bei anderen. Wenn eine solche Berichtigung aber allgemein nicht lediglich innerhalb des Laufes der Rechtsmittelfrist stattfinden kann, rechtfertigt sich das daraus, daß die Finanzbehörden bei der Vielzahl der zu erledigenden Fälle nicht in der Lage sind, bereits innerhalb dieser kurzen Frist die erlassenen Bescheide nachzuprüfen und etwaige Fehler zu entdecken.

Im Gegensatz zu den Zollbehörden als den Organen des Steuergläubigers weiß der Steuerpflichtige schon im voraus, welche Waren er einführen will und kann sich damit bereits vor der Abfertigung sorgfältig unterrichten, mit welchen Abgaben er zu rechnen hat. Er hat es ferner nur mit der begrenzten Zahl von Abgabenfällen zu tun, die ihn selbst betreffen, so daß er auch nach der Steuerfestsetzung innerhalb der Rechtsmittelfrist von einem Monat in der Lage ist, zu prüfen und sich schlüssig werden, ob er sich mit der Abgabenfestsetzung abfinden will oder nicht. Er ist in dieser Hinsicht nicht durch das Gesetz gebunden, d. h. es liegt in seinem Belieben, ob er eine ihm nicht richtig dünkende steuerliche Behandlung hinnehmen will oder nicht. Gerade deshalb aber besteht kein zwingender Grund, einen Bescheid, den der Steuerpflichtige hat unanfechtbar werden lassen, nachträglich zu seinen Gunsten zu berichtigen. Denn die anderen Steuerpflichtigen werden durch seine ungünstigere Behandlung nicht benachteiligt, dem Betroffenen selbst aber geschieht, da er sich mit der ihm zuteil gewordenen steuerlichen Behandlung abgefunden und sich nicht dagegen gewehrt hat, kein Unrecht.

Im Hinblick auf das Vorstehende ist der Senat der Auffassung, daß die sich aus § 94 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 223 AO ergebende gesetzliche Regelung, nach der die Finanzverwaltungsbehörden in der Lage und gehalten sind, innerhalb der Verjährungsfrist einen fehlerhaften Bescheid zuungunsten des Steuerpflichtigen zu berichtigen, es auf der anderen Seite aber in ihrem Ermessen steht, die Berichtigung unanfechtbarer Steuerbescheide zugunsten des Bf. vorzunehmen, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht im Widerspruch steht. Er sieht auch keinen Anlaß, davon abzugehen, daß die Versagung der zugunsten eines Steuerpflichtigen erstrebten Anwendung des § 94 AO insbesondere dann keinen Ermessensverstoß darstelle, wenn der Steuerpflichtige die änderung eines unanfechtbar gewordenen Steuerbescheides aus Gründen verlangt, die er in einem Rechtsmittelverfahren gemäß §§ 228 ff. AO hätte vorbringen können (vgl. dazu das Urteil des erkennenden Senats VII 63/61 vom 14. März 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 S. 31 Nr. 32).

Das schließt nicht aus, daß unter Umständen in besonderen Fällen, insbesondere wenn stichhaltige Bedenken gegen die Einlegung eines Rechtsmittels bestanden - z. B. wenn es notwendig gewesen wäre, gegen eine ständige Rechtsprechung anzugehen - die Ablehnung einer Berichtigung einen Ermessensmißbrauch darstellen kann.

Im Streitfall liegen jedoch derartige besondere Umstände nicht vor. Die Bfin. hat sich jahrelang mit einer Verzollung entsprechend der Entscheidung des Bundesministers der Finanzen, also einer Verwaltungsbehörde, abgefunden und auf eine steuergerichtliche Nachprüfung verzichtet; es war ihr aber durchaus zuzumuten, eine solche in der Weise herbeizuführen, daß sie die gegen die ergangenen Zollbescheide anfocht und bis auf einen Fall die Aussetzung der Verfahren beantragte, bis in dem Musterfall das Rechtsmittelverfahren ggf. bis zur letzten Instanz durchgeführt war. Statt dessen hat sie erst die im Rechtsmittelverfahren eines anderen Steuerpflichtigen ergangene, von der Auffassung der Verwaltung abweichende Entscheidung zum Anlaß genommen, um die erneute Aufrollung ihrer eigenen Steuerfälle zu fordern. Wenn bei dieser Sachlage die Zollverwaltungsbehörden eine nachträgliche Berichtigung der von der Bfin. nicht angefochtenen Steuerbescheide ablehnen, kann darin ein Ermessensmißbrauch nicht erblickt werden, zumal es der Verwaltung nicht verwehrt werden kann, gegenüber einer erstmaligen Entscheidung des Bundesfinanzhofs zunächst weiter eine abweichende Auffassung zu vertreten und es in Fällen, für die das ergangene Urteil keine Rechtskraftwirkung hat, zu einer erneuten gerichtlichen Entscheidung kommen zu lassen.

Auch ein Berichtigungsanspruch auf Grund des § 224 AO steht der Bfin. nicht zu.

Es braucht hier nicht geprüft zu werden, ob im Streitfall ein Fehler im Sinne einer objektiven Unrichtigkeit vorliegt; denn es mangelt jedenfalls an einer Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde. Zu einer solchen Fehleraufdeckung gehört nämlich, daß die Aufsichtsbehörde ihrerseits zu dem Ergebnis gekommen ist, daß ein Fehler vorliegt (vgl. Hübschmann-Hepp- Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 13 c zu § 222 und das dort angeführte Schrifttum, auch Pendele-Bock, Das Steuerrecht der Reichsabgabenordnung für das Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern, 6. Aufl. 1962, S. 143).

Die Oberfinanzdirektion als Aufsichtsbehörde hat jedoch ausweislich des Akteninhalts sowohl im November 1959 des ablehnenden Standpunkt des Hauptzollamts geteilt als auch in ihrer Beschwerdeentscheidung - in der die Bfin. die sachliche Entscheidung der Aufsichtsbehörde sieht - zum Ausdruck gebracht, daß sie sich die Rechtsauffassung des Urteils des Bundesfinanzhofs V z 145/56 vom 17. Juli 1958, das in einem anderen Falle erging und für den Streitfall keine Rechtskraftwirkung hat, nicht zu eigen macht, wozu sie nach dem unter 2. Ausgeführten auch nicht verpflichtet war. Wenn die Bfin. sich darauf beruft, daß auch eine zweite Entscheidung des Bundesfinanzhofs ergangen sei, ist demgegenüber darauf hinzuweisen, daß damit nur das nicht veröffentlichte Urteil des Senats VII 32/60 vom 30. November 1960 gemeint sein kann, das also zeitlich nach der Beschwerdeentscheidung vom 29. Juli 1960 lag. Da demnach von einer Fehlerfeststellung nicht die Rede sein kann, bestand für die Oberfinanzdirektion keine Verpflichtung, eine Berichtigung zu veranlassen.

Auch insoweit kann daher das Berichtigungsbegehren der Bfin. keinen Erfolg haben.

Mit Recht hat die Vorinstanz festgestellt, daß Gründe für die Gewährung von Nachsicht hinsichtlich der Versäumung der für die einzelnen Steuerbescheide laufenden Rechtsmittelfristen nicht vorliegen.

Abgesehen davon, daß die Bfin. selbst an die Verwaltung nur wegen einer Berichtigung herangetreten ist, aber nicht ausdrücklich Rechtsmittel gegen die einzelnen Steuerbescheide eingelegt hat, kann die Versäumung der Rechtsmittelfrist nicht als unverschuldet angesehen werden, da der Bfin., wie unter 1. dargelegt, die Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung entweder bekannt sein mußte oder jedenfalls für sie ohne weiteres zu erfahren war. Daß aber der bloße Umstand, daß ein von der Verwaltungsübung abweichendes Urteil ergeht, keinen Nachsichtsgrund darstellt, ist auch aus dem von der Bfin. herangezogenen Urteil des Bundesfinanzhofs III 183/52 U vom 10. April 1953 (BStBl 1953 III S. 165 ff., Slg. Bd. 57 S. 424) zu entnehmen.

Schließlich kann darin, daß die Verwaltung auf Grund eines gegenteiligen Urteils ihre jahrelang vertretene Auffassung nicht aufgab und daher eine Berichtigung der Bescheide in den inzwischen abgeschlossenen Fällen ablehnte, aber nicht ein Verstoß gegen Treu und Glauben erblickt werden.

Da somit die Vorinstanz die Ablehnung des Berichtigungsbegehrens der Bfin. mit Recht gebilligt hat, war auch die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl III 1964, 490

BFHE 1965, 44

BFHE 80, 44

StRK, AO:1 R 16

NJW 1964, 2370

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