Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung bei mangelhafter Adressierung

 

Leitsatz (NV)

Ist nicht auszuschließen, daß der verspätete Zugang einer Revisionsbegründung auf deren fehlerhafte Adressierung und daher ein Verschulden des Revisionsklägers zurückzuführen ist, kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (Anschluß an die BFH-Beschlüsse vom 28. Januar 1992 V B 228/91 nv; vom 19. Dezember 1985 VIII R 3/85, BFH/NV 1987, 648; vom 1. Dezember 1987 VI R 27/87, BFH/NV 1988, 381).

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1-2, § 120 Abs. 1

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) stattgegeben. Die Zustellung der Vorentscheidung erfolgte am 13. Oktober 1995. Dagegen hat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) Revision -- zunächst ohne Begründung -- eingelegt. Die Revisionsbegründung vom 6. Dezember 1995 sandte es am 7. Dezember 1995 mit Postzustellungsurkunde an den Bundesfinanzhof (BFH). Auf der Sendung (Umschlag und Postzustellungsurkunde) ist nicht die Zustellanschrift, sondern das Postfach des BFH angegeben. Als Postleitzahl des Bestimmungsorts ist die Postleitzahl des Absenders vermerkt. Die Zustellung an den BFH erfolgte am 18. Dezember 1995. Der Zustellungsvermerk ging dem FA am 19. Dezember 1995 zu.

Mit beim BFH am 2. Januar 1996 eingegangenem Schriftsatz vom 20. Dezember 1995 beantragt das FA wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es macht geltend, am verspäteten Eingang der Revisionsbegründung treffe es selbst kein Verschulden. Beim Versand des Schriftstückes am 7. Dezember 1995 sei auch unter Zugrundelegung einer großzügigen postalischen Laufzeit mit einem fristgerechten Eingang beim BFH zu rechnen gewesen. Mit Schriftsatz vom 13. März 1996 trägt das FA ergänzend vor, die Sendung sei zwar mit einer unzutreffenden Postleitzahl versehen gewesen. Dieser Umstand sei aber für die Fristversäumung nicht ursächlich gewesen. Nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG (DP) sei auch bei falsch angegebener Postleitzahl mit einer Verzögerung von lediglich drei oder vier Werktagen zu rechnen, die im Streitfall eine fristgerechte Zustellung nicht gehindert hätte. Im Streitfall sei der verspätete Zugang vielmehr darauf zurückzuführen, daß die Sendung bei der maschinellen Umarbeitung durch die DP beschädigt worden sei. Das FA verweist auf zwei von ihm eingeholte und vorgelegte Stellungnahmen der DP.

Die Kläger treten dem Antrag auf Wiedereinsetzung entgegen. Die mangelnde Adressierung habe zwangsläufig eine Verzögerung der Zustellung bewirkt. Im übrigen gewährleiste die vom FA gewählte Postfachangabe, die nur ausnahmsweise erfolgen solle, eine ordnungsgemäße Zustellung nur unter gleichzeitiger Angabe der zustellungsfähigen Anschrift.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unzulässig und daher zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Eine Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des FG einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Erfolgt die Revisionsbegründung nicht innerhalb dieser Frist und ist diese Frist nicht verlängert, ist die Revision nicht zulässig erhoben (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 120 FGO Rz. 38).

Die Revisionsbegründung des FA ist erst am 18. Dezember 1995 und damit nach Ablauf der am 13. Dezember 1995 endenden Begründungsfrist beim BFH eingegangen.

Dem Antrag des FA auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO ist nicht stattzugeben.

Der Senat kann offenlassen, ob das FA wie erforderlich (BFH-Beschlüsse vom 10. Oktober 1988 IV R 202/85, BFH/NV 1990, 42; vom 24. September 1992 XI B 36/91, BFH/NV 1993, 8; vom 8. Mai 1996 X B 12/96, BFH/NV 1996, 833) innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 FGO, die am 2. Januar 1996 endete, die Umstände, auf die es seinen Antrag stützt, vollständig mitgeteilt hat. Dazu bedarf es einer eingehenden Darstellung des Geschehensablaufs, der zur Fristversäumnis geführt hat, nach Ablauf der Frist ist lediglich noch die Erläuterung oder Klärung unvollständiger Angaben zulässig. In seinem Antrag vom 20. Dezember 1995 hat das FA die fehlerhafte Adressierung der Revisionsbegründung nicht erwähnt. Allerdings ergibt sie sich aus der dem Akten inhalt (Umschlag der Sendung) und der dem Antrag des FA beigefügten Anlage.

Jedenfalls hat das FA aber auch unter Berücksichtigung des ergänzenden Schriftsatzes vom 13. März 1996 nicht dargelegt, daß es ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO).

Zwar sind nach ständiger Rechtsprechung (vgl. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 1980 2 BvR 914/79, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1980, 203, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 56, Rechtsspruch 336) Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung, die der Revisionskläger nicht zu vertreten hat, nicht als dessen Verschulden zu werten. In der Verantwortung des Revisionsklägers liegt nur, das zu befördernde Schriftstück den postalischen Bestimmungen entsprechend und so rechtzeitig zur Post zu geben, daß es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Bundespost bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht (BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1987 IX R 100/83, BFH/NV 1988, 26; vom 15. Juli 1992 X B 13/92, BFH/NV 1992, 763). Diesen Anforderungen entsprochen zu haben, muß der Revisionskläger -- daher auch die Finanzbehörde -- indessen schlüssig darlegen und glaubhaft machen (BFH-Beschlüsse vom 7. November 1995 VII R 34/94, BFH/NV 1996, 343; vom 18. März 1996 I R 103/95, BFH/NV 1996, 630). Fehlt es daran wie im Streitfall, hat der Revisionskläger Umstände darzulegen, wonach ein Verschulden seinerseits als Ursache für die Fristversäumung auszuschließen ist (BFH-Beschlüsse vom 28. Januar 1992 V B 228/91, nicht veröffentlicht; vom 19. Dezember 1985 VIII R 3/85, BFH/NV 1987, 648; vom 1. Dezember 1987 VI R 27/87, BFH/NV 1988, 381). Diesem Erfordernis hat das FA nicht genügt.

Die Revisionsbegründung des FA war unstreitig unzutreffend adressiert, da auf der Sendung und der Postzustellungsurkunde (wie übrigens erneut beim Antrag auf Wiedereinsetzung vom 20. Dezember 1995) statt der Postleitzahl des Empfängers die eigene angegeben war. Zudem war entgegen der Regelung des § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes nicht die Zustellanschrift des BFH, sondern lediglich dessen Postfach angegeben. Aus der Stellungnahme der DP ergibt sich, daß derartige Mängel zwangsläufig zu Zustellungsverzögerungen führen, die "wahrscheinlich" drei oder vier Werktage betragen. Diese Äußerung der DP schließt eine Ursächlichkeit der Adressierungsmängel für die Fristversäumung jedoch nicht aus, zumal zwischen dem Tag der Absendung der Revisionsbegründung (7. Dezember 1995) und dem Ende der Frist (13. Dezember 1995) lediglich 4 Werktage lagen und es sich um die vorweihnachtliche Zeit mit verstärktem Postverkehr handelte. Jedenfalls ist die Absendung im Streitfall nicht so rechtzeitig erfolgt, daß trotz der Mängel der Anschrift und der dann notwendigen Sonderbehandlung die Zustellung üblicherweise rechtzeitig hätte erfolgen müssen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 1990 4 C 10/87, Neue Juristische Wochenschrift 1990, 2639). Das FA kann sich auch nicht auf die -- unstreitige -- Beschädigung der Sendung im Postlauf berufen. Zwar führt laut Stellungnahme der DP eine derartige Beschä digung im Regelfall ebenfalls zu einer Verzögerung der Zustellung; sie wird aber auf lediglich einen Werktag beziffert. Mit der Beschädigung ist daher, wie auch die DP ausführt, "die stark verspätete Auslieferung des Schriftstücks nur zum Teil zu erklären". Für die Ursächlichkeit der Adressierungsmängel für die verspätete Zustellung der Revisionsbegründung spricht letztlich auch die ungewöhnlich lange Postlaufzeit des (ebenfalls fehlerhaft adressierten) Antrags auf Wiedereinsetzung.

Da nicht auszuschließen ist, daß der verspätete Zugang der Revisionsbegründung -- zumindest auch -- auf die fehlerhafte Adressierung und daher ein Verschulden des FA zurückzuführen ist, kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421952

BFH/NV 1997, 497

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