Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlust des Richterablehnungsrechts; Mitwirkung des abgelehnten Richters bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch

 

Leitsatz (NV)

1. Die rügelose Einlassung zur Sache im Erörterungstermin und in einem Schriftsatz führt gem. § 51 FGO i.V.m. § 43 ZPO zum Verlust des Ablehnungsrechts. Der Verlust des Ablehnungsrechts erstreckt sich auch auf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zusammenhängende Parallelverfahren.

2. Der BFH darf als Beschwerdegericht auch dann in der Sache selbst entscheiden, wenn die Mitwirkung des abgelehnten Richters an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht zulässig war.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 41 ff.

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Sie erhoben Klage wegen der Einkommensteuer 1979 und 1980 (10 K 6711/90 E), 1981 bis 1983 (10 K 4015/91 E), 1984 und 1985 (10 K 4016/91 E) sowie 1987 und 1988 (10 K 6514/91 E), über die noch nicht entschieden ist. Streitig sind im Verfahren 10 K 6711/90 E die Einkünfte des Klägers aus seiner selbständigen Tätigkeit als Architekt (Zufluß eines Honorars eines Bauherren sowie die Zahlung einer Abfindung an eine GmbH). Die übrigen Verfahren betreffen die Frage, ob Verluste aus einem Grundbesitz mangels einer Einkunftserzielungsabsicht nicht anzuerkennen sind.

Im Verfahren 10 K 6711/90 E fand am 8. Januar 1993 ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des Finanzgerichts (FG), Richter am FG A, statt, an dem die Kläger, deren Prozeßbevollmächtigter sowie ein Vertreter des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) teilnahmen.

Mit Schreiben vom 22. Januar 1993 teilte der Prozeßbevollmächtigte dem FG mit, das Protokoll über den Erörterungstermin sei in zwei Punkten unvollständig. Der Vertreter des FA habe geäußert, die Honorarforderung sei offensichtlich verschoben worden. Der Richter am FG A habe dem Antrag der Kläger auf Protokollierung dieser Äußerung nicht entsprochen; er habe ferner geäußert, aus seiner Sicht habe sich aus der Abfindungszahlung an die GmbH eine unzulässige Architektenbindung zugunsten des Klägers ergeben. Aus diesen Gründen falle es den Klägern schwer, an die Objektivität des Richters am FG A zu glauben.

Die Kläger stellten mit Schreiben vom 17. Februar 1993 ein förmliches Ablehnungsgesuch und machten ferner geltend: Der Richter am FG A habe im Erörterungstermin in bezug auf den Zufluß des Honorars eine vorgefaßte Meinung vertreten und die Vernehmung des Bauherren als Zeugen für erforderlich gehalten; er habe sie ferner nicht über die Bedeutung eines Gerichtsbescheids ohne mündliche Verhandlung aufgeklärt. Die Kläger erstreckten das Ablehnungsgesuch auch auf die übrigen Klageverfahren; in den Verfahren 10 K 4015/91 E und 10 K 4016/91 E hatten sie - durch eine weitere Prozeßbevollmächtigte - inzwischen mehrere Schriftsätze eingereicht und Anträge auf Zulassung der Revision gestellt.

Das FG wies das Ablehnungsgesuch - nach Einholung einer dienstlichen Äußerung des Richters am FG A und unter dessen Mitwirkung - mit Beschluß vom 30. Juni 1993 als unzulässig zurück.

Gegen diesen Beschluß haben die Kläger Beschwerde eingelegt und sinngemäß beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses dem Ablehnungsgesuch stattzugeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Das FG hat das Ablehnungsgesuch zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.

Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit allerdings nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 43 ZPO). Hat sich die Partei bei dem abgelehnten Richter in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt, so ist gemäß § 44 Abs. 4 ZPO glaubhaft zu machen, daß der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden sei. Im Streitfall haben die Kläger ein etwaiges Recht zur Richterablehnung bereits vor Anbringung des Ablehnungsgesuchs vom 17. Februar 1993 gemäß § 43 ZPO verloren.

a) Die Kläger haben sich im Verfahren 10 K 6711/90 E bei dem Richter am FG A in eine Verhandlung eingelassen, ohne den ihnen bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen. Das Abhalten eines Erörterungstermins gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 FGO ist eine Verhandlung i.S. des § 43 ZPO; deshalb müssen Ablehnungsgründe, die während des Erörterungstermins entstehen, bis zum Schluß dieser Verhandlung geltend gemacht werden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Oktober 1991 III B 95/90, BFH/NV 1992, 524 m.w.N.).

Die Kläger haben danach ihr Ablehnungsrecht für das erwähnte Verfahren verloren, da sich die vorgetragenen Befangenheitsgründe ausschließlich auf das Verhalten des abgelehnten Richters in dem Erörterungstermin beziehen und die Kläger auch nicht glaubhaft gemacht haben, daß ihnen diese Gründe erst später bekanntgeworden sind.

b) Das FG hat den Verlust des Ablehnungsrechts zutreffend auch für die übrigen Klageverfahren angenommen.

Die Kläger haben sich in den Klageverfahren 10 K 4015/91 E und 10 K 4016/91 E durch das Einreichen der Schriftsätze vom 25. Januar sowie 2. und 8. Februar 1993 in eine Verhandlung eingelassen, ohne die Befangenheit zu rügen. Ein Einlassen in eine Verhandlung ist jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunkts dienende Handeln unter Mitwirkung des Richters; hierzu gehört auch das Einreichen eines Schriftsatzes (BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 1988 IX B 188/87, BFH/NV 1989, 237; vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50, 51 m.w.N.). Es kommt danach nicht mehr darauf an, ob die Kläger vor Anbringung des Ablehnungsgesuchs auch Anträge i.S. des § 43 ZPO gestellt haben.

Der hierdurch eingetretene Verlust des Ablehnungsrechts erstreckt sich auch auf die mit den Verfahren 10 K 4015/91 E und 10 K 4016/91 E in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zusammenhängenden weiteren Verfahren (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. April 1987 IX B 99/85, BFHE 149, 424, BStBl II 1987, 577 m.w.N., und vom 16. Dezember 1987 I B 130/87, BFH/NV 1988, 788).

2. Die Kläger berufen sich auch ohne Erfolg darauf, daß der abgelehnte Richter bei der Entscheidung über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch nicht habe mitwirken dürfen.

a) Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 45 Abs. 1, 47 ZPO entscheidet das Gericht über das Ablehnungsgesuch grundsätzlich ohne den abgelehnten Richter. Von diesem Grundsatz hat der BFH für die Fälle Ausnahmen zugelassen, daß das Gesuch rechtsmißbräuchlich (z.B. Beschlüsse vom 2. Juli 1976 III R 24/74, BFHE 119, 227, BStBl II 1976, 627; vom 13. Dezember 1991 V B 181/91, BFH/NV 1992, 674 m.w.N.) oder deshalb offensichtlich unzulässig ist, weil der Ablehnungsgrund nicht substantiiert bzw. glaubhaft gemacht ist (z.B. Beschluß vom 27. März 1992 VIII B 31/91, BFH/NV 1992, 619). Dagegen ist umstritten, ob eine solche Ausnahme auch bei einer verspäteten Anbringung des Gesuchs oder bei einem sonstigen Zulässigkeitsmangel gerechtfertigt ist (bejahend: Günther, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1986, 281, 290 m.w.N. und Hinweis auf § 26a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 der Strafprozeßordnung - StPO -; verneinend: Bork in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., § 45 Rdnr. 1 mit der Einschränkung, eine analoge Anwendung des § 26a StPO erscheine immerhin diskutabel; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., § 45 Anm. B III; Feiber in Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, § 45 Rdnr. 1).

b) Der Senat kann diese Frage letztlich offenlassen. Der Beschwerde gegen die Ablehnung des unzulässigen Ablehnungsgesuchs ist nicht allein wegen einer unzulässigen Mitwirkung des abgelehnten Richters stattzugeben; denn der Senat darf im Verfahren der Richterablehnung als Beschwerdegericht unabhängig von etwaigen Besetzungsmängeln der Vorinstanz in der Sache selbst entscheiden, braucht die Sache also nicht an das FG zurückzuverweisen (z.B. BFH-Beschluß vom 26. September 1989 VII B 75//89, BFH/NV 1990, 514 m.w.N.).

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 877

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