Entscheidungsstichwort (Thema)

Gutachten eines Sachverständigen

 

Leitsatz (NV)

1. Das Gericht hat Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger sorgfältig und kritisch zu würdigen. Unvollständigkeiten, Unklarheiten und Zweifel sind von Amts wegen - soweit möglich - auszuräumen.

2. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens steht grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts. Die Ablehnung eines dahingehenden Beweisantrags kann einen Verfahrensfehler begründen, wenn das vorliegende Gutachten grobe Mängel aufweist, die es zur Sachverhaltsfeststellung als ungeeignet, zumindest als nicht ausreichend tragfähig erscheinen lassen.

3. Eine verfahrensrechtliche Pflicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts besteht nicht, wenn das FG auf Grund eigener Sachkunde in der Lage ist, Inhalt und Wert des Gutachtens zu erfassen, um ein eigenes Urteil über die zu beurteilenden Sachfragen zu gewinnen.

 

Normenkette

FGO §§ 76, 79, 96

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war in den Jahren 1966 und 1967 (neben dem Firmengründer K. R. und Frau E. R.) persönlich haftende Gesellschafterin der K. R. & Co. KG (KG). In den folgenden Jahren war die Klägerin neben Frau E. R. und den Erben nach K. R. Kommanditistin der KG. Persönlich haftende Gesellschafterin war zu dieser Zeit die G-GmbH.

Die KG betrieb die Herstellung von Schuhen. Über das Vermögen der KG ist im Oktober 1970 das Vergleichsverfahren eröffnet worden. Der Vergleich endete 1972 mit der Liquidation des Unternehmens.

Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung wurde festgestellt, daß die KG durch notariellen Vertrag vom 8. April 1968, vertreten durch die Gesellschafterin E. R. und die Klägerin, das zum Betriebsvermögen der KG gehörende unbebaute Grundstück in X, Y-Straße 63, mit einer Größe von 3 740 qm, an den Ehemann der Klägerin zum Preis von 74 800 DM verkauft hatte. Der Ehemann der Klägerin war bis Ende 1968 in der KG als Prokurist für den Verkauf, die Verwaltung sowie das Finanz- und Vertragswesen zuständig. Der Kaufpreis für das Grundstück entsprach einem Quadratmeterpreis von 20 DM. Im Jahresabschluß für 1968 wurde der den Buchwert übersteigende Teil des Kaufpreises von 39 973 DM als Veräußerungsgewinn ausgewiesen. Nach Auffassung der Prüfer stand der beurkundete Kaufpreis in einem offensichtlichen Mißverhältnis zum tatsächlich erzielbaren Marktpreis. So seien 1967 in vergleichbarer Lage Grundstücke zum Quadratmeterpreis von ca. 86 DM verkauft worden. 1968 hätte man einen Verkaufspreis von 100 DM pro qm erzielen können. Aufgrund dieser Umstände ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) von einer verdeckten Entnahme aus. Das FA erachtete einen Quadratmeterpreis in Höhe von 90 DM als erzielbaren Marktpreis. Danach ergab sich ein Entnahmewert von 336 600 DM und eine Gewinnerhöhung in Höhe von 261 800 DM. Das FA erließ einen entsprechenden Feststellungsbescheid.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat durch Beschluß vom 7. Dezember 1983 durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Gutachterausschusses beim Landkreis Z Beweis erhoben zu der Frage, wie hoch der Teilwert des Grundstücks am 8. April 1968 gewesen sei. Das FG nimmt auf das Gutachten vom 22. Februar 1985 und die ergänzende Stellungnahme vom 4. November 1985 Bezug.

Das FG führt aus, die Berücksichtigung einer verdeckten Entnahme in Höhe von 261 800 DM sei rechtmäßig. Das FA sei zutreffend von einem Quadratmeterpreis in Höhe von 90 DM ausgegangen. Soweit der Gutachterausschuß zu einem Quadratmeterpreis von 23 DM gekommen sei, folge der Senat diesem Gutachten nicht. Das Gutachten sei in sich unschlüssig, in Einzelheiten nicht nachvollziehbar und damit für den Senat nicht verwendbar.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Entgegen § 79 Satz 2 und § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) habe das FG seiner Verpflichtung zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung nicht genügt und gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen. Das Gericht habe sich über das Ergebnis des Gutachtens hinweggesetzt. Die kritiklose Übernahme der Argumentation des FA bestätige geradezu, daß es dem FG an der erforderlichen Sachkunde gefehlt habe. Wäre das FG seiner Verpflichtung zur weiteren Sachaufklärung nachgekommen, wären seine Zweifel am vorhandenen Gutachten ausgeräumt oder dessen Inhalt durch ein Obergutachten bestätigt worden.

Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil hinsichtlich der Gewinnfeststellung für 1968 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG hat mit Recht geprüft, ob es sich bei seiner Entscheidung dem Gutachten des Gutachterausschusses beim Landkreis Z anschließen kann. Der Richter ist gehalten, selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob er dem Gutachten eines Sachverständigen folgen darf und weshalb er dies tut (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. November 1981 IV R 103/79, BFHE 135, 6, BStBl II 1982, 258, m.w.N.). Ein Verfahrensfehler ist jedoch dann gegeben, wenn das Gericht sich seine Überzeugung auf der Grundlage eines unvollständig ermittelten Sachverhalts bildet und damit gegen seine Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 FGO) verstößt. Dies ist hier der Fall.

Das Gericht hat Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger sorgfältig und kritisch zu würdigen. Unvollständigkeiten, Unklarheiten und Zweifel sind von Amts wegen - soweit möglich - auszuräumen. Dazu bietet sich an, den Gutachter zu einer Ergänzung seines schriftlichen Gutachtens zu veranlassen und ihn, wenn das zweckmäßig erscheint, zur mündlichen Verhandlung zu laden und zu befragen. In schwierigen Fällen kann es geboten sein, ein weiteres Gutachten einzuholen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 6. März 1986 III ZR 245/84, Wertpapier-Mitteilungen/ Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht - WM - 1986, 605). Zwar steht die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts. Die Ablehnung eines dahingehenden Beweisantrags kann aber dann einen Verfahrensfehler begründen, wenn das vorliegende Gutachten grobe Mängel aufweist, die es zur Sachverhaltsfeststellung als ungeeignet, zumindest als nicht ausreichend tragfähig, erscheinen lassen (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 10. Dezember 1984 7 B 93.84, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 98 VwGO Nr. 25).

Unterbleiben weitere Ermittlungen des Gerichts oder die Einholung anderer Gutachten, so stellt dies einen Aufklärungsmangel dar, wenn sich die weitere Beweiserhebung dem Gericht aufdrängen mußte, weil z. B. Anlaß zu Zweifeln an der Sachkunde des Sachverständigen bestand (vgl. BVerwG-Beschluß vom 18. Januar 1982 7 B 254.81, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1982, 410). Vor allem bieten Einwendungen eines Beteiligten gegen das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten Anlaß, die Schlußfolgerungen des Sachverständigen zu überprüfen. Erscheinen die vorgetragenen Einwendungen gegen das Gutachten aufgrund der Umstände des Einzelfalles nicht von vornherein als unbeachtlich, hat das Gericht die Pflicht, den Sachverhalt weiter aufzuklären.

Im Streitfall ist das FG schon von sich aus zu der Ansicht gelangt, daß das vorliegende Gutachten in sich unschlüssig, in Einzelheiten nicht nachvollziehbar und damit unverwertbar sei. Da auch eine entsprechende Nachfrage des Gerichts beim Gutachterausschuß keine weitere Klärung gebracht hatte, wäre es zumindest geboten gewesen, den Vorsitzenden des Gutachterausschusses zur mündlichen Verhandlung zu laden und zu befragen.

Eine verfahrensrechtliche Pflicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte nur dann nicht bestanden, wenn das FG aufgrund eigener Sachkunde in der Lage gewesen wäre, den Verkehrswert des Grundstücks zu bestimmen. Durch den Beweisbeschluß vom 7. Dezember 1983 hat das FG zu erkennen gegeben, daß es ihm an der erforderlichen Sachkunde mangelt. Will das FG von einem gerichtlich bestellten Sachverständigengutachten abweichen, muß es seine abweichende Überzeugung begründen. Seine Begründung muß erkennen lassen, daß die abweichende Beurteilung nicht durch einen Mangel an Sachkunde beeinflußt ist (BGH-Urteil vom 27. Mai 1982 III ZR 201/80, WM 1982, 1179). In aller Regel wird sich der Tatrichter erst nach einer Stellungnahme des Sachverständigen und ggf. nach einem Gespräch in der mündlichen Verhandlung in die Lage versetzen können, Inhalt und Wert des Gutachtens zu erfassen, um ein eigenes Urteil über die zu beurteilenden Sachfragen zu gewinnen. Auch dann wird er noch vorsichtig sein und, solange bei ihm Zweifel bestehen, versuchen müssen, sich weiter sachkundig zu machen (vgl. BGH-Urteil vom 10. Januar 1984 VI ZR 122/82, Neue Juristische Wochenschrift 1984, 1408).

Die Ausführungen des FG sind nicht geeignet, die Sachkunde des Gerichts zu begründen. Es fehlt jeglicher Hinweis, worauf das FG seine eigene Sachkunde nunmehr stützt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415570

BFH/NV 1988, 788

BFH/NV 1988, 789

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