Entscheidungsstichwort (Thema)

Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs

 

Leitsatz (NV)

1. Wird mit der Revision geltend gemacht, das FG habe den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten nicht zur Kenntnis genommen und dadurch rechtliches Gehörs versagt, setzt die ordnungsgemäß erhobene Rüge dieses Verfahrensmangels grundsätzlich voraus, daß die Einzelheiten des angeblich nicht zur Kenntnis genommenen Vortrags geschildert werden.

2. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn bereits das Urteil des FG klar erkennen läßt, daß die Nichtbeachtung des Vortrags die Entscheidung des FG beeinflußte.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 119 Nr. 3, § 120 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Klägerin - eine GmbH - ist persönlich haftende Gesellschafterin der B-KG. Mit ihrer Klage erstrebt sie die Aufhebung von Steuerbescheiden, die der Beklagte (Finanzamt - FA -) nach einer Steuerfahndungsprüfung erließ. Zur Begründung der Klage bezog sie sich auf die Einwendungen gegen den Steuerfahndungsbericht, die sich aus den Steuerakten der B-KG, den Akten der Steuerfahndung und den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft ergäben. Sie beantragte, diese Akten beizuziehen. Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil die Klägerin den Streitgegenstand nicht hinreichend deutlich bezeichnet habe. Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Versagung rechtlichen Gehörs und mangelhafte Sachverhaltsaufklärung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), weil das FG der Klägerin rechtliches Gehör versagte.

1. Rechtliches Gehör wird nicht nur versagt, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Tatsachen und Beweismittel stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (s. § 96 Abs. 2 FGO). Es wird auch dann versagt, wenn das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten, das für den Rechtsstreit von Bedeutung sein kann, nicht zur Kenntnis nimmt (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz; s. BFH-Urteil vom 29. November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, 129, BStBl II 1986, 187, 189 m. w. N.).

Die Versagung rechtlichen Gehörs ist ein Verfahrensmangel. Obwohl er gemäß § 119 Nr. 3 FGO ein sog. absoluter Revisionsgrund ist, setzt seine ordnungsgemäße Geltendmachung gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO voraus, daß innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Tatsachen bezeichnet werden, die die Versagung rechtlichen Gehörs ergeben. Es sind somit Tatsachen vorzutragen, die den Schluß zulassen, das FG habe rechtliches Gehör versagt.

Wird - wie im Streitfall - geltend gemacht, das FG habe den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten nicht zur Kenntnis genommen und ihm dadurch rechtliches Gehör versagt, so setzt die ordnungsgemäß erhobene Rüge dieses Verfahrensmangels grundsätzlich voraus, daß die Einzelheiten des angeblich nicht zur Kenntnis genommenen Vortrags geschildert werden (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. § 119 Anm. 13). Denn i. d. R. lassen erst die Einzelheiten des angeblich nicht beachteten Vortrags den Schluß zu, daß er für den Rechtsstreit von Bedeutung und seine Nichtbeachtung daher ein Mangel des Verfahrens sein kann. Dies gilt aber ausnahmsweise dann nicht, wenn bereits das Urteil des FG klar erkennen läßt, daß die Nichtbeachtung des Vortrags die Entscheidung des FG beeinflußte.

Der Tatsachenvortrag der Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen. Die Klägerin hat vorgetragen, das FG habe ihre sich aus bestimmten Akten ergebenden Einwände gegen die angefochtenen Steuerbescheide nicht zur Kenntnis genommen, obwohl sie in ihrem Schriftsatz vom . . . die Beiziehung dieser Akten beantragt und zur Begründung der Klage auf deren Inhalt Bezug genommen habe. Unschädlich ist, daß die Klägerin die Einzelheiten ihres in den Akten der anderen Verfahren enthaltenen Vortrags nicht geschildert hat. Das FG-Urteil läßt klar erkennen, daß die Nichtbeachtung des in den anderen Akten enthaltenen Vortrags die Entscheidung des FG beeinflußte. Aus der Begründung der FG-Entscheidung ergibt sich, daß das FG die Klage jedenfalls nicht wegen unzureichender Bezeichnung des Streitgegenstandes abgewiesen hätte, wenn es den Vortrag der Klägerin vollständig zur Kenntnis genommen hätte.

Der ausreichenden Bezeichnung der die Versagung rechtlichen Gehörs ergebenden Tatsachen steht auch nicht entgegen, daß Angaben der Klägerin zum Fortbestehen ihres Rügerechts fehlen. Bereits dem FG-Urteil läßt sich entnehmen, daß die Klägerin ihr Recht, die Versagung rechtlichen Gehörs zu rügen, nicht gemäß § 155 FGO i. V. m. § 295 Zivilprozeßordnung verloren hat. Das Urteil enthält die Feststellung, die Klägerin habe sich auf ihren Vortrag in den anderen Verfahren bezogen. Daraus folgt, daß sie nicht auf dessen Berücksichtigung verzichtet hatte. Außerdem erfuhr die Klägerin erst durch das FG-Urteil, daß das FG die Bezugnahme der Klägerin auf ihren Vortrag in den anderen Verfahren nicht als ausreichende Bezeichnung des Streitgegenstands ansah und ihn deshalb auch nicht beachtete. Das FG-Urteil enthält die Feststellung, der Berichterstatter habe die Klägerin darauf hingewiesen, ,,daß der Senat zu entscheiden haben werde, ob die Bezugnahme auf den gesamten Vortrag in den genannten Verfahren ausreiche".

2. Das FG versagte der Klägerin rechtliches Gehör. Es nahm den Vortrag der Klägerin nicht vollständig zur Kenntnis, da es die Steuerakten der B-KG, die Akten der Steuerfahndung und die der Staatsanwaltschaft, auf deren Inhalt sich die Klägerin bezogen hatte, nicht beizog.

Es kann ungeklärt bleiben, ob das FG verpflichtet war, alle diese Akten beizuziehen. Zumindest war es verpflichtet, sich vom FA die Teile der Steuerakten der B-KG und der Steuerfahndung vorlegen zu lassen, aus denen sich ergibt, welche Einwendungen die Klägerin gegen die Feststellungen der Steuerfahnder vorgetragen hatte. Diese Teile der Steuerakten der B-KG und der Steuerfahndung waren den Streitfall betreffende Akten i. S. des § 71 Abs. 2 FGO. Das FA hätte sie auch ohne Antrag der Klägerin dem FG vorlegen müssen.

3. Da die Rüge durchgreift, das FG habe der Klägerin rechtliches Gehör versagt, kann ungeklärt bleiben, ob die Klägerin den Verfahrensmangel der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung ordnungsgemäß gerügt hat.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 524

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